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Chronik Afghanistan

Juli 2009


Mittwoch, 1. Juli, bis Sonntag, 5. Juli
  • In einer Umfrage für das Hamburger Magazin stern, die am 1. Juli veröffentlicht wurde, vertraten 61 Prozent die Auffassung, die Bundeswehr solle sich aus dem Land zurückziehen. Nur noch ein Drittel der Deutschen (33 Prozent) ist der Ansicht, die Truppen sollten vor Ort bleiben.
  • Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) erwartet ein Ende des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr in fünf bis zehn Jahren. Auf die Frage, ob die deutschen Soldaten Afghanistan bis zum Jahr 2020 wieder verlassen haben würden, sagte Jung dem Sender N24 am 1. Juli: "Davon gehe ich aus. In fünf bis zehn Jahren - das ist meine Botschaft."
  • Der 2002 begonnene Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr hat den Steuerzahler bis Ende 2008 rund drei Milliarden Euro gekostet, wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am 1. Juli in Berlin mitteilte. Derzeit können bis zu 4500 Mann am Hindukusch eingesetzt werden. Das aktuelle Mandat ist bis Jahresende befristet.
  • Das US-Militär hat eine Großoffensive gegen die radikalislamischen Taliban in Südafghanistan gestartet. An der Operation seien 4000 US-Marineinfanteristen und 650 afghanische Soldaten beteiligt, meldete der US-Sender NBC am 2. Juli. Ziel sei, die Extremisten aus der Region zu vertreiben, die seit Jahren als Hochburg der Taliban gelte. Es handele sich um die erste größere Militäroffensive im Rahmen der neuen Afghanistan-Strategie von US-Präsident Barack Obama. Bereits am ersten Tag der Offensive starben nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums ein Oberstleutnant und ein Soldat in Helmand durch eine Bombe. Sechs Briten wurden verletzt.
  • Nach Beginn der US-Großoffensive gegen die Taliban im Süden Afghanistans hat Pakistan Truppen an die Grenze verlegt. Die Streitkräfte bereiteten sich auf eine mögliche Flucht von Taliban aus der afghanischen Provinz Helmand nach Pakistan vor, sagte ein Militärsprecher am 2. Juli. Die Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan erstreckt sich über 2.600 Kilometer, und in dem über weite Teile abgelegenen und unübersichtlichen Gelände bewegen sich militante Taliban weitgehend ungehindert.
  • Wie am 2. Juli bekannt wurde, haben die radikalislamischen Taliban einen US-Soldaten entführt. Die US-Armee hatte zuvor mitgeteilt, der Mann werde seit zwei Tagen vermisst. Es ist die erste Entführung eines US-Soldaten in einem Krisengebiet seit Jahren.
  • Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr wird erneut ausgeweitet: Der Bundestag billigte am Abend des 2. Juni die Entsendung von vier AWACS-Aufklärungsfliegern der NATO zur Sicherung des afghanischen Luftraums. Bis zu 300 deutsche Soldaten können mit in den Einsatz geschickt werden. Die Soldaten am Boden sollen außerdem künftig leichter von ihren Schusswaffen Gebrauch machen dürfen, wie Verteidigungsminister Franz Josef Jung bestätigte.
  • Nach Einschätzung der deutschen Sicherheitsbehörden hat die Gefahr von Anschlägen in Deutschland zugenommen, wie der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, August Hanning, nach einem Treffen der Sicherheitsbehörden in Berlin mitteilte. Terroristen könnten versuchen, den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu erzwingen.
  • Eine am 3. Juni veröffentlichte Umfrage des ZDF-Politbarometers ergab, dass die Beteiligung der Bundeswehr an der UN-Schutztruppe in Afghanistan inzwischen von 55 Prozent der Bürger abgelehnt wird. 42 Prozent befürworten ihn.
  • Nach dem Bundestags-Votum für eine Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes geht die Debatte über einen Ausstieg weiter. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) lehnte eine «Exit-Diskussion» ab. Neben der Linken und den Grünen werden zunehmend auch aus der CSU Forderungen nach nach einer Ausstiegsstrategie laut. Der Sicherheitsexperte Hans-Peter Uhl (CSU) forderte am 3. Juli einen zügigen Abzug: «Es ist an der Zeit, die Priorität des Afghanistan-Einsatzes vom Militär zur Polizei zu verlagern.»
