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Chronik Afghanistan

Oktober 2006

Sonntag, 1. Oktober, bis Sonntag, 8. Oktober
  • Die Bundeswehr ist dabei, Sicherheitsmängel in ihrem Camp im Norden Afghanistans zu beseitigen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte zu einer von der "Bild am Sonntag" am 1. Oktober veröffentlichten Mängelliste des Bundeswehr-Führungsstabes, die Beanstandungen stammten von Anfang des Jahres. Verbesserungen seien bereits im Mai/Juni beschlossen worden und würden umgesetzt. Manche "so genannte Mängel" seien vom Ministerium allerdings nicht als solche bewertet worden. Die "Bild am Sonntag" hatte unter Berufung auf die Mängelliste berichtet, Schutzmaßnahmen für das Camp Marmal in Masar-i-Sharif seien "aus Kostengründen" nur unvollkommen realisiert worden. Unter anderem sei ein acht Millionen Euro teures Sensorsystem zur Aufklärung in einem Umkreis von bis zu 20 Kilometern rund um das Camp frühestens in neun Monaten verfügbar. Es gebe "kein effektives Mittel" gegen den Beschuss durch Artillerieraketen und Mörsergranaten. Ein wirksames Flugabwehrsystem sei frühestens 2008 verfügbar. Der Bedarf an gepanzerten Fahrzeugen sei in der Regel nicht gedeckt. Das Blatt berichtete auch von einem Streit unter den Militärs über den Einsatz von Aufklärungsflugzeugen vom Typ "Tornado" in Afghanistan. Dazu sagte der Sprecher, der Einsatz von "Tornados" sei "vom Ministerium definitiv abgelehnt worden". Aufwand und Nutzen stünden in keinem angemessenen Verhältnis.
    Die Sicherheitslage hat sich in jüngster Zeit auch im Norden Afghanistans deutlich verschlechtert. Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Karlheinz Viereck, habe eine zunehmende Enttäuschung und Unzufriedenheit der Bevölkerung, ungebrochenen Einfluss der regionalen Machthaber, ausufernde Banden-Kriminalität und eine akute Bedrohung durch gewaltbereite Kräfte gemeldet, schrieb das Blatt.
  • Ein in Großbritannien aufgetauchtes Video könnte neuen Aufschluss über die Attentäter vom 11. September 2001 geben: Die Aufnahme, die die "Sunday Times" am 1. Okt. auf ihrer Web-Site veröffentlichte, zeigt den früher in Hamburg lebenden Todespiloten Mohamed Atta und einen weiteren Flugzeugentführer. Die beiden scherzen miteinander, bevor sie sich mit ernstem Gesicht der Kamera zuwenden. Das rund einstündige Video ist jedoch nicht mit Ton unterlegt. Die Aufnahme wurde der Sunday Times nach eigenen Angaben über bewährte Kanäle zugespielt. Das Video ist auf den 18. Januar 2000 datiert und wurde der Zeitung zufolge in Afghanistan aufgenommen mit dem Ziel, es nach dem Tod der beiden Attentäter zu veröffentlichen.
  • Bei einem Selbstmordanschlag in der afghanischen Hauptstadt Kabul sind am 2. Okt. drei Soldaten der internationalen Schutztruppe ISAF und drei Zivilisten verletzt worden. Der Attentäter habe den Sprengsatz an seinem Körper nahe einem ISAF-Konvoi gezündet, sagte ein NATO-Sprecher in Kabul. Die drei Soldaten der von der NATO geführten Schutztruppe hätten leichte Verletzungen erlitten. Ihr Fahrzeug sei stark beschädigt worden. Zur Nationalität der Soldaten machte der Sprecher keine Angaben. Es handele sich jedoch nicht um deutsche Soldaten, teilte das Bundesverteidigungsministerium mit.
  • In der südafghanischen Provinz Paktia kamen drei afghanische Soldaten bei der Explosion einer Landmine ums Leben. Vier Soldaten wurden verletzt, berichtete die in Pakistan ansässige Nachrichtenagentur AIP am 2. Okt. Zu beiden Anschlägen bekannten sich die radikalislamischen Taliban.
  • Mutmaßliche Taliban-Rebellen haben im Osten Afghanistans zwei US-Militärs und einen afghanischen Soldaten getötet. Wie die US-geführten Truppen mitteilten, ereignete sich das Gefecht, bei dem drei US-Sodaten verletzt wurden, am Abend des 2. Okt. im Unruhedistrikt Pech in der Provinz Kunar. An der seit Mitte September andauernden "Operation Mountain Fury" (Operation Wut im Gebirge) in fünf ostafghanischen Provinzen nehmen mehr als 4000 afghanische Soldaten und Polizisten sowie 3000 Soldaten der US-geführten Streitkräfte teil. Kunar gehört allerdings nicht zum Einsatzgebiet.
  • Die NATO-Schutztruppe ISAF wird am 5. Okt. das Kommando über bisher von den USA geführte Truppen im Osten Afghanistans übernehmen. Damit werde die ISAF-Mission über das ganze Land ausgeweitet, sagte der NATO-Repräsentant in Afghanistan, Daan Everts, am 3. Okt. in Kabul. Der größte Teil der US-Truppen, die bisher im Osten unter ihrem eigenen Kommando standen, werde der ISAF unterstellt. Genauere Angaben zur Zahl der Soldaten machte Everts nicht. Am Sonntag hatte ein NATO-Sprecher angekündigt, es handele sich um 10.000 bis 12.000 Mann, die der ISAF unterstellt würden. Ungefähr 8000 US-Soldaten würden im Osten Teil der US-geführten Koalition bleiben.
  • Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Schutztruppe in Afghanistan (ISAF) sind am 3. Okt. im Süden des Landes vier afghanische Zivilisten verletzt worden. Unter den Verletzten sei auch ein kleiner Junge, teilte ein ISAF-Sprecher mit. Der Attentäter rammte demnach mit einem Motorrad den Konvoi in der Nähe der Stadt Kandahar. ISAF-Soldaten riegelten den Ort des Anschlags ab. Für das Attentat übernahm ein mutmaßlicher Sprecher der islamistischen Taliban die Verantwortung. Extremisten haben nach UN-Angaben in diesem Jahr in Afghanistan bereits mehr als 90 Selbstmordanschläge verübt.
  • Rund 5.000 verletzte Soldaten aus Großbritannien können derzeit nicht in ihre Einsatzgebiete Irak und Afghanistan zurück, weil sie in ihrer Heimat auf eine angemessene Behandlung in Krankenhäusern warten. Der "Daily Telegraph" zitiert am 4. Okt. den Militärzt Peter Golding, wonach Patienten sogar nach Schottland oder Deutschland geschickt würden, weil die lokalen Krankenhäuser nicht gut genug ausgestattet seien. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums in London wollte die Anzahl der zu behandelnden Soldaten nicht kommentieren. Sie sagte jedoch, dass jeder verletzte Soldat die bestmögliche Versorgung bekomme.
  • Fast die Hälfte der US-Soldaten klagt nach der Rückkehr aus dem Irak oder aus Afghanistan über mangelhafte Ausrüstung und schlechte Planung. 42 Prozent der Heimkehrer halten die militärische Ausrüstung der US-Truppen in den beiden Einsatzländern für unzureichend, wie aus einer am 4. Okt. in Washington vorgestellten Umfrage der Veteranengruppe VoteVets.org hervorgeht. 35 Prozent der Befragten gaben an, in Fahrzeugen ohne Panzerung unterwegs gewesen zu sein. Viele der Veteranen beklagten zudem, dass ihr Einsatz im Irak oder in Afghanistan länger gedauert habe als ursprünglich vorgesehen. Insgesamt 63 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass sich die US-Armee mit den beiden Einsätzen übernommen habe.
  • Der nach Guantánamo verschleppte Bremer Türke Murat Kurnaz ist nach eigenen Angaben in der Haft von deutschen Soldaten misshandelt worden. Kurznaz sagte dem Hamburger Magazin "Stern" am 4. Okt., er sei in einem geheimen US-Gefängnis in Afghanistan von US-Militärs gefoltert worden. Doch sei er auch von deutschen Soldaten misshandelt worden. Nach Angaben des "Stern" handelte es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um Angehörige der Elite-Einheit Kommando Spezialkräfte (KSK). Sie seien damals die einzigen deutschen Soldaten im afghanischen Kandahar gewesen, wo das Gefängnis gewesen sei.
