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Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.
Chronik des Krieges gegen Afghanistan
Dezember 2001
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1. Dezember: Inzwischen häufen sich die Berichte von fehlgeleiteten US-Bombenangriffen auf afghanische Ziele mit Hunderten von zivilen Opfern. So seien am 1. Dezember bei Angriffen auf das Dorf Kama Ado mehr als 25 Bomben abgeworfen worden. Dabei seien alle 30 Häuser zerstört und bis zu 200 Menschen getötet worden. Bei einem weiteren Angriff auf das Dorf Chan-e-Muiradschuddin in der Nacht zum 1. Dezember seien mindestens 50 Bewohner getötet worden. Das Pentagon dementierte die Berichte.
Am 1. Dezember haben sich die Vertreter der Nordallinz am Petersberg bei Bonn bereit erklärt, ihre Macht an eine gemeinsame Übergangsregierung aller Parteien abzugeben. Die Gespräche der vier afghanischen Gruppen konzentrieren sich nach Angaben aus Konferenzkreisen nun um die Zusammensetzung der Übergangsregierung. Das Kabinett soll etwa 20 Personen umfassen und der jetzige nominelle Präsident Burhanuddin Rabbani soll nicht Regierungschef werden.
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Am 2. Dezember wurde weiter um die Zusammensetzung der Übergangsregierung gerungen. Der Sprecher der Vereinten Nationen, Achmed Fawsi, teilte mit, es gebe noch keine Einigung zwischen der Nordallianz und den anderen drei afghanischen Gruppen, die auf dem Petersberg verhandeln. Als möglicher Regierungschef kam Hamid Karzei ins Gespräch. Der Paschtunen-Anführer Karzei kämpft gegenwärtig gegen die Taliban bei Kandahar. Seine Truppen wollen offenbar verhindern, dass Kandahar von der Nordallianz eingenommen wird. Als Kandidat gilt auch der Enkel des Ex-Königs, Mustafa Sahir.
US-Offiziere auf der US-Militärbasis bei Kandahar haben davon gesprochen, dass auch deutsche Verbindungsoffiziere in Süd-Afghanistan im Einsatz seien. Der Bericht wurde vom Bundesverteidigungsministerium nicht bestätigt.
Am 2. Dezember beschossen US-Streitkräfte das Hauptquartier der Anti-Taliban-Einheiten in Agom und töteten mehrere Menschen. Hierzu gab es aus Washington keine Stellungnahme. Zuvor hatten Überlebende von Angriffen auf mehrere Bergdörfer der Region berichtet, bei denen es Hunderte von Toten gegeben haben soll. Bei einem US-Angriff auf einen Kleinbus in der Nähe von Kandahar, den die US-Kampfjets offenbar für ein Militärfahrzeug gehalten haben, wurden 15 Zivilisten, darunter neun Kinder getötet. -
Am 3. Dezember wurde der Ring um Kandahar enger gezogen. US-Kampfbomber vom Typ B-52 griffen die Stadt in mehreren Angriffswellen an. Verteidigungsminister Rumsfeld sprach von einer "sehr gefährlichen Phase" des Krieges. Es stehe eine "schmutzige und unangenehme" Aufgabe bevor. Der Paschtunenführer Hamid Karzei sagte, seine Truppen hätten sich vom Norden her der Stadt bis auf 30 Kilometer genähert. Das Rückgrat der Verteidigung Kandahars bildeten ausländische Kämpfer des Al-Qaida-Netzwerks von Osama bin Laden. Einer pakistianischen Agentur zufolge habe Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar selbst die Verteidigung übernommen.
Amnesty international und die US-Organisation Human Rights Watch berichteten, die Taliban würden immer häufiger Zivilisten als "menschliche Schutzschilde" missbrauchen. So stellten sie z.B. Flugzeuge in der Nähe von Wohngebieten ab oder flüchtteten sich in Moscheen, wo viele Einwohner Schutz vor den Luftangriffen suchten. Mit dem Vormarsch der Nordallianz werde es fast unmöglich, Taliban-Kämpfer von Zivilisten zu unterscheiden, sagte ein HRW-Sprecher in Pakistan. -
Am 4. Dezember zeichnet sich auf dem Petersberg eine Einigung über ein Rahmenabkommen und über die Zusammensetzung der Übergangsregierung an. Das Abkommen sieht einen sechsmonatigen Interims-Exekutivrat und eine 18-monatige Übergangsregierung vor. Noch unklar war, wer dieser Regierung vorstehen sollte. Im Gespräch sind nach wie vor der Paschtunenführer Hamid Karzai sowie der Verhandlungsführer der Gruppe um den ehemaligen König, Abdul Sattar Sirat. Die Delegierten haben aus 150 Namen eine 29-köpfige Regierung zusammenzustellen.
In einem Anhang zum Rahmenabkommen wird festgelegt, dass eine von der UNO entsandte Friedenstruppe den Übergangsprozess der nächsten zwei Jahre begeliten soll. Die Truppe, über deren Zusammensetzung noch Unklarheit besteht, soll in Kabul stationiert werden. Die Truppen der Nordallianz sollen sich demgegenüber aus dem Raum Kabul zurückziehen. Da die UN-Truppe sehr schnell einsatzbereit sein muss, ist in diplomatischen Kreisen davon die Rede, dass wohl vor allem britische Truppen in Frage kommen. Für später seien aber auch deutsche Kontingente erwünscht.
Unterdessen gehen die Kämpfe um Kandahar unvermindert weiter. Dabei werden auch wieder zivile Opfer gemeldet. So sei bei einem US-Bombardement zwischen Kandahar und der pakistanischen Grenze ein Flüchtlingstreck getroffen worden. Ein Flüchtling berichtete von zahlreichen Toten. Die US-Luftwaffe konzentriert ihre Angriffe auf die Bergregion um Tora Bora, wo Osama bin Laden vermutet wird. Berichte, nach denen bei diesen Angriffen versehentlich auch Dörfer getroffen worden seien, wies Konteradmiral John Stufflebeem zurück. "Mir ligen nur Berichte vor, wonach alle unsere Waffen ihre Ziele getroffen haben", sagte er.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bereiutet sich auf größere Flüchtlingsströme aus Somalia vor. Die Organisation halte Notpläne vor für den Fall, dass Somalia Ziel des "Krieges gegen den Terror" werden sollte, sagte die stellvertretende UNHCR-Kommissarin Mary Ann Wyrsch in der keinainischen Hauptstadt Nairobi. Nach Beichten westlicher Diplomaten sind in den letzten Tagen US-Kriegsschiffe vor der somalischen Küste gesehen worden. Eine deutsche Militärdelegation suche außerdem einen Militärstützpunkt im benachbarten Dschibuti, berichtete der dortige staatliche Rundfunk am 3. Dezember.
