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Chronik des Krieges gegen Afghanistan

Dezember 2003

1. - 7. Dezember 2003
  • US-Truppen haben in der ostafghanischen Provinz Paktia mindestens sieben mutmaßliche Taliban-Kämpfer getötet. Zuvor hätten Rebellen am selben Ort eine Polizeistation angegriffen, berichtet die in Pakistan ansässige afghanische Nachrichtenagentur AIP am 1. Dezember unter Berufung auf Augenzeugen. Unklar blieb, ob es sich bei den später Getöten um die Angreifer handelte. Die US-Truppen seien nach dem Überfall eingeflogen worden, berichtete AIP weiter. Die Soldaten hätten Häuser durchsucht und mehrere Menschen festgenommen.
  • Die NATO ist auf der Suche nach Verstärkung für die unter ihrem Kommando stehende internationale Schutztruppe in Afghanistan (ISAF). Beim Herbsttreffen der Verteidigungsminister am 1. Dezember in Brüssel blieb vor allem noch offen, welche Staaten insgesamt 14 Hubschrauber zur Verfügung stellen können, die dringend in Kabul benötigt werden. Das verlautete aus Verhandlungskreisen. "Die Hubschraubereinsätze sind teuer, aber absolut erforderlich", sagte ein hoher NATO-Beamter.
  • Zwei Jahre nach dem Sturz der Taliban hat in Afghanistan die Registrierung von Wählern für die im Juni nächsten Jahres geplanten Wahlen begonnen. Erste Wahlberechtigte seien in der Hauptstadt Kabul, der zentralafghanischen Provinz Bamiyan und der südlichen Provinz Kandahar registriert worden, sagte der Vorsitzende der Wahlkommission. Die Wahlen gelten nach mehr als 20 Jahren Krieg und Bürgerkrieg als Meilenstein im Demokratisierungsprozess des Landes.
  • In der westafghanischen Stadt Herat stationierten die USA ein so genanntes Regionales Wiederaufbauteam (PRT). 60 Soldaten sollen von dort aus den Wiederaufbau in den Provinzen Herat, Badghis, Farah und Ghor unterstützen. Auch drei deutsche Diplomaten trafen am 1. Dezember in Herat ein, wo die dritte diplomatische Außenstelle der Bundesrepublik in Afghanistan eingerichtet werden soll.
  • Zwei der mächtigsten Kriegsfürsten im Norden Afghanistans haben am 2. Dezember Dutzende Panzer und schwere Waffen an die Regierungstruppen übergeben. Der Schritt von Abdul Raschid Dostum und Atta Mohammed, deren Milizen sich noch in jüngster Vergangenheit blutige Gefechte lieferten, ist ein kleiner Triumph für die Regierung von Präsident Hamid Karsai. In Gondi Wolga, einem früheren Stützpunkt der sowjetischen Streitkräfte 30 Kilometer östlich von Masar-i-Scharif, inspizierten Regierungsbeamte ein eindrucksvolles Waffenarsenal von Mohammeds Kämpfern. Neben mehr als zehn Panzern überstellte der Kriegsfürst zahlreiche Truppentransporter und Flugabwehrbatterien. Auf der westlichen Seite habe Dostum ein ähnliches Arsenal übergeben, sagte General Ischak Nuri aus dem Kabuler Verteidigungsministerium.
  • Im Süden des Landes wurde ein afghanischer Soldat getötet, der an der Seite von US-Truppen gegen Aufständische gekämpft hatte. Der Afghane sei bei einem kurzen Gefecht am 1. Dezember nahe des US-Stützpunktes Deh Tawood in der Provinz Urusgan erschossen worden, teilte ein Militärsprecher am 2. Dezember mit.
  • Für die Mitarbeiter der Vereinten Nationen in Kabul gilt seit dem 2. Dezember ein Ausgehverbot ab 22.00 Uhr. Die UN reagierten damit auf einen Überfall auf eine Gruppe ihrer Mitarbeiter, die vor einer Woche in einem chinesischen Restaurant zu Abend aß. Bewaffnete waren in das Restaurant eingedrungen und hatten die Gäste gezwungen, ihre Uhren, Geldbörsen und Wertsachen abzugeben.
  • Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Jakob Kellenberger, hat im Zusammenhang mit dem weltweiten Anti-Terror-Kampf die Einhaltung von Völkerrecht und Rechtsstaatlichkeit angemahnt. Es sei notwendig, das richtige Gleichgewicht "zwischen nationaler Sicherheit und menschlicher Würde" zu finden, sagte Kellenberger am 3. Dez. vor mehreren hundert Delegierten auf der Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes in Genf. Auch in einem für die Konferenz vorbereiteten IKRK-Bericht wird davor gewarnt, im Zuge des Kampfs gegen den Terrorismus die Normen des Völkerrechts aufzuweichen.
  • Bei einem Handgranatenangriff in der südafghanischen Stadt Kandahar sind laut dpa-Meldung vom 3. Dezember zwei US-Soldaten verwundet worden. Der Angreifer sei festgenommen worden, sagte ein Polizist. Es handele sich wahrscheinlich um einen Anhänger der Taliban. Der Mann habe den Sprengsatz mitten am Tage auf den Wagen der US-Soldaten geworfen. Angriffe radikalislamischer Rebellen haben seit August besonders im Süden und Osten Afghanistans zugenommen.
  • Der afghanische Präsident Hamid Karsai betonte am 4. Dez. auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Rumsfeld, sein Land befinde sich auf einem nicht umkehrbaren Weg zu Freiheit und Demokratie. Die Taliban könnten die demokratische Entwicklung Afghanistans nicht aufhalten, sagte Karsai. Rumsfeld erklärte, die Aufständischen würden keine Gelegenheit erhalten, wieder an die Macht zu gelangen.
    In der nordafghanischen Stadt Masar-i-Scharif traf Rumsfeld mit den Kriegsherren Abdul Raschid Dostum und Atta Mohammed zusammen und zeigte sich zufrieden darüber, dass beide mit der Entwaffnung ihrer Truppen beginnen wollen - auch wenn dies langsamer gehe, als zunächst erhofft.
  • Nur wenige Stunden nach einem Afghanistan-Besuch von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ist am 4. Dez. nahe der US-Botschaft in Kabul eine Rakete eingeschlagen. Verletzte habe es nicht gegeben, teilte ein afghanischer Militärsprecher mit.
  • Bei der Explosion eines Sprengsatzes im Zentrum der südafghanischen Stadt Kandahar sind am 6. Dez. mindestens 18 Menschen verletzt worden. Der an einem Fahrrad befestigte Sprengsatz explodierte in der Nähe einer stark befahrenen Kreuzung, wie der örtliche Polizeichef Mohammad Aschim einem Korrespondenten der Nachrichtenagentur AFP sagte. Alle Verletzten waren demnach afghanische Passanten; sie wurden in die Krankenhäuser der Stadt gebracht. Durch die Explosion wurden mindestens fünf Geschäfte und Fensterscheiben umliegender Gebäude zerstört.
  • In Afghanistan sind am 6. Dez. zwei indische Ingenieure entführt worden. Die beiden Männer verschwanden am Abend in der Nähe von Schajoi an der Hauptstraße zwischen der Hauptstadt Kabul und Kandahar. Mitglieder der Taliban hätten die Ingenieure verschleppt, sagte ein Vertrauter von Innenminister Ali Ahmad Dschalali. Es bestehe kein Kontakt zu den Entführern, es liege auch keine Lösegeldforderung vor.
