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Chronik Afghanistan

November 2006


Mittwoch, 1. November, bis Sonntag, 5. November
  • Die NATO verfügt nach eigenen Angaben in Afghanistan nicht über genügend Soldaten für einen baldigen Sieg über die aufständischen Taliban. Die Zahl der in dem Land stationierten NATO-Soldaten reiche nicht aus, um die Rebellen innerhalb der kommenden sechs Monate zu besiegen, sagte der NATO-Kommandeur für Afghanistan, General David Richards, der britischen Zeitung "Financial Times" vom 1. Nov. Die Allianz werde sich deshalb in den kommenden Wintermonaten stärker auf die Aufgaben des Wiederaufbaus konzentrieren. Es sei auch "ohne riesige zusätzliche Truppenkontingente" möglich, durch "wesentliche Verbesserungen" das Vertrauen der Menschen in die NATO-Truppen und in ihre Regierung zu stärken, betonte Richards.
  • Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat am 1. Nov. seine Reise durch Mittelasien mit einem Besuch in Usbekistan fortgesetzt. Aus dem nördlichen Nachbarland Kasachstan kommend, traf Steinmeier zunächst zu politischen Gesprächen in der Hauptstadt Taschkent ein. Anschließend wollte er in die alte Seidenstraßenmetropole Buchara weiterfliegen. Deutschland unterhält im usbekischen Termes einen Bundeswehrstützpunkt, von dem aus die deutschen ISAF-Truppen in Afghanistan versorgt werden.
  • Deutsche Elitesoldaten sind nach Informationen des Magazins "Stern" vom 1. Nov. in Afghanistan mit Wehrmachtsymbolen aufgetreten. Der Zeitschrift zufolge verwendeten KSK-Angehörige 2001 ein solches nachgemachtes Symbol auf einem Geländewagen. Im Skandal um Totenschändungen wurden inzwischen insgesamt sechs Soldaten vom Dienst suspendiert. Der Kreis der mutmaßlich Beteiligten hat sich von 20 auf 23 Soldaten erhöht. Bei den drei neuen Verdächtigen handelt es sich um Mitglieder der Saarlandbrigade in Zweibrücken.
  • Nach den Vorwürfen gegen Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK), Wehrmachtssymbole auf einen Bundeswehrwagen in Afghanistan gesprüht zu haben, fordern die Grünen mehr Abstimmung des Bundestages über die Einsätze der Eliteeinheit. Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Christian Ströbele sagte der "Berliner Zeitung" (Ausgabe vom 2. Nov.): "Um so etwas unwahrscheinlicher zu machen, muss das KSK einer stärkeren Kontrolle des Parlaments unterliegen." Wenn die KSK-Soldaten tatsächlich Fahrzeuge mit Wehrmachts-Emblemen benutzt hätten, müsse "man sich fragen, welcher Geist in dieser Einheit zu einem solchen Verhalten führt". In Eliteeinheiten entwickle sich oft eine Eigendynamik. Nach einem Bericht des Magazins "Stern" hatten KSK-Soldaten im Jahr 2001 einen Geländewagen mit einem nachgemachten Wehrmachts-Emblem verwendet.
  • Das angebliche Wehrmachtsemblem auf einem Bundeswehr-Geländewagen ist nicht vom Verteidigungsministerium genehmigt worden. Das berichtete der Sprecher der Behörde, Thomas Raabe, am 2. Nov. in Berlin. Er verwies darauf, dass die Palme mit dem Bundeswehr-Kreuz vor dem Afghanistan-Einsatz des Fahrzeugs entfernt worden sei und dass es sich nicht um ein verfassungswidriges Zeichen gehandelt habe. Das Fahrzeug mit der Palme, über das das Magazin "Stern" berichtet hatte, sei Ende 2001 auf der Insel Masira vor dem Sultanat Oman stationiert gewesen, sagte Raabe. Verschiedene Einheiten der Bundeswehr hätten das Recht, sich eigene Zeichen zuzulegen, die aber vom Ministerium genehmigt werden müssten. Das sei hier nicht der Fall gewesen.
  • Nach zehntägigem Schweigen hat der am 12. Oktober in Afghanistan entführte italienische Fotojournalist Gabriele Torsello am 2. Nov. ein Lebenszeichen von sich gegeben. Es gehe ihm gut, sagte er in einem Telefonanruf, der bei einem von der italienischen Nichtregierungsorganisation Emergency geführten Hotel im südafghanischen Lashkar Gah einging, wie die Organisation PeaceReporter auf ihrer Internet-Seite berichtete.
  • Nach den Vorwürfen gegen Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK), Wehrmachtssymbole auf einen Bundeswehrwagen in Afghanistan gesprüht zu haben, fordern die Grünen mehr Abstimmung des Bundestages über die Einsätze der Eliteeinheit. Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Christian Ströbele sagte der "Berliner Zeitung" (Ausgabe vom 2. Nov.): "Um so etwas unwahrscheinlicher zu machen, muss das KSK einer stärkeren Kontrolle des Parlaments unterliegen." Wenn die KSK-Soldaten tatsächlich Fahrzeuge mit Wehrmachts-Emblemen benutzt hätten, müsse "man sich fragen, welcher Geist in dieser Einheit zu einem solchen Verhalten führt". In Eliteeinheiten entwickle sich oft eine Eigendynamik.
  • Einen "kleinen Fortschritt in der Sache" hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach eigenen Worten bei seinem Besuch in Turkmenien in der Frage der Menschenrechte erreicht. Nach einem fast dreistündigen Gespräch mit Staatschef Saparmurat Nijasow, der sich "Türkmenbaschi" (Führer aller Turkmenen) nennen lässt, sagte Steinmeier am Donnerstag in der Hauptstadt Aschgabat, der Menschenrechtsausschuss des Bundestags werde nach Turkmenien reisen. Dabei sollen nach den Worten des SPD-Politikers die Themen Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte ausführlich mit staatlichen Stellen und Nichtregierungsorgationen erörtert werden. «Ich denke, das ist ein kleiner Fortschritt in der Sache,» sagte der Minister. In der Außenpolitik berichtete Steinmeier über Gemeinsamkeiten im Gespräch mit Nijasow. Dies gelte für die Sorge über die Entwicklung in Afghanistan. Turkmenien unterstütze den südlichen Nachbarn mit günstigen Energielieferungen. Ebenfalls einig seien sich beide Seiten in der Ablehnung von Nuklearwaffen im Iran.
  • Ein vom UN-Sicherheitsrat eingesetztes Expertenteam soll in Afghanistan mögliche Gefahren beurteilen, die von aufständischen Taliban und Mitgliedern des Terrornetzwerks El Kaida ausgehen. Die hochrangig besetzte Gruppe werde am 10. November nach Pakistran reisen und am 12. November in Afghanistan erwartet, sagte der amtierende Vorsitzende des Sicherheitsrats, Perus UN-Botschafter Jorge Voto-Bernales, am 2. Nov. in New York. Der Bericht der Mission werde am 22. November im Sicherheitsrat vorgestellt.
  • Bei einem Angriff afghanischer Rebellen auf eine Polizeipatrouille sind im Westen des Landes sechs Polizisten getötet und drei verletzt worden. Das Auto der Sicherheitskräfte wurde am Abend des 2. Nov. im Bezirk Adraskan der Provinz Herat mit Maschinengewehren beschossen, wie der stellvertretende Polizeichef der Provinz, Nasar Ahmad Paykar, mitteilte. Unter den Toten ist auch der Polizeichef des Bezirks Adraskan. Paykar machte die Taliban für den Überfall verantwortlich.
