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Chronik Afghanistan

Februar 2005

Dienstag, 1. Februar, bis Sonntag, 13. Februar
  • Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, hat sich für die Erweiterung des Bundeswehrauftrags in Afghanistan ausgesprochen, um dadurch ein aktives Vorgehen gegen den Drogenanbau zu ermöglichen. "Man sollte keine halben Sachen machen", sagte Gertz der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" am 1. Februar. "Wenn es zur Mandatserweiterung kommt, werde ich das unterstützen." In Afghanistan sei es höchste Zeit, "die Macht der Drogenbarone zu brechen", sagte Gertz weiter. Dies erhöhe zwar das Risiko für die dort eingesetzten deutschen Soldaten, sei aber die einzige Chance, das Land wirtschaftlich voranzubringen.
  • Ein Korps aus deutschen, polnischen und dänischen Soldaten übernimmt möglicherweise die Führung der Internationalen Schutztruppe in Afghanistan (ISAF). Die Länder seien einverstanden und der Generalstab des Korps bereit, zitierte die polnische Nachrichtenagentur PAP am 3. Feb. den polnischen Verteidigungsminister Jerzy Szmajdzinski. Der deutsche Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) sagte, wenn die NATO einverstanden sei, könne das Korps mit Sitz in Stettin im Nordwesten Polens das Kommando der ISAF übernehmen.
  • Zwei Tage nach dem Absturz eines Passagierflugzeugs mit 104 Menschen an Bord (3. Feb.) haben Rettungsmannschaften am Samstag in Afghanistan das Wrack der Maschine gefunden. "Die Boeing 737 der Kam Air ist 20 Kilometer südöstlich des Kabuler Flughafens abgestürzt", sagte Transportminister Enayatullah Qasemi in der afghanischen Hauptstadt am 5. Feb.
  • US-Präsident George W. Bush will Unterstützerstaaten der Kriege in Afghanistan und Irak insgesamt mehrere hundert Millionen Dollar als Kompensation zukommen lassen. Bush werde den US-Kongress um 400 Millionen Dollar (313 Millionen Euro) bitten, um sie als Unterstützung an Länder auszuzahlen, die "politische und wirtschaftliche Risiken" durch die Waffengänge in Afghanistan und im Irak eingegangen seien, teilte der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, am 9. Feb. mit. Dabei sollten besonders Staaten berücksichtigt werden, die in den Irak oder nach Afghanistan Truppen entsandt oder anderweitig "Freiheit verbreitet" hätten.
  • Die NATO-Staaten sind sich über die Ausweitung des Friedenseinsatzes in Afghanistan einig und wollen auch bei der Hilfe bei der Ausbildung von Soldaten im Irak vorankommen. "Es ist klar, dass die NATO in Afghanistan einen großen Erfolg erzielt hat," sagte Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) nach Beratungen mit seinen NATO-Kollegen am 10. Feb. in Nizza. Der Minister bot ein stärkeres Engagements Deutschland in Afghanistan an. Nachdem der Norden Afghanistans mit deutscher Beteiligung "sehr stabilisiert" worden sei, gehe die NATO jetzt als zweite Stufe in den Westen des Landes, berichtete Struck aus dem Treffen. Anschließend werde sich das Bündnis auch im Süden engagieren. Deutschland sei in Nizza für sein Engagement im Rahmen der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) "besonders gelobt" worden.
  • Die Türkei hat vom Eurokorps das Oberkommando über die Internationale Schutztruppe für Afganistan (ISAF) übernommen. Bei der Zeremonie am 13. Feb. in Kabul überreichte der französische General und Eurokorps-Kommandeur Jean-Louis Py dem türkischen General Ethem Erdagi symbolisch die ISAF-Flagge. Die Türkei übernimmt damit zum zweiten Mal das Oberkommando über die ISAF-Truppe, die 2001 nach dem US-Krieg gegen Afghanistan aufgestellt wurde und derzeit etwa 8300 Soldaten aus mehr als 30 Staaten umfasst.
