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Logistischer Alptraum

Kampfeinsatz eines einzigen US-Soldaten im nicht zu gewinnenden Krieg gegen Afghanistan kostet Washington eine Million Dollar pro Jahr

Von Rainer Rupp *

Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama zeichnet sich in Bezug auf den Krieg in Afghanistan der interne Entscheidungsprozeß im Weißen Haus durch seine nachhaltige Dysfunktionalität aus. Dies geht aus dem derzeit meistgelesenen Buch in Washington hervor: »Obamas Kriege«, das jüngste Werk der amerikanischen Legende des investigativen Journalismus, Bob Woodward. Statt konsequent den richtigen Schluß aus dem nicht zu gewinnenden Krieg zu ziehen, hat Washington sich immer wieder für noch mehr Krieg und noch mehr Soldaten entschieden. So sind die USA immer tiefer in den Morast am Hindukusch eingesunken.

Hochmoderne Streitkräfte können nur so lange funktionieren, wie sie tagtäglich versorgt werden, wozu in der Regel ein gigantischer logistischer Aufwand notwendig ist. Dieser gilt speziell für Interventions- und Besatzungsarmeen, die fern der Heimat kämpfen. Im Fall Afghanistans, das weit weg vom Meer hinter unzugänglichen Gebirgsketten liegt, kommt hinzu, daß die USA aus ihrer Position als größte Seemacht der Welt keinen Vorteil ziehen können. Wie zu Zeiten des britischen Imperiums müssen auch für die US- und NATO-Armeen jede Patrone, jede Flasche Wasser, jeder Liter Benzin zu horrenden Kosten herangekarrt werden. Während im Vietnam-Krieg laut Pentagon der Kampfeinsatz eines US-Soldaten noch 7000 Dollar im Jahr kostete (etwa 16400 Dollar nach heutigem Wert), so liegen die Kosten für Afghanistan derzeit bei einer Million Dollar pro Soldat.

Mit Erschrecken nahmen die US-Medien unlängst eine Untersuchung des US-Bundesrechnungshofs zur Kenntnis, wonach das Pentagon z.B. 450 Dollar bezahlen muß, um eine Gallone (3,8 Liter) Benzin zu seinen vorgeschobenen Basen am Hindukusch bringen zu lassen. In diesem Preis sind allerdings die Schutzgelder bereits enthalten, die die lokalen Transportunternehmer an aufständische Gruppen und Taliban für freie Passage zahlen. Wie so vieles andere haben die US-Streitkräfte auch die Logistik ausgelagert und kaum noch eigene Militärtransporte benutzt. Laut Pentagon-Schätzung verbrauchten die westlichen Besatzerarmeen im Jahr 2009 über eine halbe Million Gallonen Brennstoff am Tag. Seit der Eskalation soll sich diese Zahl verdoppelt haben.

Trotz der stark angeschlagenen US-Wirtschaft sind das eigentlich kritische Problem für Washington nicht die horrenden Kosten, welche diese Art der Kriegsführung fern der Heimat verursacht, sondern die Versorgungssicherheit. Erst seitdem Pakistan kürzlich für elf Tage seine Grenzen für NATO-Transporte nach Afghanistan dichtgemacht hat, scheint es den Mächtigen in Washington klargeworden zu sein, an welch dünnem Faden die Versorgung der US-Armee in Afghanistan hängt. Die Grenzschließung war die Konsequenz eines NATO-Hubschrauberangriffs auf eine pakistanische Grenzstation, bei dem drei pakistanische Soldaten getötet worden waren.

Daß die USA inzwischen auch Landrouten über Rußland und Aserbaidschan zur Versorgung ihrer Truppen am Hindukusch aufgebaut haben, ist keine echte Alternative. Die Distanzen über Land und somit die Kosten sind noch größer. Zugleich sind die Transportkapazitäten dieser Routen weitaus geringer als über die bestehenden Routen über pakistanische Häfen. Über die wird auch weiterhin das Gros der Versorgung der US-Truppen laufen. Zugleich aber scheint Washington mit seiner Politik alles Erdenkliche zu tun, um Pakistan weiter zu destabilisieren und in einen Bürgerkrieg zu treiben. Die Schließung der Grenzübergänge war ein Schuß vor den Bug Washingtons. Selbst die US-abhängige pakistanische Regierung kann sich bei Strafe ihres eigenen Untergangs von den Amerikanern nicht alles gefallen lassen. Bleibt die Frage, ob Washington die richtige Lehre aus seinem logistischen Alptraum zieht.

* Aus: junge Welt, 15. Oktober 2010


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