Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Chronik des Krieges gegen Afghanistan

April 2002

  • Am 1. April wurden offenbar doch die Weichen dafür gestellt, dass die Türkei das ISAF-Kommando in Kürze übernehmen wird.
  • Eine Gruppe deutscher Experten ist am 2. April nach Kabul geflogen, um in der afghanischen Hauptstadt beim Aufbau der Polizei zu helfen. Die neun Beamten aus Bund und Ländern starteten am Abend mit einer Bundeswehr-Maschine vom Flughafen Köln-Wahn aus. In Kabul sollen sie ein Jahr lang das dortige Innenministerium beraten und bei der Einführung rechtsstaatlicher Ordnung helfen. Auch der Kampf gegen Drogen gehört zu ihren Aufgaben
  • Das Weiße Haus hat am 3. April bestätigt, dass sich der neue Militärchef des Terroristenführers Osama bin Laden in der Gewalt der USA befindet. Abu Subaiah war in der vergangenen Woche (siehe Chronik 28. März) in Faisalabad von pakistanischen Sicherheitskräften gefasst worden. Er wurde durch Schüsse an Hüfte und Leiste verletzt. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sagte, die Verletzungen seien nicht lebensgefährlich. Der Palästinenser soll in der Terrororganisation El Kaida die Aufgabe des Militärchefs übernommen haben.
  • Nach Angaben der Interimsregierung vom 4. April haben die Behörden in Kabul ein Komplott gegen die Regierung Karsai verhindert. Die Verschwörer, zumeist Mitglieder der fundamentalistischen Moslem-Organisation Hesb-e-Islami, hätten Bombenanschläge vorbereitet. In den vergangenen Tagen seien 350 von ihnen verhaftet worden.
    Nach Schätzungen der Übergangsregierung in Kabul sind seit Beginn des US-Kriegs 3.000 unbeteiligte Zivilisten ums Leben gekommen.
  • Am 5. April bemühte sich die UN-Truppe ISAF um Aufklärung der Festnahmeaktion der Interimsregierung. ISAF sei von der Aktion nicht informiert worden. Die des Komplotts beschuldigten Organisationen Hesb-e-Islami des Ex-Premiers Gulbuddin Hekmatjar wies die Verschwörungsvorwürfe der Regierung zurück. Ihre Leute seien in Kabul gewesen, um über eine Aussöhnung zu verhandeln.
    US-Präsident Bush räumte am 5. April ein, über den Verbleib von Osama bin Laden nichts zu wissen. Er habe "keine Ahnung", ob bin Laden tot oder am Leben sei.
  • Bei einem Treffen zwischen Tony Blair und George Bush auf dessen Ranch in Crawford (Texas/USA) am 7. April zeigten sich beide Staatschefs einig im Willen Saddam Hussein zu stürzen. "Unsere Politik ist es, Saddam Hussein zu entfernen", sagte Bush. Offen ist lediglich das Wie.
    Am 7. April sind mindestens acht Bauern im Distrikt Kadschaki getötet und 35 Menschen verletzt worden, als Polizei gegen Demonstranten vorging. Die Bauern wandten sich gegen die Absicht der afghanischen Übergangsregierung, ihre Schlafmohn-Ernte zu zerstören. Die in Aussicht gestellte Entschädigung (1.000 Dollar pro Hektar) wird als viel zu gering erachtet; gefordert werden 10.000 Dollar.
    Am 7. April wurden mehrere Raketen in der Nähe eines ISAF-Lagers bei Kabul entdeckt, die offenbar von unbekannten Gegnern der Interimsregierung abgefeuert worden waren, um diese zu destabilisieren. Die Raketen richteten keinen Schaden an.
  • Am 8. April starben bei einem Bombenanschlag in Dschalalabad fünf Menschen; 53 wurden verletzt, darunter zahlreiche Schulkinder. Das Attentat galt offenbar dem afghanischen Verteidigungsminister, der aber unverletzt blieb.