  • Sicherheitskräfte in Afghanistan haben nach Geheimdienstangaben 17 potenzielle Selbstmordattentäter festgenommen. Die Verdächtigen seien in den Provinzen Nangarhar, Kundus und Kabul gefasst worden und hätten angegeben, sie seien im benachbarten Pakistan ausgebildet worden, erklärte am 4. Okt. ein Sprecher des afghanischen Geheimdienstes. Wann sie festgenommen wurden, sagte er nicht. Die Verdächtigen seien in einem afghanischen Flüchtlingslager bei Peshawar und einem weiteren Lager bei Data Chel in Nord-Waziristan ausgebildet worden. Extremisten hätten sie zu Selbstmordanschlägen angestachelt, da die Ausländer in Afghanistan schlechte Dinge täten, die in einem islamischen Land inakzeptabel seien, sagte Sprecher Said Ansari bei einer Pressekonferenz in Kabul weiter. Unter den 17 sei ein Afghane, die Nationalität der anderen nannte er nicht. Der oberste pakistanische Militärsprecher, Generalmajor Shaukat Sultan, sagte, ihm lägen keine Informationen über die Festnahmen vor.
  • Die von der NATO geführte Internationale Schutztruppe in Afghanistan (ISAF) hat am 5. Okt. die Kontrolle über den Osten des Landes übernommen und damit ihren Kommandobereich auf das ganze Land erweitert. Bei einer Zeremonie im ISAF-Hauptquartier in Kabul wurde das Kommando offiziell vom Kommandeur der US-geführten Koalition, General Karl Eikenberry, an den britischen NATO-General David Richards übertragen. An der Zeremonie nahm auch der afghanische Präsident Hamid Karsai teil.




Laut AP vom 5. Okt. befinden nehmen derzeit folgende Truppenkontingente an der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) teil (hierin befinden sich nicht die Truppen, die im Rahmen von "Enduring Freedom" in Afghanistan kämpfen):
Truppen aus NATO-Staaten:
  • USA 12.000 Soldaten
  • Großbritannien 5.200
  • Deutschland 2.750
  • Niederlande 2.100
  • Kanada 1.800
  • Italien 1.800
  • Frankreich 1.000
  • Rumänien 750
  • Spanien 625
  • Türkei 475
  • Norwegen 350
  • Dänemark 325
  • Belgien 300
  • Ungarn 200
  • Portugal 180
  • Griechenland 180
  • Bulgarien 150
  • Litauen 135
  • Tschechien 100
  • Estland 90
  • Slowakei 60
  • Slowenien 50
  • Lettland 35
  • Island 15
  • Luxemburg 10
  • Polen 10
Aus Staaten, die nicht der NATO angehören:
  • Schweden 350 Soldaten
  • Australien 200
  • Kroatien 120
  • Mazedonien 120
  • Neuseeland 100
  • Finnland 100
  • Albanien 30
  • Aserbaidschan 20
  • Irland 10
  • Österreich 5
  • Schweiz 5
Insgesamt etwa 31.000 Soldaten



  • Ein Soldat der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe in Afghanistan (ISAF) ist am 7. Okt. bei einem Überfall im Süden des Landes getötet worden. Ein Sprengsatz sei beim Vorbeifahren einer ISAF-Patrouille explodiert, anschließend hätten Aufständische mit leichten Waffen das Feuer eröffnet, hieß es in einer Erklärung der NATO. Einer der ISAF-Soldaten sei bei dem Überfall im Distrikt Pandschwaji in der Provinz Kandahar ums Leben gekommen. Zur Nationalität des Soldaten wurden keine Angaben gemacht.
  • Im Norden Afghanistans sind am 7. Okt. zwei deutsche Journalisten erschossen worden. Unbekannte hätten die beiden Deutschen in der Nacht gegen 1.20 Uhr Ortszeit in ihrem Zelt erschossen, sagte ein Sprecher des afghanischen Innenministeriums in Kabul. Die Angreifer hätten AK-47-Gewehre verwendet. Der Mann und die Frau arbeiteten nach Angaben des Sprechers für die Deutsche Welle. Die Journalisten seien auf dem Weg von der Provinz Baghlan im Norden des Landes in die Provinz Bamijan gewesen und hätten unterwegs im Bezirk Tala Wa Barfak ihr Zelt aufgeschlagen.
    Die Deutsche Welle hat den Tod von zwei freien Journalisten in Afghanistan bestätigt. "Erstmals seit dem Sturz der Taliban sind in Afghanistan deutsche Journalisten getötet worden, es handelt sich um zwei frei Mitarbeiter der Deutschen Welle", hieß es am Nachmittag des 7. Okt. auf der Website des Senders. Einzelheiten und insbesondere die Namen der Mitarbeiter gab der Sender zunächst nicht bekannt. Die getöteten Journalisten, ein Mann und eine Frau, waren nach Angaben des Innenministeriums in Kabul auf dem Weg nach Bamijan, wo die fundamentalistischen Taliban im März 2001 weltberühmte Buddha-Figuren gesprengt hatten. Ein Mitarbeiter der Deutschen Welle, der nicht namentlich genannt werden wollte, sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass die beiden Reporter über historische Stätten in Bamijan berichten wollten.
  • US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der Afghanistan gerne als erfolgreiches Beispiel im Kampf gegen den Terror nennt, hat dort auch Rückschläge eingestanden. "Nicht alle Nachrichten aus Afghanistan sind ermutigend", schrieb Rumsfeld in einem Beitrag für die Zeitung "Washington Post" (Ausgabe vom 7. Okt.). Als negative Beispiele zitierte der Minister die wachsende Gewalt im Süden des Landes. Auch den Anstieg der Mohnproduktion nannte er einen "destabilisierenden Faktor". Im Krieg gebe es klare Zeichen für den Sieg. Nach dem offenen Kampf aber lasse sich der Fortschritt nicht mehr so deutlich messen, vor allem in einem Land, dass nichts gekannt habe als den Krieg, schrieb Rumsfeld.
  • Bundesregierung und Bundeswehrsoldaten haben die massiven Vorwürfe des früheren Bremer Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz zurückgewiesen. Wie der "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" am 8. Okt. berichten, dementierte die Regierung die Anschuldigung des heute 24-Jährigen, in dem Lager auf Kuba nicht nur 2002, sondern auch 2004 von deutschen Beamten vernommen worden zu sein. Zudem bestritten laut "Bild am Sonntag" (vom 8. Okt.) deutsche Soldaten, die nach eigenen Angaben 2002 im afghanischen Kandahar mit dem türkischstämmigen Bremer vor seiner Verlegung nach Guantánamo sprachen, diesen misshandelt zu haben.
  • Der oberste NATO-Kommandeur in Afghanistan hat vor einer wachsenden Unterstützung für die Taliban gewarnt, sollten sich die Lebensbedingungen im Land nicht rasch verbessern. Afghanistan befinde sich an einem Scheideweg, sagte ISAF-Kommandeur Generalleutnant David Richards am 8. Okt. in einem Interview der Nachrichtenagentur AP. Wenn die Menschen in den kommenden sechs Monaten keine Verbesserungen vorfänden, könnte ein Großteil der Bevölkerung die Seiten wechseln. Viele wollten eher die Taliban unterstützen als weitere fünf Jahre Kämpfe und Gewalt in Kauf zu nehmen, sagte Richards.
Montag, 9. Oktober, bis Sonntag, 15. Oktober
  • Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat das Verhalten der US-Streitkräfte in Afghanistan kritisiert. "Die Art der Terrorismusbekämpfung im Rahmen von 'Enduring Freedom' mit dem zum Teil sehr martialischen Verhalten amerikanischer Soldaten trägt jedenfalls nicht immer dazu bei, dass Menschen, die mit den Taliban im Grunde gar nichts zu tun haben, Vertrauen gewinnen", sagte die SPD-Politikerin der "Stuttgarter Zeitung" (Ausgabe vom 9. Okt.). Fortschritte seien nicht militärisch zu erzwingen. Vielmehr müssten die Menschen "spüren, dass es ihnen besser geht", sagte die Ministerin weiter. Deshalb werde sich Deutschland auch im besonders umkämpften Süden des Landes entwicklungspolitisch stärker engagieren. Um die in der großen Koalition vereinbarte Steigerung des Entwicklungshilfeetats zu erreichen, brachte Wieczorek-Zeul eine Flugticket-Abgabe ins Gespräch. Eine solche Abgabe wurde noch vor kurzem im Bundestag von Union und SPD abgelehnt. Noch brauche man eine solche Abgabe nicht, aber es könne "eine Situation eintreten, in der wir über neue Instrumente entscheiden müssen". Es gebe viele Ideen, unter anderem die Abgabe auf Flugtickets wie in Frankreich.
  • Die Internationale Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) und die afghanische Armee haben im Süden des Landes 52 Aufständische getötet. In der Provinz Urusgan hätten am Vortag 20 Rebellen die NATO-geführte ISAF und die einheimischen Soldaten angegriffen, teilte die Internationale Schutztruppe am 9. Okt. mit. Die Soldaten hätten den Angriff erwidert und bei dem anschließenden mehrstündigen Gefecht 52 Aufständische getötet. Die afghanische Armee hatte am 8. Okt. erklärt, dass bei den Kämpfen im Bezirk Tschar Tschino etwa dreißig Rebellen ums Leben gekommen seien.