  • Einen Tag nach dem Beginn ihrer Großoffensive am 2. Juli ist die US-Armee in Afghanistan weiter in Hochburgen der radikalislamischen Taliban vorgerückt. Die Marineinfanteristen, die am Vortag mit Helikoptern in die südafghanische Provinz Helmand gebracht worden waren, rückten derzeit weiter in jene Gebiete vor, die ausländische Truppen seit dem Sturz der Taliban 2001 nicht dauerhaft unter ihre Kontrolle bringen konnten, sagte Armee-Sprecher Kurt Stahl. Demnach sind sie in den Bezirken Garmsir, Nawa und Chanischin im Einsatz. US-Drohnen griffen Stützpunkte der Taliban an.
  • Bei einem US-Raketenangriff am 3. Juli sind nach Angaben pakistanischer Geheimdienstkreise in einer Grenzregion zu Afghanistan 17 Menschen getötet und 27 weitere verletzt worden. Zwei von einer Drohne abgefeuerte Raketen seien in einen Ausbildungsstützpunkt der pakistanischen Taliban im Dorf Mantoi und ein Kommunikationszentrum der Anhänger Baitullah Mehsuds im nahegelegenen Dord Kokat Khel in Süd-Waziristan eingeschlagen.
  • Beim Absturz eines Militärhubschraubers im Nordwesten Pakistans kamen am 3. Juli mindestens 26 Insassen ums Leben. Ein Militärsprecher erklärte, der Absturz sei auf technisches Versagen zurückzuführen.
  • Das Bundesinnenministerium teilte am 3. Juli mit, dass Deutschland mehr Polizisten nach Afghanistan schicken will. Bis Mitte 2010 soll das Personal auf rund 200 Beamte aufgestockt und damit etwa verdreifacht werden. Hauptaufgabe soll die Fort- und Ausbildung der afghanischen Polizei sein. Zudem gehe es um Unterstützung bei der Errichtung von Schwerpunktdienststellen sowie das Training zur Eigensicherung für die afghanische Polizei. Allein im vergangenen Jahr waren mehr als 1000 afghanische Polizisten getötet worden. Außerdem teilte das Verteidigungsministerium mit, dass die Truppenstärke der Bundeswehr in Afghanistan im Sommer 2009 einen neuen Höchststand erreichen wird. Zu den derzeit in der ISAF-Schutztruppe eingesetzten 3700 Soldaten kommen 600 zur Verstärkung vor der afghanischen Präsidentenwahl hinzu. Dazu stößt ein Teil der 300 AWACS-Spezialisten. Die Gesamtobergrenze für beide Mandate beträgt 4800 Mann.
  • Bei Kämpfen im Osten Afghanistans sind zwei amerikanische Soldaten getötet worden. Vier weitere wurden bei dem Angriff am Samstag verletzt, wie eine Militärsprecherin am 4. Juli mitteilte. Einzelheiten wurden nicht bekanntgegeben, doch waren die US-Truppen offenbar im Einsatz, um nach einem in der Region vermissten US-Soldaten zu suchen. Dieser wurde allem Anschein nach zusammen mit drei Afghanen von den Taliban verschleppt.
  • Am 4. Juli wurden drei ausländische Soldaten und mehrere radikalislamische Aufständische getötet. Zwei US-Soldaten kamen durch eine Explosion ums Leben, vier wurden verletzt, als Aufständische einen Tankwagen vor einem Regierungsgebäude in der ostafghanischen Provinz Paktia zur Explosion brachten. Die US-Luftwaffe habe daraufhin 32 Talibankämpfer getötet. Der Sprecher der US-Armee bestätigte die Angaben zunächst nicht. Andere Quellen berichten von zehn Taliban-Kämpfern, die bei den Gefechten umgekommen seien.
  • Ein kanadischer Soldat der NATO-Truppe in Afghanistan (ISAF) wurde am 4. Juli durch die Explosion einer Bombe getötet, wie die ISAF mitteilte.
  • Bei Attacken von Aufständischen wurden am 5. Juli in der Provinz Helmand zwei britische Soldaten getötet. Im Osten des Landes griffen rund 100 Taliban-Kämpfer ein Lager der US-Truppen an und verwickelten sie am Samstag in ein stundenlanges Gefecht. Nach Militärangaben wurden zwei amerikanische Soldaten getötet und sieben weitere verwundet.
  • Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat in einem Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel am Sonntag" die Union davor gewarnt, den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zum Wahlkampfthema zu machen. Der SPD-Kanzlerkandidat ermahnte vor allem die CSU, die die Debatte über eine Exitstrategie neu entfacht hatte, sich mit Forderungen nach einem möglichst schnellen Abzug der Truppen zurückzuhalten. «Gerade im Wahlkampf sollte niemand so unverantwortlich mit dem Thema Afghanistan umgehen», sagte Steinmeier. «Das sollte auch die Kanzlerin den Unions-Abgeordneten deutlich sagen.» Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl hatte gefordert, die Priorität beim deutschen Afghanistan-Einsatz «vom Militär zur Polizei zu verlagern». Ziel müsse ein baldiger Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan sein, möglichst innerhalb der nächsten Jahre. In der Union ist damit ein offener Streit über den Bundeswehr-Einsatz ausgebrochen. Während die CSU ihre Forderung nach einer Rückzugsstrategie bekräftigte, hieß es in der CDU, eine solche Debatte sei verhängnisvoll. Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte vor einer kopflosen Diskussion und appellierte an Bundeskanzlerin Merkel, für einen verantwortlichen Umgang der Union mit dem Thema Afghanistan im Wahlkampf zu sorgen. Im ARD-Deutschlandtrend sprachen sich 69 Prozent der Bürger für einen schnellen Rückzug aus - so viele wie noch nie.
Montag, 6. Juli, bis Sonntag, 12. Juli
  • Am 6. Juli wurden Bundeswehrsoldaten zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg mit Tapferkeitsorden ausgezeichnet. Bundesverteidigungsminister Jung begründete den Entschluss für einen neuen höchsten Orden mit der gestiegenen Gefahr für Leib und Leben in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr.
  • Im Süden Afghanistans ging die US-Offensive gegen die radikalislamischen Taliban weiter. Am 6. Juli kamen dort insgesamt zehn ausländische Soldaten ums Leben: sieben starben bei Kämpfen und Anschlägen, darunter ein Selbstmordanschlag vor dem NATO-Flughafen in Kandahar, drei bei einem Hubschrauberabsturz.
  • US-Präsident Barack Obama und der russische Staatschef Dmitri Medwedew verständigten sich am 6. Juli in Moskau auf gemeinsame Anstrengungen im Kampf gegen den Terrorismus und Drogenschmuggel. Medwedew sagte außerdem zu, den russischen Luftraum für US-Transporte nach Afghanistan zu öffnen.
  • Bei einem US-Raketenangriff im Westen Pakistans sind am 7. Juli mindestens zehn Menschen getötet worden. Nach Angaben der pakistanischen Sicherheitskräfte wurde die Rakete von einem unbemannten Flugzeug aus abgefeuert. Die Rakete ist in einer Hochburg des Fundamentalistenführers Baitullah Mehsud in Süd-Waziristan nahe der Grenze zu Afghanistan eingeschlagen. Der Angriff zeigt, dass die USA ihren Militäreinsatz gegen El Kaida auf Pakistan ausweiten.
  • Bei einem Anschlag mit einer Handgranate wurde im Osten des Landes in der Provinz Chost ein Mensch getötet. 28 weitere erlitten Verletzungen. Der Angriff galt zwar einem Polizeifahrzeug, bei den Opfern habe es sich zumeist um Zivilpersonen gehandelt, sagte ein Krankenhausmitarbeiter, Abdul Madschid Mangal.
  • Laut Angaben aus pakistanischen Geheimdienstkreisen wurden am 8. Juli mindestens 45 Menschen bei US-Luftangriffen in der pakistanischen Region Süd-Waziristan getötet. Ziel des ersten Raketenangriffs sei ein Trainingslager der Taliban nahe der afghanischen Grenze gewesen. Wenige Stunden später hätten Raketen 20 Kilometer weiter östlich vier Fahrzeuge mit militanten Taliban getroffen. Dabei seien mindestens 35 Aufständische getötet worden, darunter wahrscheinlich auch Maulana Fazlulla, der Führer der Taliban im pakistanischen Swat-Tal. Die USA haben nach einer Zählung der Nachrichtenagentur AP seit August 2008 mehr als 40 derartige Angriffe auf Ziele im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan ausgeführt. Washington hat dies bislang nicht offiziell bestätigt. Dass dabei auch Zivilpersonen getötet wurden, belastet das amerikanisch-pakistanische Verhältnis.
  • Deutschland hat die finanzielle Unterstützung für die Polizeiausbildung in Afghanistan weiter aufgestockt. Das Auswärtige Amt stellte noch einmal 7,5 Millionen Euro bereit, um die Zahl der deutschen Ausbilder am Hindukusch zu erhöhen.
  • Bei Kämpfen in der Provinz Helmand wurden am 8. Juli zwei britische Soldaten getötet.
