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Chronik Afghanistan
Juli 2008
Dienstag, 1. Juli, bis Sonntag, 6. Juli
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Es sind drastische Zahlen, die Europas Nato-Oberbefehlshaber John Craddock am 2. Juli in Wien zu verkünden hatte. Die Zahl der Zusammenstöße zwischen Taliban und der Nato-Schutztruppe Isaf sei seit dem Frühjahr um 41 Prozent gestiegen, sagte der US-General - und schickte einen Forderungskatalog hinterher: Die Nato-Truppen im Land bräuchten eine bessere Ausrüstung, um schneller am Einsatzort zu sein, außerdem weniger Beschränkungen durch ihre Regierungen. Die Truppen seien "oft ziemlich unbeweglich, weil wir nicht die nötige taktische Mobilität haben". Der General schlägt deshalb so vernehmlich Alarm, weil der Afghanistan-Krieg in der öffentlichen Wahrnehmung lange hinter dem Feldzug im Irak zurückgetreten war - in Wahrheit aber inzwischen wieder der gefährlichere Brennpunkt für den Westen ist. Viele US-Militärs und -Politiker äußern offen ihre Sorge um die ohnehin spärlichen Erfolge in dem Land. Dass Afghanistan so lange in Vergessenheit geraten war, lag neben der jahrelangen relativen Ruhe an zwei Gründen: Dort sind viel weniger US-Soldaten stationiert als im Irak, rund 30.000 verglichen mit rund 144.000. Zweitens versuchte die Regierung von George W. Bush vehement, den Einsatz in Afghanistan als Erfolgsgeschichte im Kampf gegen den Terror zu vermarkten. Schlechte Nachrichten passten kaum ins Programm.
- 4. Juli: In der südafghanischen Provinz Kandahar ist ein afghanischer Parlamentsabgeordneter getötet worden. Unbekannte hätten ihn von einem Motorrad aus erschossen, als er sein Haus verließ. Der Politiker und Stammesfürst Hadschi Habibullah Sanzani ist bereits der zehnte Abgeordnete des Parlaments in Kabul, der in den vergangenen zwölf Monaten gewaltsam ums Leben kam. Vertreter der radikal-islamischen Taliban wiesen jede Verantwortung für den Mord zurück.
- Knapp ein Jahr nach der Entführung von zwei deutschen Bauingenieuren in Afghanistan ist der mutmaßliche Kopf der Geiselnehmer getötet worden. Mullah Nisamuddin sei bei einem Gefecht mit den von den USA geführten Koalitionstruppen in der afghanischen Provinz Wardak ums Leben gekommen, teilte am 5. Juli ein Sprecher des Innenministeriums in Kabul mit.
- 6. Juli: Bei einem Anschlag in Nordafghanistan sind nach Angaben der Bundesregierung zwei Polizisten leicht verletzt worden. "Zwei deutsche Polizisten sind betroffen von dem Anschlag, die allerdings nur leichte Verletzungen davongetragen haben", sagte ein Sprecher des Innenministeriums am 6.Juli in Berlin. Das gepanzerte Auto und ein entgegenkommendes Fahrzeug seien beschädigt worden.
- Bei US-geführten Luftangriffen im Osten Afghanistans sind am 6.Juli nach afghanischen Angaben 47 Zivilisten getötet worden. Bei den Angriffen sei eine Hochzeitsgesellschaft getroffen worden, teilte am Freitag eine vom afghanischen Präsidenten Hamid Karsai eingesetzte neunköpfige Untersuchungskommission mit. "Wir haben herausgefunden, dass 47 Zivilisten, mehrheitlich Frauen und Kinder, bei dem Luftangriff getötet und dass neun weitere Menschen verletzt wurden", sagte der Kommissionsleiter Burhanullah Schinwari. Es habe keinerlei Verbindung zwischen den radikalislamischen Taliban oder dem Terrornetzwerk Al-Kaida und den Opfern gegeben. "Wenn sich solche Vorfälle fortsetzen, wird die Bevölkerung zur Regierung auf Distanz gehen", sagte Schinwari weiter. Die US-geführten internationalen Streitkräfte hatten bestritten, dass Zivilisten bei den Angriffen in der östlichen Provinz Nangarhar getötet wurden. Sie hatten von Opfern unter den Aufständischen gesprochen. Derzeit sind rund 70.000 ausländische Soldaten in Afghanistan stationiert. Seit Anfang 2008 kamen bereits rund 700 Zivilisten ums Leben.