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Am 5. Dezember haben bei einem Bombenangriff nördlich von Kandahar Bomben der eigenen Luftwaffe drei US-Soldaten getötet. Weitere zwanzig wurden schwer verletzt. B-52-Bomber hätten ihr Ziel verfehlt und dabei die eigenen Leute sowie afghanische Anti-Taliban-Kämpfer getroffen, hieß es offiziellen Angaben zufolge. Auch unter den Anti-Taliban-Kämpfern gab es Tote und Verwundete. Auch der designierte Interims-Präsident Hamid Karzai ist von umher fliegenden Splittern verletzt worden (von "Schrammen" und "Prellungen" ist die Rede)
Am 5. Dezember ging auch die Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn zu Ende. Mit einem "Erfolg", wie aus Kreisen der Konferenz und aus dem Mund des Bundeskanzlers zu vernehmen war. Zunächst hatten sich die Delegierten schon am späten Abend des 4. Dezember auf den neuen Regierungschef Hamid Karzai geeinigt. Die Regierungsämter wurden dann im Laufe der Nacht nach etnischem Proporz vergeben, wenn das auch kaum zufriedenstellend möglich sei, wie der UN-Beauftragte für Afghanistan, Lakhdar Brahimi, einschränkte. Wie man hört, sollen elf
Paschtunen vertreten sein, acht Tadschiken, fünf Hasara, und drei Usbeken. Die für sechs Monate "gewählte" provisorische Regierung besteht aus einem 29-köpfigen Ministergremium, dessen Posten bis zum Abschluss der Konferenz noch nicht vollständig vergeben waren. Die Übergangsregierung hat einen Vorsitzenden, den Regierungschef Hamid Karzai sowie fünf Stellvertreter und eine Stellvertreterin. -
Am 6. Dezember boten die in Kandahar eingeschlossenen Taliban Übergabeverhandlungen an. Die Übergabe soll an einen Paschtunen-Kommandeur vorgenommen werden. Der künftige Chef der Übergangsregierung Hamid Karzai versprach den afghanischen Taliban-Kämpfern eine Amnestie. Taliban-Führer Omar müsse sich aber öffentlich vom Terrorismus distanzieren. Ansonsten befände er sich "nicht in Sicherheit", sagte Karzai. Die arabischen Taliban-Kämpfer würden aber als Kriminelle behandelt.
Die USA verstärkten ihre Angriffe auf die Bergfestung Tora Bora, wo sie bin Laden vermuten. Nach Angaben von "Ärzte ohne Grenzen" wurden bei den Angriffen auf Tora Bora in den letzten Tagen über 80 Menschen getötet, darunter viele Frauen und Kinder.
Nicht alle afghanischen Stammesführer und Kriegsherren finden sich mit dem Ergebnis der Petersberger Konferenz ab. Usbekenführer Dostam erklärte z.B., er werde das Abkommen boykottieren. Auch der gemäßigte Paschtunenführer Sayed Ahmad Gailani bezeichnet die Vereinbarung als ungerecht. Die Zusammensetzung der Interimsregierung sei "nicht sehr ausgewogen". -
Am 7. Dezember rückten Verbände der Anti-Taliban-Front in Kandahar ein, nachdem sich die eingeschlossenen Taliban-Kämpfer ergeben hatten. Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar scheint indessen die Flucht geglückt zu sein. Über den Einmarsch der Taliban-Gegner gibt es unterschiedliche Berichte: Da ist einerseits von jubelnden Menschen die Rede, die die Truppen mit Bildern des Ex-Königs empfangen und Fahnen schwenken, da ist aber auch die Rede von Plünderungen und Straßenkämpfen. Auch soll auf flüchtende Taliban-Kämpfer geschossen worden sein. Nach Angaben aus Taliban-Kreisen sollen bei den Angriffen auf Kandahar mehr als 10.000 Menschen ums Leben gekommen sein.
Nachdem die USA klargestellt hatten, dass es für Taliban-Führer keine Amnestie geben dürfe, hat der designierte Interimspräsident Karzai seine Ankündigung relativiert. Auch Taliban-Führer Omar müsse in Afghanistan vor Gericht kommen, sagte Karzais Sprecher.
Die Taliban gaben auch eitere Provinzen auf: Helmand und Sabol. In die Stadt Spin Boldk marschierten rivalisierende Clans-Kämpfer ein. In der Provinz Paktia sei es zu Kämpfen zwischen zerstrittenen Clans gekommen sein.
Ununterbrochen gehen die Angriffe auf die Bergfestung Tora Bora weiter. Am 7. Dezember hieß es, der Höhlenkomplex sei inzwischen fast vollständig von Anti-Taliban-Kämpfern erobert worden. Es fehle aber nach wie vor jede Spur von Osama bin Laden. CNN Berichten zufolge sei bin Laden schon längst ins Ausland geflohen.
In der Nähe der Stadt Kundus sollen die ersten Hungertoten registriert worden seien. Ein Sprecher der Internationalen Organisation für Migration berichtete, 177 Menschen, darunter viele Kinder, seien vor Hunger und Erschöpfung gestorben. -
8. Dezember: Nach Informationen der Nordallianz hat sich der meistgesuchte Terrorist der Welt, Osama bin Laden, mit tausend Gefährten nahe der Bergfestung Tora Bora in Ostafghanistan verschanzt. Unter seinen Beschützern seien viele arabische Kämpfer der El-Qaida- Terrororgansation. US-Flugzeuge flogen auch am 8. Dezember massive Bombeneinsätze in dem Gebiet. Panzer der Anti-Taliban-Truppen beschossen El-Qaida-Stellungen bei Tora Bora. CNN berichtete, die El-Qaida-Einheiten leisteten erbitterten Widerstand.
Aus Kandahar wird indessen berichtet, in der Stadt herrsche "gespannte Ruhe". Um die Kontrolle der Stadt streiten sich rivalisierende Clan-Milizen.