  • Drei Wochen nach seiner Entführung in Afghanistan ist der italienische Fotograf Gabriele Torsello wieder frei. Dies teilte das Verteidigungsministerium in Rom am 3. Nov. mit, ohne weitere Einzelheiten zu nennen. Torsello und sein afghanischer Übersetzer waren am 14. Oktober überfallen und verschleppt worden. Sie waren in Laschkar Gah, der Provinzhauptstadt von Helmand, zu einer Reise in die Nachbarprovinz Kandahar aufgebrochen. Die Entführer forderten den Abzug der 1.800 italienischen Soldaten in Afghanistan und die Rückkehr von Abdul Rahman, der wegen seines Übertritts zum Christentum mit der Todesstrafe bedroht war und in Italien politisches Asyl erhielt.
  • Das zentralasiatische Land Tadschikistan bittet um eine Verstärkung der westlichen Hilfe beim Schutz seiner Grenze vor dem Drogenhandel aus Afghanistan. Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte nach einer Unterredung mit Präsident Emomali Rachmonow am 3. Nov. in der Hauptstadt Duschanbe, die Bitte seines Gastgebers habe sich an Deutschland und die EU gerichtet. In Afghanistan gibt es in diesem Jahr eine Rekordernte von rund 6.000 Tonnen illegal angebautem Rohopium, das zu Heroin verarbeitet werden kann. Tadschikistan ist seit dem Abzug russischer Grenztruppen in diesem Jahr bei der Grenzsicherung auf sich selbst gestellt. Die Instabilität in Afghanistan berührt nach den Worten des Ministers die Lage in Tadschikistan erheblich, weil die Durchleitung des Drogenverkehrs Gefahren von Kriminalität und Korruption im eigenen Land mit sich brächten. Die tadschikisch-afghanische Grenze ist 1.400 Kilometer lang und gilt wegen ihrer Unübersichtlichkeit im Gebirge als eines der Einfalltore für afghanisches Opium.
  • Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat zum Abschluss seiner Zentralasien-Reise die Notwendigkeit einer EU-Initiative für die Region betont. Die Europäische Union müsse einen "neuen Blick auf die Region richten", sagte Steinmeier am 4. Nov. in Kirgisien, der letzten Station seiner Reise. Er verwies auf die Konflikte in den zentralasiatischen Nachbarländern Afghanistan und Iran, die auch Europa berührten. "Die Region ist zu wichtig, als dass wir sie an den Rand unseres Wahrnehmungsspektrums drängen können", sagte Steinmeier, der als erster EU-Außenminister alle fünf zentralasiatischen Staaten bereist hatte. Die EU-Initiative solle während der deutschen Ratspräsidentschaft auf den Weg gebracht werden.
  • Der UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Tom Koenigs, hat eindringlich vor einer militärischen Niederlage der NATO in Afghanistan gewarnt. In Deutschland müsse unbedingt bedacht werden, "dass der Konflikt zwar nicht allein militärisch zu gewinnen ist, dass die NATO aber auch nicht verlieren darf", sagte Koenigs der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (5. Nov.). Es müsse eine "gewaltige militärische Anstrengung" unternommen werden, um eine Niederlage zu verhindern.
  • Der Skandal um Bundeswehr-Fotos in Afghanistan weitet sich offenbar weiter aus: Wie die "Berliner Morgenpost" (Sonntagsausgabe, 5. Nov.) berichtet, sollen Soldaten vor vier Jahren mit einem afghanischen Jungen eine Hinrichtung gestellt und diese fotografiert haben. Die Zeitung beruft sich auf die Aussagen eines Berliner Unteroffiziers, der damals als Mitglied einer Versorgungseinheit in Afghanistan gewesen sei. Er berichtete dem Blatt, wie ein Soldat während einer Patrouillenfahrt in Kabul einen kleinen Jungen zu sich gerufen, ihn in den Schwitzkasten genommen und ihm eine geladene Waffe an den Kopf gedrückt habe. Vier bis fünf Soldaten hätten mit ihren Digitalkameras Bilder gemacht.
Montag, 6. November, bis Sonntag, 12. November
  • Ein mutmaßliches Mitglied der Terrororganisation El Kaida und fünf weitere "Extremisten" sind nach Angaben der internationalen Koalition in Afghanistan festgenommen worden. Die sechs Männer seien am 6. Nov. nahe der Stadt Khost in der gleichnamigen Provinz im Osten des Landes gefasst worden, hieß es in einer Mitteilung der Koalition. Dabei sei kein einziger Schuss gefallen. Über die Identität und Nationalität des mutmaßlichen El-Kaida-Anhängers wurden auch auf Nachfrage keine Angaben gemacht.
  • Die afghanische Regierung lehnt den Vorschlag Pakistans zum Bau einer Sperranlage an der gemeinsamen Grenze ab. Dadurch könne der Terrorismus nicht bekämpft werden, sagte der Sprecher des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, Mohammed Karim Rahimi, am 7. Nov. Pakistan hatte vorgeschlagen, durch eine Mauer oder eine Verminung den Grenzübertritt von Terroristen zu verhindern. "Der Terrorismus wird nicht durch den Bau einer Mauer entlang der Durand-Linie unterbunden", sagte Rahimi. Stattdessen müssten die "Wurzeln des Terrorismus" vernichtet werden.
  • Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Armeestützpunkt im Nordwesten von Pakistan sind mindestens 35 Soldaten ums Leben gekommen. Weitere 20 Soldaten seien bei dem Terroranschlag in Dargai verletzt worden, sagte Generalmajor Shaukat Sultan am 8. Nov. Einige von ihnen seien in Lebensgefahr. Innenminister Aftab Sherpao schloss nicht aus, dass der Anschlag mit dem Militäreinsatz gegen eine Koranschule vor neun Tagen zu tun habe. Ein Mitarbeiter des Innenministeriums sagte, der Attentäter habe sich unter die Rekruten gemischt, die sich zum Morgenappell auf einem Platz versammelt hatten. Der Selbstmordattentäter habe sich mitten unter den versammelten Rekruten in die Luft gesprengt, sagte er. Ein Augenzeuge, der wenige hundert Meter entfernt einen Zeitungsstand hat, beschrieb das grausige Attentat: "Überall auf dem blutgetränkten Boden lagen Gliedmaßen und Armeemützen und Schuhe herum." Innenminister Sherpao sagte, der Anschlag in Dargai könne mit dem Militäreinsatz gegen eine Koranschule zu tun haben, die nicht einmal hundert Kilometer entfernt liegt. Die pakistanische Armee hatte dort Ende Oktober 80 Menschen getötet. Den amtlichen Angaben zufolge handelte es sich um ein Trainingslager der Terrororganisation El Kaida. Dargai liegt im Grenzgebiet zu Afghanistan, rund siebzig Kilometer nördlich der Stadt Peshawar.
  • Die afghanische Regierung hat Bedauern über den Rücktritt von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld geäußert. "Wir sind traurig, dass er zurückgetreten ist", sagte der Stabschef von Präsident Hamid Karsai, Dschawed Ludin, am 8. Nov. Afghanistan sei zufrieden und dankbar für die Unterstützung, die Rumsfeld dem Land geboten habe. Die Regierung in Kabul erwarte aber keine Veränderung der US-Politik gegenüber Afghanistan. "Wir sind zuversichtlich, dass das Engagement der Vereinigten Staaten und seines Volks dasselbe bleiben." Der leitende Sprecher der US-Streitkräfte in Afghanistan, Oberst Tom Collins, erklärte, Rumsfelds Demission werde die Militäraktion in Afghanistan nicht beeinflussen. Der weltweite Kampf gegen den Terror werde in Afghanistan fortgesetzt, und im Alltag der Truppen werde es keine Veränderungen geben, sagte Collins. Auch habe die Militärführung bislang keine Hinweise für eine etwaige Strategieänderung erhalten. (Rumsfeld war zuvor zurückgetreten, nachdem die Republikaner bei den Kongresswahlen am 7. Nov. eine empfindliche Niederlage erlitten hatten.)