  • Tausende von Flüchtlingen stecken an der Ostgrenze fest, weil die Proteste der Mohn-Bauern am 9. April anhalten. Die empörten Bauern blockierten rund 700 Fahrzeuge und 14.000 Flüchtlinge auf der Straße zwischen der pakistanischen Grenze und Dschalalabad. 25.000 Flüchtlinge säßen noch auf pakistanischer Seite fest. Dort blockieren Demonstranten die Straße, weil ihnen der Strom abgestellt wurde, nachdem sie die Rechnungen nicht bezahlt hätten.
    Im Westen verhinderten Kämpfe zwischen einer Miliz der Interimsregierung und einem lokalen Milizenführer, dass die Rückkehr von Flüchtlingen aus dem Iran beginnen konnte.
    US-Außenminister Rumsfeld kündigte die Möglichkeit an, dass US-Streitkräfte längerfristig in Afghanistan stationiert würde, mindestens so lange, bis eine afghanische Armee trainiert sei, um ein Wiedererstarken der Taliban oder von Al Qaida verhindern zu können. Außerdem kündigte er an, im Rahmen eines sog. Anti-Terror-Einsatzes 150 Soldaten nach Jemen zu entsenden.
  • Am 10. April veröffentlichte die in London erscheinende arabische Zeitung El Hajat eine angebliche Botschaft der Terrororganisation Al Qaida. Danach befinde sich Ossama bin Laden wohlauf und bereite die nächste Etappe seines Kampfes vor. Außerdem wurden Angaben über in Afghanistan getötete Gegner gemacht: In Ostafghanistan seien 18 Amerikaner gefangen genommen und getötet worden, in Masar-i-Scharif seien 15 US-Soldaten getötet worden. Insgesamt seien fast 1.000 Soldaten anderer Nationalitäten bei den Kämpfen ums Leben gekommen.
    In Westafghanistan (in der Region um Guldana) spitzten sich am 10. April die Spannungen zwischen rivalisierenden Milizen zu.
  • Afghanische Polizei und ISAF-Truppen haben am 11. April Männer festgenommen, die am 7. April einen ISAF-Stützpunkt mit Raketen beschossen haben sollen. Von ihnen wird außerdem behauptet, sie hätten Verbindung zu den Taliban.
  • Am 12. April wurde ein britisches Kontingent der UN-Truppe ISAF von Unbekannten attackiert.
  • Am 13. und 14. April sind US-Truppen in Afghanistan wieder unter Beschuss geraten. Der Armeesprecher gab aber nicht bekannt, in welcher Gegend das geschah.
  • Vier US-Soldaten sind am 15. April in der Nähe von Kandahar getötet worden, als sie versucht hatten, einen Blindgängeer zu sprengen. Das Pentagon sprach von einem Unfall. Außerdem berichtete es über zwei Angriffe auf ihre Truppen.
  • Der afghanische Interimspräsident Hamid Karsai traf am 16. April in Rom ein, wo er den Ex-König Sahir Schah aus dem Exil nach Afghanistan zurückbringen will.
    Britische Verbände tsrteten am 16. April eine Großoffensive ("Operation Ptarmigan" = "Operation Schneehuhn") auf vermutete Al-Qaida unf Taliban-Stellungen in Ostafghanistan. Berlin schwieg über eine mögliche Beteiligung deutscher KSK-Einheiten.
  • Am 17. April beschwerte sich das Flüchtlingshilfswerk der vereinten Nationen darüber, dass die Geberländer erst die Hälfte der zugesagten Mittel für dieRückkehr afghanischer Flüchtlinge überwiesen hätten."Es wäre eine Schande, wenn wir unsere Programme reduzieren müssten", sagte UNHCR-Leiter Ruud Lubbers.
    Die Washington Post meldete am 17. April, nach US-Geheimdienstberichten wären schwere Versäumnisse der US-Armee dafür verantwortlich, dass Ossam bin Laden Anfang Dezember aus der Bergfestung Tora Bora fliehen konnte. Der US-Oberbefehlshaber Tommy Franks habe sich zu sehr auf afghanische Truppen verlassen, statt eigene Bodentruppen einzusetzen.
