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Chronik des Krieges gegen Afghanistan

Februar 2002

  • Am 1. Februar mussten sich die Truppen des von der afghanischen Interimsregierung eingesetzten Gouverneurs der Provinz Paktia, Padscha Khan, aus dem Gebiet der Stadt Gardes zurückziehen. Zu den Kämpfen war es offenbar gekommen, weil einige Stammesführer mit der Ernennung Khans nicht einverstanden waren. Der Außenminister Abdullah Abdullah sagte in New York, es handle sich um einen isolierten Konflikt, der aber symptomatisch für das Land sei, in dem viele Einwohner bewaffnet seien.
    26 deutsche Soldaten sind mittlerweile in Momasa (Kenia) eingetroffen, um die Eignung des Standorts für die Marine zu überprüfen.
  • Am 2. Februar ist es zu einem Waffenstillstand zwischen den Fronten bei Gardes gekommen. Saif Ullah, der Chef der Gemeindeverwaltung (Schura) von Gardes beschuldigt den Provinzgouverneur Khan, für den US-Luftangriff auf Stammesvertreter verantwortlich zu sein, der im Dezember 2001 ungefähr 60 Menschen das Leben kostete, die auf dem Weg zur Vereidigung der Übergangsregierung in Kabul gewesen waren (Siehe unsere Chronik vom 21. Dezember).
    Kämpfe wurden inzwischen (2. und 3. Februar) auch aus dem Norden des Landes gemeldet. In der Nähe von Masar e-Scharif hätten sich Truppen des Usbekengenerals Abdul Raschid Dostam "kleinere Gefechte" mit Kämpfern des tadschikischen Kommandeurs Atta Mohammed geliefert. Von dritter Seite wurde behauptet, bei den Kämpfen seien 40 Kämpfer gefallen.
  • Sowohl in Masar-e-Scharif als auch in Gardes haben am 4. Februar die sich bekämpfenden Stammesführer offenbar Vermittlungsgespräche unter Hinzuziehung Dritter vereinbart. In Masar-e-Scharif, wo sich der usbekische General Dostam und der tadschikische Kommandeur Ustad Atta Mohammed gegenüberstehen, soll Mohammad Sardar Saeedi von der Wahdat-Partei vom Volk der Hasara vermitteln. In Gardes soll ein Vertreter der Interimsregierung in Kabul die Vermittlungsgespräche leiten.
    Am 4. Februar haben US-amerikanische und britische Flugzeuge irakische Flak-Stellungen in der so genannten südlichen "Flugverbotszone" bombardiert.
  • Washington erhält am 4. und 5. Februar erhebliche Kritik aus dem Ausland für seine Kriegspläne gegen den Irak. Selbst aus dem deutschen Auswärtigen Amt werden Bedenken geltend gemacht. Staatssekretär Ludger Volmer sagte am 4. Februar gegenüber dem ZDF, das Terrorargument könne nicht dazu benutzt werden "alte Gegnerschaften zu legitimieren". Protest kam u.a. auch aus Russland und der Türkei.
  • Am 6. Februar bestätigte der Interimspräsident Karsai laut einem Interview mit der "Washington Post", dass die USA in mindestens zwei Fällen Unschuldige Zivilisten bombardiert habe: bei einem Angriff auf ein Dorf in der Nähe von Kandahar im Januar, bei dem 15 Zivilisten ums Leben kamen, und bei dem Angriff auf einen Konvoi nahe der Stadt Khost im Dezember. Karsai fügte hinzu, bei den Fehlangriffen handelte es sich um "Versehen".
    Der aus der Stadt Gardes vertriebene Gouverneur Padscha Khan lehnt Vermittlungsgespräche mit seinen Gegenspielern ab.
  • Während sich Gerüchte verdichten, dass eine Militäroperation der USA gegen den Irak bevorstünde, setzen die US-Streitkräfte ihre Luftangriffe auf Teile Afghanistans weiter fort. Am 7. Februar wurden Gebiete im Osten Afghanistans bombardiert. Dabei soll ein führendes Mitglied von Al-Qaida getötet worden sein.
  • Am 8. Februar reiste doch eine Delegation aus Gardes nach Kabul, um mit der Regierung Gespräche über den Machtkampf zu führen. - In Masar-e-Scharif sollen mittlerweile alle Milizen abgezogen worden sein. Dies war zur Beruhigung der Lage in der Region vereinbart worden.