  • Verteidigungsminister Peter Struck plant angeblich, die Bundeswehr zur Drogenbekämpfung in Afghanistan einzusetzen. Das schreibt der "Kölner Stadt-Anzeiger" in seiner Ausgabe vom 14. Feb. und zitiert dazu einen Vertrauten Strucks. Ein Ministeriumssprecher konnte das nicht bestätigen. Struck hatte bei der NATO-Konferenz in Nizza gesagt, die Bundesregierung sei zu einer räumlichen Ausweitung des Einsatzes bereit. Dass die Bundeswehr sich an der Drogenbekämpfung beteiligen könnte, hatte der Minister aber bisher ausgeschlossen.
Montag, 14. Februar, bis Sonntag, 20. Februar
  • Die US-Regierung benötigt zur Finanzierung der laufenden Militäroperationen im Irak und in Afghanistan weitere 82 Milliarden Dollar (63,24 Milliarden Euro). Wie der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, vor Journalisten mitteilte, wollte Präsident George W. Bush die Mittel noch am 14. Feb. beim Kongress offiziell beantragen. Vor einer Woche hatte Bush dem Kongress seinen Etatentwurf für das am 1. Oktober beginnende Haushaltsjahr 2005/2006 übermittelt. Darin sind Ausgaben in Höhe von 2,57 Billionen Dollar vorgesehen. Die zusätzlichen Ausgaben für das Militärengagement im Irak und in Afghanistan sind in dem Entwurf aber noch nicht eingestellt.
  • Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Jakob Kellenberger, und US-Präsident Georges W. Bush haben über die von den USA im Irak und auf dem US-Militärstützpunkt Guantanamo auf Kuba festgehaltenen Gefangenen gesprochen. Wie das IKRK am 15. Feb. mitteilte, war das Treffen am Montag im Weißen Haus das erste zwischen einem US-Präsidenten und einem IKRK-Vorsitzenden seit dem zweiten Golfkrieg vor 14 Jahren. In dem Gespräch ging es den Angaben zufolge um die Besorgnis des IKRK über die Haftbedingungen im US-Gewahrsam sowie um die Herausforderungen für die Hilfsorganisation bei bewaffneten Konflikten in aller Welt. Das IKRK begrüsse die Möglichkeit, diese Fragen auf höchster Ebene zu erörtern, und wolle den "vertraulichen Dialog" mit Washington noch verstärken.
  • Als weiteren Schritt auf dem langen Weg zur Gleichberechtigung der Frau will der afghanische Präsident Hamid Karsai erstmals eine Gouverneurin ernennen. Sein Sprecher Dschawed Ludin teilte am 15. Feb. mit, dass für das Amt des Verwaltungschefs in der zentralafghanischen Provinz Bamijan ausschließlich Frauen im Gespräch seien. Zu den Kandidatinnen gehört auch die ehemalige Frauenministerin Habiba Sarobi. Diese sagte, sie habe mit Karsai darüber gesprochen, Gouverneurin von Bamijan zu werden. Zuvor hatte Sarobi das Angebot abgelehnt, als Botschafterin ins Ausland zu gehen. "Ich will im Land bleiben und meinem Volk dienen", sagte die Politikerin.
  • Norwegen will mit der Entsendung von Spezialkräften die Fahndung nach Taliban-Kämpfern und Mitgliedern des El-Kaida-Terrornetzwerkes in Afghanistan unterstützen. Wie der norwegische Außenminister Jan Petersen am 15. Feb. in Oslo mitteilte, soll dies im Zuge des von den USA geleiteten Einsatzes "Enduring Freedom" erfolgen. Norwegen habe vor einiger Zeit eine entsprechende Anfrage Washingtons erhalten und werde ihr nachkommen. Der Einsatz der norwegischen Spezialkräfte sei zunächst auf sechs Monate begrenzt.
  • Verteidigungsminister Peter Struck prüft eine Aufstockung des Bundeswehrkontingents in Afghanistan. Ein Sprecher des Ministeriums bestätigte am 16. Feb. in Berlin, dass die Obergrenze von 2250 Soldaten für die Internationale Schutztruppe für Afghanistan im Lichte der Entwicklungen in dem Land sowie der NATO-Planung überprüft werde. Der "Kölner Stadtanzeiger" berichtete, Struck habe intern angekündigt, die Zahl der Soldaten um 200 bis 300 aufzustocken.