  • Bei einem US-Luftangriff in Afghanistan sind am 6. Dez. zehn Menschen ums Leben gekommen, davon neun Kinder. Am Morgen habe ein Kampfflugzeug in der südostafghanischen Provinz Ghasni einen "mutmaßlichen Terroristen" angegriffen, der für den Tod von zwei Arbeitern an einer Straßenbaustelle verantwortlich gemacht werde, teilte die US-Armee an der Luftwaffenbasis Bagram mit. Nach dem Angriff südlich der Stadt Ghasni, rund 130 Kilometer südwestlich von Kabul, hätten Bodentruppen am Ort des Angriffs die Leichen des "anvisierten Ziels" sowie von neun Kindern gefunden. "Wir wussten nicht, dass Kinder in der Nähe waren", sagte der amerikanische Major Christopher West auf dem US-Stützpunkt Bagram. Dem Angriff seien intensive Erkundungen vorausgegangen. Der Gesuchte sei beim Angriff des A-10-Kampfflugzeugs in seinem Versteck getötet worden, sagte der Militärsprecher. Hingegen erklärte der Sekretär des Gouverneurs von Ghasni, Dschawaid Chan: "Die Amerikaner wollten Mullah Wasir bombardieren, aber sie haben ein anderes Haus bombardiert." Wasir sei nicht getötet worden. US-Botschafter Khalilzad sagte, er sei über den "tragischen Verlust von unschuldigem Leben" zutiefst traurig.
8. - 14. Dezember 2003
  • UN-Generalsekretär Kofi Annan hat am 8. Dez. die internationale Gemeinschaft vor einem Scheitern der Friedensbemühungen in Afghanistan gewarnt. Angesichts der sich weiter verschlechternden Sicherheitslage in dem Land müsse die Hilfe auf allen Gebieten deutlich verstärkt werden. Das forderte Annan in einem Bericht an die UN- Vollversammlung. Zugleich sprach sich der UN- Generalsekretär für eine Neuauflage der Bonner Afghanistan- Konferenz vor zwei Jahren aus.
  • Mehrere hundert US-Soldaten haben am 9. Dez. Stellungen afghanischer Milizionäre aus der Luft angegriffen. Speziell für den Gebirgskampf ausgebildete Fallschirmjäger hätten an der Südostgrenze Afghanistans in der Provinz Chost Positionen von Taliban-Kämpfern ins Visier genommen, teilte ein US-Militärsprecher auf dem Stützpunkt Bagram mit. Die Militäraktion war demnach Teil der laufenden Großoffensive "Operation Lawine", an der rund 2000 US- Soldaten beteiligt sind.
  • Kurz nach dem Tod von neun Kindern sind erneut Kinder bei einem Bombenangriff der US-Luftwaffe in Ostafghanistan getötet worden. Unter acht getöteten Zivilisten seien zwei oder drei Kinder und eine Frau, sagte der Gouverneur der Provinz Paktia. Eine Bombe habe am 9. Dezember ihr Ziel verfehlt und sei im Nachbarhaus eingeschlagen. Unklar ist, ob der Angriff mit der neuen US-Großoffensive zusammenhing.
  • Mit einem landesweiten Erfolg für Mudschahedin-Fraktionen ist die Wahl zur verfassunggebenden Loja Dschirga in Afghanistan abgeschlossen worden. Islamistisch orientierte Veteranen des Afghanistankriegs gegen die Sowjetunion hätten rund 70 Prozent der 344 von der Bevölkerung gewählten Sitze erhalten, teilten UN-Mitarbeiter am 9. Dez. in Kabul mit. Unter den gewählten Delegierten seien auch Taliban-Vertreter wie deren ehemaliger Vize- Planungsminister Mullah Mussa. Mit dem Ergebnis der am Montagabend abgeschlossenen Wahl werde die Reformerfraktion um Präsident Hamid Karsai vermutlich zu Zugeständnissen bei den Verfassungsberatungen gezwungen sein, hieß es weiter.
  • Die US-Armee hat in Afghanistan zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden bei einem Angriff mehrere Kinder getötet. Insgesamt sechs Kinder seien ums Leben gekommen, als Bodentruppen und die Luftwaffe Ziele in der Nähe der ostafghanischen Stadt Gardes angegriffen hätten, sagte ein US-Militärsprecher am 10. Dez. in Kabul. US-Soldaten hätten die Leichen der Kinder und zweier Erwachsenener bereits am 6. Dez. unter einer eingestürzten Mauer entdeckt, nachdem der Angriff am Abend zuvor erfolgt sei. Der Angriff habe sich gegen den örtlichen Taliban-Kommadeur Mullah Dschilani gerichtet. (Am 6. Dez. hatten US-Soldaten nach eigenen Angaben versehentlich neun Kinder bei einem Luftangriff in der östlichen Provinz Ghasni getötet. Siehe Chronik 6. Dez.)
