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Chronik des Krieges gegen Afghanistan

August 2002

  • Ein US-Bundesgericht entschied am 1. August, dass sich die im Laufe des Afghanistan-Krieges gefangen genommenen mutmaßlichen Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer auf Guantánamo (Kuba) nicht auf US-Recht berufen können, denn: "Das Gericht befindet, dass die Militärbasis bei Guantánamo Bay, Kuba, außerhalb des souveränen Territoriums der Vereinigten Staaten liegt". Diese Entscheidung folgt der Argumentation des US-Justizministeriums, das die 600 Gefangenen stets als "feindliche Kämpfer" bezeichnet hat, ein Ausdruck, der nirgendwo rechtlich verankert ist.
  • Bei Kämpfen zwischen rivalisierenden Gruppen sind im Westen Afghanistans am 2. August mindestens 50 Menschen ums Leben gekommen. In der Provinz Herat hätten sich Anhänger des tadschikischen Kommandeurs Ismail Khan mit Anhängern des paschtunischen Kriegsherren Mohammed Karim Khan Gefechte geliefert, berichtete die in Pakistan ansässige Nachrichtenagentur AIP. Fast alle Todesopfer seien Paschtunen.
    Bei einem Selbstmordanschlag vor einer Polizeiwache in Orgun im Südosten Afghanistans wurden am 2. August vier Offiziere verletzt, ein zweiter des Attentats Verdächtiger sei angeschossen und verhaftet worden, sagte US-Militärsprecher Roger King.
    Die Türkei (die mit der Führung der Isaf betraut ist) hat wirtschaftliche Hilfe für Afghanistan angemahnt. Wenn die zugesagten Mittel ausblieben, seien Sicherheit und Stabilität in Gefahr.
    Der Fernsehsender CNN berichtete am 2. August, dass Donald Rumsfeld mit den Fortschritten im Anti-Terror-Kampf nicht zufrieden sei. Er hat ein massiveres Vorgehen gegen Al Qaida engeordnet. In einem geheimen Dokument seien die Spezialeinheiten angewiesen worden, ihre verdeckten Operationen zu beschleunigen und "anzugreifen und zu töten".
  • Unter den deutschen Spezialkräften in Afghanistan macht sich angeblich Unzufriedenheit breit. Für das "Kommando Spezialkräfte" (KSK) gebe es derzeit nur wenig Arbeit, berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", wie die "netzeitung" am 3. August meldete. Das seit Ende März in Kandahar stationierte zweite Kontingent sei nicht ein einziges Mal für einen Zugriff gegen Verdächtige ("Direct Action") angefordert worden, so das Blatt. Die Einheit sei am vergangenen Donnerstag nach Calw in Baden-Württemberg zurückgekehrt. Sie würden "offenbar nur als politisches Symbol für die Anti-Terror-Koalition" gebraucht, zitierte das Magazin KSK-Soldaten. Seit Januar hätten sie zwar zahlreiche Aufklärungsaufträge erhalten. Es habe aber "weniger als fünf" Zugriffe gegeben, hieß es weiter. Etwa zehn Verdächtige seien zur Überprüfung zeitweise festgesetzt worden. Das dritte KSK-Kontingent, rund 50 Kommandosoldaten und ebenso viele Unterstützer sollten noch bis November am Ort bleiben.
  • Am 5. August haben US-Soldaten auf einer Patrouille in der Gegend von Asadabad in der an Pakistan grenzenden Provinz Kunar zwei Männer getötet, die von einem Hügel auf sie geschossen hatten.
    Der Machtkampf zwischen Präsident Hamid Karsai und Verteidigungsminister Mohammed Fahim habe sich weiter zugespitzt, berichtete die Washington Post am 5. August. Vertraute Karsais befürchteten eine weitere Schwächung des Präsidenten, dessen Macht kaum über die Stadt Kabul hinausreicht, berichtete das Blatt unter Berufung auf nicht genannte Regierungsmitarbeiter und ausländische Diplomaten. Sogar eine Rückkehr zu einer Lage wie im Bürgerkrieg sei nicht ausgeschlossen. Vor zwei Wochen forderte Karsai Verteidigungsminister Fahim auf, einen Teil der Mitarbeiter seines von Tadschiken dominierten Ministeriums durch Angehörige anderer Volksstämme zu ersetzen. Schon nach der Ermordung von Vizepräsident Abdul Kadir im Juli hatte Karsai seine vom Verteidigungsministerium gestellte Leibgarde gegen US-Leibwächter ausgetauscht.