  • Der UN-Sicherheitsrat wird in Kürze eine Mission nach Afghanistan entsenden, um die Bedrohung durch das Terrornetzwerk El Kaida und die Taliban vor Ort zu überprüfen. In einer vom japanischen Botschafter bei der UNO, Kenzo Oshima, am 9. Okt. in New York verlesenen Erklärung betonte der Rat, dass der Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan fortgesetzt werden müsse. Das Gremium begrüßte zudem die Zusammenarbeit der afghanischen Regierung mit Nachbarländern bei der Bekämpfung der Anhängern von Taliban, El Kaida und anderen extremistischen Organisationen. Die Mission könnte nach Angaben Oshimas im November beginnen. Der japanische Diplomat machte keine Angaben dazu, wie viele und welche Mitarbeiter der Rat schicken will.
  • Nach dem jüngsten Bombenanschlag in Kabul hat Grünen-Chefin Claudia Roth eindringlich vor einem Rückzug der internationalen Staatengemeinschaft aus Afghanistan gewarnt. Ein Rückzug wäre "verheerend" und eine "gigantische Niederlage" auch im Kampf gegen den Terrorismus, sagte Roth während ihrer Afghanistan-Reise am 10. Okt. der Nachrichtenagentur AFP. Das Land sei an einer "ganz kritischen Wegmarke". Es müsse alles getan werden, um den Wiederaufbau weiter voranzubringen und die Sicherheit zu stärken. Roth hob dabei den wichtigen Beitrag der Bundeswehr hervor. Sie leiste "Friedensarbeit", indem sie Sicherheit schaffe und zum Beispiel auch Mädchen auf dem Weg zur Schule schütze. Ein Rückzug würde die Hoffnungen vieler Menschen enttäuschen.
  • Ein im September von britischen Soldaten im Irak getöteter Mann ist anhand von DNA-Tests als führender Vertreter des Terrornetzwerks El Kaida identifiziert worden. Wie die Koalitionstruppen am 11. Okt. in Bagdad mitteilten, handelte es sich um Omar el Faruk. Er soll zum Führungszirkel um Osama bin Laden gezählt haben und El-Kaida-Chef für Südostasien gewesen sein. Er wurde am 25. September getötet, als er aus seinem Versteck in einem Haus in Basra das Feuer auf 250 britische Soldaten eröffnete. Diese waren auf der Suche nach einem anderen mutmaßlichen Terroristen gewesen. Der 35-jährige Faruk ist als Sohn irakischer Einwanderer in Kuwait geboren. Er war im Juli 2002 in Indonesien festgenommen worden und an die US-Truppen in Afghanistan überstellt worden. 2005 gelang ihm jedoch die Flucht aus einem Gefängnis auf der US-Luftwaffenbasis in Bagram. Anschließend ging er in den Irak.
  • Bei zwei Anschlägen in der ostafghanischen Provinz Chost sind am 12. Okt. sieben Menschen verletzt worden. Wie ein Polizeisprecher in Chost mitteilte, näherte sich ein Selbstmordattentäter einem Militärfahrzeug mit afghanischen Soldaten und sprengte sich in die Luft. Der Mann sei in der Explosion ums Leben gekommen, vier Soldaten seien verletzt worden. Im Bezirk Tani sei eine US-Patrouille mit einem ferngezündeten Sprengsatz angegriffen. Drei Zivilpersonen seien dabei verletzt worden.
  • Soldaten der NATO und der afghanischen Streitkräfte haben am 12. Okt. bis zu 20 mutmaßliche Kämpfer der Taliban getötet. Ein Sprecher der NATO-Truppen erklärte, rund 60 Aufständische hätten eine Patrouille im Süden der Provinz Kandahar angegriffen. Die Soldaten hätten das Feuer erwidert und Verstärkung aus der Luft angefordert. Bei den Gefechten seien bis zu 20 Angreifer ums Leben gekommen, zwei seien festgenommen worden. Auf seiten der Soldaten gab es den Angaben zufolge keine Opfer.
  • Bei einem Selbstmordanschlag in der südafghanischen Stadt Kandahar sind am 13. Okt. ein NATO-Soldat getötet und acht Afghanen getötet worden. Wie die Internationale Afghanistan-Truppe (ISAF) mitteilte, attackierte der Attentäter mit einer Autobombe einen ISAF-Konvoi. Acht afghanische Zivilisten wurden demnach getötet, zwei ISAF-Soldaten und mehrere Zivilisten verletzt. Einer der beiden Soldaten erlag demnach später seinen Verletzungen. Die NATO-geführte ISAF-Truppe machte keine Angaben zur Nationalität der Soldaten. Im unruhigen Süden Afghanistan sind vor allem kanadische Soldaten stationiert.
  • Viereinhalb Monate nach Übernahme des Kommandos in Nordafghanistan hat die Bundeswehr-Führung im Hauptquartier in Masar-i-Scharif gewechselt. Die Internationale Schutztruppe ISAF teilte am 13. Okt. mit, Brigadegeneral Markus Kneip habe das Regionalkommando im Norden und den Oberbefehl über das deutsche ISAF-Kontingent in Afghanistan an Brigadegeneral Volker Barth übergeben. Die Bundeswehr hatte am 1. Juni das ISAF-Kommando für Nordafghanistan übernommen. Bei Anschlägen waren danach mehrere deutsche Soldaten verletzt worden.
  • Die Bundesregierung plant die Entsendung weiterer Polizisten nach Afghanistan. Das berichtet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 13. Okt. unter Berufung auf eine Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion. Einzelheiten zur Zahl der zusätzlichen Polizisten und zum Zeitpunkt der Entsendung werden in der Antwort nicht genannt. Die FDP-Politikerin Birgit Homburger kritisierte die Unverbindlichkeit der Aussage und forderte gegenüber der Zeitung genauere Angaben. Bisher beraten 40 deutsche Polizeibeamte die Afghanen beim Aufbau ihrer Polizei. Das reiche in dem riesigen Land nicht aus, kritisierte Homburger.
  • Bei einem Anschlag auf den Gouverneur der afghanischen Provinz Laghman ist am 14. Okt. ein Regierungsbeamter getötet worden. Der Gouverneur blieb nach Polizeiangaben unverletzt. Die in einem Abwassergraben versteckte Bombe wurde in dem Moment ferngezündet, als der Gouverneur in seinem Wagen vor dem Regierungssitz eintraf. Rund ein Dutzend Verdächtige wurden festgenommen. Es war der dritte Anschlag auf einen Provinzgouverneur in Afghanistan binnen fünf Wochen. Anfang September tötete ein Selbstmordattentäter den Regierungschef der Provinz Paktia, Ende September sprengte sich ein Selbstmordattentäter vor dem Amtssitz des Gouverneurs von Helmand in die Luft. 18 Menschen wurden getötet, der Gouverneur kam nicht zu Schaden.
  • In der südafghanischen Provinz Kandahar sprengte sich am 14. Okt. ein Selbstmordattentäter in einem Auto in der Nähe eines Konvois der afghanischen Streitkräfte in die Luft. Dabei wurden nach Angaben eines Regierungssprechers drei Soldaten verletzt.
    Am Abend des 13. Okt. griffen mutmaßliche Taliban-Rebellen in der Provinz Sabul eine Polizeipatrouille an. Bei der anschließenden Schießerei kamen nach Polizeiangaben zwei Polizisten und drei Angreifer ums Leben.
  • In Afghanistan ist ein italienischer Reporter entführt worden. Der Wagen des freien Journalisten sei auf einer Straße zwischen der Provinz Helmand und Kandahar von Rebellen der radikalislamischen Taliban gestoppt worden. Das erklärte ein afghanischer Begleiter des Mannes am 14. Okt. Er konnte den Entführern entkommen. Der Italiener bestätigte seine Entführung bei einem Telefonat. Das Außenministerium in Rom habe einen Krisenstab eingerichtet, berichtet die Nachrichtenagentur Ansa.
  • Bei einem Angriff im Süden Afghanistans sind am 14. Okt. zwei kanadische ISAF-Soldaten getötet worden. Nach Angaben des kanadischen Verteidigungsministeriums geriet ihre Einheit in der Provinz Kandahar in einen Hinterhalt. Zwei weitere Soldaten seien verletzt worden. Laut der internationalen Schutztruppe (ISAF) griffen die Rebellen die Soldaten unter anderem mit Raketenwerfern an. Anschließend hätten sie sich dreistündige Gefechte mit den kanadischen ISAF-Truppen geliefert.