Bei einem Helikopter-Absturz nahe der Stadt Farchar in der Provinz Tachar sind 18 Anti-Taliban-Kämpfer ums Leben gekommen. Unter den Toten sollen die beiden Paschtunen-Führer Arbab Mohammed Haschim und Mirsa Ghulam Nasiri sein. Laut der pakistanischen Nachrichtenagentur AIP wurde auch Mohammed Mustafa, ein Kommandeur der Leibwache des früheren Nordallianz-Militärchefs Achmed Schah Massud, getötet. Anhänger Haschims hätten der Nordallianz vorgeworfen, den Absturz absichtlich verursacht zu haben, um sich der Paschtunenführer zu entledigen. Die Nordallianz sprach dagegen von einem Unfall. -
Am 9. Dezember, so wird berichtet, wird der größte Teil Kandahars von Anhängern Aghas kontrolliert. Die Paschtunen Mullah Nakibullah und Gul Agha hatten ihren Streit während des Kampfes gegen die Taliban zurückgestellt und gemeinsam deren Kapitulation erreicht. Die Bemühungen des designierten afghanischen Regierungschefs Hamid Karzai um einen Ausschuss der Stämme zur Verwaltung Kandahars schlugen aber bislang fehl. Die explosive Lage in der Stadt behindert auch die Arbeit von Hilfsorganisationen. Das Rote Kreuz berichtete, es habe nicht einmal Tote von den Straßen bergen können. Auch in der Hauptstadt der Provinz Helmand, Laschkargah, kam es nach Berichten der afghanischen Nachrichtenagentur AIP zu Gefechten zwischen rivalisierenden Stämmen.
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Am 10. Dezember verstärken die USA ihre Luftangriffe auf die Gegend um die Bergfestung Tora Bora. Nach einem Bericht von BBC gab es die bisher heftigsten Kämpfe. Ein Vertreter der Nordallinz gab sich "zu 100 Prozent sicher", dass sich Osama bin Laden in der Region versteckt halte.
In Kandahar blieb die Situation gespannt. Zwar habe es am Abend des 9. Dezember unter Vermittlung des designierten Interimspräsidenten Karzai eine Einigung zwischen rivalisierenden Milizen gegeben, doch sei in der Nacht zum 10. Dezember wieder Maschinengewehrfeuer zu hören gewesen.
Die USA haben weitere Truppen, Kampfhubschrauber, Panzer und Eliteeinheiten, aus dem Camp Rhino in die Nähe der Stadt Kandahar verlegt. Im Stützpunkt Camp Rhino selbst, etwa 110 Kilometer südwestlich von Kandahar, haben US-Marines ein provisorisches Kriegsgefangenenlager errichtet. In US-Regierungskreisen rechnet man mit einem möglicherweise Jahre dauernden militärischen Engagement in Afghanistan.
Das US-Hauptquartier für den Afghanistan-Krieg ist inzwischen von Fort McPherson (im US-Staat Georgia) nach Kuwait verlegt worden.
Verschiedenen Presseberichten zufolge ist Großbritannien offenbar bereit, bei der Entsendung einer UN-Truppe nach Aghanistan eine führende Rolle einzunehmen. Für die deutsche Bundesregierung gehe es jetzt darum zu entscheiden, ob die Bundeswehr an einer solchen Truppe zu beteiligen ist. Die SPD-Fraktion scheint dazu bereit zu sein, die Grünen wollen diese Frage offenbar zum Anlass nehmen, um auf eine Reform der Bundeswehr und deren Ausrüstung zu drängen.
Die EU-Außenminister haben den Deutschen Klaus-Peter Klaiber zum EU-Beauftragten für Afghanistan benannt. Seine Aufgabe soll darin bestehen, die Einsetzung der Interimsregierung zu unterstützen.
Prof Marc W. Harold (Universität New Hampshire) veröffentlicht eine Studie, in der akribisch nachgewiesen wird, dass im Zweimonatszeitraum 7. Oktober bis 6. Dezember infolge der US-Bombardierungen mehr als 3.500 Zivilpersonen ums Leben gekommen sind. -
Nach tagelangen erbitterten Gefechten konnten afghanische Milizen die vorwiegend arabischen Kämpfer Bin Ladens am 11. Dezember aus vielen Höhlen von Tora Bora vertreiben. Möglich wurde dies durch pausenlose US-Luftangriffe, nächtliche Vorstöße amerikanischer Spezialeinheiten und dem Dauerbeschuss aus Panzern. Der Militärchef der afghanischen Milizen bei Tora Bora, Mohammed Saman, rief einen Waffenstillstand aus. Zuvor hatten sich einige Al-Qaida-Kämpfer bereit erklärt, über eine Kapitulation zu verhandeln. Saman sagte, die Kämpfer müssten sich bedingungslos ergeben. Ein Kommandeur der Anti-Taliban-Truppen, Hasrat Ali, berichtete, viele Al-Qaida-Kämpfer seien nach der Vertreibung aus der Festung auf der Flucht nach Pakistan. "Sie rennen weg. Wir werden versuchen, ihnen von der anderen Seite den Weg abzuschneiden." Von Bin Laden und Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar fehlte aber weiter jede Spur.
Während der Uno-Gesandte für Afghanistan, Lakhdar Brahimi, zu Gesprächen über die Zukunft des Landes in Kabul eintraf, hält die Kritik an der auf dem Petersberg bei Bonn ausgehandelten Regierungszusammensetzung an. Kritisiert wird vor allem, dass die drei wichtigen Ministerien für Inneres, Verteidigung und Äußeres alle von der Partei des früheren Präsidenten Burhanuddin Rabbani geleitet werden. Alle drei Minister stammen zudem aus dem Pandschirtal, der Hochburg des ermordeten Militärführers der Nordallianz, Ahmed Schah Massud. Gegen die
Regierung ausgesprochen haben sich der usbekische Milizführer Abdul Raschid Dostam, der das Gebiet um Masar-i-Scharif beherrscht. Unangemessen vertreten fühlen sich auch die Schiiten in Afghanistan sowie der Milizführer Ismail Khan, der fünf Provinzen im Westen Afghanistans beherrscht. -
12. Dezember: Die meist arabischen al-Qaida-Terroristen verlangten, die Vereinten Nationen und Diplomaten aus ihren arabischen Heimatländern müssten ihre Kapitulation überwachen. Später hätten sie nur noch die Anwesenheit von Uno-Vertretern gefordert, berichtete die in Pakistan ansässige Nachrichtenagentur AIP. Zuvor war ein Ultimatum des paschtunischen Milizenführers Hadschi Saman an die etwa tausend Al-Qaida-Terroristen und Taliban-Kämpfer abgelaufen, die sich in Tora Bora versteckt haben. Nach Angaben von AIP stammen die Al-Qaida-Kämpfer aus Saudi-Arabien, Libyen, Ägypten, Sudan, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuweit, Jemen, Tschetschenien und dem Irak.