  • Der Bundestag hat am 10. Nov. der weiteren deutschen Beteiligung am internationalen Anti-Terror-Einsatz "Enduring Freedom" zugestimmt. 436 Abgeordnete votierten mit Ja, 101 stimmten dagegen und 26 enthielten sich. Während SPD, Union und FDP für den Einsatz waren, wandten sich Grüne und Linkspartei dagegen. Indes räumte das Verteidigungsministerium ein, dass auch im Rahmen der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) die Eliteeinheit KSK eingesetzt wird. Eigentlich verfolgt die ISAF vor allem das Ziel des Wiederaufbaus des Landes, während "Enduring Freedom" für militärische Aktionen gegen den Terror verantwortlich ist. (Hier geht es zur Bundestagsdebatte: Bundestag verlängert Kriegseinsatz "Enduring Freedom".)
  • Deutschland wird sich nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) umfassend für die Sicherheit und den Wiederaufbau in Afghanistan engagieren. Das betreffe auch den unruhigen Süden, "wenn wir gebeten werden", sagte Merkel am 10. Nov. auf dem Berliner Sicherheitsforum "Impulse 21". Sie versicherte: "Deutschland steht im umfassenden Sinne zu seiner Verantwortung." Zugleich warnte sie, das Engagement nur auf den militärischen Beitrag zu verengen. Es sei zu spüren, dass mit "einfachen Maßnahmen" keine dauerhaften Erfolge erzielt werden können. Daher gehe es am Hindukusch um eine Vernetzung von Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungshilfepolitik mit dem Militäreinsatz. Zudem müsse stärker als bisher das Drogenproblem bekämpft werden. Dies solle auch beim kommenden NATO-Gipfel in Riga Ende des Monats besprochen werden.
  • Der scheidende NATO-Oberbefehlshaber in Europa, James Jones, würde den Einsatz deutscher Soldaten im Süden von Afghanistan begrüßen. Er verstehe aber nationale Bedenken und respektiere sie, sagte der US-General laut dpa vom 12. Nov. dem Nachrichtenmagazin "Focus". Zugleich warb Jones noch einmal dafür, die unterschiedlichen Einsatzbeschränkungen der 37 am Afghanistan-Einsatz beteiligten Nationen aufzuheben: "Das wäre ein gewaltiger Sprung nach vorne. Die Möglichkeiten der Truppen würden sich dramatisch vervielfachen."
Montag, 13. November, bis Sonntag, 19. November
  • Bei einem Angriff auf eine gemeinsame Nachtstreife von Bundeswehrsoldaten und einheimischer Polizei sind am Abend des 12. Nov. in Kundus im Norden Afghanistans zwei Polizisten verletzt worden. Das berichtete Verteidigungssprecher Thomas Raabe am 13. Nov. in Berlin. Laut Raabe wurde das Fahrzeug der Afghanen zielgerichtet mit einer Panzerfaust beschossen. Daraufhin sei es zu einem Schusswechsel gekommen. Auf eine anschließende Suche nach den Tätern habe die Streife wegen der Dunkelheit verzichtet. Die deutschen Soldaten waren nach Angaben von Raabe in zwei gepanzerten Fahrzeugen auf Streife.
  • Die Bundesregierung hat sich gegen die von der NATO geforderte Entsendung deutscher Soldaten in den heftig umkämpften Süden Afghanistans ausgesprochen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte am 13. Nov. in Brüssel, er sehe "keinen Sinn darin, dass wir die Stabilisierungsarbeit, die wir im Norden geleistet haben, dadurch gefährden, dass wir jetzt kopflos Personal und Soldaten von dort abziehen und irgendwo in den Süden verlagern".
    NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer hatte zuvor unter anderem Deutschland dazu aufgerufen, das Afghanistan-Mandat als "Zeichen der Solidarität" mit den anderen Bündnispartnern auszuweiten. Steinmeier räumte aber ein, dass "mehr Anstrengungen" bei zivilen Hilfen nötig seien. Dies hatte de Hoop Scheffer in der vergangenen Woche gefordert.
    "Ich bin sehr dafür, dass wir unsere Anstrengungen beim Polizeiaufbau verstärken sollten, dass wir auch nochmal nachschauen sollten, dass unsere Hilfen bei der Reform der politischen Institutionen und der Gerichtsbarkeit ausreichend sind", unterstrich Steinmeier. Deutschland ist seit 2002 hauptverantwortlich für den Aufbau der afghanischen Polizei zuständig. Auch Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) wies die Forderungen der NATO erneut zurück. Es sei eine "eindeutige Aufteilung" mit der NATO festgelegt worden, nach der die Deutschen die Verantwortung im Norden Afghanistan hätten und die Kanadier die im Süden. "Diese Aufteilung bleibt auch so", betonte er.
  • Das Bundesverteidigungsministerium hat eingestanden, dass auch Offiziere der Bundeswehr in Afghanistan von den scharf kritisierten Skelett-Fotos wussten. Ein Oberfeldarzt und ein Oberleutnant hätten von den Fotos von deutschen Panzergrenadieren im März 2004 erfahren, sagte ein Ministeriumssprecher am 13. Nov. in Berlin. Sie hätten auch dafür gesorgt, dass keine weiteren Fotos in dem Kontingent mehr gemacht würden. Doch seien die Fotos damals schon im Umlauf gewesen. Die beiden Offiziere, die keine Disziplinarmaßnahmen ergriffen hatten, hätten sich "völlig korrekt" verhalten.
    Bei den Vorfällen bei den Panzergrenadieren erfuhr den Angaben zufolge zunächst der Oberfeldarzt von den Fotos, die auf einem Knochenfeld in der Nähe von Kabul gemacht wurden. Der Arzt sei auf den damaligen Oberleutnant zugegangen und habe diesen gebeten, sich der Sache anzunehmen. Der Oberleutnant wiederum habe sich den Truppenführer "zur Brust genommen" und ihm deutlich gemacht, dass dies nicht zu dulden und sofort abzustellen sei. Zu diesem Zeitpunkt seien die Fotos aber schon im Umlauf gewesen. Die beiden Vorgesetzten hätten die Vorkommnisse nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht gemeldet.
  • Die Bundesregierung kann bei ihrer Ablehnung eines Einsatzes deutscher Soldaten in Südafghanistan mit breiter Unterstützung rechnen: Auch der Bundesverband wies entsprechende NATO-Forderungen zurück. Eine Verstärkung der Kampftruppen sei mit dem jetzigen Mandat des Bundestages nicht zu machen, sagte der stellvertretende Verbandsvorsitzende Ulrich Kirsch der Chemnitzer "Freien Presse" (14. Nov.). Ähnlich äußerten sich mehrere Politiker. Kirsch erklärte, die deutschen Soldaten seien nicht dafür ausgerüstet, um sich an Gefechten gegen Taliban-Kämpfer zu beteiligen. Die Hilfe für Afghanistan dürfe sich nicht auf einen militärischen Einsatz reduzieren lassen, sagte er weiter. Er äußerte Zweifel, dass es für eine Erweiterung des Mandats überhaupt eine Mehrheit im Bundestag geben werde.