  • Am Wochenende 9./10. Februar hat sich nach US-Angaben der frühere afghanische Außenminister Mullah Wakil Achmed Mutawakil freiwillig gestellt. Er werde auf der US-Basis in Kandahar gefangen gehalten. Mutawakil ist der bisher ranghöchste Taliban-Vertreter, der in Gefangenschaft geraten ist.
    Die Übergangsregierung hat am 9. Februar Teile der alten Verfassung - die sich auf die Medien beziehen - von 1964 wieder in Kraft gesetzt. Gleichzeitig ließ Karzai rund 270 gefangene Taliban-Kämpfer auf freien Fuß. Sie haben sich keiner Verbrechen schuldig gemacht und sollen in ihre Dörfer zurückkehren.
  • Am 11. Februar bestätigte die afghanische Interimsregierung, dass die drei vor einer Woche bei einem US-Angriff getöteten Afghanen keine Al-Qaida-Kämpfer waren, sondern Zivilisten. Die US-Armee hatte ursprünglich behauptet, unter den drei Toten sei ein Mann gewesen, der eine ähnliche Statur wie bin Laden gehabt hätte und bei seinen Gefolgsleuten, die ihm in gebührendem Abstand folgten, hohes Ansehen genossen habe.
    Freigelassene afghanische Gefangene berichten über Misshandlungen durch US-Soldaten. Nach einem Bericht der Washington Post vom 11. Februar berichteten einige der 27 Gefangenen, wie sie von ihren Bewachern geschlagen, getreten und als Terroristen beschimpft wurden. Die US-Regierung wies die Berichte einen Tag später zurück.
    Am 11. Februar kamen weitere 34 Gefangene auf dem US-Stützpunkt Guantánamo an. Damit erhöht sich die Zahl der Gefangenen hier auf 254.
  • Bei einem eintägigen Besuch in Kabul am 12. Februar sprach sich Verteidigungsminister Scharping für eine Verlängerung des UN-Einsatzes der ISAF-Truppe aus.
  • Eine so genannte "Geberkonferenz" in Berlin hat am 13. Februar Maßnahmen beschlossen, um die Polizei in Afghanistan wieder aufzubauen. Deutschland werde sich dabei als Führungsnation betätigen und 40 Polizeifahrzeuge für Kabul bereitstellen. In einem ersten Schritt sollen 30.000 Kämpfer in einem Kurzprogramm zu Polizisten umgeschult werden. Die Zeitungsberichte teilten nicht mit, ob es sich bei den Kämpfern um Taliban- oder Nordallianz-Mitglieder handelt. Berlin sagte 10 Mio. Euro Soforthilfe zu.
    US-Zeitungen berichteten am 13. Februar, bei einem US-Luftangriff in der Region Tirin Kot im Süden Afghanistans seien 21 Dorfbewohner getötet worden, darunter 17 Kinder und Jugendliche. Das Pentagon bestritt die Angaben und sagte, es habe sich um einen Angriff auf einen Taliban-Kommandoposten gehandelt.
    Die US-Menschenrechtsgruppe Global Exchange gab bekannt, sie registriere Verluste und Schäden, die durch US-Angriffe in der Zivilbevölkerung entstanden seien.
  • Am 14. Februar kam es zu einem schwer wiegenden Zwischenfall auf dem Flughafen von Kabul. Ein Massenaufruhr von rund 1.000 Pilgern, die nach Mekka fliegen wollten, starb der afghanische Luftfahrtminister infolge tätlicher Übergriffe erboster Pilger, die seit drei Tagen bei eisigen Temperaturen auf ihren Flug warteten. Nach einigen Berichten hatte die Menge das Flugzeug gestürmt. Gerüchte sprachen auch von einem gezielten Attentat auf den Minister. Aus afghanischen Regierungskreisen war zu hören, dass der Lynchmord von der Al-Qaida-Terrorgruppe initiiert worden war, um die die Interimsregierung zu sabotieren.
  • Am 15. Februar kam es auch zu wütenden Reaktionen bei Mekka-Pilgern in Kandahar. 5.000 warten hier ebenfalls seit Tagen auf einen Flug.
    Bei einem Fußballspiel zwischen einer afghanischen Auswahl und einer Mannschaft der UN-Truppe ISAF kam es zu Tumulten, als Fußballfans, die keinen Platz erhalten hatten, sich gewaltsam Zugang zum Stadion verschaffen wollten. Vier ISAF-Soldaten (darunter zwei deutsche) wurden verletzt. ISAF-Soldaten gaben Warnschüsse in die Luft ab.