  • Nach 29 Jahren Exil traf der frühere König Sahir Schah am 18. April in der afghanischen Hauptstadt Kabul ein. Er wurde von Regierungschef Karsai begleitet. Bei der Begrüßung fiel auf, dass von der Übergangsregierung der tadschikische Verteidigungsminister Mohammed Fahim fehlte; er war ins Ausland gereist. Sahir Schah ist - wie Hamid Karsai - Paschtune. Die Interimsregierung wird aber von Tadschiken und Usbeken beherrscht.
    Ebenfalls am 18. April wurden vier kanadische Soldaten bei einem irrtümlichen Bombenangriff durch einen US-Jagbomber getötet.
  • Bei einem Angriff von Unbekannten auf die ISAF in der Nähe des Kabuler Flughafens ist am 19. April ein französischer Soldat verletzt worden.
  • Ein britischer Militärsprecher sagte am 21. April in Kabul, es seien Attentatspläne gegen den früheren König Sahir Schah bekannt geworden. Sahir Schah soll am 10. Juni die Große Ratsversammlung (Loya Jirga) eröffnen.
  • Am 23. April explodierten mehrere Granaten in der Umgebung einer Einheit von US-Soldaten in Ostafghanistan.
    Im Grenzgebiet zu Pakistan sind Flugblätter aufgetaucht, in denen eine bislang unbekannte Gruppe "El Fatah Afghanistan" (Sieg Afghanistan) aufruft, alle "Ungläubigen zu vertreiben und nach dem Vorbild der palästinensischen Selbstmordattentäter vorzugehen.
  • Der Sonderbeauftrage der Bundesregierung für Afghanistan, Michael Bohnet, sagte am 24. April, die Bemühungen um den Wiederaufbau des Landes liefen ausgesprochen gut. Erste Erfolge seien die Herrichtung von zehn Schulen in Kabul, die verbesserte Ausstattung von drei Krankenhäusern sowie die Bauarbeiten für eine bessere Wasserversorgung in der Hauptstadt. Die GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) sei auch verantwortlich für die infrastrukturelle Organisation der Loya Jirga. die vom 10. bis 16. Juni in Kabul stattfinden soll. Die Finanzhilfen für Afghanistan aus Berlin belaufen sich in diesem Jahr auf 80 Mio. Euro, bis 2006 sollen es insgesamt 320 Mio Euro sein.
  • Eine neue "Offensive" von Al-Qaida erwartet der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Dies sagte er bei seinem Aufenthalt in Kirgisien. Im Frühjahr würden die geschlagenen Kämpfer von Al-Qaida und der Taliban sich wieder sammeln und versuchen, die Ingerimsregierung sowie amerikanische Truppen anzugreifen.
    Die pakistanische Regierung hat der US-Armee gestattet, auch im pakistanischen Grenzgebiet nach Al-Qaida-Kämpfern zu suchen.
  • Weder Taliban- noch Al-Qaida-Kämpfer waren beteiligt, als am 27. April sieben Menschen bei Gefechten zwischen rivalisierenden Kriegsherren ums Leben kamen. Truppen des regionalen Machthabers Batscha Kahn Sardaran beschossen die Stadt Gardes (etwa 100 km südlich von Kabul). Sardaran Machtzentrum liegt in der Stadt Khost. Der Gouverneur von Gardes, Tadsch Mohammed Wardak, wurde von der Interimsregierung in Kabul eingesetzt.
    Ebenfalls am 27. April beging die Interimsregierung in Kabul eine Militärparade. Anlass: Der zehnte Jahrestag der Beendigung der "kommunistischen" Herrschaft.
  • Am 29. April beschloss die türkische Regierung, das Kommando über die UN-Sicherungstruppe ISAF in Kabul für sechs Monate zu übernehmen. Unklar ist nur noch das Datum der Übergabe des Kommandos durch die Briten. ISAF umfasst derzeit 4.500 Soldaten aus 18 Nationen. Die Türkei hat bislang 267 Soldaten in Afghanistan, will ihre Truppenstärke aber auf rund 1.000 aufstocken. An den Kosten wollen sich die USA beteiligen.


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