Am 12. Dezember haben die eingeschlossenen Taliban-Kämpfer in der Bergfestung Tora Bora ein neues Ultimatum erhalten. Anti-Taliban-Kommandeur Hasrat Ali sagte dem Sender BBC, dass er die Frist zur Kapitulation um 24 Stunden verlängert habe. Das Ultimatum laufe nun am Donnerstag, den 13. Dezember, um 4:30 Uhr MEZ ab. Er habe den Taliban-Kämpfern freien Abzug angeboten, wenn sie ihre wichtigsten Führer auslieferten. Kommandeur Ali habe außerdem vorgeschlagen, dass nur die 22 Personen ausgeliefert werden sollen, die auf der FBI-Liste der meistgesuchten Terroristen stünden. Ob die USA auf diesen Vorschlag Alis eingehen wollen, sei nach Angaben der BBC jedoch nicht sicher. Statt dessen kündigten die USA die Dauerbombardierung der Gebirgsregion im Osten Afghanistans an. Die Luftwaffe werde alle Ziele angreifen, die sich ihr böten, sagte Pentagon-Sprecherin Victoria Clarke in Washington nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP. Schon während der Verhandlungen setzten die USA ihre Luftangriffe fort. Die Bombardements waren noch im von Tora Bora 40 Kilometer entfernten Dschalalabad zu hören, meldete AIP. Ein Reporter des britischen Senders BBC berichtete von einem Dutzend B-52-Angriffen. -
13. Dezember: Über Ultimatum der Anti-Taliban-Einheiten und Kapitulation der Al-Qaida-Kämpfer in Tora Bora gibt es widersprüchliche Meldungen. Zunächst hatte es geheißen, die etwa 1.000 eingekesselten
Al-Qaida-Kämpfer hätten am 13. Dezember das zweite Ultimatum verstreichen lassen, wonach sie bei einer Auslieferung
Osama Bin Ladens und 21 weiterer Anführer frei abziehen hätten dürfen. Sie wollten eine
Entscheidungsschlacht um Tora Bora suchen. Jetzt gibt es Informationen, wonach die
Al-Qaida-Kämpfer einer Kapitulation zugestimmt hätten, diese jedoch von den USA abgelehnt
worden sein soll. Amerikanische Militärberater hätten die Anti-Taliban-Kämpfer zu weiteren
Angriffen aufgefordert. Die "Washington Post" zitiert den Sicherheitschef für das östliche Afghanistan, den paschtunischen Milizenführer Hasrat Ali: "Die Amerikaner wollen die Kapitulation nicht annehmen. Sie wollen sie töten." Ali erklärte, die zumeist arabischstämmigen Kämpfer wären bereit, sich "uns oder den Vereinten Nationen" zu ergeben. Diese Bedingung sei jedoch für die Amerikaner nicht annehmbar. - Den ganzen Tag über wurde das Gebiet der Bergfestung Tora Bora bombardiert.
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Am 14. Dezember landeten die Anti-Taliban-Kämpfer mit Unterstützung massiver US-Luftangriffe weitere Erfolge bei ihrem Vordringen in die Bergregion Tora Bora. 50 Kämpfer der Al-Qaida haben sich nach Berichten des Pentagon ergeben. Sie wurden sofort von US-Militärs verhört. US-General Tommy Franks konnte aber noch nicht sagen, ob unter den Gefangenen auch Führungsmitglieder von Al-Qaida seien. Nach Schätzungen der amerikanischen Militärführung halten sich in Tora Bora zwischen 300 und 1.000 Al-Qaida-Kämpfer auf.
US-Verteidigungsminister Rumsfeld sagte, amerikanische und afghanische Soldaten hätten mit der Durchsuchung einiger Höhlen in Tora Bora begonnen. Die Bodentruppen seien aus der Luft von Kampfflugzeugen unterstützt worden, die am 14. Dezember mehr als 180 Bomben auf das Höhlen- und Tunnelsystem abgeworfen hätten.
Afghanische Anti-Taliban-Kämpfer entdeckten am 14. Dezember nach eigenen Angaben eine Höhle in Tora Bora, in der sich womöglich der Extremistenführer Osama bin Laden aufhalten soll. Der Militärchef der Ostallianz, Hasrat Ali, erklärte, es gebe einen Ort in der Höhle, an dem sich Bin Laden seiner Ansicht nach versteckt halte. Seine Kämpfer hätten die Höhle umstellt. Rumsfeld erklärte dagegen, er sei nicht sicher, wo genau sich Bin Laden aufhalte. Er werde in Tora Bora vermutet, könne jedoch auch geflüchtet sein.
Am 14. Dezember ist es zu Kämpfen zwischen verfeindeten Truppen der Nordallianz gekommen. Truppen einer islamischen Miliz unter Führung von Sajed Dschafer Naderi hätten die Provinzhauptstadt Pul-e-Chumri angegriffen. Die Stadt wird von Truppen des nominellen Präsidenten Rabbani gehalten. Pul-e-Chumri liegt etwa 250 Kilometer nördlich von Kabul. Der Angriff sei nach Angaben der Nordallianz zurückgeschlagen worden. Rabbanis Truppen sind dabei von den USA unterstützt worden, die gegen die Angreifer Luftangriffe geflogen haben. Der Milizenführer Naderi gilt als Verbündeter des Nordallianz-Generals Abdul Raschid Dostam, der sich gegen die Vereinbarung vom Petersberg ausgesprochen hatte. -
15. Dezember: Während die Angriffe auf Tora Bora pausenlos weiter gehen, kündigt sich in Kandahar ein Krankenhausdrama an. Neun verwundete Anhänger von Osama bin Laden wollen um jeden Preis eine Festnahme verhindern. Sie drohen damit, das Krankenhaus, in dem sie behandelt werden, in die Luft zu jagen. Die nur leicht verletzten Araber - es handelt sich um Kämpfer aus Saudi-Arabien - waren vor etwa 10 Tagen vom Roten Kreuz eingeliefert worden. Sie besäßen Handgranaten und Handfeuerwaffen, sagte der Chirurg Daud Farhad. Die Ärzte hofften nun auf Hilfe des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Die Wächter, die das Krankenhaus bewachen und niemanden zu den Al-Qaida-Kämpfern hinein lassen, unterstehen dem Oberbefehl Mullah Nakibullahs, der die Kapitulation der Taliban in Kandahar in der vergangenen Woche entgegen genommen hatte.