  • Bundeswehr-Soldaten haben sich am 9. Juli im Norden Afghanistans erneut ein Feuergefecht mit Aufständischen geliefert. Die Bundeswehr teilte mit, Soldaten seien nicht verletzt oder getötet worden. Ein deutscher Konvoi sei in der Nacht in der Provinz Baghlan aus einem Hinterhalt heraus mit Handfeuerwaffen und Panzerfäusten beschossen worden. Die Soldaten hätten das Feuer erwidert.
  • In der Nähe Kabuls wurden am Morgen des 9. Juli mindestens 25 Menschen getötet. Die Toten seien 21 Zivilisten, darunter auch Schulkinder, sowie vier Polizisten, sagte der örtliche Polizeichef. Vier Menschen, darunter drei Kinder, wurden verletzt. Die Opfer hatten versucht, ein offenbar absichtlich umgestürztes Auto von einer Straße zu räumen, als der in dem Wagen versteckte Sprengstoff ferngezündet wurde.
  • Bei einer Bombenexplosion im Süden Afghanistans wurden zwei NATO-Soldaten getötet.
  • Pakistanische Streitkräfte haben am 9. Juli eine Offensive gegen Taliban-Führer Baitullah Mehsud gestartet. Bei Angriffen pakistanischer Kampfflugzeuge auf Verstecke militanter Gruppen nahe der Grenze zu Afghanistan sind nach Informationen aus Geheimdienstkreisen 24 Aufständische getötet worden. Pakistanische Sicherheitskräfte nahmen bei Razzien in der Region Mohmand im Nordwesten des Landes 40 mutmaßliche Militante gefangen. Es soll sich bei den Festgenommenen laut Vizechef der Regionalverwaltung, Sayed Ahmad Khan, um Anhänger von Mehsud handeln.
  • In England nimmt die Kritik am Afghanistan-Einsatz stark zu. Am 10. Juli kamen 8 britische Soldaten ums Leben. Damit stieg die Zahl der bei Großoffensive der Alliierten in Südafghanistan getöteten britischen Soldaten auf 15. Insgesamt wurden in Afghanistan bislang 184 Angehörige der britischen Truppen getötet, Kritiker, unter Anderem der Oppositionsführer David Cameron, bemängeln die mangelnde Ausrüstung der britischen Truppen. Premierminister Gordon Brown und Außenminister David Miliband halten jedoch an der Afghanistan-Strategie Englands fest.
  • Pakistanische Kampfflugzeuge griffen im Rahmen der Offensive gegen Taliban-Führer Mehsud am 12. Juli mutmaßliche Stellungen der Taliban in Süd-Waziristan an. Dabei wurden mindestens acht Aufständische getötet. In der Khyber-Region Pakistans nahm die Polizei bei einer Razzia elf Männer fest, die an Anschlägen auf Konvois zur Versorgung der US- und NATO-Truppen in Afghanistan beteiligt gewesen sein sollen.
  • Bei mehreren Anschlägen und Gefechten wurden mindestens acht Menschen getötet. In der Provinz Kunar wurde am 11. Juli eine Zivilperson bei einem Schusswechsel zwischen Aufständischen und afghanischen und internationalen Truppen getötet. In Paktia wurden bei einem Feuergefecht nach Angaben der Provinzregierung zwei Aufständische und ein Polizist getötet. Bei der Explosion eines an einer Straße versteckten Sprengsatzes kamen nach Angaben der Polizei am 12. Juli vier Polizisten in der Provinz Logar ums Leben.
  • US-Präsident Barack Obama will den Ausbau der afghanischen Armee deutlich vorantreiben. Nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan am 20. August müsse ein Schwerpunkt auf den Ausbau der landeseigenen Armee und Polizei gelegt werden, sagte Obama am 12. Juli dem britischen Sender Sky News. Obama sprach sich dafür aus, nach der Präsidentschaftswahl die Strategien für Afghanistan noch einmal zu überprüfen. Dabei solle es nicht nur um unmittelbare Sicherheitsfragen, sondern beispielsweise auch um landwirtschaftliche Entwicklung gehen. Zudem müsse eine Justiz aufgebaut werden, der die Afghanen vertrauten. Präsident Obama sprach auch von ersten Erfolgen im Kampf gegen die radikalislamischen Taliban, die Alliierten wäre es mit ihrer Großoffensive im Süden Afghanistans gelungen, die Aufständischen zurückzudrängen.