  • Im kommenden Frühjahr soll eine weitere internationale Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn stattfinden. Das Treffen sei für März oder April geplant, teilte das Entwicklungshilfeministerium am 10. Dez. in Bonn mit. Der afghanische Wiederaufbauminister Amin Farhang hatte in einem am 8. Nov. veröffentlichten Zeitungsinterview angekündigt, bei der Konferenz solle es um die zunehmende Gewalt in Afghanistan und um Probleme beim Wiederaufbau gehen. Die Tagungsteilnehmer sollten über eine dauerhafte Stabilisierung des Krisenherdes beraten und die Weichen für Afghanistans Zukunft stellen.
  • Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) hält einen Einsatz deutscher Soldaten zum Schutz von Wahlbeobachtern in Afghanistan für möglich. "Ich glaube nicht, dass jemand etwas dagegen hat, wenn wir OSZE-Wahlbeobachter in der Provinz Herat von Soldaten begleiten lassen", sagte Struck dem "Handelsblatt" (Ausgabe vom 12.12.2003). Einer solchen Ausweitung des Mandats der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) müssten allerdings die Fraktionen im Bundestag zustimmen.
  • Die Vereinten Nationen müssen nach den Worten des UN-Gesandten Lakhdar Brahimi ihr Engagement in Afghanistan beenden, wenn sich die Sicherheitslage nicht bald deutlich verbessert. Seit März sind in Afghanistan mindestens elf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen bei gezielten Angriffen getötet worden. Mehr ausländische Soldaten seien erforderlich, sagte Brahimi am 12. Dez. im Interview mit der Nachrichtenagentur AP.
  • Das Treffen der Verfassungsgebenden Versammlung Afghanistans, der so genannten Loja Dschirga, ist zum zweiten Mal binnen einer Woche verschoben worden. Die rund 500 Delegierten wollen nunmehr am 14. Dez. in Kabul zusammenkommen, wie der Pressesprecher der afghanischen Regierung, Sultan Bahin, am 12. Dez. mitteilte. Zuvor war die Konferenz bereits vom 10. auf den 13. Dez. verlegt worden. Als Grund wurde jedes Mal angeführt, dass es einigen Teilnehmern wegen schlechten Wetters und der Unwegsamkeit des Landes immer noch nicht gelungen sei, in Kabul einzutreffen. Für weitere Verzögerungen sorgte die Entscheidung, alle Delegierten zunächst in einem Einführungsseminar auf die Loja Dschirga vorzubereiten. Mutmaßungen, dass die Verschiebung auch auf Sicherheitsprobleme zurückzuführen sein könnte, wies Bahin zurück.
  • Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) hat den US-Streitkräften in Irak schwere Versäumnisse vorgeworfen. In der "Welt am Sonntag" (Ausgabe vom 14. Dez.) sagte Struck laut einer Vorabmeldung vom 13. Dez., die US- Soldaten seien "gute Kampftruppen, die aber nicht ausreichend vorbereitet sind auf Aufgaben, die wir mit Nation-Building bezeichnen, also dem Aufbau demokratischer und wirtschaftlicher Strukturen." Dagegen sei die Bundeswehr auf derartige Aufgaben "eindeutig vorbereitet", betonte der Struck mit Blick auf den Einsatz in Afghanistan. "Unsere Soldaten, die nach Kabul gehen, werden auf Mentalität und Geschichte des Landes vorbereitet, kennen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen", sagte Struck weiter.