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Am 16. Dezember hat die mit den USA verbündete Ostallianz nach eigenen Angaben die letzten Al-Qaida-Stellungen um die Bergfestung Tora Bora erobert. Dabei sollen 25 Al-Qaida-Mitglieder festgenommen worden sein. Mehr als 200 seien getötet worden. Der Militärchef der Ostallianz, Mohammed Saman, erklärte: "Dies ist der letzte Tag von al-Qaida" in Afghanistan. Es gebe möglicherweise mehrere hundert El-Kaida-Mitglieder, die in Richtung der pakistanischen Grenze flüchteten, so Saman.
Osama bin Laden ist nach den Worten Samans aus der Bergregion geflohen. Am Morgen des 16. Dezember hatte die Ostallianz einen Großangrif auf Tora Bora begonnen. Die Zeit für eine
Kapitulation sei für die Gegenseite abgelaufen, sagte ein Kommandeur der Allianz, Hasrat Ali.
Geplant war, in zwei parallel gelegene Täler vorzurücken und die Bergfestung von beiden Seiten anzugreifen. Der Al-Qaida bliebe dann nur ein Rückzug durch ein Waldgebiet, über dem aber US-Kampfflugzeuge zahlreiche Brandbomben ("Daisy Cutter") abwarfen. Am Sonntag wurde außerdem eine schwer bewachte Höhle bombardiert, in der sich nach Ansicht der afghanischen Kommandeure der gesuchte Anführer Osama bin Laden befinden könnte.
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erklärte am 16. Dezember, US-Truppen hätten in einem verlassenen Ausbildungslager der Al-Qaida im Süden Afghanistans Proben genommen, die auf Spuren chemischer oder biologischer Kampfstoffe untersucht würden. Der Stützpunkt, den die USA "Tarnak Farms" nennen, sei "interessant" gewesen, sagte Rumsfeld. Die Truppen hätten "ziemlich viel Material, Papiere und Gegenstände" gefunden. Die Kämpfe bei Tora Bora am Samstag beschrieb Rumsfeld als "heftige Schlacht". US-Truppen hätten allein mehr als 200 Bomben abgeworfen.
Bin Laden hält sich nach Erkenntnissen der USA noch immer in der umkämpften Bergfestung Tora Bora auf. Seine Stimme sei in Funksprüchen in der Region identifiziert worden, verlautete aus Regierungskreisen in Washington. -
Am 17. Dezember gehen die Luftangriffe auf die Region von Tora Bora weiter. Dabei sollen nach Angaben örtlicher Kommandeure auch Anti-Taliban-Kämpfer verletzt worden sein. Von Osama bin Laden fehlt aber nach wie vor jede Spur. Am Abend verkündete der Sprecher des Pentagon in Washington, die Luftangriffe würden aus Rücksicht auf die Anti-Taliban-Kämpfer eingestellt.
US-Außenminister Powell räumte ein, die Suche nach Bin Laden könne noch Jahre dauern. Einen Tag vorher hatte er noch vom Sieg des US-Militärs und von der Zerstörung des Al-Qaida-Netzwerks gesprochen. Donald Rumsfeld hat ihm daraufhin widersprochen und laut Frankfurter Rundschau erklärt: "Die erste Regel des Krieges ist, dass Präsidenten entscheiden, wann etwas erreicht wurde." -
Am 18. Dezember trafen sich die NATO-Verteidigungsminister in Brüssel. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat dabei die europäischen Nato-Staaten vor der drohenden Gefahr neuer Terroranschläge gewarnt. Nach New York und Washington könnten London, Paris, Berlin und andere Städte Ziel von Anschlägen werden, die über die vom 11. September hinaus gehen könnten. "Wenn wir uns die Zerstörung ansehen, die sie in den USA verursacht haben, können wir uns ausmalen, was sie in New York oder London oder Paris oder Berlin mit nuklearen, chemischen oder biologischen Waffen anrichten können", sagte Rumsfeld. "Wir müssen uns der Realität stellen, dass die Anschläge vom 11. September - schrecklich wie sie waren - einen düsteren Ausblick auf das geben, was kommen kann, wenn wir uns nicht schon heute darauf vorbereiten, unsere Bevölkerung vor Gegnern mit immer mächtigeren Waffen zu schützen".
Der am Vorabend angeordnete Bombenstopp hielt nur wenige Stunden. Am 18. Dezember wurden die Bombenangriffe wieder aufgenommen. Neben der Bergregion Tora Bora sei die Region südlich von Kandahar unter Beschuss genommen worden.
Möglicherweise steht der krieg unmittelbar vor einer Ausweitung auf andere Länder. Spezialeinheiten der jemenitischen Armee haben nach Informationen des arabischen TV-Senders
al-Dschasira am 18. Dezember ein Dorf in der Provinz Marib unter Beschuss genommen. In dem Ort sollen sich angeblich Anhänger des Terroristenanführers Osama Bin Laden aufhalten. Die Familie Bin Laden hat ihre Wurzeln im Jemen. Die USA hatten Präsident Ali Abdullah Salih nach den Terroranschlägen vom 11. September aufgefordert, konsequenter als bisher gegen islamistische Extremisten im Land vorzugehen. Seit Tagen kursieren Gerüchte, wonach neben Somalia und Irak der Jemen auf der Liste möglicher neuer Ziele für den US-amerikanischen "Krieg gegen den Terror" stehen soll.