Montag, 13. Juli, bis Sonntag, 19. Juli
  • Am 13. Juli ist der Al-Kaida-Prozess gegen den Deutsch-Pakistaner Aleem N. zu Ende gegangen. Das Oberlandesgericht Koblenz verurteilte den 47-Jährigen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu acht Jahren Haft. Unter dem Deckmantel einer bürgerlichen Existenz hatte der gelernte Maschinenbauer jahrelang Geld, Ausrüstung und Rekruten für den «Heiligen Krieg» ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet geschickt, möglicherweise auch um so Anschläge in Deutschland vorzubereiten.
  • Bei einem Angriff von Aufständischen im Osten Afghanistans ist am 13. Juli ein US-Soldat getötet worden. Bei dem Zwischenfall in der Kleinstadt Bargh-e-Matal in der Provinz Nuristan wurden auch mehrere Soldaten verletzt, wie eine Sprecherin der US-Streitkräfte am Montag mitteilte. Damit sind in diesem Jahr in Afghanistan nach einer Zählung der AP bereits 105 US-Soldaten getötet worden. Im gesamten Vorjahr waren 151 Soldaten ums Leben gekommen.
  • In der östlichen Provinz Wardak wurden bei einem Selbstmordanschlag ein Bezirkspolizeichef und seine drei Wachleute getötet, wie das Büro des Gouverneurs mitteilte.
  • Bei Kämpfen im Nordwesten Pakistans sind nach Regierungsangaben mindestens 23 Extremisten getötet worden. Eine von der Regierung unterstützte Bürgermiliz lieferte sich am Montagabend ein erbittertes Gefecht mit den Extremisten.
  • Am 14. Juli sind beim Absturz eines Hubschraubers mit zivilen Helfern der ausländischen Truppen im Süden Afghanistans sieben Menschen getötet worden. Nach Angaben der NATO und einheimischer Behörden starben dabei sechs Passagiere des Helikopters sowie ein Kind am Boden. Die radikalislamischen Taliban, gegen die Soldaten aus Großbritannien und den USA in der Region derzeit kämpfen, gaben an, den Helikopter abgeschossen zu haben.
  • Das Terrornetzwerk El Kaida hat in Pakistan zum Kampf gegen den wachsenden US-Einfluss in der Region aufgerufen. In einer englischsprachigen Videobotschaft forderte El-Kaida-Vizechef Aiman el Sawahiri die Pakistaner zum Widerstand gegen den US-geführten "Kreuzzug" im eigenen Land und im benachbarten Afghanistan auf.
  • Im Süden Afghanistans haben militante Taliban am 15. Juli einen Konvoi mit Nachschub für die afghanischen Streitkräfte angegriffen. Bei dem folgenden Schusswechsel wurden nach Angaben eines Sprecher der Provinzregierung von Paktika 21 Aufständische und 3 Grenzpolizisten getötet. Der von mehr als 80 privaten Sicherheitsleuten begleitete Konvoi wurde am Mittwoch kurz nach Überqueren der afghanisch-pakistanischen Grenze angegriffen.
  • Am 16. Juli wurde bekannt, dass Häftlinge im US-Gefangenenlager Bagram zum Zeichen des Widerstands gegen ihren rechtlichen Status seit dem 1. Juli Protestaktionen durchführen. Sie verweigern die Teilnahme an Freizeitaktivitäten, Besuchen ihrer Familie oder an vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) vermittelten Video-Telefonkonferenzen.
  • Die USA erwägen nach Angaben von Verteidigungsminister Robert Gates eine noch größere Aufstockung der Truppen in Afghanistan als bislang bereits geplant. Hintergrund ist die Tatsache, dass der Juli 2009 der tödlichste Monat für die NATO und ihre Schutztruppe ISAF seit Beginn des Krieges vor fast acht Jahren ist. Das kanadische Verteidigungsministerium teilte am 16. Juli mit, ein kanadischer Soldat sei am Morgen in der Nähe von Kandahar getötet worden. Damit hat die ISAF bereits zur Monatsmitte 47 Soldaten verloren - einen mehr als in den zuvor tödlichsten Monaten Juni und August 2008.
  • Ein Bombenanschlag auf einen Kleinbus hat am 17. Juli im Süden Afghanistans elf Menschen das Leben gekostet. Unter den Toten waren fünf Kinder, wie die Behörden am Freitag mitteilten. Die Menschen waren auf dem Weg zu einem Schrein, als ihr Fahrzeug in der Region Kandahar angegriffen wurde.