    Gegen einen Einsatz der Bundeswehr in Südafghanistan sprach sich auch Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, aus. "Wenn man jetzt von uns verlangen würde, einen Teil der Truppen in den Süden zu schicken, würden wir die Aufbauleistung im Norden möglicherweise gefährden. Das macht keinen Sinn", sagte er im Deutschlandradio Kultur.
    Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Christian Schmidt, wird in der "Mitteldeutschen Zeitung" (14. Nov.) zitiert: "Es bleibt in Afghanistan bei der Aufteilung, wie sie ist." Kampfeinsätze seien im Rahmen des Isaf-Mandats nicht vorgesehen und würden auch nicht stattfinden. Und "über das Mandat gehen wir nicht hinaus."
    Dagegen schloss der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels ein größeres Engagement im Süden Afghanistans dauerhaft nicht aus. Zwar stelle sich die Frage derzeit "nicht konkret", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung": "Isaf ist eine Stabilisierungsmission; es ist nicht Zweck von Isaf zu töten." Er fügte allerdings hinzu: "Wir haben ein gemeinsames Interesse, dass Afghanistan nicht scheitert. Wenn die Bündnispartner Nothilfe anfordern, wird die Bundeswehr helfen. Es wird schwierig, die deutsche Position zu halten mit dem Argument: Das ist uns zu gefährlich."
  • SPD-Fraktionschef Peter Struck lehnt den von NATO-Partnern geforderten Einsatz der Bundeswehr im Süden Afghanistans strikt ab. Struck sagte am 16. Nov. im Deutschlandfunk, innerhalb der NATO sei klar eine Aufgabenverteilung vereinbart worden, wonach die Bundeswehr im Norden verantwortlich sei. Vereinbarungen seien einzuhalten. Struck betonte, die NATO habe 27 Mitgliedsstaaten. Sollte sie weiteren Bedarf in Afghanistan haben, müsse sie "bei anderen rekrutieren". Die Bundeswehr sei bereits mit über 2.000 Mann in Afghanistan. Die Tatsache, dass es im Norden des Landes relativ ruhig sei, habe auch damit zu tun, "wie wir dort auftreten", betonte Struck weiter. Der frühere Verteidigungsminister verwies auf die zivile Hilfe. Die Deutschen hätten das Konzept der regionalen Wiederaufbauteams ganz anders angelegt als etwa die Amerikaner. "Die Deutschen sind beliebt im Norden", betonte Struck. Er warnte, wenn die Bundeswehr ihre Präsens im Norden ausdünnen müsse, werde es dort nicht so ruhig bleiben.
  • Der Druck auf Deutschland und andere NATO-Partner, sich innerhalb der internationalen Afghanistan-Mission ISAF mehr im umkämpften Süden des Landes zu engagieren, nimmt einem Zeitungsbericht zufolge zu. Bei der NATO-Parlamentarierversammlung in Quebec, die am 17. Nov. zu Ende geht, sei das ein "Riesenthema" gewesen, zitierte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Ausgabe vom 17. Nov.) deutsche Teilnehmer.
    Der Bundestagsabgeordnete Max Stinner (FDP) zitierte einen britischen Teilnehmer, der sich über einen Fall von unterlassener Hilfeleistung beklagte, was letztlich zwölf kanadische Soldaten das Leben gekostet habe. Während der Operation "Medusa" im Sommer habe der Isaf-Kommandeur um 150 Mann Kampftruppen zur Unterstützung erbeten, weil kanadische Einheiten in schwere Bedrängnis geraten seien. Der deutsche Kontingentführer habe daraufhin mitgeteilt, er hätte zwar Soldaten, die er schicken könnte, doch bekomme er aus Berlin keine Erlaubnis dazu. Die Bundesregierung hat wiederholt beteuert, es habe keine offizielle Anfrage gegeben, mit Kampftruppe in den Süden zu gehen.
    Unter den britischen, kanadischen und niederländischen Kollegen herrsche eine Stimmung nach dem Motto "ihr da oben trinkt Bier, während wir die Knochen hinhalten", hieß es. Der Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei (Grüne) zitierte einen britischen Kollegen mit den Worten: "Wenn sie uns nicht unterstützen können, sollen sie uns wenigstens nicht bekämpfen". Die deutschen Abgeordneten in den zuständigen Ausschüssen hatten sich zuvor bei der Abstimmung über einen Antrag enthalten, der fordert, nationale Vorbehalte zu beseitigen, die den prompten und effektiven Einsatz der in Afghanistan stationierten Kräfte verhindern. Zuvor hatte es einen - nur teilweise erfolgreichen - deutschen Versuch gegeben, den Text zu entschärfen.
    Der Bundestagsabgeordnete Karl Lamers (CDU) sagte der F.A.Z.: "Sollte es notwendig sein, daß man mit mehr Truppen insgesamt ´reinmuß, dann muß man darüber nachdenken. Dann stellt sich die Frage aber für alle, auch für die, die noch gar nicht in Afghanistan sind."
  • Die Bundeswehr hat Berichte zurückgewiesen, sie habe Hilfe für kanadischen Soldaten in Afghanistan verweigert, die im Rahmen des ISAF-Einsatzes ums Leben gekommen sind. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Thomas Raabe, wandte sich am 17. Nov. gegen eine entsprechende Darstellung in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Demzufolge hatte der ISAF-Kommandeur während der "Operation Medusa" im Sommer um 150 Soldaten zur Unterstützung gebeten, weil kanadische Einheiten in Bedrängnis geraten seien. Der deutsche Kontingentführer habe daraufhin mitgeteilt, er bekomme er aus Berlin keine Erlaubnis dazu. "Dies trifft nicht zu", sagte Raabe. Der deutsche Kontigentführer habe klar bestätigt, dass er dies nicht gesagt habe. Es habe eine solche Anfrage auch gar nicht gegegeben. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Max Stinner hatte der "FAZ" zufolge über einen britischen Teilnehmer der NATO-Parlamentarierversammlung in Quebec berichtet, der sich über die angeblich unterlassene Hilfeleistung beklagt hatte. Dies habe letztlich zwölf kanadische Soldaten das Leben gekostet.
  • Für die Militäreinsätze im Irak und Afghanistan will das US-Verteidigungsministerium nach Angaben aus dem Senat den Kongress um weitere 127 Milliarden Dollar (99,4 Milliarden Euro) für das Haushaltsjahr 2007 ersuchen. Der künftige Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Senat, der Demokrat Kent Conrad, habe dies aus "vertrauenswürdigen republikanischen Quellen" erfahren, sagte Conrads Sprecher am 17. Nov. Er bestätigte damit einen entsprechenden Bericht der Zeitung "USA Today". Das Blatt zitierte zudem den demokratischen Abgeordneten Jim Cooper, der mit 160 Milliarden Dollar eine noch höhere Summe ins Spiel brachte.
  • Zum Auftakt einer zweitägigen Afghanistan-Wirtschaftskonferenz in Indien hat der afghanische Präsident Hamid Karsai am 18. Nov. vor einer Destabilisierung seines Landes gewarnt. Die Stabilität in Afghanistan sei der Unterpfand für Frieden und Wohlstand in der gesamten Region, sagte Karsai in der indischen Hauptstadt Neu Delhi. An dem Gipfeltreffen zur Förderung von Investitionen in dem wirtschaftlich zerrütteten Land nehmen auch Vertreter der Vereinten Nationen und internationaler Fianzeinrichtungen sowie aus Ländern wie Pakistan, USA, Großbritannien, Kanada oder Russland teil.