Montag, 7. Juli, bis Sonntag, 13. Juli
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7. Juli: Bei einem verheerenden Selbstmordanschlag auf die indische Botschaft in Kabul ist die Zahl der Opfer auf mehr als 40 gestiegen. Aus dem Innenministerium in der afghanischen Hauptstadt hieß es, mindestens 44 Menschen seien getötet worden, die meisten davon Zivilisten. Der Anschlag ist damit der schwerste in Kabul seit dem Sturz des radikalislamischen Taliban-Regimes Ende 2001.
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9. Juli: Der US-General David D. McKiernan, als Befehlshaber der ISAF-Truppen in Afghanistan und der Stellvertretende Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Generalmajor Rainer Glatz, entbinden Brigadegeneral Dieter Dammjacob von der Führung des Regionalkommandos Nord (RC N) sowie des 16. Deutschen Einsatzkontingentes und übertragen die Verantwortung auf Brigadegeneral Jürgen Weigt.
- 11. Juli: Die Nato erwägt, in Afghanistan Awacs-Aufklärungsflugzeuge einzusetzen - und stößt damit in Deutschland auf deutliche Kritik. Gegen die von der Nato erwogene Entsendung von Awacs-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan haben Politiker von SPD und Grünen Einwände erhoben. "Ein Einsatz würde falsche Signale senden und unnötige Befürchtungen schüren", sagte der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold der Berliner Zeitung unter Hinweis darauf, dass mit Hilfe der fliegenden Kontrollzentren Operationen auch außerhalb Afghanistans gesteuert werden könnten, etwa in den Nachbarländern Pakistan oder Iran.
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13. Juli: Ein Selbstmordattentäter hat bei einem Anschlag auf einem belebten Markt im Süden Afghanistans mindestens 24 Menschen mit in den Tod gerissen. Wegen der zunehmenden Gewalt in den afghanischen Unruheprovinzen und den Gefechten zwischen ISAF-Truppen und Rebellen erwägen die USA ihre Truppen in Afghanistan zu verstärken - und dafür Soldaten aus dem Irak abzuziehen.
Montag, 14. Juli, bis Sonntag, 20. Juli
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14. Juli: Die Taliban haben eine Stellung der Internationalen Schutztruppe ISAF in Afghanistan angegriffen: Neun amerikanische Soldaten wurden getötet. Es waren die schwersten Verluste der ISAF bei einem Gefecht mit den Taliban in diesem Jahr. Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich seit Jahresbeginn zunehmend verschlechtert. 124 ausländische Soldaten und rund 700 Zivilisten kamen seitdem ums Leben. Die USA erwägen deshalb laut einem Pressebericht, ihre Truppen in dem Land zu verstärken und dafür Streitkräfte aus dem Irak abzuziehen.
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Die Provinzregierung von Nuristan, einer afghanischen Provinz im Osten des Landes, erhebt schwere Anschuldigungen gegen die US-Armee. Nach Angaben eines Sprechers des Gouverneurs hat die US-Armee ein Gebäude im Distrikt Whanat Waigle bombardiert und dabei mindestens 30 Zivilisten getötet und 14 weitere schwer verletzt.
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15. Juli: Der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama will im Fall seiner Wahl den Irak-Krieg "verantwortungsvoll" beenden und sich stattdessen auf den Militäreinsatz in Afghanistan konzentrieren. In einer außenpolitischen Rede in Washington bekräftigte er die Absicht, innerhalb von 16 Monaten alle Kampfbrigaden aus dem Irak abzuziehen und mindestens zwei solcher Einheiten zusätzlich nach Afghanistan zu schicken. Weiter will sich Obama um größere Beiträge der Verbündeten in Afghanistan "mit weniger Beschränkungen" bemühen.
- 16. Juli: Bei schweren Gefechten im afghanischen Grenzgebiet zu Pakistan sind nach Regierungsangaben mehr als 150 radikalislamische Aufständische getötet worden. Der Sprecher der Regierung der südostafghanischen Provinz Paktika, Ghamai Chan Mohammed Yari, sagte, in der Nacht zuvor seien mehr als 350 Rebellen von Pakistan aus nach Paktika eingedrungen. Die afghanische Armee und die Grenzpolizei hätten die Angreifer mit Unter-stützung durch US-Luftangriffe nach einstündigen Gefechten zurückgeschlagen. Die meisten der Toten seien Pakistaner gewesen. Nach einem schweren Angriff der Taliban auf einen amerikanischen Außenposten hat die Internationale Schutztruppe Isaf den Stützpunkt in der ostafghanischen Provinz Kunar aufgegeben.
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17. Juli: Irak immer besser, Afghanistan immer brenzliger: So lautet die Sicherheitsanalyse von US-Verteidigungsminister Gates. Deshalb wollen die USA weitere Truppen an den Hindukusch schicken. Und auch Pakistan rückt ins Blickfeld des Militärs.