  • Seit dem Jahr 2002 sind nach Angaben von UN-Flüchtlingskommissar Ruud Lubbers rund 3,5 Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Iran hielten sich heute noch rund eine Million Flüchtlige auf, in Pakistan rund zwei Millionen, sagte Lubbers am 16. Feb. nach einem Treffen mit Vertretern von EU, Afghanistan, Pakistan und Iran. Die meisten Afghanen waren in den über zwei Jahrzehnten Krieg in ihrem Land in die beiden großen Nachbarländer Pakistan und Iran geflüchtet.
  • Die Bekämpfung von Osama bin Laden und seinem El-Kaida-Netzwerk wird nach Ansicht der US-Regierung nicht zu einem Erfolg im Kampf gegen den Terrorismus führen. US-Außenministerin Condoleezza Rice sagte am 17. Feb. im US-Senat, sie glaube nicht daran, dass der Terrorismus besiegt werden könne, indem "einfach Osama bin Laden gefunden wird, das El-Kaida-Netzwerk zerschlagen und aus Afghanistan gejagt wird". Vielmehr verfolgten die USA "eine viel breitere Strategie", um demokratische Reformen im Nahen Osten und eine moderate Auslegung des Islam zu fördern. So passe auch der Irak-Krieg in die Gesamtstrategie, "im Herzen der arabischen Welt Alliierte im Kampf gegen den Terrorismus zu haben", fügte Rice hinzu.
  • Krankheiten infolge des bitterkalten Winters in Afghanistan haben mehr als 120 Kinder dahingerafft. Verzweifelte Eltern verabreichten ihren Kindern Opium, um Leiden wie Keuchhusten und Lungenentzündung zu lindern, berichtete Gesundheitsminister Mohammed Amin Fatemi am 19. Feb. der Nachrichtenagentur AP.
  • Die US-Streitkräfte untersuchen Berichte, wonach amerikanische Soldaten in Afghanistan zwei Dorfbewohner erschossen haben sollen. Ein Militärsprecher in Afghanistan sagte der Nachrichtenagentur AP am 19. Feb., die Familien der beiden Männer hätten Entschädigungszahlungen von je 100.000 Afghani (1.800 Euro) erhalten. Dies sei aber nicht als Schuldeingeständnis zu werten, die Ermittlungen dauerten noch an. Laut einem Bericht der «New York Times» waren die beiden 22-Jährigen, die nahe dem Luftwaffenstützpunkt Schindad im Westen Afghanistans lebten, am 11. Februar erschossen worden. Sie hätten am Straßenrand Holz gesammelt, seien beim Anblick eines US-Militärfahrzeugs aus unbekannten Gründen davongerannt und bei der Flucht über ein Feld erschossen worden, schreibt die Zeitung unter Berufung auf Augenzeugen und afghanische Behördenvertreter.
  • Einen neuen Politikansatz gegenüber dem Islamismus und seinen Vertretern haben frühere Nahost-Botschafter der Bundesrepublik und der DDR in einem gemeinsamen Schreiben an den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Josep Borrell, angemahnt, meldet ddp am 20. Feb. In dem Papier erklären die mehr als 25 Ex-Botschafter, Afghanistan, Irak und Tschetschenien hätten gezeigt, dass ein "Krieg gegen den Terror" militärisch nicht zu gewinnen sei. Vielmehr drohten als Folge verschärfte Konfrontation mit politischen Kräften der islamischen Welt und ein Anwachsen des religiös verbrämten Terrorismus. Das Feindbilddenken nehme auf beiden Seiten in besorgniserregender Weise zu. Die Außenpolitik-Experten halten deshalb ein konzeptionelles Umdenken in der europäischen Politik und auf islamistischer Seite für notwendig.