  • Erstmals seit Beginn ihres Einsatzes in Afghanistan ist die Internationale Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) am 16. Februar in Kabul angegriffen worden. Bei einem nächtlichen Überfall seien auf britische Soldaten Schüsse abgefeuert worden, zitierte die Nachrichtenagentur AP den britischen Kommandeur Richard Barrons. Die Soldaten hätten den Angriff erwidert. Die Täter seien in einem Auto geflüchtet. Im ersten Tageslicht sei das von Kugeln durchsiebte Fahrzeug gefunden worden. In einem nahe gelegenen Haus hätten die Soldaten dann die Leiche eines Mannes sowie weitere Verletzte entdeckt. Einen Tag später berichtete die netzeitung über den Vorgang: Die UN-Schutztruppe in Afghanistan hat am Sonntag Details des mutmaßlichen Angriffs auf britische Soldaten veröffentlicht. Eine Gruppe Zivilisten sei offenbar von dem Zwischenfall betroffen gewesen, hieß es. Eigenen Angaben zufolge habe die Gruppe eine schwangere Frau zur Entbindung ins Krankenhaus bringen wollen. In der Nacht zum 16. Februar zwischen 1 Uhr und 1.30 Uhr seien sie dann beschossen worden, berichteten Augenzeugen. Ein junger Mann starb nach den Schüssen. Ein Sprecher der Schutztruppe, Hauptmann Graham Dunlop, bekräftigte am 17. Februar dagegen, dass die Soldaten nicht zuerst geschossen, sondern das Feuer erwidert hätten.
  • Am 18. Februar meldete die online-Ausgabe des österreichischen "Standard", US-Kampfflugzeuge hätten in den vergangenen Tagen "auf Ersuchen" der afghanischen Regierungstruppen wiederholt Ziele im Osten des Landes angegriffen. Die Einsätze dauerten weiter an, sagte Marinebefehlshaber Dave Culler in Washington in der Nacht zum 18. Februar. Auslöser sei ein Angriff auf verbündete Truppen bei einer Straßensperre gewesen. Dabei wurde ein Afghane getötet, drei erlitten Verletzungen. Wer hinter dem Angriff stand, war ebenso wenig zu erfahren wie der genaue Ort des Zwischenfalls.
  • Am 19. Februar wurden zwei britische Fallschirmjäger vom Dienst suspendiert. Sie waren in die ungeklärte Schießerei in Kabul verwickelt gewesen, in deren Verlauf ein junger Afghane erschossen wurde.
    Die New York Times berichtete, dass US-Kampfflugzeuge am Wochenende (16./17. Februar) Angriffe auf afghanische Milizen geflogen hätten, die gegen die Interimsregierung kämpften.
  • In einem Interview mit der Wochenzeitung Akhali Versia sagte der Geschäftsträger der US-Botschaft in Tiflis (Georgien), die USA verfügten über Informationen, denen zufolge sich Al-Qaida-Kämpfer in Georgien, und zwar im Pankisi-Tal (etwa 180 km nördlich von Tiflis), aufhalten würden. Washington sei bereit, alle Länder, in denen sich Al-Qaida-Kämpfer verstecken, im Kampf gegen den Terror zu unterstützen. Ins gleiche Horn stieß auch deer russische Außenminister Igor Iwanow. Am 18. Februar sagte er, das Pankisi-Tal sei ein "Lager von Banditen und Terroristen". (FR, 21.02.2002)
  • Am 21. Februar berichteten die Vereinten Nationen, in den vergangenen Tagen seien Tausende Menschen, überwiegend Paschtunen, aus dem Norden des Landes geflohen. Offenbar kommt es immer häufiger zu lokalen und regionalen bewaffneten Auseinandersetzungen.
  • Die zunehmenden Spannungen in Afghanistan dienen den USA offenbar als Anlass, die Stationierung neuer Truppen zu erwägen. US-Verteidigungsminister Rumsfeld sagte am 22. Februar in Washington, möglicherweise müssten zehntausende Soldaten nach Afghanistan verlegt werden.
    Einen Monat nach dem Tod von rund 15 Afghanen bei einem Gefecht in Zentralafghanistan hat Rumsfeld einen Irrtum der US-Truppen bestätigt. Bei den am 23. Januar in Hasar Kadam nördlich von Kandahar erschossenen Afghanen habe es sich entgegen ersten Annahmen nicht um Taliban oder Al-Quaida-Kämpfer gehandelt, sondern um Gefolgsleute eines lokalen Machthabers.