  • In Afghanistan sind zwei Anschläge auf deutsche Militärkonvois verübt worden. In der Nacht zum 14. Okt. sei eine aus drei Fahrzeugen bestehende deutsche Patrouille in der Nähe von Kundus beschossen worden, sagte ein Pressestabsoffizier in Masar-i-Scharif der AFP. Dabei sei ein deutscher Soldat am Bein verletzt worden. Nach einer Operation gehe es dem Soldaten "den Umständen entsprechend gut". Am Nachmittag dea 15. Okt. wurde nach Bundeswehrangaben ein Sprengstoffanschlag auf einen deutschen Konvoi in der Altstadt von Faisabad verübt. Bei dem Anschlag in Faisabad wurde kein deutscher Soldat verletzt. Über mögliche Opfer in der Zivilbevölkerung gibt es noch keine Angaben. Über die Täter sei nichts bekannt, die Ermittlungen liefen noch, hieß es.
  • Frankreich zieht laut einem Pressebericht bis Anfang 2007 eine 200 Mann starke Sondereinheit aus Afghanistan zurück, die sich am Kampf gegen das Terrornetzwerk Al Kaida beteiligt. Die Entscheidung sei auf höchster Ebene getroffen worden, berichtete die Sonntagszeitung "Journal de Dimanche" (15. Okt.) unter Hinweis auf nicht näher bezeichnete Quellen mit engen Verbindungen zu den Streitkräften. Der Abzug der Spezialkräfte sei von Staatspräsident Jacques Chirac und den Stabschefs der Streitkräfte beschlossen worden. Die Elitesoldaten waren im Südosten Afghanistans eingesetzt und beteiligten sich auch an der Suche nach dem Al-Kaida-Anführer Osama bin Laden. Als möglichen Grund für den Rückzug nannte das Blatt die sich verschlimmernde Sicherheitslage in Afghanistan. Nicht betroffen von der Entscheidung seien die 1.700 französischen Soldaten, die sich an der von der NATO geführten ISAF-Mission beteiligen.
Montag, 16. Oktober, bis Sonntag, 22. Oktober
  • Im Süden Afghanistans hat ein Selbstmordattentäter am 16. Okt. einen Anschlag auf einen NATO-Konvoi verübt und mindestens drei Menschen mit in den Tod gerissen. Der Mann lenkte seinen mit Sprengstoff beladenen Wagen in einem Außenbezirk von Kandahar in den Konvoi, wie ein NATO-Sprecher sagte. Die Explosion beschädigte ein Militärfahrzeug. Soldaten kamen offenbar nicht zu Schaden. Bei den Todesopfern handelt es sich laut Polizei um drei afghanische Zivilpersonen, vier weitere wurden verletzt.
  • In der Hauptstadt Kabul sprengte sich am 16. Okt. ein Selbstmordattentäter in seinem Auto in die Luft. Die Polizei hatte den Mann nach eigenen Angaben verfolgt und in der Nähe des internationalen Flughafens umstellt, woraufhin er den Sprengsatz zündete. Ein Kind sei leicht verletzt worden, sagten Augenzeugen.
  • Ein Ermittlungsverfahren gegen den früheren Bremer Guantánamo-Gefangenen Murat Kurnaz wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ist mangels Tatverdachts endgültig eingestellt worden. Entsprechende Angaben von Kurnaz Anwalt Bernhard Docke bestätigte am 17. Okt. die Bremer Staatsanwaltschaft. Das Ermittlungsverfahren hatte die Behörde bereits im Oktober 2001 eingeleitet. Weil Kurnaz in Guantánamo saß und mehr als vier Jahre abwesend war, war das Verfahren vorläufig eingestellt worden. Nach der Rückkehr des 24-Jährigen im August hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufgenommen. Kurnaz Anwalt Docke erklärte, durch die endgültige Einstellung sei nun die Unschuld seines Mandanten auch förmlich festgestellt worden.
    Nach Misshandlungsvorwürfen von Kurnaz gegen Bundeswehrsoldaten ermittelt nach Angaben Dockes inzwischen die Staatsanwaltschaft Potsdam wegen Körperverletzung im Amt gegen Unbekannt. Sein Mandant stehe der Behörde ebenso wie dem BND-Untersuchungsausschuss des Bundestags für eine Zeugenaussage zur Verfügung, erklärte der Anwalt. Kurnaz hatte in der am 16. Okt. ausgestrahlten ARD-Sendung "Beckmann" erneut gesagt, er sei im afghanischen Kandahar definitiv von deutschen Soldaten misshandelt worden. "Ich habe keine Zweifel, dass es Deutsche gewesen sind. Sie haben perfektes Deutsch gesprochen, und auf ihrer Uniform habe ich die deutsche Flagge gesehen", sagte der in Bremen geborene Türke.
  • Immer mehr Bundeswehrsoldaten leiden nach Auslandseinsätzen an psychischen Problemen: Die Zahl der Einsatzkräfte mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) hat sich in den vergangenen drei Jahren fast verdreifacht, wie das Verteidigungsministerium am 17. Oktober bestätigte. Im Jahr 2005 waren demnach mindestens 140 Bundeswehrsoldaten wegen posttraumatischer Störungen in Behandlung. 2003 waren es noch 48 gewesen. Wehrexperten von CDU und SPD forderten deshalb Verbesserungen bei der Traumaforschung und der Therapie von Betroffenen. (AP, 17. Oktober 2006)
  • Die Entführer eines in Afghanistan entführten italienischen Fotografen haben Forderungen für seine Freilassung gestellt und mit seiner Ermordung gedroht. Die Geiselnehmer forderten am 17. Okt. in einem Anruf bei der italienischen Organisation Emergency, der aus Afghanistan geflohene Christ Abdul Rahman solle in seine Heimat zurückkehren, wie die italienische Organisation PeaceReporters im Internet mitteilte. Rahman, ein 41-jähriger Afghane, war im Frühjahr zum Christentum übergetreten und nach Italien geflohen, das ihm politisches Asyl gewährt.
  • Die Kämpfe zwischen NATO-Soldaten und Rebellen im Süden Afghanistans gehen zunehmend zu Lasten der Zivilbevölkerung: Allein am 18. Okt. wurden 22 Dorfbewohner getötet, darunter auch Frauen und Kinder. Die Führung der von unter NATO-Kommando stehenden Schutztruppe ISAF erklärte, sie bedaure den Tod der Zivilpersonen und unternehme alles, um dieses Risiko möglichst gering zu halten.
    Bei Luftangriffen der NATO im Bezirk Schari wurden nach Angaben des Gouverneurs Asadullah Chalid drei Häuser getroffen. Neben einer nicht bekannten Zahl von Taliban-Kämpfern wurden neun Bewohner getötet und elf verletzt.
    In der Provinz Helmand, etwa 220 Kilometer westlich der Stadt Kandahar kamen 13 Menschen in einem Haus ums Leben, in das eine Rakete einschlug. In der Umgebung des Dorfes Tadschikai kam es zu nächtlichen Kämpfen zwischen afghanischen Einheiten und Taliban-Kämpfern. Die afghanische Polizei forderte Luftunterstützung der NATO an. Es sei aber unklar, von wem die Rakete abgefeuert worden sei, sagte der Polizeichef der Provinz, Gulam Nabi Malachel. Bei den Toten handelt es sich nach Angaben eines Dorfbewohners um fünf Frauen, fünf Kinder und drei Männer. In Tadschikai leben rund 100 Familien.
  • Union und SPD haben am 19. Okt. einen Untersuchungsausschuss im Fall des ehemaligen Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz beschlossen. Wie die Verteidigungsexperten der Koalition, Bernd Siebert (CDU) und Rainer Arnold (SPD) mitteilten, wandelt sich der Verteidigungsausschuss zu diesem Zweck in einen Untersuchungsausschuss um. Damit sollen die Vorwürfe des Deutsch-Türken Kurnaz, in Afghanistan von Bundeswehrsoldaten misshandelt worden zu sein, rückhaltlos aufgeklärt werden. Das Verteidigungsministerium hatte dem Ausschuss am Mittwoch einen Zwischenbericht vorgelegt, nach dem es keine Anhaltspunkte für den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe gibt.
  • Bei einem Anschlag auf die NATO-Truppen im Süden Afghanistans sind am 19. Okt. mehrere Menschen verletzt worden. Darunter seien auch mehrere britische Soldaten, teilte das Verteidigungsministerium in London mit. Ein Sprecher der afghanischen Behörden sagte, in Laschkar Gah, der Provinzhauptstadt von Helmand, habe sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Dabei seien auch mindestens vier Zivilisten verletzt worden. Ein Sprecher der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) sagte in Kabul, Todesopfer habe es nicht gegeben. Die Zahl der verletzten Soldaten sei gering. In der Provinz Helmand ist der Großteil der etwa 5000 britischen Soldaten in Afghanistan stationiert.
  • Bei einem Selbstmordanschlag auf britische Truppen in Südafghanistan sind am 19. Okt. zwei Kinder getötet worden. Sieben Passanten und einige Soldaten wurden verletzt, wie ein Sprecher der internationalen Afghanistan-truppe ISAF mitteilte. Der Anschlag ereignete sich in der Provinzhauptstadt Laschkar Gah. Der Täter näherte sich dem Fahrzeug zu Fuß.
  • NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer forderte die Mitgliedsstaaten des Bündnisses am 19. Okt. dazu auf, weitere Truppen nach Afghanistan zu schicken. Vor allem müsse die NATO der afghanischen Regierung dabei helfen, den Lebensstandard der Bevölkerung zu verbessern, sagte De Hoop Scheffer dem Rundfunksender BBC.
  • Nach dem Tod von 22 Dorfbewohnern am Mittwoch rief der afghanische Präsident Hamid Karsai am 19. Okt. die NATO auf, bei ihren militärischen Aktionen mehr auf den Schutz der Zivilbevölkerung zu achten. Den Angehörigen übermittelte Karsai sein Mitgefühl.
  • Der italienische Verteidigungsminister Arturo Parisi hat den von Geiselnehmern geforderten Abzug italienischer Soldaten aus Afghanistan kategorisch abgelehnt. "Wir sind in Afghanistan, und wir werden dort bleiben", sagte Parisi der Tageszeitung "La Stampa" (Ausgabe vom 19. Okt.) mit Blick auf die Forderungen der Entführer des italienischen Fotografen Gabriele Torsello. Die Geiselnehmer verlangen den Abzug aller 1.800 italienischen Soldaten aus Afghanistan und drohen mit der Ermordung ihres Opfers. Der 36-jährige Fotograf ist zum Islam konvertiert; er lebt in London, ist verheiratet und hat ein Kind. Bewaffnete Männer hatten ihn am Wochenende im Süden Afghanistans entführt.
  • Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels will den Antiterroreinsatz des Kommandos Spezialkräfte in Afghanistan beenden. Das sagte er am der "Stuttgarter Zeitung" (Ausgabe vom 20. Okt.). Die Elitetruppe KSK steht derzeit in der Kritik. Der ehemalige Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz wirft Bundeswehrsoldaten vor, ihn 2002 in einem US- Gefangenenlager in Afghanistan misshandelt zu haben. Zu der Zeit waren ausschließlich KSK-Soldaten vor Ort. Die Vorwürfe werden auch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss beschäftigen.
  • Frankreich erwägt einen Abzug seiner rund 200 Mann starken Sondereinheit aus Afghanistan. Das bestätigte Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie am 19. Okt. nach einem Treffen mit ihrem US-Kollegen Donald Rumsfeld in Washington. Die Ausweitung des NATO-Einsatzes in Afghanistan sei eine gute Gelegenheit, um den Verbleib der französischen Elitesoldaten auf den Prüfstand zu stellen. Die Entscheidung solle zu einem späteren Zeitpunkt fallen. Französische Medien hatten bereits am Wochenende berichtet, die Sondereinheit solle bis Anfang 2007 zurückgezogen werden. Die Elitesoldaten sind im Südosten Afghanistans im Kampf gegen das Terrornetzwerk Al Kaida sowie bei der Suche nach dem Al-Kaida-Chef Osama bin Laden im Einsatz. Frankreich ist außerdem mit 1.700 Soldaten an der von der NATO geführten ISAF-Mission beteiligt.
  • Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sagte, die Zustimmung ihrer Partei zur Verlängerung der Mission sei fraglich. Roth sagte in der "Neuen Presse" (Ausgabe vom 20. Okt.), als Parlamentarierin hätte sie keinem Einsatz des Kommandos zugestimmt, wenn sie geahnt hätte, dass dieser sich so verselbständigen könnte. Sie forderte eine "lückenlose öffentliche Aufklärung" zu den Misshandlungsvorwürfen des Bremers Murat Kurnaz. Bei einem geheim tagenden Ausschuss dürfe es nicht bleiben, sagte Roth.
  • Ungeachtet der Misshandlungsvorwürfe des Deutsch-Türken Murat Kurnaz will die Bundesregierung das Kommando Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan belassen. Die Verlängerung des Mandates für die Beteiligung der Bundeswehr an der Operation "Enduring Freedom", zu der auch der KSK-Einsatz zählt, soll vom Kabinett in der nächsten Woche beschlossen werden. Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg betonte am 20. Okt. in Berlin, es gebe "im Moment nur die Überlegung, das Mandat zu verlängern". Er wies zugleich Vorwürfe zurück, die Bundesregierung habe den Fall Kurnaz vernachlässigt. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums antwortete auf die Frage, ob der KSK-Einsatz aus dem Mandat herausgenommen werden könnte, es gebe keinen Grund, "den Gedanken des Filetierens zu verfolgen".
  • Bei einem Bombenanschlag auf einen Markt der pakistanischen Stadt Peshawar sind am 20. Okt. sieben Menschen getötet und mehr als 40 verletzt worden. Zum Zeitpunkt der Explosion waren der Markt und die angrenzenden Straßen im Stadtzentrum voll mit Bewohnern, die Nahrungsmittel für das Fest zum Ende des Fastenmonats Ramadan einkaufen wollten. Der Anschlag löste eine Panik aus. "Überall schrien Leute", berichtete der 18-jährige Straßenhändler Habibullah Khan. "Es gab Menschen, die in Pfützen von Blut lagen." Der Sprengsatz war nach Angaben des Polizeichefs Mohammed Riffat Pasha in einem Obstkarren versteckt. Peshawar liegt im Nordwesten von Pakistan nahe der Grenze zu Afghanistan. Die Region gilt als Rückzugsgebiet von afghanischen Taliban-Milizionären und Terroristen der Al Kaida.
  • Der flüchtige Taliban-Führer Mullah Omar hat mit einer Ausweitung der Anschläge gegen ausländische Soldaten in Afghanistan gedroht. In einer E-Mail an die Nachrichtenagentur AP hieß es am 20. Okt., die Taliban würden ihre Angriffe deutlich verstärken. Die NATO forderte Omar auf, das Land umgehend zu verlassen. Omar werde die Taliban auffordern, ihre Anschläge gegen die ausländischen und afghanischen Truppen zu verstärken, hieß es in der E-Mail. Dabei sollten unschuldige Zivilpersonen und Kinder verschont bleiben.
  • Neuer Gewalt in Afghanistan fielen acht Zivilbeschäftigte eines US-Stützpunkts in der östlichen Provinz Kunar zum Opfer. Nach Polizeiangaben vom 20. Okt. wurden die Afghanen auf dem Heimweg von der Arbeit überfallen und wie bei einer Hinrichtung gezielt erschossen.
  • Auf der Suche nach einer Bombenwerkstatt stürmten amerikanische und afghanische Soldaten am 20. Okt. ein Gebäude in der Provinz Chost. Ein mutmaßlicher Extremist wurde nach Militärangaben getötet, weil er seine Waffe auf die Soldaten richtete. In dem Dorf Bodakhel seien Sprengstoff und Zündschnüre gefunden worden.
  • In der nahe gelegenen Region Ismailcheil sprengte sich am 20. Okt. ein Selbstmordattentäter vor einer afghanischen Militärpatrouille in die Luft. Fünf Soldaten und drei Zivilpersonen wurden verletzt.
  • Der frühere britische Armeechef Peter Inge hat laut einem Zeitungsbericht vor einer Niederlage der Truppen seines Landes in Afghanistan gewarnt. Eine "klare Strategie" fehle auch im Irak, sagte Sir Peter der britischen Zeitung "The Observer" vom Sonntag (22. Okt.) zufolge während einer Tagung der Open-Europe-Denkfabrik am Dienstag (17. Okt.). Die britischen Soldaten sollten demnach nach seinen Worten den Irak "irgendwann bald" verlassen, da ihre Präsenz die dortigen Sicherheitsprobleme verschärfe. Inge kritisierte mangelnde Unterstützung der Streitkräfte mit Forschungs- und anderen Mitteln. Inge war zwischen 1994 und 1997 Generalstabschef von Großbritannien.
  • Vor der Kabinettsentscheidung über eine Verlängerung des KSK-Einsatzes in Afghanistan hat die Verteidigungsexpertin der Grünen im Europaparlament, Angelika Beer, ein Kontrollgremium des Bundestages für die Sondertruppe gefordert. Dieses wäre auch im Sinne der KSK, "weil gerade schwierige Einsätze eines Teils der Bundeswehr als Parlamentsarmee der politischen Unterstützung bedürfen", sagte Beer am 22. Okt. Eine verantwortliche Kontrolle der KSK durch das Parlament sei nur durch ein "vertraulich tagendes Gremium" zu gewährleisten, sagte Beer der "Netzeitung". In einem solchen geheimen Ausschuss sollten ihren Vorstellungen zufolge Vertreter aller Bundestagsfraktionen sowie die politische und militärische Führung regelmäßig und umfassend informiert werden. Beer forderte das Bundeskabinett auf, bei der Sitzung am Mittwoch die Einrichtung eines solchen Kontrollgremiums zu beschließen.
  • Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat sich angesichts der Foltervorwürfe des früheren Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz demonstrativ vor die Soldaten der Eliteeinheit "Kommando Spezialkräfte" (KSK) gestellt. "Die Vorgänge, die mittlerweile fünf Jahre alt sind, klären wir auf", sagte er der "Welt am Sonntag" (22. Okt.). Er wolle aber verhindern, dass die Krisenspezialkräfte in Verruf geraten. "Sie leisten Wichtiges für die Sicherheit Deutschlands und für die Sicherheit deutscher Soldaten im Ausland." Jung sagte der Zeitung, in einem Teil der Öffentlichkeit werde ein falsches Bild gezeichnet. Während sich im Bundestag die Stimmen mehren, die einer Verlängerung des Mandates für die KSK-Einsätze skeptisch gegenüberstehen, warb Jung für Zustimmung. "Gerade angesichts der angespannten Sicherheitslage in Afghanistan wäre es fahrlässig, das Mandat nicht zu verlängern", sagte Jung. Jung kündigte eine Besprechung mit den Obleuten des Verteidigungsausschusses an. Die Geheimhaltung der KSK-Operationen diene dem Schutz der Soldaten; gleichzeitig wolle er aber die Obleute noch besser informieren.
  • Der Taliban-Führer Mullah Omar hat die NATO zum Abzug aus Afghanistan aufgefordert. Er kündigte zugleich nach dem Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan deutlich heftigere Angriffe an. "Mit Allahs Gnade wird der Kampf um ein Vielfaches verstärkt und viel organisierter werden", hieß es in einer von der Nachrichtenagentur NNI am 22. Okt. in Pakistan verbreiteten Botschaft Mullah Omars. Die NATO, die die Internationale Schutztruppe ISAF führt, solle Afghanistan im eigenen Interesse verlassen. Das Ende des Fastenmonats Ramadan wird in Afghanistan an diesem Montag (23. Okt.) gefeiert.
  • Bei schweren Kämpfen zwischen rivalisierenden Gruppen in Afghanistan sind am 22. Okt. mindestens 32 Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt worden. Die Kämpfe in der westlichen Provinz Herat seien ausgebrochen, nachdem der örtlich bekannte Kommandeur Amanullah Chan mit Kämpfern in das Gebiet eines Rivalen eingedrungen sei, sagte der Provinzpolizeichef Basir Salangi der Nachrichtenagentur AFP. Die gegnerischen Kämpfer hätten daraufhin den Konvoi Chans attackiert.
Montag, 23. Oktober, bis Sonntag, 29. Oktober
  • Deutschland wird Afghanistan weiter beim Wiederaufbau der Polizei unterstützen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und sein afghanischer Kollege Sarar Ahmad Mokbil unterzeichneten am 23. Okt. in Berlin ein Abkommen, das eine neue rechtliche Grundlage für den Einsatz von 40 deutschen Polizisten in Kabul, Masar-i-Scharif, Kundus und Feisabad schafft. Künftige Schwerpunkte des deutschen Engagements werden die Beratung hoher Entscheidungsträger, die Umsetzung von Organisationsreformen, die Ausdehnung des Polizeiaufbaus in alle Provinzen und die Unterstützung bei Ausbildung und Ausstattung sein. Deutschland ist bereits seit März 2002 am Aufbau der Polizei in Afghanistan beteiligt. Etwa 70 Millionen Euro wurden bisher dafür bereitgestellt.
  • Ein afghanisches Mädchen ist durch einen Granatwerfer-Test von NATO-Truppen getötet worden. Zwei weitere Mädchen seien verletzt worden, als die Granate in der Provinz Kunar im Osten des Landes ihr Ziel verfehlte und ein Haus traf, hieß es nach Polizei- und Militärangaben vom 24. Okt. Die beiden verletzten Mädchen seien sieben Jahre alt und würden auf dem US-Stützpunkt von Bagram behandelt, sagte ein Sprecher der NATO-geführten Internationalen Schutztruppe in Afghanistan (ISAF). Der Vorfall werde untersucht.
  • Bundeswehrsoldaten haben angeblich in Afghanistan einen Toten geschändet: Der "Bild"-Zeitung wurden nach eigenen Angaben mehrere Fotos zugespielt, die den Vorfall dokumentieren. Die fünf am 25. Okt. veröffentlichten Aufnahmen zeigten Soldaten des deutschen Afghanistan-Kontingents (ISAF) in Tarnanzügen auf einer Patrouillenfahrt in der Umgebung der Hauptstadt Kabul. Die Aufnahmen entstanden nach Aussage eines Bundeswehr-Angehörigen bereits im Frühjahr 2003. Die Fotos zeigen laut "Bild" deutsche Soldaten mit einem Totenschädel. Auf einem Foto ist demnach zu sehen, wie ein Bundeswehrsoldat den Schädel an einer Spezialvorrichtung zur Durchtrennung von Stahlseilen aufspieße. Ein anderes Foto zeige einen Bundeswehrsoldaten mit entblößtem Penis in der linken und dem Schädel in der rechten Hand. Die Aufnahmen sollen nach Aussage eines Bundeswehr-Angehörigen bei einer Patrouillenfahrt unter dem Kommando eines Feldwebels entstanden sein. Auch zwei Stabsunteroffiziere und zwei weitere Soldaten seien an dem Vorfall beteiligt gewesen.
  • Der Verteidigungsausschuss des Bundestages ist am 25. Okt. zusammengekommen, um sich auf die Untersuchung der vom ehemaligen Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz erhobenen Vorwürfe vorzubereiten. Der Ausschuss will sich dazu in der nächsten Sitzungswoche als Untersuchungsausschuss konstituieren. Danach hat er die Möglichkeit, mit den Mitteln der Strafprozessordnung den Vorwurf von Kurnaz zu überprüfen, er sei im Sommer 2002 von zwei Soldaten der Bundeswehr-Eliteeinheit KSK in einem amerikanischen Gefangenenlager in Afghanistan misshandelt worden.
  • Vertreter der großen Koalition und der Bundeswehrverband fordern eine rasche Aufklärung der Vorwürfe, deutsche Soldaten hätten in Afghanistan Leichen geschändet. "Wir müssen wissen, ob es sich dabei um Einzelfälle handelt, wovon zunächst einmal, denke ich, auszugehen ist", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), am 25. Okt. im RBB. "Das muss aufgeklärt werden, damit der Ruf der Bundeswehr keinen Schaden leidet." Grundsätzlich seien die deutschen Soldaten gut ausgebildet und könnten dem psychischen Druck eines solchen Einsatzes standhalten.
  • Bei einer Offensive der NATO-Truppen gegen Taliban-Rebellen in Südafghanistan sind am 24. Okt. mindestens 38 Aufständische getötet worden. Die Soldaten seien gezielt gegen Rebellen vorgegangen, die versucht hätten, in die Bezirke Schari und Pandschwaji vorzudringen, sagte ein NATO-Sprecher am 25. Okt. In der Region, die als Hochburg der radikalislamischen Taliban gilt, hatten die NATO-Truppen im September eine Großoffensive gegen die Rebellen begonnen.
  • Im Süden Afghanistans haben NATO-Truppen und einheimische Polizisten mehr als neun Tonnen Marihuana beschlagnahmt, wie die Streitkräfte am 25. Okt. mitteilten. Das Rauschgift wurde demnach auf einem Lastwagen in der Provinz Sabul entdeckt. Wann der Einsatz stattfand, wurde nicht mitgeteilt. In der westlichen Provinz Farah stellten afghanische und US-Soldaten nach NATO-Angaben vom Dienstag rund 55 Kilogramm Opium sicher.
  • Das Bundeskabinett hat nach Angaben von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) die Fortsetzung der Bundeswehr-Beteiligung an der US-geführten Anti-Terror-Operation "Enduring Freedom" in Afghanistan beschlossen. Das teilte Jung am 25. Okt. in Berlin bei der Vorstellung des neuen Weißbuchs für die Bundeswehr mit. Im Rahmen der Verlängerung des Mandats ist vorgesehen, die maximale Personalstärke von 2.800 auf 1.800 Soldaten zu reduzieren. Zu der Enduring Freedom-Mission gehört auch der Afghanistan-Einsatz des Bundeswehr-Kommandos Spezialkräfte (KSK), das jüngst im Zusammenhang mit mutmaßlichen Misshandlungsvorwürfen in die Kritik geraten war. Danach sollen KSK-Angehörige in Afghanistan den Deutsch-Türken Murat Kurnaz in einem US-Gefängnis in der südafghanischen Stadt Kandahar körperlich misshandelt haben.
  • Die an der mutmaßlichen Leichenschändung in Afghanistan beteiligten Bundeswehrsoldaten kamen nach einem Pressebericht aus einer Gebirgsjäger-Einheit in Bayern. In Frage kämen die Standorte Bad Reichenhall und Mittenwald, berichtet die in Halle erscheinende "Mitteldeutsche Zeitung" (Ausgabe vom 26. Okt.). Einer der beiden Soldaten sei noch im Dienst, der andere sei ausgeschieden, vermeldete die Zeitung unter Berufung auf Bundeswehrkreise.