  • Der Einsatz der Bundeswehr im afghanischen Kundus wird nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Focus" international ausgeweitet. Demnach sagten bei einem Planungstreffen die Schweiz, Belgien, Frankreich, Ungarn und Rumänien zu, Soldaten in die nordafghanische Stadt zu schicken. Die Bundeswehr hat demnach bisher 125 Soldaten in Kundus stationiert. Bis zum Frühsommer kommenden Jahres soll das Hauptkontingent von 250 Soldaten vollständig sein. (Meldung: AFP vom 14. Dez.)
  • In Afghanistan haben am 14. Dez. die entscheidenden Beratungen der Ratsversammlung Loja Dschirga über die künftige Verfassung des Landes begonnen. Der frühere afghanische König Mohammed Sahir Schah eröffnete am Morgen die Versammlung in Kabul. "Die Billigung dieser Verfassung wird Wohlstand garantieren", sagte der 89-jährige. Der Ex-Monarch hob die große Verantwortung der Delegierten hervor. Präsident Hamid Karsai nannte die Verfassung eine Voraussetzung für eine stabile Zukunft des kriegszerstörten Landes. Die Beratungen begannen unmittelbar im Anschluss. Unter dem Vorsitz Karsais wollen die insgesamt 500 Delegierten über den Verfassungsentwurf entscheiden und damit den Weg für die ersten demokratischen Wahlen im kommenden Juni freimachen.
15. - 21. Dezember
  • Die Wahl des Präsidiums der afghanischen Ratsversammlung Loja Dschirga ist bei den weiblichen Delegierten auf heftigen Protest gestoßen. Alle Stellvertreter-Posten wurden am 15. Dez. an Männer vergeben, nachdem bereits am Tag zuvor Expräsident Sibghatullah Mudschaddedi zum Vorsitzenden gewählt worden war. Obwohl nur drei Stellvertreter vorgesehen waren, ernannte der Vorsitzende schließlich die Rechtsanwältin Safia Sediki zur vierten Vizepräsidentin der Versammlung.
  • Eine deutsche Militärpatrouille ist in Kabul von afghanischen Angreifern beschossen worden. Das teilte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am 16. Dez. vor Journalisten in Berlin mit. Bei dem Angriff vom Vortag sei der Patrouillenführer getroffen worden, aber dank seiner Splitterschutzweste unverletzt geblieben.
  • Zwei schwere Explosionen haben am frühen Morgen des 16. Dez. (Ortszeit) das Zentrum der afghanischen Hauptstadt Kabul erschüttert. Die afghanische Polizei erklärte, dem Klang nach seien Raketen detoniert. Ein Gebiet westlich des Flughafens werde nach den Geschossen durchsucht. Der Tagungsort der verfassungsgebenden Versammlung Loja Dschirga ist rund zehn Kilometer von der betreffenden Gegend entfernt und war offenbar nicht Ziel des Angriffs. Die US-Streitkräfte hatten vor möglichen Anschlägen auf die 500 Delegierten gewarnt, deren Versammlungen in einem Zelt auf dem Universitätsgelände stattfinden.
  • Die Delegierten der Großen Ratsversammlung in Afghanistan sind am 17. Dez. in die Detailberatungen über den Verfassungsentwurf eingetreten. In zehn verschiedenen Gruppen berieten sie über einzelne Themenbereiche wie die Rolle des Islams, die Stellung der Frau und die Kräfteverteilung im politischen System. Rund 200 der insgesamt 500 Teilnehmer der Loja Dschirga sprachen sich in einer Petition dafür aus, möglichst bald über die Einsetzung eines Ministerpräsidenten zu entscheiden.
    In einer leidenschaftlichen Ansprache an das Plenum wandte sich die Delegierte Malalai Dschoja gegen den Einfluss der regionalen Kriegsherrn auf die Arbeit der Loja Dschirga. Als Vorsitzende der Ausschüsse seien Männern gewählt worden, "die diese Katastrophen über das afghanische Volk gebracht haben", kritisierte die Vertreterin der Provinz Farah. Zu den Versammlungsteilnehmern gehören mächtige Mudschahedin-Führer wie Raschid Dostum, der von Ministerpräsident Hamid Karsai in die Loja Dschirga berufen wurde. Bei den Anhängern der Milizenführer rief die Rede Dschojas erheblichen Unmut hervor, sie beschimpften die Delegierte und forderten ihren Ausschluss aus der Loja Dschirga. Dschojas Rede wurde beendet, indem ihr Mikrofon abgeschaltet wurde.