  • Am 24. Februar meldete die Frankfurter Allgemeine Sonntags-Zeitung, in Afghanistan kämpften bis zu 100 deutsche Soldaten gegen die Al-Qaida. Elite-Einheiten des Kommandos Spezialkräfte seien seit Wochen in der Nähe von Kandahar im Einsatz. Bestätigt wurde dies vom SPD-Politiker Wieczorek, dem Vorsitzenden des Bundestags-Verteidigungs-Ausschusses. Wieczorek sagte wörtlich: "Deutsche Kommando-Soldaten kämpfen gemeinsam mit den Amerikanern." Das Bundesverteidigungsministerium wollte den Einsatz nicht bestätigten. Es sei international Praxis, auf entsprechende Anfragen keine Auskunft zu geben. Ein Sprecher von Verteidigungs-Minister Scharping sagte allerdings, der Einsatz der Bundeswehr innerhalb der Anti-Terror-Aktionen sei durch die Beschlüsse von Parlament und Regierung gedeckt. Am Abend des 24. Februar meldete die Tagesschau der ARD, es seien sogar mehr als 200 Elitekämpfer der Bundeswehr im Einsatz.
  • Der afghanische Interimspräsident Hamid Karsai und der iranische Präsident Mohammed Khatami vereinbarten bei ihren Gesprächen in Teheran am 25. Februar, im Dienst von "Frieden und Stabilität" zusammenzuarbeiten. Dies schließt eine Kooperation im Kampf gegen die noch verbliebenen Al-Qaida-Mitglieder ein. In den Gesprächen spielte auch die Rückkehr von ca. zwei Millionen afghanischen Flüchtlingen im Iran eine Rolle. Karsai nahm den Iran auch in Schutz gegen die Vorwürfe aus den USA ("Achse des Bösen"). Karsai wird mit den Worten zitiert: "Die Vereinigten Staaten haben uns geholfen, die Taliban loszuwerden. Aber Afghanistan kann kein Land sein, durch das Nachbarländer Schaden erleiden. Dessen können sich unsere Brüder sicher sein."
    Am 25. Februar begannen Soldaten der Internationalen Sicherheitstruppe (ISAF) in Kabul mit der Ausbildung einer nationalen Armee für Afghanistan. Zunächst sollen 600 Vertreter aus allen Provinzen des Landes ausgebildet werden.
    Nach der Durchsuchung cob 110 der insgesamt 120 "sensiblen Stätten" in Afghanistan, an denen die Terrororganisation Al-Qaida Massenvernichtungswaffen hätte entwickeln können, seien bisher keinerlei Beweise für eine solche Tätigkeit gefunden worden. Dies gab der Befehlshaber der US-Streitkräfte in Afghanistan, Tommy Franks, am 25. Februar bekannt. Dennoch betonte er, die USA gehen weiter davon aus, dass Al-Qaida solche Waffen bauen wollten. (FR, 27.02.2002)
  • Am 27. Februar berichtete die Washington Post, die USA wollten Elite-Soldaten nach Georgien schicken. Vergleichbar ihrer Rolle in Philippinen sollten die Soldaten georgische Soldaten im Anti-Terror-Kampf ausbilden. Fünf Experten seien am 27. Februar bereits in Tiflis eingetroffen. Vorbehalte gegen das US-Vorgehen äußerte der russische Außenminister Iwanow. Das würde die "schwierige Lage in der Region weiter belasten", sagte er. Der georgische Vize-Minister sagte hingegen, es werde keine gemeinsame georgisch-US-amerikanische Militäraktion geben.
  • Am 28. Februar wurden britische Soldaten der ISAF-Truppe im Südwestteil von Kabul beschossen. Vor einer Woche waren schon einmal Briten angegriffen worden. In Ostafghanistan tauchten Flugblätter auf, in denen den US-Streitkräften gedroht wurde.
    In Nordafghanistan bahnt sich ein Streit zwischen dem tadschikischen Kommandeur Atta Mohammed und dem General Raschid Dostam an. Mohammed fordert den Rückzug von sechs Panzern des Generals Dostam, die dieser nach Schulgara, etwa 75 Kilometer südwestlich von Masar-e-Scharif geschickt hatte.
    Der afghanische Interims-Regierungschef Hamid Karsai erwägt nach eigenen Angaben die Einführung des Euro anstatt der einheimischen Währung Afghani. Seine Regierung habe bereits beim Internationalen Währungsfonds (IWF) angefragt, ob sie den Druck von Afghani-Noten fortsetzen oder gleich die europäische Einheitswährung einführen solle, sagte Karsai am bei einem Treffen von Exil-Afghanen in Paris am 28. Februar. (Online-Ausgabe des Wiener "Standard", 01.03.2002)


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