    Auch der regierungsfeindliche Kriegsherr Padscha Khan aus der südöstlichen Provinz Paktia stellte sich erneut gegen Kabul. Am 5. August widersprach Khan einer Erklärung des afghanischen Ex-Königs Mohammed Sahir Schah, der ihn einen Tag zuvor namentlich als Gefahr für den Frieden bezeichnet hatte. Khan sagte, dass der Ex-König von Karsai zu dieser Erklärung gezwungen worden sei. Es sei ein "Appell Karsais". Khan hatte in der Vergangenheit wiederholt vergeblich versucht, die Macht in der Provinzhauptstadt Gardes an sich zu reißen.
    Ohne massive Aufstockung der internationalen Finanzhilfe droht Afghanistan nach Ansicht seines Wiederaufbauministers im Winter eine Katastrophe. Erst ein Bruchteil der zugesagten Unterstützung habe sein Land erreicht, sagte Amin Farhang am 5. August der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. Das Frauenhilfswerk medica mondiale äußerte sich entsetzt über den Zustand der Kliniken in Afghanistan. Ausstattung und Standard der Einrichtungen spotteten jeder Beschreibung. (FR, 06.08.2002)
    Nach einem Granateneinschlag in einem Gebäude der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in Kandahar haben die örtlichen Behörden Wachtposten vor allen UNO-Gebäuden aufgestellt. Der Angriff auf die UNO-Einrichtung in Afghanistan - der erste Anschlag dieser Art seit dem Abschluss des Bonner Übereinkommens im vergangenen Jahr - hat leichte Schäden am Gebäude verursacht, aber keine Verletzten oder Tote gefordert (UNO-Pressemitteilung).
  • Am 6. August kam es im Osten Afghanistans zu Schießereien. US-Soldaten töteten vier Männer. US-Militärsprecher Oberst Roger King bestätigte den Zwischenfall und sagte, eine amerikanische Patrouille sei nördlich von Asadabad in der Provinz Kunar von fünf Personen aus einem Auto heraus plötzlich beschossen worden. Die Soldaten hätten das Feuer erwidert und vier Männer getötet. Zivilisten waren nach Kings Angaben nicht beteiligt. Anderen Berichten zufolge handelte es sich bei den Getöteten um Zivilisten, die eine Halteauffordeung der Soldaten missachtet hätten. Sie sollen Verwandte des örtlichen Stammesführers Matiullah gewesen sein.
  • Bei den seit Monaten schwersten Kämpfen in der afghanischen Hauptstadt Kabul sind am 7. August 13 Menschen ums Leben gekommen. Bisher unbekannte bewaffnete Männer griffen am Morgen einen Stützpunkt der afghanischen Armee an, erklärte Polizeisprecher Jadschi Raschid. Elf Angreifer, drei Soldaten und eine Zivilperson wurden bei dem dreistündigen Gefecht getötet.
  • Bei einer Explosion im Büro einer Hilfsorganisation in Afghanistan sind am 9. August zahlreiche Menschen getötet worden. Über die Zahl der Opfer herrscht Unklarheit. Während offizielle Stellen von mindestens sechs Opfern sprechen, berichtet die in Pakistan ansässige Nachrichtenagentur AIP von 20 Toten, der Nachrichtensender n-tv spricht von mehr als 50 Toten. Zudem soll es zahrleiche Verletzte geben. In der Nachbarschaft sollen mehrere Häuser beschädigt sein. Bislang gibt es noch keine verlässlichen Informationen, ob es sich um einen Anschlag handelt. AIP meldet, dass die Explosion durch Sprengmittel verursacht worden sein könnte, die im Haus gelagert würden. Die Detonation ereignete sich in einem Büro der afghanischen "Aufbau- und Logistikeinheit" in Dschalalabad im Osten des Landes. Die afghanische Hilfsorganisation war in den 80er Jahren entstanden. Nach ersten Informationen arbeiteten bei ihr keine Ausländer mit.
  • Am 10. August wurde bekannt gegeben, dass es sich bei der Explosion in Dschalalabad um einen Unfall gehandelt habe. Dies teilte der Leiter des Regionalbüros der Afghanischen Bau- und Logistik-Gesellschaft mit, auf deren Gelände sich die Explosion ereignete. Auf dem Gelände sei Sprengstoff zum Straßenbau gelagert worden. Dieser habe sich durch die Hitze entzündet, sagte Habib Rachman. Auch das afghanische Außenministerium bestätigte dies am 10. August.