Unter zunehmendem Zeitdruck sind am 18. Dezember in Kabul die Verhandlungen über die internationale Friedenstruppe fortgesetzt worden, die die Arbeit der afghanischen Übergangsregierung ab dem 22. Dezember absichern soll. Der designierte Innenminister Junis Kanuni sagte nach Gesprächen mit den Kriegsalliierten USA und Großbritannien in Kabul, man habe sich auf die Truppe geeinigt, jedoch nicht auf ihre Stärke. Deutschland wird sich dem spanischen Verteidigungsminister Federico Trillo zufolge neben mindestens vier anderen Ländern der EU mit einem Bataillon mit etwa 700 Soldaten an der Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) beteiligen. Eine Führungsrolle der Bundeswehr lehnte Verteidigungsminister Rudolf Scharping ab. Großbritannien hat sich hingegen zur Führung der Truppe bereit erklärt. Erst wenn die wichtigen Details geklärt sind, kann der UNO-Sicherheitsrat in New York das Mandat zur Entsendung einer internationalen Friedenstruppe erteilen, das auf der Afghanistan-Konferenz bei Bonn Anfang des Monats gefordert worden war. Das Mandat ist auch Voraussetzung für einen Entsende-Beschluss des Bundeskabinetts, den der Bundestag billigen müsste. Auf die Frage, ob Deutschland bereit sei, die Führung der UNO-Schutztruppe zu übernehmen, sagte Scharping am Rande des NATO-Verteidigungsministertreffens in Brüssel: "Nein." Die Bundesregierung bestehe weiter auf einer klaren Trennung zwischen dem Mandat einer UNO-Truppe und der in Afghanistan laufenden Operation der USA im Kampf gegen den Terrorismus. -
Am 19. Dezember haben nach einem Bericht des iranischen Staatsfernsehens amerikanische Soldaten im Persischen Golf einen unter iranischer Flagge fahrenden Öltanker aus Saudi-Arabien angegriffen. Zwei Menschen seien dabei verletzt worden. Der iranische Außenminister habe daraufhin dem Schweizer Botschafter, der die Interessen der USA im Iran vertritt, aufgetragen, der US-Regierung den "scharfen Protest" seines Landes zu übermitteln. Der Schweizer Botschafter soll dem iranischen Außenministeriums gesagt haben, die Schiffe der US-Marine hätten den Tanker für ein irakisches Schiff gehalten, das Öl schmuggele.
Die Suche nach Bin Laden verlief auch an diesem Tag ergebnislos. In Afghanistan werden immer mehr Stimmen laut, die sagen, der gesuchteste Mann der Welt habe sich bereits aus Afghanistan abgesetzt.
Inzwischen verdichten sich die Gerüchte, wonach die USA als nächstes Land in ihrem Kampfe gegen den Terror Somalia im Visier haben. Nach verschiedenen Meldungen aus Mogadischu liege auch eine "Einladung" des Premierminister der somalischen Übergangsregierung, Hassan Abshir Farah, vor. "Wir haben einen Brief an die Bush-Regierung geschickt. Darin laden wir sie ein, hierher zu kommen und selbst zu sehen, was hier ist. Wir sind bereit, gegen den Terrorismus zu kämpfen", sagte Abshir Farah in einem somalischen Rundfunksender. Auch sollen die somalischen Nachbarländer Äthiopien und Kenia haben ihre Unterstützung zugesagt haben. -
Am 20. Dezember einigte sich der UN-Sicherheitsrat auf die Entsendung einer Schutztruppe nach Afghanistan. Die Truppe soll 5.000 Soldaten umfassen und zunächst für sechs Monate in Kabul stationiert werden. Ihr Name: International Security Assistance Force-Isaf). In den ersten drei Monaten wird Großbritannien das Kommando übernehmen. Die Truppe ist formal von den in Afghanistan weiter operierenden US-Streikräften getrennt. Im Konfliktfall wird Isaf dem Oberbefehl der USA unterstellt. Die UN-Truppe soll über ein "robustes" Mandat verfügen, d.h. sie darf ihre Waffen nicht nur zur Selbstverteidigung, sondern auch zum Schutz anderer einsetzen. - In Afghanistan sind die Meinungen zur UN-Schutztruppe geteilt. Vor allem die siegreiche Nordallianz fürchtet um ihren Einfluss.
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Am 21. Dezember hat das Bundeskabinett eine Beteiligung der Bundeswehr an der UNO-Schutztruppe für Afghanistan mit bis zu 1.200 Soldaten beschlossen. Verteidigungsminister
Rudolf Scharping (SPD) sagte nach der Kabinetts-Sondersitzung weiter, das UNO-Mandat
habe die Erwartungen der Bundesregierung erfüllt, da es ein so genanntes robustes
Mandat sei und den Einsatz von Gewalt erlaube. Gemeinsam mit den Niederlanden und Dänemark stelle Deutschland ein Teilkontingent von 1.450 Soldaten. - Zwar steht in dem Entwurf kein Datum für den Beginn
des deutschen Einsatzes, doch wird davon
ausgegangen, dass dieser so schnell wie möglich
beginnen soll. Im Bundestag wird mit einer breiten Mehrheit für den Einsatz
gerechnet. Noch sind allerdings einige Punkte zu
klären. So müsse die genaue Anforderung, welches
Land wie viele Truppen schicke, verhandelt werden,
hieß es. Laut einem Papier, das "Spiegel-Online" am 21. Dezember zitiert,
werden zu dem Kontingent Infanterie- und
Hubschrauberkräfte, Kommunikationsingenieure,
Pioniere, Feldjäger und Sanitäter gehören. Außerdem
sollen Luft-Transportkräfte nach Afghanistan verlegt
werden.
Bei Bombenangriffen in Afghanistan sollen am 21. Dezember mindestens 15 Stammesälteste getötet worden sein. Ein Geschoss habe ein falsches Ziel getroffen, berichtet der britische Nachrichtensender BBC unter Berufung auf einen Regierungsvertreter des Lokalparlaments. Die afghanische Nachrichtenagentur AIP sprach von bis zu 65 Toten. Bei dem Angriff in der Provinz Paktia wurde den Berichten zufolge möglicherweise ein Konvoi mit Stammesältesten getroffen. Sie seien auf dem Weg nach Kabul gewesen, so AIP. Sie hätten dort an der Einführung der afghanischen Übergangsregierung teilnehmen wollen. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte zuvor vor Journalisten gesagt, man habe einen großen Konvoi mit Al-Qaeda-Kämpfern getroffen. -
Am 22. Dezember beschloss der Deutsche Bundestag mit überwältigender Mehrheit die Entsendung von 1.200 Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan im Rahmen einer UN-mandatierten "Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe" (ISAF). Die Truppe soll dem Schutz der Übergangsregierung in Kabul dienen und wird in den ersten drei Monaten von Großbritannien angeführt. Das Mandat gilt für sechs Monate.
In Kabul nahm am 22. Dezember die Übergangsregierung unter Hamid Karzai ihre Arbeit offiziell auf. Karzai sprach nach der ersten Kabinettssitzung von einer ausgezeichneten Gesprächsatmosphäre.
Hamid Karzai hat zugesagt, dass ausländische Soldaten solange in Afghanistan bleiben können, bis der Kampf gegen den Terror beendet sei.