    Am Rande der Konferenz waren Gespräche Karsais mit seinem indischen Kollegen Abdul Kalam, dem indischen Regierungschef Manmohan Singh sowie der Vorsitzenden der Kongresspartei, Sonia Gandhi, geplant. Indien ist einer der wichtigsten Wirtschaftspartner Afghanistans. Beide Länder unterhalten zudem gespannte Beziehungen zu ihrem gemeinsamen Nachbarn Pakistan. (Siehe hierzu auch: "Kinderkrankenhaus in Kabul hofft auf Hilfe".)
  • Der britische Premierminister Tony Blair ist am 18. Nov. zu Gesprächen mit dem pakistanischen Staatschef General Pervez Musharraf in Islamabad eingetroffen. Im Mittelpunkt der für den 19. Nov. geplanten Beratungen sollten dabei die Lage in Afghanistan und die Terrorismusgefahr stehen. Pakistan und Großbritannien streben unter anderem eine engere Zusammenarbeit beim Austausch von Geheimdienstinformationen zu den Bewegungen mutmaßlicher Extremisten an.
  • Der britische Premierminister Tony Blair und der pakistanische Präsident Pervez Musharraf haben eine verstärkte Zusammenarbeit beim Anti-Terror-Kampf vereinbart. Bei einem Treffen in der pakistanischen Stadt Lahore am 19. Nov. einigten sich beide Politiker auch darauf, gegen den Drogenhandel, die illegale Einwanderung und das organisierte Verbrechen vorzugehen. Blair sagte Pakistan die Verdoppelung der bisherigen Hilfe für die kommenden drei Jahre zu, die damit von 236 Millionen Pfund (348 Millionen Euro) auf 480 Millionen Pfund (708 Millione Euro) steigt. Ein großer Teil der Mittel ist laut einem Blair-Sprecher dazu bestimmt, durch Bildungsmaßnahmen den Einfluss extremistischer Moslems in den Islam-Schulen zurückzudrängen. Für den Kampf gegen den Rauschgifthandel an der Grenze zu Afghanistan soll Pakistan zwei Hubschrauber von Großbritannien erhalten. Zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan, wo fünf Jahre nach dem Sturz der islamistischen Taliban rund 4500 britische Soldaten stationiert sind, wurden "wirksame Maßnahmen" vereinbart, ohne dass dies näher ausgeführt wurde. "Wir stehen in einem schwierigen globalen Kampf, der viele Aspekte hat, von denen sich einer in Afghanistan und einer hier in Pakistan befindet", sagte Blair auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Musharraf. Großbritannien, die USA und ihre Verbündeten seien darauf aus, die gemäßigten Kräfte auf Kosten der Extremisten zu stärken, fügte er hinzu.
  • Die USA erhöhen ihren Druck auf Deutschland, die Bundeswehr auch im Süden Afghanistans in großem Umfang einzusetzen. Es genüge nicht, wenn die Bundeswehr gelegentlich mit Transport- und Fernmeldefähigkeiten helfe, sagte ein ranghoher Beamter des US-Verteidigungsministeriums der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (19. Nov.). Berlin müsse "einen Schritt weiter" als bisher gehen. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bekräftigte dagegen das Festhalten an dem beschlossenen Mandat. Die Bundeswehr habe im Rahmen der ISAF-Mission die Führung für die gesamte Nordregion übernommen und werde in anderen Regionen "in Notlagen im Rahmen des bestehenden Bundestagsmandats helfen und unterstützen", sagte Jung weiter. "Der Befehlshaber in Afghanistan muss die Deutschen morgens anrufen können und ein Bataillon für den Einsatz im Süden anfordern. Das muss dann abends dort sein", zitierte die "FAS" den Pentagon-Beamten, der namentlich nicht genannt werden wolle. Er wandte sich demnach gegen die Beschränkungen, die viele Regierungen ihren Armeen im Afghanistan-Einsatz auferlegten: "Wir hassen solche Vorbehalte. Sie vertragen sich nicht mit einem solidarischen Verhalten." Es sei nicht hinnehmbar, dass ein Land sich grundsätzlich gegen die Verlegung seiner Einheiten in bestimmte Landesteile sperre. Jung verwies in der Zeitung darauf, dass sich Deutschland "von Anfang an mit großer Entschlossenheit seiner Verantwortung für Afghanistan gestellt" habe.
Montag, 20. November, bis Sonntag, 26. November
  • Bei einem Überraschungsbesuch in Afghanistan hat der britische Premierminister Tony Blair am 20. Nov. die internationale Gemeinschaft zur Geschlossenheit im Bemühen um den Wiederaufbau des Landes aufgerufen. Angesichts des baldigen NATO-Gipfels in Riga sei nun "die richtige Zeit, die Konzentration verschärft auf die Notwendigkeit zu richten, weiter an der Seite der Afghanen zu bleiben", sagte Blair bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai in Kabul. Die Partnerländer müssten "in sich den Glauben und die Vision, die uns hierher gebracht haben und die uns hier halten sollten, wiederentdecken, bis die Aufgabe erledigt ist", sagte Blair weiter. Es sei wichtig zu zeigen, dass Afghanistan seit dem Fall des Taliban-Regimes Ende 2001 Fortschritte gemacht habe, um so "den Menschen neuen Antrieb zu geben". Die NATO könne es schaffen, "jede Verlockung der Taliban auf die Bevölkerung zu unterbinden, wenn wir den Schwerpunkt auf den Wiederaufbau, die Entwicklung und den wirtschaftlichen Fortschritt sowie auf die Sicherheit legen". Die NATO kommt am 28. November in Riga zu ihrem Gipfeltreffen zusammen.
  • Der Linksfraktions-Vorsitzende Oskar Lafontaine hat einen Rückzug der Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan gefordert. Die Bundesregierung müsse ihre verfehlte Politik korrigieren, sagte Lafontaine am 20. Nov. in Berlin. Sie sei in Afghanistan in eine Sackgasse geraten. Die Forderungen nach einem Einsatz deutscher Soldaten auch im umkämpften Süden des Landes stelle die Bundesregierung vor eine gravierende Entscheidung. "Das bedeutet tote Soldaten", warnte Lafontaine.
  • Der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur Klaus Naumann hat die Bundesregierung aufgefordert, den Forderungen der NATO entgegenzukommen und notfalls die Bundeswehr auch im Süden Afghanistan einzusetzen. Die ablehnende Haltung Berlins und anderer Nato-Länder in dieser Frage bedrohe die transatlantische Partnerschaft, sagte Naumann der "Financial Times Deutschland" (Ausgabe vom 21. Nov.). "Das zerstört ein Bündnis. Die Nato ist schon jetzt in keiner guten Verfassung", warnte der Ex-Vorsitzende des Nato-Militärausschusses.
  • Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan hat die Beschränkung des Bundeswehreinsatzes auf Nordafghanistan verteidigt. Schneiderhan bezeichnete am 21. Nov. im Deutschlandradio Kultur die Forderung nach mehr Soldaten für den gefährlichen Süden und Osten des Landes als oberflächlich. Die richtige Frage sei, was politisch getan werden könne, damit sich die Sicherheitslage im Süden und Osten verbessere und der Aufbau ziviler Strukturen vorangebracht werden könne. Schneiderhan kritisierte bei der momentanen Diskussion um den Afghanistan-Einsatz die "Fixierung auf das rein Militärische". Reflexartig würden für ein bestimmtes Gebiet immer mehr Soldaten angefordert. Diese Forderung sei "schon deshalb so oberflächlich, weil schon heute fast zwei Drittel der gesamten ISAF-Truppen im Süden und im Osten eingesetzt sind. Im Norden sind gerade mal 2.600, im Süden 9.700 Soldaten eingesetzt."