  • Die Regierung in Kabul hat sich schockiert über die Fotos einer Leichenschändung von Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan gezeigt. "Ich war von Abscheu und Ekel ergriffen, als ich die Fotos sah", sagte Wirtschaftsminister Amin Farhang am 26. Okt. "Spiegel online" zufolge. "Das ganze Land ist schockiert von diesen Fotos, moralisch ist diese Tat zutiefst zu verurteilen". Farhang äußerte die Hoffnung, dass der Ruf der deutschen Streitkräfte in Afghanistan dennoch keinen Schaden nimmt.
  • Die Bundeswehr hat sechs Beteiligte der mutmaßlichen Leichenschändungen in Afghanistan identifiziert. Vier von ihnen gehörten nicht mehr der Bundeswehr an, sagte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) am Donnerstag im Bundestag. Gegen die mutmaßlichn Täter würden disziplinarische und strafrechtliche Maßnahmen eingeleitet. "Wir werden sie einer gerechten Strafe zuführen." Das Verhalten der Soldaten stehe in diametralem Gegensatz zu den Werten des Grundgesetzes. "Wer sich so verhält, hat in der Bundeswehr keinen Platz."
  • Die Bundeswehr hat sechs Beteiligte der mutmaßlichen Leichenschändungen in Afghanistan identifiziert. Vier von ihnen gehörten nicht mehr der Bundeswehr an, sagte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) am 26. Okt. im Bundestag. Gegen die mutmaßlichn Täter würden disziplinarische und strafrechtliche Maßnahmen eingeleitet. "Wir werden sie einer gerechten Strafe zuführen." Das Verhalten der Soldaten stehe in diametralem Gegensatz zu den Werten des Grundgesetzes. "Wer sich so verhält, hat in der Bundeswehr keinen Platz."
  • Bei Einsätzen der NATO im Süden Afghanistans sind nach afghanischen Angaben mindestens 60 Zivilpersonen getötet worden. Ein Mitglied eines Provinzrats, Bismallah Afghanmal, sagte am 26. Okt., bei Gefechten im Bezirk Panjwaji in der Provinz Kandahar seien am 24. okt. 80 bis 85 Zivilpersonen getötet worden. Der Dorfbewohner Karim Jan sprach von 60 bis 70 Toten. Ein Behördensprecher nannte eine Zahl von mindestens 60 Toten. Die NATO hatte am 25. Okt. mitgeteilt, bei Kämpfen in Panjwaji seien 48 Aufständische ums Leben gekommen. Zudem gebe es glaubwürdige Berichte über zivile Opfer. Ein Sprecher der Afghanistan-Schutztruppe ISAF, Luke Knittig, erklärte, die Einsätze hätten sich gegen Aufständische gerichtet, die Hilfslieferungen und Wiederaufbauprojekte in der Region angegriffen hätten. Traurigerweise gerieten immer wieder Zivilpersonen zwischen die Fronten, sagte Knittig, der die Zahl der Todesopfer nicht nannte. Nach Angaben von Afghanmal liefen die Aufständischen in Wohnhäuser, die von der NATO angegriffen wurden.
  • Der Skandal um Totenkopf-Fotos der Bundeswehr in Afghanistan weitet sich aus: Der Fernsehsender RTL veröffentlichte am 26. Okt. weitere Aufnahmen, die deutsche Soldaten mit Totenschädeln posierend zeigen. Diese Bilder stammen nach Angaben des Senders aus dem März 2004 und sind demnach jüngeren Datums als die zuvor bekannt gewordenen. Bundeswehr-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan zeigte sich gegenüber dem Sender schockiert, sprach aber von weiteren Einzelfällen. Die neuen Soldatenfotos wurden RTL "aus Bundeswehrkreisen" zugespielt. Das Verteidigungsministerium, das die Bilder gesehen habe, zweifle nicht an der Echtheit. Ein weiterer Pressebericht nährte zudem den Verdacht, dass das Posieren mit Totenschädeln bei Soldaten in Afghanistan keine Seltenheit war. Ein Knochenfeld in der Nähe von Kabul sei "eine Art Insider-Tipp unter einigen Soldaten" gewesen, berichtet die "Leipziger Volkszeitung" unter Berufung auf Bundeswehrkreise. Auch Soldaten anderer Nationalitäten hätten sich dort mit Gebeinen fotografieren lassen.
  • Die NATO-geführte Internationale Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) hat am 27. Okt. bestätigt, dass bei Einsätzen in dieser Woche in Südafghanistan mindestens zwölf Zivilisten getötet worden sind. Auch Präsident Hamid Karsai hatte nach weiteren Opfern unter der Zivilbevölkerung bei Einsätzen der ISAF eine Untersuchungskommission eingerichtet. Das Gremium solle Berichte überprüfen, wonach bei NATO-Luftangriffen gegen Taliban-Stellungen am 24. Okt. mindestens 60 Zivilisten getötet wurden. Die NATO hatte an diesem Tag Luftangriffe in den beiden Bezirken Pandschwaji und Paschmul in der südlichen Provinz Kandahar geführt.
  • Bei der Explosion eines am Straßenrand versteckten Sprengsatzes sind im Süden Afghanistans am 27. Okt. mindestens 14 Menschen getötet worden. Drei weitere wurden verletzt, wie ein Sprecher des örtlichen Gouverneurs mitteilte. Die Explosion ereignete sich demnach auf einer Straße nördlich von Tirin Kot, der Hauptstadt der Provinz Urusgan. Unklar war, ob es sich bei dem Sprengsatz um einen erst kürzlich deponierte Bombe oder eine ältere Mine handelte.
  • Die Bundeswehr zog am 27. Okt. erste personelle Konsequenzen und suspendierte mit sofortiger Wirkung die ersten zwei Tatverdächtigen vom Dienst. Ihnen droht die unehrenhafte Entlassung.
  • Die afghanische Regierung hat die mutmaßlichen Totenschändungen durch Bundeswehrsoldaten scharf verurteilt. In einer Erklärung des Außenministeriums vom 27. Okt. heißt es, diese Taten widersprächen "islamischen Werten und afghanischen Traditionen" und lösten daher "tiefes Betrüben" aus. Die afghanische Regierung rief die deutschen Behörden dazu auf, die Vorfälle zu untersuchen, gegen die Täter Ermittlungen einzuleiten und sicherzustellen, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholten. Die Medien in Afghanistan berichteten bislang kaum über die mutmaßlichen Leichenschändungen; viele Zeitungen erschienen wegen des Endes des islamischen Fastenmonats Ramadan nicht.
  • Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat an das afghanische Volk appelliert, besonnen auf die mutmaßlichen Leichenschändungen durch deutsche Soldaten zu reagieren. "Die schnelle Aufklärung dieser abscheulichen und schockierenden Vorfälle, die Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) durchgesetzt hat, wird ihre Wirkung beim afghanischen Volk hoffentlich nicht verfehlen", sagte sie dem Magazin "Focus" in einem am 28. Okt. vorab veröffentlichten Bericht. Die Vergehen würden nicht geduldet, sondern "schonungslos verfolgt und bestraft", sagte Merkel. Sie kündigte eine drastische Bestrafung der Täter an. "Wer sich derart verhält, hat in der Bundeswehr nichts zu suchen." Die Bundesregierung werde "alles in unserer Macht stehende tun, damit solche Vorfälle nicht mehr passieren".
  • Grünen-Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele fordert als Konsequenz aus den Vorfällen mit Leichenschändungen bei der Bundeswehr ein Ende des deutschen Afghanistan-Einsatzes. Die Bundeswehr müsse eine Perspektive schaffen, wann der Einsatz beendet werden könne, sagte Ströbele dem Bremer "Kurier am Sonntag" (erscheint am 28. Okt.). Er fügte hinzu: "So könnte der beste Beitrag geleistet werden, eine Wiederholung solcher Exzesse zu verhindern."
  • Im Skandal um die Totenschändungen durch deutsche Soldaten in Afghanistan reißen die Vorwürfe nicht ab: Ein Teil der dortigen Bundeswehrführung soll nach einem Zeitungsbericht möglicherweise schon seit geraumer Zeit von den Fotos gewusst, aber nichts unternommen haben. Zudem sollen Soldaten auch beim Bundeswehreinsatz im Kosovo Fotos mit Leichen gemacht haben, wie der Truppenpsychologe Horst Schuh sagte. Nach Angaben der "Leipziger Volkszeitung" vom 28. Okt. sollen Offiziere der Bundeswehr im nordafghanischen Kundus in den vergangenen Jahren mehrfach von besorgten afghanischen Partnern gebeten worden sein, "Berichten über Schändungen" im Großraum Kabul nachzugehen. Dies berichtete ein früherer Mitarbeiter der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der im Raum Kundus tätig war, dem Blatt. Ihm sei gesagt worden, dass sich Partnerorganisationen des afghanischen Wiederaufbaus bei ihren deutschen Kollegen "besorgt" über Berichte aus Kabul geäußert hätten. Dort fänden angeblich immer wieder "Exzesse in einem Knochenfeld" unter Beteiligung "deutscher und anderer Friedenssoldaten" statt.