  • Im Osten Afghanistans ist am 18. Juli ein Kampfflugzeug der US- Streitkräfte abgestürzt, zwei US-Soldaten kamen ums Leben.
  • Kommandeure der Taliban drohen der US-Regierung, den Anfang Juli entführten US-Soldaten zu töten, falls die Streitkräfte nicht in zwei Bezirken im Südosten des Landes in den Provinzen Ghasni und Paktika auf Luftangriffe verzichten würden. Am 19. Juli veröffentlichten die Taliban ein Video des verschleppten Soldaten.
  • Im Norden Afghanistans haben Bundeswehrsoldaten am 19. Juli mindestens eine afghanische Zivilperson erschossen. Die genaue Zahl der Todesopfer ist noch umstritten, der afghanische Provinzgouverneur Mohammad Omar spricht von drei Todesopfern, das Verteidigungsministerium von einem Opfer. Wie die Bundeswehr in Berlin mitteilte, fuhr in der Nähe von Kundus ein mit sechs Personen besetztes Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit auf eine Stellung deutscher Truppen zu. Der Fahrer habe auf Warnschüsse nicht reagiert, und die Soldaten hätten daraufhin gezielt auf den Wagen geschossen.
  • Bei einem Bombenanschlag in der Provinz Farah im Südwesten des Landes sind am 19. Juli elf Menschen ums Leben gekommen. Wie die örtlichen Behörden mitteilten, waren die Männer am Vortag mit einem Kleinbus unterwegs, als am Straßenrand ein Sprengsatz hochging.
  • Bei einem Hubschrauberabsturz sind auf der Militärbasis in Kandahar 16 Menschen ums Leben gekommen. Der Hubschrauber hatte Zivilisten befördert, die für die internationalen Streitkräfte am Hindukusch im Einsatz waren.
Montag, 20. Juli bis Sonntag, 26. Juli
  • Bei Gefechten zwischen Sicherheitskräften und Extremisten sind im Nordwesten Pakistans binnen 24 Stunden mindestens 20 Menschen getötet worden. Allein 15 Tote gab es im Swat-Tal, wie die Streitkräfte am Montag mitteilten. Nahe der Stadt Dardial wurden demnach zwölf mutmaßliche Aufständische erschossen, auch ein Soldat kam ums Leben. Zwei weitere Extremisten wurden in der Ortschaft Ghul Shah getötet. Bewaffnete haben am 20. Juli im Nordwesten Pakistans eine Polizeipatrouille in einen Hinterhalt gelockt und vier Beamte getötet. Der Angriff ereignete sich in der Nähe von Peshawar auf einer Straße, die zum Khyber-Pass führt, der wichtigsten Nachschubroute für US- und NATO-Truppen im benachbarten Afghanistan.
  • Laut US-Verteidigungsminister Robert Gates soll die US-Armee um 22 000 Mann auf 569 000 Soldaten vergrößert werden. Grund sind die Belastungen durch die Kriege in Afghanistan und im Irak. Die Vergrößerung der US-Armee sei über die nächsten drei Jahre geplant, so Gates.
  • Ein ISAF-Kampfflugzeug ist am 20. Juli beim Start auf dem Luftwaffenstützpunkt in Kandahar im Süden des Landes verunglückt. Die beiden Besatzungsmitglieder überlebten.
  • Nach dem Tod eines afghanischen Zivilisten nach tödlichen Schüssen von Bundeswehrsoldaten am 19. Juli prüft die Staatsanwaltschaft Potsdam, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss.
  • Mit einer Serie von fast zeitgleichen Anschlägen haben die Taliban am 21. Juli Regierungsgebäude und eine US-Militärbasis angegriffen. In der ostafghanischen Stadt Gardes richteten sich die Anschläge gegen den Amtssitz des Gouverneurs, der von einer Rakete getroffen wurde, das Geheimdienstbüro und eine Polizeiwache. In der Nähe der ostafghanischen Stadt Dschalalabad griffen Aufständische fast zur gleichen Zeit eine US-Militärbasis an. Amerikanische und afghanische Soldaten töteten nach offiziellen Angaben zwei der Angreifer und nahmen einen dritten fest.