Nicht mitgeteilt wurde, welche Wirkung die Bombardierung des Fahrzeugkonvois einen Tag zuvor (siehe Chronik 21.12.) auf die Interimsregierung hatte. Ostafghanische Stammesführer haben indessen eine Untersuchung des US-Luftangriffs verlangt. Das Pentagon beharrt weiter auf der Meinung, in dem Konvoi hätten sich führende Taliban-Kämpfer bzw. Al-Qaida-Mitglieder befunden. Außerdem habe der Konvoi mit Flugabwehrraketen das Feuer eröffnet. Demgegenüber sagte ein Überlebender des Angriffs, bei dem 65 Menschen ums Leben kamen, Hadschi Jakub Chan Tainawal, alle im Konvoi seien Anhänger der Regierung Karzai gewesen. Auch sei aus dem Konvoi kein einziger Schuss abgegeben worden. Für den Fall, dass sich ein solcher Vorfall wiederholen sollte, kündigten ostafghanische Stammesführer einen Aufstand gegen Karzai an.
In Somalia sind neun Ausländer unter dem Verdacht des Terrorismus verhaftet worden. Bei den Männern handelt es sich um sieben Iraker, einen Palästinenser und einen Kurden. -
Am 23. Dezember legen britische Kriegsschiffe in der kenianischen Hafenstadt Mombasa an. Mutmaßungen, dass die Verlegung aus dem Indischen Ozean nach Mombasa mit bevorstehenden Militäroperationen in Somalia, an das Kenia angrenzt, zu tun haben könnte, dementierte ein britischer Diplomat in Nairobi. Die Soldaten sollten nur ihren Weihnachtsurlaub an Land verbringen können. Fakt ist aber, dass Großbritannien schon vor zwei Wochen vom kenianischen Präsidenten Daniel arap Moi die Zusage erhalten hatte, Kenia als Stützpunkt für den Kampf gegen den Terrorismus nutzen zu können.
Offenbar bereiten die USA den Einsatz einer neuartigen Waffe vor, die vor zehn Tagen (14. Dezember) erstmals getestet wurde. Es ist eine thermobarische Bombe vom Typ BLU-118b, die speziell für den Höhlenkampf in Afghanistan entwickelt wurde. Die Bombe ist explosiver als herkömmliche Bomben und arbeitet mit Druckwellen. -
Am 24. Dezember berichtete die afghanische Nachrichtenagentur AIP, dass US-Spezialkräfte in der vergangenen Woche einen hohen Geheimdienstoffizier des gestürzten Taliban-Regimes gefasst haben. Abdul Hak Wasik, stellvertretender Geheimdienstchef der Taliban, sei in der Stadt Makaur in der Provinz Ghasni unterwegs gewesen, als Spezialkräfte mit Hubschraubern auf ihn niederstießen. Den genauen Tag der Festnahme sowie weitere Details konnte AIP nicht nennen.
Die USA suchen immer noch nach Taliban-Führer Mullah Omar sowie Extremisten-Führer Osama bin
Laden. Alle gefangenen Taliban-Kämpfer sollen verhört werden, um Hinweise auf den Aufenthaltsort von bin Laden zu bekommen. Rund 7.000 Taliban-Kämpfer und Al Qaeda-Mitglieder sollen mittlerweile gefasst worden sein. Zwei ranghohe Talibanführer werden zurzeit auf einem
US-Kriegsschiff im Arabischen Meer verhört. Wie die pakistanische Tageszeitung «The News» berichtete, handele es sich dabei um den Ex-Gouverneur Mullah Omar Fasil und Kommandeur Mullah Nurullah Nuri. Die beiden Führer hatten die Kapitulation der Taliban-Truppen in Kundus ausgehandelt und im Gegenzug eines Amnestie versprochen bekommen.
Am 24. Dezember wird bekannt, dass der neue afghanische Regierungschef Karzai einen Tag nach seinem Amtsantritt den usbekischen General Dostum zum stellvertretenden Verteidigungsminister ernannt hat. Er habe die Ernennung bei einem Treffen mit Ressortchef Fahim und Dostum in Kabul vereinbart, sagte Karzai am 24. Dezember vor Journalisten. Bereits am 22. Dezember hatte der General an der Zeremonie zur Amtseinführung der Übergangsregierung teilgenommen. Dostum, der in der nördlichen Stadt Masar-i Sharif eine einflussreiche Miliz kommandiert, hatte die Beschlüsse der Afghanistan-Konferenz bei Bonn in der Vergangenheit kritisiert, weil seiner Meinung nach die usbekische Minderheit in der Übergangsregierung nicht ausreichend vertreten sei. -
Am 25. Dezember haben die USA wieder massive Luftangriffe auf Ziele nördlich von Kandahar geflogen. Ziele der B-52-Bomber sollen Höhlen und Waffenlager der Taliban und der Terrorgruppe Al-Qaida gewesen sein.
Dagegen sind die Bombardement bei Tora Bora eingestellt worden. Laut dem Militär sollen nun Einheiten der Marines in weitere Höhlen vordringen. Man wisse nicht, wo Osama bin Laden sei, heißt es in Washington. Man wisse auch nicht, ob er noch lebe oder tot sei. Die "Jagd" ginge aber in jedem Fall weiter.
Die pakistanische Zeitung «Observer» berichtete am 25. Dezember, dass bin Laden ganz sicher tot sei. Sie zitierte einen Talibanführer: "Sie werden ihr Lieblingsziel, Osama tot oder lebendig zu kriegen, niemals erreichen." Bin Laden sei bereits Mitte Dezember in der Nähe von Tora Bora gestorben, und zwar an einer Lungenerkrankung. Der namentlich nicht bekannte Mann sei sei bei der Beerdigung selbst dabei gewesen, zusammen mit ungefähr 30 Al-Qaida-Kämpfern und Freunden. Mit militärischen Ehren habe man Osama beigesetzt und - in Übereinstimmung mit dessen Glauben - anschließend sein Grab eingeebnet. -
Am 26. Dezember tauchte eine neue Videobotschaft von Osama bin Laden auf. Das Video wurde vom arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira ausgestrahlt. Ein Hinweis auf den Aufenthaltsort sowie auf das genaue Datum enthielt das Video aber nicht. Es wird aber angenommen, dass es sich um eine Aufnahme von Mitte Dezember handelt. Bin Laden nennt in dem Video die Terroranschläge vom 11. September "segensreich". Dem Westen wirft er vor einen Kreuzzug gegen den Islam zu führen. Wörtlich sagte er gegen Ende der Rede: "Unser Terrorismus gegen die USA ist gesegnet und hat das Ziel die Unterdrücker zu bestrafen, damit Amerika seine Unterstützung für Israel aufgibt." Den USA wirft er vor, ihren Krieg gegen Afghanistan lediglich aus einem Verdacht gegen ihn heraus begonnen zu haben. "Wie viele unschuldige Dörfer wurden zerstört? Wie viele Millionen Menschen wurden heimatlos gemacht, ohne auch nur irgendein Verbrechen begangen zu haben?"