    Auch nach Angaben der "Bild"-Zeitung, die am 28. Okt. weitere Fotos veröffentlichte, waren offenbar viel mehr Soldaten beteiligt als bislang bekannt. Die Fotos von Ende 2003 und Anfang 2004 mit Totenschädeln und Knochen zeigten deutsche Fallschirmjäger, nachdem zuvor Gebirgsjäger und Panzergrenadiere genannt worden waren. "Viele haben eine Digitalkamera dabei und fast jeder hat einen privaten Laptop", berichtete ein Soldat. Die Fotos seien "untereinander getauscht" worden.
  • Im Skandal um Totenschändungen in Afghanistan hat das Verteidigungsministerium Meldungen zurückgewiesen, wonach möglicherweise auch Offiziere von den Vorfällen wussten. Staatssekretär Christian Schmidt sprach von "reiner Spekulation". Gleichwohl werde das Ministerium diesen Verdacht "in Ruhe überprüfen", sagte er am 28. Okt. im ZDF. Gegebenenfalls werde ein Wegschauen von Offizieren auch für diese Soldaten Konsequenzen haben.
  • Bei einem NATO-Militäreinsatz in Südafghanistan sind am 28. Okt. mindestens 55 Aufständische ums Leben gekommen, wie die Internationale Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) am 29. Okt. in der afghanischen Hauptstadt Kabul mitteilte. Außerdem sei ein NATO-Soldat bei einem Bombenanschlag getötet und weitere acht ISAF-Soldaten verletzt worden. Beide Vorfälle hätten sich in der Provinz Urusgan erreignet. Dort sind vor allem australische und niederländische ISAF-Truppen stationiert. Am 27. Okt. kamen 14 Zivilisten bei der Explosion eines Sprengsatzes in Urusgan ums Leben; drei weitere wurden verletzt.
  • Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck hat sich für eine Reduzierung von Bundeswehr-Einsätzen im Ausland ausgesprochen. Auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung plädierte am Sonntag für Zurückhaltung. Jung sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (29. Okt.), zwar gebe es im Parlament noch eine breite Unterstützung für Auslandseinsätze. Aber manche Abgeordneten seien inzwischen der Auffassung, die Grenzen seien erreicht. "Deshalb müssen wir Zurückhaltung üben, was Auslandseinsätze angeht," wurde der CDU-Politiker zitiert. Jede weitere Verpflichtung müsse sehr gut erklärt werden.
    Struck stellte laut "Bild am Sonntag" (29. Okt.) die Frage, ob Einsätze nach einer gewissen Zeit noch berechtigt seien. Der Bosnien-Krieg sei elf Jahr vorbei und die Bundeswehr sei noch immer mit ihrem größten Kontingent dort. "Wir sollten allmählich das Ziel erreichen, dass unsere Soldaten Bosnien wieder verlassen können," sagte Struck laut Bericht. Viele Aufgaben dort könnten von Polizisten anderer europäischer Länder übernommen werden. Auch im Kosovo bietet sich laut Struck die Chance der Truppenreduzierung. Voraussetzung sei allerdings eine Klärung des Status der nach Autonomie strebenden serbischen Provinz. Zurückhaltend äußerte sich Struck über das Ende des Kongo-Einsatzes. Einerseits gebe es das Versprechen, die Mission bis Weihnachten zu beenden. Andererseits könne man die Truppen nicht einfach herausziehen, wenn es die Situation im Kongo nach den Wahlen nicht erlaube und die EU für einen weiteren Verbleib votiere.
Montag, 30. Oktober, bis Dienstag, 31. Oktober
  • Bei den jüngsten Kämpfen in Südafghanistan (siehe 28. Okt.) sind nach Angaben der Internationalen Schutztruppe ISAF mehr Rebellen getötet worden als zunächst bekannt gegeben. Die ISAF teilte am 30. Okt.mit, nach neuen Erkenntnissen habe sich die Zahl von 55 auf 70 erhöht.
  • Nach den Totenschändungen durch deutsche Soldaten in Afghanistan befürchtet des Bundeskriminalamt (BKA) terroristische Vergeltungsschläge. "Da muss man damit rechnen, dass es Gegenreaktionen geben kann", sagte BKA-Präsident Jörg Ziercke am 30. Okt. in München auf einer Konferenz zu Sicherheitsfragen. Hinweise auf konkrete Anschlagspläne habe er aber nicht.
  • Im Skandal um Totenschändungen durch Afghanistan- Soldaten der Bundeswehr wird bisher gegen 20 Beteiligte ermittelt. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Thomas Raabe, sagte am 30. Okt. in Berlin, zwei Soldaten seien bis jetzt vom Dienst suspendiert worden. Er wisse, dass zumindest "eine große Tageszeitung" noch über mehrere Bilder von Schändungen verfüge. Der Kreis der an den Handlungen beteiligten Soldaten umfasse ausschließlich Mannschafts- und Unteroffiziersdienstgrade.
  • Die NATO-Offensive im Süden Afghanistans hat nach Ansicht von Befehlshaber David Fraser zu einer Verbesserung der Sicherheitslage geführt. Nach der "Operation Medusa" im September sei das Leben für die Menschen in Kandahar sicherer geworden und der Verkehr auf der Hauptverbindungsstraße habe zugenommen, sagte der kanadische Brigadegeneral am 30. Okt. der Nachrichtenagentur AP. Die Gewalt sei aber noch lange nicht eingedämmt. Bei der Offensive wurden nach NATO-Angaben mehr als 500 Taliban-Kämpfer getötet. Die Taliban setzten ihre Angriffe dennoch fort, sagte Fraser, der am Mittwoch (1. Nov.) das Kommando an den Niederländer Ton Van Loon übergibt. Den Selbstmordanschlägen und Bomben am Straßenrand fielen weiterhin auch Frauen und Kinder zum Opfer. Den Extremisten warf Fraser vor, Zivilpersonen als Schutzschilde zu missbrauchen, und äußerte Bedauern über Opfer in der Bevölkerung.
  • In der Debatte um Auslandseinsätze der Bundeswehr haben ranghohe Generäle der Bundesregierung einen Mangel an Strategie vorgeworfen. "Die Politik hat bis jetzt noch nie eine Strategie entwickelt, die über die Tatsache hinausgeht, dass man in einem Land eingreifen will", sagte der ehemalige Befehlshaber der Friedenstruppe für das Kosovo, der deutsche General Klaus Reinhardt, der "Financial Times Deutschland" (Ausgabe vom 31. Okt.). "Es gibt keine Strategie für den Balkan, es gibt keine für Afghanistan."
  • Bei einer Bombenexplosion im Osten Afghanistans sind am 31. Okt. zwei NATO-Soldaten ums Leben gekommen und zwei weitere verletzt worden. Wie die unter NATO-Kommando stehende Internationale Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) in Kabul mitteilte, detonierte die am Straßenrand abgelegte Bombe, als sich die Soldaten auf einer Patrouillenfahrt in der östlichen Provinz Nuristan befanden. Über die Staatsangehörigkeiten der Soldaten machte die ISAF wie üblich keine Angaben. In der Region sind vorwiegend US-Soldaten stationiert.
  • Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat seinem Amtsvorgänger Peter Struck (SPD) die politische Verantwortung für die Totenschändungen durch deutsche Soldaten in Afghanistan gegeben. Jung wies darauf hin, dass sämtliche Skandalfotos aus der Amtszeit Strucks stammten, der heute SPD-Fraktionschef ist. Jung betonte, bei den Vorkommnissen, die bei ihm "Abscheu und Entsetzen" ausgelöst hätten, handele es sich um "Vorgänge der früheren Regierung". Die Frage, ob ein Versagen der Führung zu Grunde liege, "müssen Sie der damaligen politischen und militärischen Führung stellen", sagte der CDU-Politiker, der seit Herbst 2005 Verteidigungsminister ist.
  • Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat am 31. Okt. eine Reise durch Mittelasien mit einem Besuch in Kasachstan begonnen. In der kasachischen Hauptstadt Astana ermutigte Steinmeier die Regierung, ihren wirtschaftlichen und politischen Reformkurs zur weiteren Stabilisierung des Landes fortzusetzen. Als Lohn könnte 2009 oder 2011 der Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) winken. Auf Grund seiner wirtschaftlichen Entwicklung könnte das vor allem an Öl- und Gasvorkommen reiche Land bald auch in die Welthandelsorganisation (WTO) aufgenommen werden. Weitere Länder, die Steinmeier während seiner einwöchigen Reise besucht, sind Tadschikistan, Turkmenien und Kirgisien.


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