  • Wie Verteidigungsminister Franz Josef Jung und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, am 22. Juli bestätigten, gehen etwa 300 deutsche Soldaten seit dem 19. Juli mit der bisher größten Militäroffensive der Bundeswehr in Afghanistan gegen die Taliban im Raum Kundus vor. Der Einsatz wird von der afghanischen Armee geleitet und von der Bundeswehr unter Einsatz von Mörsern und Schützenpanzern unterstützt. Jung bekräftige erneut, dass der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan nicht als Krieg zu bezeichnen sei, sondern als Stabilisierungseinsatz. Angesichts der zunehmenden Gefechte in Nordafghanistan forderte er die Einrichtung einer «Schwerpunktstaatsanwaltschaft», die sich zentral mit strafrechtlich relevanten Taten im Einsatz befasse und die der besonderen Einsatzsituation Rechnung trage. Die Soldaten im Einsatz benötigten mehr Rechts- und Verhaltenssicherheit, als dies momentan der Fall wäre. In einem Interview mit der Münsterschen Zeitung kritisierte der Grünen-Politiker Winfried Nachtwei am 23. Juli, dass die Bundesregierung mit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr nie offen, ehrlich und konkret umgegangen sei und Fakten beschönigt habe.
  • Bei Bombenexplosionen im Süden von Afghanistan sind am 22. Juli zwei US-Soldaten und ein Brite getötet worden.
  • Der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammad Omar, sagte am 23. Juli, deutsche und afghanische Soldaten hätten den Unruhedistrikt Char Darah in Nordafghanistan wieder unter ihre Kontrolle gebracht und die Taliban aus der Region vertrieben. Die Einsätze im Großraum des deutschen Lagers Kundus werden von der US-Armee mit Luftangriffen unterstützt
  • Bei einem Wahlkampfauftritt am 24. Juli hat der afghanische Präsident Hamid Karsai versprochen, die internationalen Truppen stärker für Opfer unter der Zivilbevölkerung, für Razzien und willkürliche Festnahmen verantwortlich zu machen. Die Präsidentschaftswahl findet am 20. Juli statt, westliche Geheimdienste befürchten am Tag der Wahl eine «Welle von Anschlägen» der Taliban überall im Land. Am 25. Juli überlebte der Kandidat für das Amt des Vize-Präsidenten, Mohammad Kasim Fahim, einen Anschlag auf seine Fahrzeigkolonne nur knapp.
  • Am 25. Juli überfielen schwer bewaffnete Taliban die Polizeiwache afghanischen Stadt Chost nahe der Grenze zu Pakistan und verletzten 14 Menschen. In der Provinz Helmand wurde ein britischer Soldat bei der Explosion einer am Straßenrand versteckten Bombe getötet.
Montag, 27. Juli, bis Freitag, 31. Juli
  • Der afghanische Präsident Hamid Karsai sagte der Nachrichtenagentur AP am 27. Juli, er sei bereit zu Gesprächen mit Taliban-Anführern, die öffentlich der Gewalt abschwören. Ein erster Schritt in diese Richtung ist ein Waffenstillstandsabkommen, das die afghanische Regierung und ein Taliban-Kommandeur im Bezirk Bala Morghab im Nordwesten Afghanistans geschlossen haben. Der Sprecher Karsais erklärte, die Regierung strebe ähnliche Übereinkünfte auch für andere Landesteile an.
  • Der britische Premier Gordon Brown verkündete am 27. Juli das Ende der Großoffensive „Pantherkralle“ gegen die Taliban in der südafghanischen Provinz Helmand. Der britische Außenminister David Miliband schlug in einer Rede im NATO-Hauptquartier in Brüssel am 27. Juli ein Ausstiegsprogramm für moderate Taliban vor, die aus finanziellen Gründen oder aus Zwang für die Taliban kämpften. Nötig seien konkrete Initiativen, die alternative Einkommensquellen für die Aufständischen schaffen würden. Außerdem forderte Miliband eine gerechtere Lastenverteilung beim NATO-Einsatz in Afghanistan und kritisierte, dass einige NATO-Partner, unter Anderem Deutschland, die Stationierung von Truppen im Süden des Landes ausschließen würden.
  • Bei einer Bombenexplosion im Süden Afghanistans sind am 27. April zwei britische Soldaten getötet worden. Die Soldaten waren im besonders hart umkämpften Helmand im Einsatz, dem Zentrum des afghanischen Opiumanbaus und einer Hochburg der Taliban.
  • SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold lobte in der "Frankfurter Rundschau" vom 28. Juli die Verschärfung der Bundeswehr-Einsatzregeln für Afghanistan, da die neuen Regeln zum offensiveren Einsatz von Waffen der tatsächlichen Entwicklung in Afghanistan Rechnung trügen. Der Verteidigungsexperte der Linken, Paul Schäfer, warnte dagegen vor einer weiteren Entgrenzung des Gewalteinsatzes. Die neue „Taschenkarte“ erlaubt es Bundeswehrsoldaten, auch vorbeugend Gewalt einsetzen zu dürfen. Bisher durften die Soldaten Schusswaffen nur zur Abwehr eines unmittelbaren Angriffs einsetzen.