    Im Südosten Afghanistans haben US-Spezialeinheiten am 10. August drei mutmaßliche Mitglieder der Terrorgruppe Al Qaeda gefasst. Bei der Fahnungsaktion nahe der Stadt Chost stellten die Soldaten am Samstag auch Sprengstoff und Munition sicher. Das teilte ein amerikanischer Militärsprecher am 12. August an der Luftwaffenbasis Bagram mit. Dort würden die Festgenommenen zurzeit vernommen.
  • US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld will nach Berichten von Spiegel-online und Netzeitung (12.08.2002) den Auftrag der US-Spezialkräfte im weltweiten Anti-Terror-Kampf ausweiten. Die Einheiten sollten Führer des Terrornetzwerkes Al Qaeda aufspüren oder töten, die sich außerhalb Afghanistans befinden, berichtete die Zeitung "New York Times" am 12. August. Die Spezialeinheiten sollten künftig verstärkt bei verdeckten Operationen eingesetzt werden. Ziel sei es, Terroristenführer in ihren Verstecken aufzuspüren oder sie zu fassen, wenn sie Anschläge koordinieren oder nach Unterschlupf suchen. Die Spezialkräfte sollten auch in Ländern eingesetzt werden, mit denen sich die USA nicht im offenen Krieg befinden sowie in Fällen, in denen die jeweiligen Regierungen nicht über die Anwesenheit der US-Kräfte informiert seien.
  • Bei einem Granatenangriff auf das Haus einer Familie in Ost-Afghanistan sind vier Kinder und ihr Vater getötet worden, berichtete die afghanische Nachrichtenagentur AIP am 13. August. Die Behörden haben ein politisches Motiv ausgeschlossen, hieß es.
    Alarmierendes weiß das UN-Flüchtlingswerk UNHCR am 13. August zu vermelden: Der große Rückkehrstrom von afghanischen Flüchtlingen aus Iran in den letzten Monaten und Wochen sei zum Teil auf Druck der iranischen Behörden zustande gekommen. Dies klingt anders als die Aussage des US-Staatssekretärs Arthur Dewey, der beib einem Besuch in Kabul davon sprach, dass "die größte Rückführung von Menschen in der Geschichte" zeige, dass die Menschen an ihre Regierung und die Zukunft des Landes glaubten. (zit. n. FR, 14.08.2002) Seit dem 1. März 2002 sind 1,5 Mio. Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt. Pro Woche waren das im Schnitt 6.500, in der ersten Woche schnellte die Zahl auf 10.000 hoch. UNHCR-Mitarbeiter berichteten, Flüchtlinge seien im Iran z.B. durch Schulverbot für ihre Kinder zur Rückkehr gezwungen worden.
  • Die afghanische Regierung hat am 15. August dem Obersten Gerichtshof eine Abteilung unterstellt, die u.a. sicherstellen soll, dass afghanische Moslems keinen Alkohol trinken oder "Unzucht" betreiben. Somit ähnelt diese Abteilung - sie umfasst etwa 250 Männer und 50 Frauen - der Religionspolizei aus der Zeit des Taliban-Regimes. Die "Abteilung für Verantwortlichkeit" sähe aber nicht so drakonische Strafen vor wie früher. Die Strafen hingen von der Art des Verbrechens ab. Auspeitschungen seien auch vorgesehen.
    Am Abend des 15. August (Ortszeit) wurde offenbar ein Bombenanschlag auf das afghanische Ministerium für Telekommunikation verübt. Die afghanische Regierung geht von einem "terroristischen Hintergrund" für das Attentat aus. Aus einem fahrenden Auto wurde ein Sprengsatz aus einem fahrenden Auto geworfen. Das Gebäude wurde beschädigt, verletzt wurde niemand.
  • Bei einem "Unfall" in der Nähe von Kabul kamen am 17. August zwei britische Soldaten der Isaf-Truppe ums Leben. Die Männer erlagen Schussverletzungen. "Fremdeinwirkung" habe es nicht gegeben, hieß es.
  • Am 18. August wurden zwei US-Soldaten einer Spezialeinheit bei einem Aufklärungseinsatz verletzt. Sie erlitten Schusswunden und wurden zur Behandlung nach Deutschland ausgeflogen.