  • Die NATO will in Afghanistan drei zusätzliche Wiederaufbauteams einsetzen. Zwei dieser "Provincial Reconstruction Teams" (PRT) sollen im Süden und eines im Osten des Landes arbeiten, wie am 21. Nov. aus Koalitionskreisen in Berlin verlautete. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm wies einen Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zurück, wonach sich Berlin im Rahmen solcher Wiederaufbauteams an zivilen Projekten womöglich auch im heftig umkämpften Südafghanistan beteiligen wolle. Die Forderung von NATO-Bündnispartnern nach einem militärischen Einsatz der Bundeswehr im Süden hat die Bundesregierung bisher abgelehnt. Es gibt keine Überlegungen zur Ausweitung der PRTs", sagte Regierungssprecher Wilhelm. Er verwies dabei auf die bereits bestehenden Wiederaufbauteams unter deutscher Führung in Nordafghanistan, in den Orten Kundus und Faisabad. Das PRT-Konzept sieht gemischte Gruppen aus Militärs, Polizisten und zivilen Helfern vor, die vor Ort Aufbauhilfe leisten sollen. Zudem soll ihre Präsenz außerhalb der Hauptstadt Kabul den Einfluss der Regierung von Präsident Hamid Karsai stärken. Der Bundeswehr war von Bündnispartnern vorgeworfen worden, im vergleichsweise ruhigen Norden zu sitzen, während die Soldaten anderer Staaten im Süden kämpfen müssten.
    Aus diplomatischen NATO-Kreisen in Brüssel verlautete am 21. Nov., es gebe schon länger Forderungen des Bündnisses, drei geplante Wiederaufbaumissionen zu besetzen. Dabei handele es sich um Aufbauhilfen unter anderem in den Provinzen Nimruz in Südafghanistan und Lowgar südlich von Kabul. "Dies ist aber nicht etwas, wo Deutschland in erster Linie gefragt ist", hieß es mit Verweis auf das deutsche Engagement in Kundus und Faisabad.
  • Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat Vorwürfe einiger NATO-Partner zurückgewiesen, die Bundeswehr drücke sich vor Verantwortung und scheue gefährliche Auslandseinsätze wie etwa im Süden Afghanistans. Der CDU-Politiker wies am 22. Nov. in der Generaldebatte des Bundestags zum Haushalt 2007 darauf hin, dass Deutschland aktuell der zweitgrößte Truppensteller bei NATO-geführten Einsätzen ist und bereits 64 Bundeswehrsoldaten ihr Leben im Auslandseinsatz verloren haben.
  • Ein trostloses Bild aus zunehmender Gewalt der Taliben, steigender illegaler Drogenproduktion und schwacher Staatseinrichtungen hat der Chef der Untersuchungsmission des Sicherheitsrates für Afghanistan, der japanische Botschafter Kenzo Oshima, am 22. Nov. in New York gezeichnet. "Es ist mehr als klar, dass Afghanistan zusätzliche und verläßliche Hilfe von der internationalen Gemeinschaft benötigt, sowohl für kurzfristige Vebesserungen, als auch für einen nachhaltigen Fortschritt", sagte Oshima und warnte davor, dass es "ohne diese Unterstützung keine Garantie dafür gebe, dass Afghanistan nicht wieder in den Konflikt zurückfällt und ein gescheiterter Staat wird." Oshima hatte letzte Woche eine zehnköpfige Mission nach Afghanistan geführt und sowohl Gespräche mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karzai und hochrangigen Beamten in der Hauptstadt Kabul, als auch den Norden und den Süden des Landes besichtigt. Für Anfang nächsten Monat ist eine öffentliche Anhörung zu Afghanistan geplant.
  • Die Bundesregierung erwägt einem Zeitungsbericht zufolge, den NATO-Partnern beim Gipfeltreffen der Allianz nächste Woche in Riga den Einsatz von Drohnen in Südafghanistan anzubieten. Unbemannte deutsche Drohnen vom Typ "Luna" könnten künftig zur Aufklärung im Kampf gegen die Taliban eingesetzt werden, berichtete die "Financial Times Deutschland" (Ausgabe vom 24. Nov.) unter Berufung auf Fraktionskreise. Berlin steht in der NATO unter hohem Druck, die Beschränkungen für deutsche Soldaten aufzuheben und die Bundeswehr auch nach Südafghanistan zu schicken.
  • Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) hat den USA eine Mitschuld am Erstarken des Widerstands in Afghanistan gegeben. "Amerikanische Soldaten haben zum Teil eine andere Vorgehensweise (als die Deutschen), die ich nicht unproblematisch finde. Das bringt einen Großteil der Bevölkerung statt zur Unterstützung eher zum Widerstand", sagte sie dem "Handelsblatt" (Ausgabe vom 23. Nov.). Sie warnte zugleich vor möglichen Auswirkungen dieses Vorgehens auch auf den deutschen Einsatz. "Es besteht die Gefahr, dass in der Wahrnehmung der Bevölkerung das amerikanische Vorgehen auf die ISAF übertragen werden könnte." Die ISAF ist die NATO-geführte Schutztruppe in Afghanistan, an der auch die Bundeswehr beteiligt ist.
  • In Afghanistan ist ein Kleinbus verunglückt, nachdem NATO-Soldaten Warnschüsse auf ihn abgegeben hatten. Eine Zivilperson wurde getötet, vier weitere wurden verletzt, wie die Afghanistan-Schutztruppe ISAF am 23. Nov. erklärte. Soldaten hätten den Van am 22. Nov. auf der Straße zum US-Stützpunkt Bagram nördlich von Kabul zum Anhalten aufgefordert, weil er ihnen verdächtig vorkam. Nach den Schüssen habe der Fahrer die Kontrolle über den Wagen verloren. Die ISAF bedauere zutiefst, dass es zu einem Todesopfer und Verletzten gekommen sei.
  • Der BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat am 23. Nov. mit der Vernehmung des früheren Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) begonnen. Der FDP-Obmann im Ausschuss, Max Stadler, kündigte vorab an, Schily solle dazu befragt werden, ob er nicht schon inoffiziell bei seinen Reisen in die USA und nach Afghanistan im Mai 2004 über die Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled el Masri durch den US-Geheimdienst CIA informiert worden sei. Bisher versichert Schily, er habe erst Ende Mai nach der Freilassung El Masris von US-Seite davon erfahren. Stadler räumte ein, dass es bislang keine Beweise für eine frühere Information gebe.
  • Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, hat Vorwürfen widersprochen, die Bundeswehr drücke sich in Afghanistan vor einem Kampfeinsatz im Süden des Landes. Der auch von seinem Vorgänger Klaus Naumann erhobene Vorwurf der Drückebergerei gehe ins Leere, sagte er im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" (Ausgabe vom 24. Nov.). Die Bundeswehr könne "mit großem Selbstbewusstsein" auf das verweisen, was sie seit Anfang 2002 in Afghanistan leiste. Sie habe im Norden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass um die 500 zivile Projekte angeschoben werden konnten. Aufgabe der Bundeswehr sei es, den zivilen Wiederaufbau militärisch konsequent abzusichern.
  • Ein NATO-Soldat ist am 23. Nov. in Afghanistan bei einem Raketenangriff Aufständischer getötet worden. Das teilte die NATO mit. Ein weiterer Soldat sei bei dem Vorfall im mittleren Landesteil verletzt worden. Die Soldaten befanden sich den Angaben zufolge auf Patrouille. Über die Nationalität der Soldaten lagen zunächst keine Informationen vor. Die Aufständischen haben in diesem Jahre ihre Angriffe gegen die internationalen Truppen und die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkt.