  • Die EU-Kommission hat zusätzliche Hilfen in Höhe von 50 Millionen Euro für den Wiederaufbau in Afghanistan freigegeben. Das Geld, das vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) verwaltet wird, solle zu einer Verbesserung der Sicherheitslage in dem Land und auch zur Bekämpfung des Mohn-Anbaus zur Opium-Gewinnung beitragen, teilte die Kommission am 17. Dez. in Brüssel mit. Der Betrag kommt zu den 400 Millionen Euro Wiederaufbauhilfe dazu, die bereits für die Jahre 2003 und 2004 bereit gestellt worden waren.
  • Die Polizei fand am späten Abend des 17. Dez. vor einem bei Ausländern beliebten chinesischen Restaurant in Kabul eine Bombe, die noch rechtzeitig entschärft werden konnte. Über Nacht tauchten neue anonyme Flugblätter auf, in denen die Loja Dschirga verurteilt wird. Die Behörden machen Anhänger der gestürzten Taliban sowie des Terrornetzwerks El Kaida für solche Aktionen verantwortlich.
  • Der afghanische Außenminister Abdullah Abdullah hat die Staatengemeinschaft eindringlich zu mehr Unterstützung im Kampf gegen den wachsenden Drogenanbau in seinem Land aufgerufen. "Das ist der größte Destabilisierungsfaktor für Afghanistan nach Terrorismus", sagte er am 18. Dez. der dpa in Kabul. Afghanistan ist wieder zum weltweit größten Produzenten von Rohopium geworden, das den Grundstoff für Heroin bildet. Im Verantwortungsbereich des in Kundus stationierten Bundeswehr-Kontingents liegt das viertgrößte Drogenanbaugebiet.
  • Einen Tag nach dem heftigen Wortstreit über die Rolle von Milizenführern in der afghanischen Loja Dschirga ist eine weibliche Delegierte unter den Schutz der Vereinten Nationen gestellt worden. Es gebe Anlass zur Sorge um ihre Sicherheit von Malalai Dschoja, erklärte UN-Sprecher Manoel de Almeida e Silva am 18. Dez. in Kabul. Dschoja hatte sich am in einer leidenschaftlichen Rede gegen den Einfluss der regionalen Kriegsherren auf die Loja Dschirga gewandt und daraufhin Todesdrohungen erhalten.
  • Das deutsche Wiederaufbauteam im nordafghanischen Kundus wird zum Jahresende unter das Kommando der internationalen Schutztruppe ISAF gestellt. Dies hat der NATO-Rat in Brüssel beschlossen, wie die Allianz am 19. Dez. mitteilte. Das Bündnis wird damit erstmals außerhalb der Hauptstadt Kabul im Einsatz sein. Das Wiederaufbauteam in Kundus, an dem die Bundeswehr bis Jahresende mit 150 Soldaten beteiligt sein wird, gilt als Pilotprojekt für weitere militärisch-zivile Aufbauprogramme außerhalb von Kabul.
  • Die Beratungen über die künftige afghanische Verfassung kommen nach Einschätzung von Präsident Hamid Karsai gut voran. Die Große Ratsversammlung (Loja Dschirga) mache gute Fortschritte, sagte Karsai am 20. Dez. in Kabul. Einzelne der zehn Delegiertenausschüsse hätten am siebenten Tag der Beratungen bereits die Arbeit an 60 bis 65 Verfassungsartikeln abgeschlossen.
  • In Spin Boldak in der Provinz Kandahar sind am Abend des 20. Dez. fünf afghanische Soldaten getötet worden. Die mutmaßlichen Täter (es werden Taliban vermutet) sollen anschließend nach Pakistan geflohen sein.
  • Am 20. Dez. detonierte auf einem Platz in Dschalalabad eine Bombe. Dabei wurden ein Mann getötet und ein weiterer verletzt. Ein Polizeisprecher machte Taliban und Al Kaida dafür verantwortlich.