    Der US-Sender CNN ist im Besitz von Dutzenden von Videobändern, die vom Terrornetz Al Qaida hergestellt wurden und auf denen u.a. Gifgasexperimente gezeigt werden, meldete CNN am 18. August.
    Am 18. August teilte der Vertreter des Welternährungsprogramms (WFP) in Masar-e-Sharif mit, die Rationen für die Not leidende Bevölkerung in Afghanistan müsse gekürzt werden, weil die Geberländer ihre Zusagen für die Lebensmittelhilfe nicht einhielten. Wenn nicht genügend Vorräte bis zum Wintereinbruch bereitgestellt würden, sei eine schwere Versorgungskrise vor allem in den afghanischen Bergregionen zu befürchten.
  • Der Sprecher der Welternährungsorganisation FAO, Hector Maletta, sagte am 19. August, die afghanische Regierung sei mit ihrer Ankündigung vom April, den Anbau von Schlafmohn einzudämmen, weitgehend gescheitert. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass auch 2003 etwa sechs Millionen Menschen in Afghanistan auf Nahungsmittelhilfe angewiesen seien.
    Das Magazin Newsweek berichtete am 19. August von einem internen UN-Memorandum, nachdem ausreichend Hinweise auf ein Massaker vorlägen, dem im November 2001 in der Stadt Kundus Taliban-Gegangene zum Opfer gefallen seien (siehe unsere Chronik vom 12. Juni 2002 sowie den Bericht "Das Massaker von Mazar"). Trotzdem zögerten die Vereinten Nationen, eine offizielle Untersuchung einzuleiten, da der Fall politisch so empfindlich sei.
    Der pakistanische Militärmachthaber kritisierte am 19. August die Ergebnisse des Abti-Terror-Krieges in Afghanistan. Die Regierung in Kabul über keine Macht aus, sagte Mausharraf. Al-Qaida-Kämpfer könnten sich wieder frei in Afghanistan bewegen.
  • Am 20. August gaben afghanische Sicherheitsbehörden bekannt, dass sie eine Bombe auf einem belebten Basar in Kabul gefunden und unschädlich gemacht hätten.
    In Sachen "Massaker" nimmt sich die afghanische Menschenrechtskommission der Sache an, hieß es am 20. August. Die Fundstelle eines Massengrabs in der Nähe von Schibergan müsse gesichert werden.
  • Am 22. August wurden in der ostafghanischen Provinz Kunar zwölf Menschen festgenommen. In den Provinzen Paktia und Sabul wurden zwei Waffenlager ausgehoben und Munition sichergestellt.
  • Am 23. August wurde ein Anschlag auf einen US-Militärstützpunkt im Osten Afghanistans (Provinz Kunar) verübt. Es kam aber niemand zu Schaden. Am nächsten Tag wurden vier Männer verhaftet und ein Granatwerfer sichergestellt.
  • Am 24. August explodierte in einer Mädchenschule in der etwa 120 km westlich von Kabul liegenden Stadt Ghazni eine Bombe. Verletzt wurde niemand. Nach Meinung der Behörden handelt es sich um einen Anschlag der Taliban. Auf in der Stadtv aufgetauchten Flugblättern stand u.a.: "Wir töten alle Frauen, wenn sie zur Schule kommen!"
  • Am 25. August wurde ein Anschlag auf das Gästehaus der Vereinten Nationen in der afghanischen Hauptstadt Kabul verübt. Nach Angaben von Augenzeugen wurde bei der Explosion einer Bombe vor dem Haus mindestens ein Afghane verletzt. Der Sprengsatz war in einer Mülltonne versteckt. Einige Fensterscheiben des Hauses, in dem UN-Personal bei Besuchen in Kabul untergebracht ist, seien zu Bruch gegangen. (Quelle: Netzeitung)
  • Staatssekretär im US-Außenministerium Arthur Dewey hat am 30.August Europa vorgeworfen, zu wenig für die humanitäre Hilfe in Afghanistan zu tun. Die EU habe 2001 nur 20.000 Tonnen Lebensmittel nach Afghanistan geliefert, die USA dagegen 256.000 Tonnen. Die Europäer seien zu bürokratisch, geizig, unzuverlässig und würden eigensinnig handeln, lauteten die Vorwürfe. Ein EU-Vertreter in Washington wies die Vorwürfe zurück.
  • Am 31. August wurden zwei Detonationen auf dem Kabuler Flughafen registriert. Zu Schaden kam niemand. Französische ISAF-Soldaten untersuchen den Vorfall.


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