  • Montenegro wird sich am NATO-Einsatz in Afghanistan beteiligen. Am 28. Juli stimmte das Parlament der Entsendung von 40 Soldaten zu. Montenegro, das seit 2006 unabhängig ist, ist noch kein NATO-Mitglied, strebt aber eine Mitgliedschaft an.
  • In einer am 28. Juli in der britischen Tageszeitung „Independent“ veröffentlichten Umfrage sprachen sich die 52 Prozent der Befragten für einen sofortigen Abzug der britischen Truppen aus Afghanistan aus. 58 Prozent der Befragten meinten, dass der Kampf gegen die Taliban nicht gewonnen werden kann. Die Umfrage erhöht den Druck auf Premier Gordon Brown, der angesichts der steigenden Zahl getöteter britischer Soldaten und einer immer hitzigeren öffentlichen Diskussion um den Afghanistan-Einsatz unter Erklärungszwang steht. Trotz der wachsenden Ablehnung in der Bevölkerung sagte der britische Außenminister David Miliband nach einem Treffen mit US-Außenministerin Hilary Clinton am 29. Juli den USA weitere Unterstützung für den Afghanistan-Einsatz zu.
  • Die NATO habe aufgrund ihrer neuen Strategie, den Schutz der Zivilbevölkerung in den Mittelpunkt des ISAF-Einsatzes zu stellen, die Zahl der Luftangriffe in Afghanistan deutlich reduziert, erklärte NATO-Sprecher James Appathurai am 29. Juli in Brüssel. Seit der Reduzierung der Luftangriffe seien auch die Klagen über den Tod von Zivilisten zurückgegangen. Der Strategiewechsel begann mit Amtsantritt des neuen ISAF-Kommandeurs Stanley McChrystal am 15. Juni.
  • Kurz nach der Waffenstillstands-Vereinbarung der afghanischen Regierung mit den Taliban in der Provinz Badghis wurde dieser bereits wieder von den Taliban gebrochen. In einem Hinterhalt der Taliban wurden am 29. Juli zwei afghanische Polizisten verletzt und der Waffenstillstand damit beendet, teilte das Innenministerium in Kabul mit.
  • Die britischen Streitkräfte in Süd-Afghanistan haben am 30. Juli ihre Offensive gegen die Taliban in Helmand beendet und als Sieg bewertet. An der fünfwöchigen Operation "Pantherkralle" hatten sich etwa 3000 britische Soldaten beteiligt, unterstützt von amerikanischen und dänischen Verbänden.
  • Am 30. Juli teilte das Verteidigungsministerium mit, die Großoffensive gegen die Taliban in der Region Kundus sei beendet. Der gemeinsame Einsatz von 900 afghanischen Sicherheitskräften und 300 Bundeswehr-Soldaten begann am 19. Juli und hatte eine Sicherung der Region vor der Präsidentschaftswahl am 20. August zum Ziel.
  • In einer am 30. Juli verbreiteten Internetbotschaft riefen die Taliban die afghanische Bevölkerung zu einem Boykott der Präsidentschaftswahl auf und drohten mit der Blockade von Straßen zu Wahllokalen.
  • Am 31. Juli wurde ein UN-Bericht über in Afghanistan getötete Zivilpersonen veröffentlicht. Die Gesamtzahl der zivilen Toten in der ersten Jahreshälfte 2009 gaben die UN mit 1.013 an, 24 Prozent mehr als im selben Zeitraum in 2008 und 48 Prozent mehr als in 2007. Die internationalen Truppen seien für den Tod von 310 Zivilpersonen (ungefähr 30 Prozent der Opfer) verantwortlich, die Taliban für den von 595 (ungefähr 60 Prozent). Bei den übrigen Zivilopfern sei ungeklärt, wer für deren Tod verantwortlich ist. Die meisten Zivilisten würden von Bombenanschlägen der Aufständischen und von Luftangriffen der internationalen Truppen getötet. Insbesondere die Anschläge der Taliban und anderer militanter Rebellen seien in der ersten Hälfte 2009 folgenschwerer verlaufen als früher, weil die Aufständischen statt Überfällen aus dem Hinterhalt auf die internationalen Truppen vermehrt Selbstmordanschläge und Sprengfallen am Straßenrand benutzen würden.


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