  • Deutschland wird sich voraussichtlich mit einem Straßenbauprojekt im umkämpften Süden von Afghanistan engagieren. Ein entsprechendes Projekt befinde sich in der Planungsphase, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am 24. Nov. in Berlin. Es liefen dazu aber noch Gespräche. Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) will in der kommenden Woche mit dem Bau einer viereinhalb Kilometer langen Straße beginnen, wie das ARD-Hörfunkstudio Südasien am 24. Nov. berichtete. Die Bundesregierung habe für das eine Million Euro teure Projekt bereits grünes Licht gegeben.
  • Dänemark hat einigen NATO-Partnern vorgeworfen, sich vor der vollen Verantwortung im Afghanistan-Einsatz zu drücken. "Alle Länder sollten sich einbringen", sagte der dänische Verteidigungsminister Sören Gade am 25. Nov. in der Zeitung «Politiken». "Wenn wir verletzt werden, stehen die anderen dann herum und schauen nur zu?" Dänemark hat 290 Soldaten im unruhigen Süden Afghanistans stationiert und zugesagt, diese Zahl zu erhöhen. Auch andere NATO-Mitglieder, deren Truppen im Süden die wieder erstarkten Taliban bekämpfen, haben sich bereits darüber beschwert, dass Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ihre Truppen in den ruhigeren westlichen und nördlichen Regionen zu konzentrieren. Gade sagte: "Das ist natürlich unbefriedigend. Es ist auch kein gutes Signal an das afghanische Volk, und es schadet der Glaubwürdigkeit der NATO."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangte drei Tage vor dem NATO-Gipfel in Lettland eine gemeinschaftliche Strategie der NATO für Afghanistan. Die Kanzlerin zeigte sich vor dem am 28. Nov. beginnenden NATO-Gipfel in Riga, von dort werde ein Signal der Geschlossenheit ausgehen: "Denn die NATO will und wir wollen das auch, dass die Mission in Afghanistan ein Erfolg wird."
  • Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat sich gegen die Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfeinsätzen im Süden Afghanistans ausgesprochen. Eine Verlegung von Einheiten in die umkämpften Regionen im Süden des Landes sei nicht vorgesehen, betonte der CDU-Politiker am 26. Nov. in Hamburg. Der Einsatz der 2.800 in Nordafghanistan stationierten Soldaten erfolge auch künftig nur im Rahmen des Bundestagsmandats, betonte Jung. Man werde jedoch die Verbündeten in Notlagen auch im Süden des Landes unterstützen. Zugleich widersprach Jung Forderungen, mehr Truppen nach Afghanistan zu entsenden. "Es geht nicht um die Frage von mehr Militär, sondern um eine bessere Vernetzung", sagte der Verteidigungsminister. Die deutsche Strategie für den Afghanistan-Einsatz sei hilfreich, und man setze weiter auf die Kooperation mit der Bevölkerung. Jung räumte zugleich ein, dass der Drogenanbau im Land nach wie vor ein Problem sei und die aufständischen Taliban-Milizen von den Drogenbossen im Land finanziell unterstützt würden.
  • Zwei Tage vor dem NATO-Gipfel in Riga sind mindestens 55 mutmaßliche Taliban in Kämpfen mit Soldaten der ISAF-Schutztruppe gestorben. Auch ein ISAF-Soldat wurde getötet, wie die ISAF am 26. Nov. mitteilte. Die schwersten Kämpfen fanden nach Angaben der NATO-geführten ISAF in der Provinz Urusgan nahe der Ortschaft Tirin Kot statt, wo die Truppe nach eigenen Angaben am Samstag von einer "großen Anzahl von Aufständischen" angegriffen wurde. Die ISAF-Soldaten hätten das Feuer erwidert und Kampfflugzeuge eingesetzt. Dabei wurden mindestens 50 Taliban und ein ISAF-Soldat getötet. Zur Nationalität des getöteten Soldatens wurden keine Angaben gemacht. In der Provinz sind hauptsächlich Niederländer und US-Soldaten stationiert. Bei weiteren Kämpfen in der Provinz Kandahar wurden fünf Aufständische getötet und drei ISAF-Soldaten verletzt.
  • Bei dem schwersten Anschlag seit September riss ein Selbstmordattentäter 15 Menschen in einem Restaurant in Ostafghanistan mit in den Tod, wie das Innenministerium der Provinz Paktika am 26. Nov. mitteilte. Mindestens 25 Menschen wurden verletzt. Der Selbstmordattentäter befand sich nach afghanischen Angaben in einem Restaurant in der Stadt Urgun in der an Pakistan grenzenden Provinz Paktika und zündete die Bombe, als der Chef des Bezirks, Mohammed Mobin, das Lokal betrat. 15 Menschen wurden nach Angaben des Innenministeriums getötet und 25 verletzt, unter ihnen auch Mobin und weitere Regierungsvertreter. Bei den Toten handele es sich überwiegend um afghanische Kräfte, die für die in der Nähe der Stadt stationierten US-Soldaten arbeiten.
  • Die Bundesregierung sollte dem wachsenden politischen Druck aus der NATO für einen Bundeswehreinsatz in Südafghanistan nach Meinung von SPD-Fraktionschef Peter Struck nicht nachgeben. "Der Druck, der von der NATO aufgebaut worden ist, muss ausgehalten werden", sagte Struck am Abend des 26. Nov. in der ZDF-Sendung "Berlin Direkt". Deutschland sei auf dem richtigen und besseren Weg, fügte er hinzu. Es gebe keinen Grund, diese Konzeption zu verändern. Ein Bundeswehreinsatz im umkämpften Süden Afghanistans hätte nach Strucks Worten auch keine Mehrheit im Bundestag. "Ich würde mich auch selbst gegen ein solches Mandat aussprechen, weil ich glaube, dass unsere Konzeption besser ist, zusammen mit zivilen Wiederaufbauhelfern (..) vor Ort zu sein." Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hatte zuvor bekräftigt, dass eine Verlegung von Einheiten nach Südafghanistan nicht vorgesehen sei.
Montag, 27. November, bis Donnerstag, 30. November
  • Einen Tag vor dem NATO-Gipfel in Riga, auf dem es um die Zukunft der Internationalen Schutztrupe für Afghanistan (ISAF) gehen wird, sind erneut Soldaten der Allianz getötet worden. Ein Selbstmordattentäter riss bei einem Anschlag auf einen Konvoi im Süden Afghanistans zwei kanadische ISAF-Soldaten mit in den Tod, wie eine Sprecherin des kanadischen Verteidigungsministeriums am 27. Nov. mitteilte. Die islamistischen Taliban-Rebellen übernahmen die Verantwortung. Der Selbstmordanschlag sei "von einem unserer Mudschahedin" begangen worden, sagte Taliban-Sprecher Jussef Achmadi in einem Telefonat mit AFP. Laut ISAF fuhr der Selbstmordattentäter nahe der Stadt Kandahar mit seinem präparierten Fahrzeug in den ISAF-Konvoi hinein. Dabei wurden laut Polizei ein weiterer Soldat der Schutztruppe sowie ein afghanischer Nomade verletzt. Der Sprengsatz explodierte in der Nähe eines Zeltlagers der Nomaden, wobei auch 15 Kamele getötet wurden. In dem Gebiet von Kandahar sind vor allem niederländische, britische und kanadische Soldaten im Einsatz.