Es gibt weitere Spekulationen über den Aufenthalt von Bin Laden. Das afghanische Verteidigungsministerium gab an, bin Laden befände sich unter dem Schutz der Anhänger eines radikalen Muslimführers namens Maulana Fazalur Rehman in Pakistan. Rehman hätte seinerzeit die Gründung der Taliban unterstützt und ist der Führer der Partei Jamiat Ulema-i-Islam. Rehman selbst, der sich in Pakistan unter Hausarrest befindet, nannte die Behauptung einen "Scherz".
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27. Dezember 2001: Die US-Regierung ist offenbar nicht sehr zufrieden mit der afghanischen Interimsregierung. Aus Kreisen des US-Verteidigungsministeriums verlautete, die afghanischen Einheiten seien um die Ergreifung Osama bin Ladens nicht sehr bemüht. Angesichts eines ausgelobten Kopfgeldes in Höhe von 25 Millionen US-Dollar muss das Desinteresse auf afghanischer Seite in den USA auf völliges Unverständnis stoßen.
Afghanische Stammesführer haben ein Ende der US-Angriffe auf ihr Territorium gefordert. Es handelt sich um den Stamm, dessen Mitglieder vor einer Woche von US-Flugzeugen bombardiert wurden, als sie in einem Konvoi in der Provinz Paktia nach Kabul unterwegs waren. In Paktia, so behaupten sie, gäbe es keine Kämpfer von Al-Qaida mehr. Die US-Regierung verbreitet nach wie vor die Version, dass sich in dem Konvoi Al-Qaida-Kämpfer befunden hätten.
Die Nachrichtenagentur AIP berichtete, US-Bomben hätten am Morgen des 27. Dezember Dörfer in der Provinz Paktia getroffen und 25 Menschen getötet. Aus dem Pentagon gab es dazu keine Erklärung.
Die deutsche diplomatische Vertretung in Kabul hat ihre Arbeit wieder aufgenommen. Nach Auskunft ihres Leiters Rainer Eberle sei sie in der Lage, humanitäre Hilfsprojekte in die Wege zu leiten oder den Besuch von Delegationen aus Deutschland vorzubereiten. Die Situation in Kabul sei relativ ruhig - trotz nächtlicher Übergriffe und Plünderungen.
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Am 28. Dezember hat die afghanische Interimsregierung ein Ende der US-Bombenangriffe gefordert. Es seien nur noch wenige Männer der Taliban-Bewegung und des Terroristenchefs Osama bin Laden zu bekämpfen, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. "Wenn dieses Ziel erreicht ist, gibt es keinen Grund die Angriffe fortzusetzen." Die letzten Taliban-Kämpfer hielten sich in den Bergen nahe der pakistanischen Grenze auf und könnten innerhalb von drei Tagen geschlagen werden. Die USA sollten künftig ihre Angriffe mit Kabul abstimmen. Demgegenüber weigert sich das Pentagon, Auskünfte über ein Ende der Luftangriffe zu geben. Eine Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums sagte: "Wir werden weiterhin das tun, was wir tun müssen, um unser Ziel zu erreichen.
In London tagte eine Konferenz hochrangiger Militärs, um Einzelheiten der internationalen Sicherheitstruppe für Afghanistan (ISAF) zu klären. Neben Großbritannien, das die Leitung des Einsatzes in den ersten drei Monaten übernimmt, sind die USA, Deutschland, Frankreich, Spanien, Argentinien, Australien, Neuseeland, Kanada, die Türkei, Jordanien, Malaysia und Tschechien beteiligt. Die Konferenz verlief ergebnislos, sodass die Teilnehmer am Wochenende telefonisch weiter konferieren wollen. Abzustimmen sind die Größe der nationalen Militärkontingente, die Aufgabenverteilung und der Zeitplan des Einsatzes.
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Am 29. Dezember wurde bekanntgegeben, dass in Afghanistan rund 3.000 Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer gefangen seien. Aus dem US-Verteidigungsministerium verlautete, die afghanischen Gefängnisse seien zu klein und nicht sicher genug. Daher werde erwogen, die Gefangenen auf den US-Stützpunkt Guantanamo auf Kuba zu bringen. Die kubanische Regierung protestierte gegen diese Pläne und sprach von einem weiteren Zeichen der "Arroganz der Empire-Regierung".
Das afghanische Verteidigungsministerium hat im Streit um die US-Bombardierungen klein beigegeben. Es erklärte sich einverstanden, dass die US-Luftangriffe bis zur vollständigen Zerschlagung der Taliban- und Al-Qaida-Einheiten fortgesetzt würden, "bis die letzten Widerstandsnester des Terrorismus ausgemerzt" seien, wie es in Kabul hieß.
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Am 30. Dezember einigten sich das britische Verteidigungsministerium mit der Übergangsregierung in Kabul über die Entsendung der internationalen Sicherheitstruppe (ISAF). Das Übereinkommen, über dessen Inhalt noch nichts bekannt wurde, soll am 31. Dezember unterzeichnet werden. Der Start eines militärische Erkundungsteams nach Afghanistan ist nun für den 1. Januar 2002 geplant. Verteidigungsminister Scharping gab bekannt, dass der Einsatz deutscher Soldaten voraussichtlich in der ersten Januarhälfte beginnen werde.
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31. Dezember 2001/1. Januar 2002: Der Taliban-Chef Mullah Mohammad Omar soll sich nach Berichten des örtlichen Gemeindienstchefs von Kandahar in der südafghanischen Provinz Helmand aufhalten. Die Bewohner eines Dorfes seien aufgefordert worden, Omar auszuliefern. Die US-Streitkräfte teilten mit, ihre Marines seien von Kandahar aus zu einem Einsatz aufgebrochen.
Im Osten des Landes fliegen die USA weiterhin Bombenangriffe. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur AIP sollen in der östlichen Provinz Paktia mindestens 92 Menschen bei Bombenangriffen getötet worden sein. Ein US-Militärsprecher sagte, der Angriff habe einem Gelände gegolten, das von Taliban-Kräften und von Angehörigen der Organisation Al-Qaida genutzt worden sei. Die US-Maschinen seien von zwei Bode-Luft-Raketen beschossen worden. Ein Bewohner des Dorfes Kalaje Niasi berichtete hingegen, Mitglieder der Taliban oder der Al-Qaida seien nicht in seinem Dorf gewesen.
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