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In Afghanistan sind zwei Mitarbeiter einer französischen Hilfsorganisation entführt worden. Die beiden Franzosen wurden am 18. Juli in den frühen Morgenstunden in ihrem Haus in Nili in der zentralen Provinz Day Kundi von einer Gruppe Bewaffneter aus dem Schlaf gerissen und entführt, wie die Hilfsorganisation Action Contre la Faim (ACF) mitteilte.
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19. Juli: Zum Auftakt seiner internationalen Wahlkampftour ist der designierte Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten, Barack Obama, überraschend nach Afghanistan gereist. "Ich bin gespannt darauf zu sehen wie die Situation vor Ort ist", sagte Obama.
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19. Juli: Der französische Verteidigungsminister Hervé Morin hat dem afghanischen Präsidenten Hamid Karzai in Kabul Hilfe beim Kampf gegen die Taliban zugesagt. Rund 700 weitere Soldaten sollen die Isaf-Truppe der westlichen Militärallianz unterstützen.
- 20. Juli: Soldaten der Internationalen Schutztruppe Isaf haben nach eigenen Angaben im Südosten Afghanistans versehentlich vier Zivilisten getötet und vier weitere Menschen verletzt. Wie die Nato-geführte Isaf mitteilte, hatten am Vortag in der Provinz Paktika zwei abgefeuerte Mörsergranaten ihr Ziel verfehlt. Die Verletzten seien von Isaf-Kräften medizinisch versorgt worden. Unterdessen kamen bei Kämpfen zwischen ausländischen Truppen und einheimischen Sicherheitskräften in der westlichen Provinz Farah mindestens neun afghanische Polizisten ums Leben, fünf weitere wurden nach Behördenangaben verletzt. Bislang ist nicht bekannt, ob Isaf oder US-geführte Koalitionstruppen in den Vorfall verwickelt waren. Zivile Opfer bei Operationen ausländischer Truppen in Afghanistan sorgen in der Bevölkerung für zunehmenden Unmut. Die Regierung in Kabul und die Vereinten Nationen haben Isaf und US-Koalition mehrfach aufgefordert, vorsichtiger zu agieren. Erst Anfang Juli waren bei einem US-Luftangriff in der östlichen Provinz Nangarhar 47 Zivilisten getötet worden, darunter 39 Frauen und Kinder.
Montag, 21. Juli, bis Donnerstag, 31. Juli
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24. Juli: Ein früherer Drogenbekämpfer in der US-Botschaft in Afghanistan hat Präsident Hamid Karsai beschuldigt, den Kampf gegen das Rauschgift zu behindern. Karsais Regierung sei massiv in den Schutz der Drogen-Barone verwickelt, schrieb Thomas Schweich in einem im Internet veröffentlichten Beitrag für die Sonntagsbeilage der New York Times. Wie auch die Taliban verdienten viele Anhänger des Präsidenten am Rauschgifthandel. Schweich, der im Juni aus dem Drogendezernat des Außenministeriums ausgeschieden war, schrieb weiter, der Einfluss der Rauschgift-Barone reiche bis in die Spitzen der Regierung. Drogenhändler hätten Hunderte Polizeiführer, Richter und andere Beamte geschmiert.
- 25. Juli: Außenminister Steinmeier ist überraschend nach Afghanistan gereist. In Herat übergab er eine mit deutscher Hilfe erbaute Trinkwasserversorgung an die Bevölkerung. Der Minister sicherte Afghanistan dabei die weitere Unterstützung Deutschlands zu.
- 26. Juli: Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat Afghanistan die weitere Unterstützung Deutschlands bei Aufbau und Reform von Armee und Polizei zugesichert. Die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich im vergangenen Jahr verschlechtert und die Aggressivität der im Süden des Landes aktiven aufständischen Kräfte sei größer geworden, sagte Steinmeier am Samstag in einer von Deutschland aufgebauten Ausbildungsstätte für die afghanische Armee in Kabul. Aus diesem Grund müsse die Ausbildung von Soldaten und Polizisten in Afghanistan forciert werden. Die Internationale Gemeinschaft und Deutschland stünden dabei fest an der Seite Afghanistans.
- 27. Juli: Nato-Truppen haben bei einem Luftangriff im Südosten Afghanistans mehrere Dutzend Taliban getötet. Zuvor hatten die radikalislamistischen Kämpfer ein Verwaltungs-gebäude der Stadt Sepra angegriffen und mehrere Polizisten getötet.
- 30. Juli: Bei einem der schwersten Anschläge in Afghanistan seit dem Sturz der Taliban sind mindestens 30 Menschen getötet worden
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