  • Die Mehrheit der Kinder in Afghanistan geht nach wie vor nicht zur Schule. Betroffen sind vor allem Mädchen, von denen nur 21 Prozent zum Unterricht gehen, wie die Nichtregierungsorganisation (NGO) Oxfam am 27. Nov. erklärte. Zwar sei die Einschulungsquote seit dem Sturz der radikalislamischen Taliban Ende 2001 um das Fünffache gestiegen, doch gingen nach wie vor sieben von insgesamt zwölf Millionen Kindern nicht zur Schule. Einen Tag vor dem NATO-Gipfel in Riga, wo Afghanistan das Hauptthema sein sollte, rief Oxfam die reichen Länder zu mehr Engagement für die Bildung in dem kriegszerstörten Land auf. Für den Bau von fast 8000 Schulen und die Anschaffung von Schulbüchern müssten demnach in den kommenden fünf Jahren mehr als 600 Millionen Euro investiert werden.
  • Die lettische Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga hat am Vorabend des NATO-Gipfels die Alliierten zu einem mit Entschlossenheit geführten Einsatz in Afghanistan aufgerufen. Nachdem sich die NATO zum Engagement in dem Land entschlossen habe, solle sie dies "aus vollem Herzen und in einer Art tun, die Ergebnisse sicherstellt", sagte sie am 27. Nov. in Riga. Die entscheidende Frage sei, wie dies erreicht werden könne und was dafür notwendig sei. In Afghanistan Präsenz "als Gäste oder Touristen" zu zeigen, liege fernab dessen, was die Allianz wolle. "Eine halbherzige Präsenz dort erscheint nicht erstrebenswert", sagte die Präsidentin: "Entweder wir gehen dorthin und erledigen die Aufgabe, oder wir sagen, wir sind dazu nicht in der Lage und überlassen das Land seinem Schicksal."
  • Kurz vor dem NATO-Gipfel in Lettland haben US-Präsident George W. Bush und die NATO-Spitze den Druck auf ihre Bündnispartner erhöht. Bush und NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer forderten mehr Truppen für den heftig umkämpften Süden Afghanistans. "Die Verbündeten müssen die Mittel bereitstellen, die die NATO-Kommandanten verlangen", stellte Bush bei einem Besuch in der estnischen Hauptstadt Tallinn klar. De Hoop Scheffer nannte es "inakzeptabel", dass in Südafghanistan immer noch 20 Prozent der Truppen fehlten. Die NATO-Mitglieder müssten auch "schwierige Aufgaben akzeptieren", sagte Bush. NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer zeigte sich zuversichtlich, dass der Einsatz in Afghanistan erfolgreich sein könne. "Afghanistan ist Mission Possible", unterstrich er in seiner Auftaktrede zum NATO-Gipfel in Riga am 28. Nov.
  • Die Opiumwirtschaft in Afghanistan hat laut Vereinten Nationen und Weltbank ein "beispielloses Niveau" erreicht und bildet eine der größten Gefahren für den Staat. Ausmaß und Bedeutung der Opiumwirtschaft seien im Weltmaßstab einzigartig, heißt es in einem am 28. Nov. in Kabul veröffentlichten gemeinsamen Bericht der Organisationen. Mehr als 90 Prozent der weltweiten Opiumproduktion stamme aus Afghanistan. Bemühungen zu deren Eindämmung würden durch Korruption behindert. Die härtere Gangart gegen den Drogenanbau habe dazu geführt, dass es weniger, dafür aber einflussreichere Drogenbarone gebe, die Verbindungen in die Politik hätten.
  • Bei einem Sprengstoffanschlag in Afghanistan sind am 28. Nov. zwei Soldaten der Internationalen Schutztruppe ISAF getötet worden. Ein weiterer Soldat sei verletzt worden, als der Sprengsatz beim Vorbeifahren eines Militärfahrzeugs nahe der Hauptstadt Kabul explodierte, teilte die ISAF mit. Zur Nationalität der Soldaten wurden zunächst keine Angaben gemacht.
  • Bei einem Bombenanschlag auf eine NATO-Patrouille in Afghanistan sind zwei Soldaten getötet worden, wie ein Militärsprecher am 29. Nov. mitteilte. Ein weiterer Soldat und ein Dolmetscher wurden verletzt. Die Explosion ereignete sich am Dienstag südlich von Kabul in der Provinz Logar. Zur Nationalität der Toten und Verletzten wurden keine Angaben gemacht.
  • Afghanistan bleibt für das Verteidigungsbündnis NATO eine "Schlüsselpriorität". Auf diesen Formelkompromiss einigten sich die 26 Mitgliedstaaten am 29. Nov. bei ihrem Gipfeltreffen in Riga, wie aus dem Abschlussdokument hervorgeht. Die Bündnispartner wollen demnach sicherstellen, dass die Internationale Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) über ausreichend "Kräfte, Mittel und Flexibilität" verfügt. Die Bündnispartner hätten unter anderem Hubschrauber, einige Bodentruppen und mehr Mittel zum Wiederaufbau Afghanistans zugesagt, sagte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer zum Abschluss des Gipfeltreffens.
  • Bei ihrem Gipfeltreffen in Riga haben die NATO-Staaten ihren Streit über den Afghanistan-Einsatz zumindest offiziell beigelegt. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer betonte am 29. Nov. in seiner Abschlusspressekonferenz, alle 26 Bündnispartner hätten zugesichert, "dass sie in einem Notfall einander unterstützen werden". Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, an der Beschränkung des deutschen Einsatzes auf den Norden Afghanistans habe es keine Kritik gegeben. Niemand habe gesagt, "dass wir an irgendeiner Stelle etwas nicht geleistet hätten, was von uns erwartet wurde", betonte Merkel. Im Gegenteil werde der deutsche Beitrag "hoch geschätzt".
  • Bundeskanzleramt und Bundesnachrichtendienst (BND) haben nach Angaben führender Sicherheitsbeamter erst nach der Freilassung des Deutsch-Libanesen Khaled El Masri von dessen Verschleppung erfahren. "Ich habe keinerlei Hinweise dafür, dass deutsche Behörden vor der Rückkehr El Masris irgendeinen Anhaltspunkt für die Entführung hatten", sagte der frühere BND-Chef und heutige Innenstaatssekretär, August Hanning, am 30. Nov. vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin. Ähnlich äußerte sich der ehemalige Geheimdienst-Koordinator im Kanzleramt und heutige BND-Chef, Ernst Uhrlau. Auch Uhrlau wies den Vorwurf zurück, die Sicherheitsbehörden hätten schon während der Inhaftierung durch den US-Geheimdienst CIA von dem Fall gewusst. Hanning versicherte ebenso wie Uhrlau, dass zwar ein BND-Mitarbeiter in Mazedonien in einer Kantine beiläufig schon im Januar 2004 von der Entführung gehört habe. Er habe die Information aber nicht weitergeleitet. Uhrlau räumte erneut eine "Panne" ein. Der Vorwurf aber, der BND habe frühzeitig von der Entführung erfahren, sei "schlicht und einfach falsch", betonte Hanning. Die von El Masri genannte, deutsch sprechende Person "Sam", die ihn in Afghanistan aufgesucht haben soll, sei auch sicher nicht vom BND gewesen, hoben beide hervor. "Sam ist und war keine Person des BND", sagte Uhrlau. El Masri war Ende Dezember 2003 verschleppt und erst Ende Mai 2004 wieder freigelassen worden. Er wurde nach eigenen Angaben in Afghanistan inhaftiert und misshandelt.


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