  • Wegen der verschlechterten Sicherheitslage im Süden und Osten Afghanistans wollen die US-Streitkräfte neue Stützpunkte errichten. Der US-Kommandeur kündigte am 21. Dez. neue regionale Wiederaufbauteams (PRT) an.
22. bis 28. Dezember
  • In der Nacht zum 22. Dez. erschütterten vier Explosionen die afghanische Hauptstadt Kabul. Niemand sei aber verletzt worden. Angeblich bekannten sich die Taliban zu den Anschlägen, die der Loja Dschirga galten.
  • Zwei in Afghanistan entführte indische Ingenieure sind nach Angaben des Innenministeriums in Kabul vom 24. Dez. wieder frei. Sie würden dem indischen Botschafter übergeben, erklärte ein Berater von Innenminister Ali Ahmad Dschalali. Die beiden Inder waren am 6. Dezember in der südafghanischen Provinz Sabul von mutmaßlichen Taliban-Kämpfern verschleppt worden. Die Männer arbeiteten an der Straße zwischen Kabul und Kandahar, der wichtigsten Verkehrsader des Landes. Ob die Regierung den Entführern Zugeständnisse machte, war zunächst nicht bekannt.
  • Zur Unterstützung eines afghanischen Selbsthilfeprogramms gegen Armut hat die Weltbank 95 Millionen DollarMillionen Euro) bewilligt. Mit der Summe solle das Nationale Solidaritätsprogramm zur Entwicklung ländlicher Regionen fortgesetzt und ausgeweitet werden, sagte der stellvertretende afghanische Entwicklungsminister Mohammed Zia am 24. Dez. in Kabul. Von dem Geld profitierten 20.000 Dörfer im ganzen Land unter anderem durch eine Verbesserung ihrer Infrastruktur und Sicherheit. Das Programm sieht für jedes Dorf die geheime Wahl eines Entwicklungsrates vor, der dann über die Verwendung von jeweils rund 20.000 Dollar für örtliche Projekte entscheiden kann.
  • Sieben Menschen kamen am Wochenende (27./28. Dez.) bei einem Angriff im Osten Afghanistans ums Leben. Die Angreifer haben zuerst einen afghanischen Geheimdienstmitarbeiter und seine beiden Begleiter in dessen Wagen getötet. Daraufhin sind sie von US-Truppen verfolgt und getötet worden.
  • Die Koalitionstruppen unter US-Führung haben die "Operation Lawine" im Osten des Landes fortgesetzt. 11.500 Soldaten sind im Einsatz.
  • In Kabul hat sich am 28. Dez. ein festgenommener Mann in die Luft gesprengt und dabei fünf Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes in den Tod gerissen. Er hatte eine Sprengstoffgürtel am Leib und zündete ihn im Auto, in dem er mit den Sicherheitskräften saß. Unter den Toten befinde sich auch der Chef des persönlichen Sicherheitsdienstes des Präsidenten Karsai.
29. bis 31. Dezember
  • Am 30. Dez. verkündete ein US-Armeesprecher, dass die Operation "Avalanche" ("Lawine") im Südosten und Osten des Landes beendet worden sei. Bei der mehrwöchigen Militäroffensive seien 100 Verdächtige festgenommen und große Mengen an Waffen und Munition sichergestellt worden. Insgesamt wurden 700 Patrouillen und Suchoperationen durchgeführt.
  • Die für den 31. Dez. geplante Übergabe des Kommandos über den Bundeswehr-Einsatz in der nordafghanischen Stadt Kundus ist verschoben worden. Grund ist schlechtes Wetter, sagte ein Sprecher des deutschen Einsatzkontingents in Kundus. Die Zeremonie wurde nun auf den 6. Januar verlegt. Bislang stehen die rund 200 Soldaten im nordafghanischen Kundus unter dem Kommando der Bundeswehr. Dieses Kommando soll nun auf die Internationale Schutztruppe in Afghanistan übertragen werden.


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