  • Das Terrornetzwerk El Kaida hat den westlichen Nationen neue Anschläge mit "Zehntausenden von Toten" angedroht. Gleichzeitig warf es ihnen vor, diktatorische Regime in islamischen Ländern zu unterstützen. Der Sender Al-Dschasira veröffentlichte am 20. Feb. ein Video von Eiman al-Sawahiri, dem Stellvertreters von El Kaida-Anführer Osama bin Laden. Darin erklärte Al-Sawahiri: "Wirkliche Sicherheit gibt es für die Völker des Westens nur durch Zusammenarbeit mit der muslimischen Nation auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt." Er fuhr fort: "Eure neuen Kreuzzüge werden genauso scheitern wie die vorherigen, jedoch erst nachdem Zehntausende von Euch getötet worden sind und nachdem Eure Wirtschaft zerstört sein wird."
Montag, 21. Februar, bis Montag, 28. Februar
  • Drei Jahre nach dem Sturz der Taliban-Herrschaft ist Afghanistan weiter eines der am wenigsten entwickelten Länder der Erde. In einem am 21. Feb. veröffentlichten Bericht warnen die Vereinten Nationen, dass das Land wieder eine gefährliche Entwicklung nehmen könne, wenn nicht mehr zur Hebung des Lebensstandards getan werde. In dem Bericht werden persönliche Sicherheit der Menschen, ihr Wohlergehen und ihre Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben gewichtet. Dabei landet Afghanistan an 173. Stelle unter 178 Ländern, die 2004 unter die Lupe genommen wurden. Schlechter schnitten nur noch fünf afrikanische Länder ab.
  • Bei einer Schießerei mit Soldaten der afghanischen Armee sind am 24. Feb. in der Provinz Chost südöstlich von Kabul sechs mutmaßliche Taliban-Kämpfer getötet worden. Nach Polizeiangaben wurden vier Soldaten einer Militärpatrouille verletzt, die im Distrikt Alisher in einen Hinterhalt geraten war. Das Armeefahrzeug wurde bei dem Angriff zerstört.
  • Bei mehreren Angriffen von Taliban-Rebellen sind in Afghanistan 19 Menschen getötet worden, wie die Behörden am 25. Feb. mitteilten. Einem Überfall der Taliban in der Provinz Helmand fielen am Donnerstag neun afghanische Soldaten zum Opfer. Ein Behördensprecher erklärte, der Kontakt zu den Soldaten sei am Donnerstagabend verloren gegangen. Ihre Leichen seien dann am Freitag gefunden worden.
    In der benachbarten Provinz Kandahar wurde ein US-Soldat bei einem Gefecht verwundet.
  • Die Niederlande wollen sich mit 250 Soldaten erneut am internationalen Militäreinsatz in Afghanistan beteiligen. Unter den Streitkräften seien 165 Angehörige von Spezialeinheiten, die vor allem bei der Aufklärung eingesetzt werden sollten, aber auch zu Kampfeinsätzen herangezogen werden könnten, teilte das niederländische Verteidigungsministerium am 25. Feb. mit. Zudem werde die Regierung in Den Haag vier Transporthubschrauber vom Typ Chinook für den US-geführten Einsatz "Enduring Freedom" bereitstellen sowie 85 Soldaten für ihren Betrieb. Das Kontingent solle für ein Jahr in Afghanistan bleiben. Die Niederlande hatten sich von Oktober 2002 an ein Jahr lang mit mehreren Kampfflugzeugen an dem internationalen Einsatz zur Fahndung nach Taliban-Kämpfern und Mitgliedern des El-Kaida-Terrornetzwerkes beteiligt.
  • El-Kaida-Anführer Osama bin Laden soll nach Angaben der US-Regierung vom 28. Feb. den als Terroristen gesuchten Jordanier Abu Mussab el Sarkawi zu Anschlägen innerhalb der USA aufgefordert haben. Dies habe Bin Laden Sarkawi vorgeschlagen, sagte ein mit Terrorismusbekämpfung beschäftigter US-Regierungsbeamter am Montag in Washington. Der Beamte machte keine weiteren Angaben zum Zeitpunkt oder der Art der Kommunikation zwischen Bin Laden und Sarkawi. Der Jordanier wird von den USA für die meisten Anschläge im Irak verantwortlich gemacht.


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