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Karsai bietet Taliban Aussöhnung an

Afghanischer Präsident für zweite Amtszeit vereidigt / Westerwelle "sehr stolz" auf Bundeswehr *

Mit einem Versöhnungsangebot an die Taliban begann der afghanische Präsident Karsai seine zweite Amtszeit.

In seiner Antrittsrede kündigte Präsident Hamid Karsai am Donnerstag die Einberufung einer sogenannten Loja Dschirga zur Versöhnung mit den Aufständischen an. Nach 30 Jahren Krieg solle die »Große Ratsversammlung« Afghanistan Frieden bringen, erklärte Karsai nach seiner Vereidigung. Die Loja Dschirga ist laut Verfassung »die höchste Manifestation des Willens des afghanischen Volkes«. Bislang lehnen die Aufständischen Verhandlungen vor einem Abzug der ausländischen Truppen ab.

Beachten Sie auch die Meldungen vom 17. bis 21. November in unserer tagesaktuellen Afghanistan-Chronik



Karsai erklärte, die afghanischen Sicherheitskräfte müssten in den kommenden Jahren schrittweise die Verantwortung von den ausländischen Truppen übernehmen. »Ich hoffe, dass die afghanischen Kräfte innerhalb der nächsten fünf Jahre in der Lage sein werden, die Führung dabei zu übernehmen, Sicherheit und Stabilität im Land zu wahren.« Unter dem Beifall der nach Angaben des Palasts fast 1000 Ehrengäste aus dem In- und Ausland betonte Karsai, er wolle in seinem künftigen Kabinett kompetente Experten-Minister einsetzen. Unter wachsendem internationalem Druck kündigte der 51-Jährige an, die Korruption im Lande anzugehen.

Die Vereidigung wurde von zwei Selbstmordanschlägen im Süden des Landes überschattet. Nach Angaben der Polizei und der US-Armee starben dabei zehn Zivilisten und zwei US-Soldaten.

Die Islamische Republik Afghanistan werde die nationale Aussöhnung ganz oben auf die Tagesordnung setzen, sagte Karsai. »Wir heißen all jene Landsleute willkommen, die keine Verbindungen zu internationalen Terrornetzwerken haben, die ein friedliches Leben im Licht unserer Verfassung führen wollen und die in ihr Zuhause zurückkehren wollen«, betonte er.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle begrüßte die Antrittsrede Karsais. »Das war eine Rede mit den richtigen Schwerpunkten, die unsere Erwartungen erfüllt«, sagte er in Kabul. Der FDP-Politiker bekräftigte das Ziel, mittelfristig zu einem Zeitplan für den Abzug der Bundeswehr zu kommen. Westerwelle lobte bei seinem ersten Truppenbesuch in Afghanistan die deutschen Soldaten. »Ich bin sehr stolz auf unsere deutschen Landsleute, die hier arbeiten«, verkündete der Minister im größten deutschen Feldlager Masar-i-Scharif. Bei der Grundsteinlegung für eine neue Polizeischule in der Nähe des Lagers avisierte er weitere Hilfe zur Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte.

In Berlin signalisierte die SPD ihre Zustimmung für die von der Bundesregierung beschlossene Verlängerung der Bundeswehr-Einsätze in Afghanistan und am Horn von Afrika. Die CSU-Fraktion forderte derweil eine klare Strategie für einen Abzug aus Afghanistan, ehe das Bundeswehr-Mandat vom Parlament bis Ende 2010 verlängert wird. Die LINKE bekräftigte ihre Ablehnung der Mandatsverlängerung. Geschäftsführer Dietmar Bartsch sagte, seine Partei bleibe bei ihrem Nein zu Einsätzen der Bundeswehr im Ausland.

* Aus: Neues Deutschland, 20.11.2009


Leere Versprechen

Von Olaf Standke **

Es war ein Tag der Versprechungen und der Mahnungen, auch von deutscher Seite. Und damit unterschied sich die gestrige zweite Vereidigung von Hamid Karsai nur wenig von seiner ersten Amtseinführung vor fünf Jahren. Selbst der grüne Umhang und die schwarze Lammfellmütze des afghanischen Präsidenten schienen dieselben zu sein. Nur hat sich die Lage am Hindukusch weiter verschlechtert, und das liegt auch am Träger der traditionellen Bekleidung. Karsai ist nicht mehr der Liebling der ausländischen Kriegsherren, der seiner Bürger war er schon lange nicht. Ehre, Anstand und Visionen bescheinigten ihm einst Bush und Cheney. Doch davon weist Karsai wohl so wenig auf wie seine beiden Mentoren. Sein massiver Wahlbetrug beim jüngsten Urnengang hat ihn endgültig desavouiert, so wie die vom Westen verordnete Demokratie in Afghanistan. Mit dem Spotttitel »Bürgermeister von Kabul« ist sein Machtbereich durchaus präzise beschrieben. Aber der bringt einer korrupten Clique offensichtlich genug ein, während sich für die Mehrheit der Afghanen nicht nur die Sicherheits-, sondern auch die soziale Lage ständig verschlechtert. Lediglich das Drogengeschäft im Lande blüht und gedeiht. Da passt es ins Bild, dass Karsai zwei berüchtigte Warlords als Vizepräsidenten an seine Seite holte. Wer eigentlich soll ihm den gestrigen Ruf nach Reformen und verstärktem Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption noch glauben?

** Aus: Neues Deutschland, 20. November 2009 (Kommentar)


Selbstbetrug

Karsai verspricht das Blaue vom Himmel

Von Werner Pirker ***


Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat anläßlich seiner zweiten Amtseinführung genau das gesagt, was die wahren Herren über das Land am Hindukusch von ihm hören wollten. Doch niemand erwartet ernsthaft, daß Karsai die Vorgaben der Redenschreiber auch umsetzen wird. Daß er die Korruption bekämpft, Sicherheitsaufgaben sukzessive auf die einheimischen Kräfte überträgt und nach Jahrzehnten des Krieges den Frieden wieder herstellt.

Das »Nation building«-Programm für Afghanistan – Aufbau einer den westlichen Interventionsmächten ergebenen Staatsmacht, die von der Bevölkerung anerkannt wird – hat sich als der Versuch einer Quadratur des Kreises herausgestellt. Was sich zu Beginn der ausländischen Militärintervention wie ein Spaziergang ausgenommen hatte – die einheimische »Nordallianz« erobert Kabul, die US-Luftwaffe besorgt den Rest – hat sich im weiteren Verlauf als jener typisch asymmetrischer Krieg herausgestellt, in dem eine überlegene Militärmacht der Zermürbungstaktik nationaler Widerstandskräfte ausgesetzt ist. Die von den Nadelstichen ausgelöste Reaktion in Form massiver Luftschläge zerreißt den Nebelvorhang menschenrechtlich, demokratisch, zivilisatorisch usw. begründeter Aggressionen gegen das Selbstbestimmungsrecht. Das läßt dann selbst den Statthaltern der Besatzungsmacht oft keine andere Wahl, als gegen diese brutalen Übergriffe zu protestieren.

Das Karsai-Regime hat sich für die westlichen Interventionsmächte in doppelter Hinsicht als unzuverlässig herausgestellt. Weil es von Korruption zersetzt ist und deshalb, vor allem aber auch wegen seines fremdbestimmten Charakters von der Bevölkerung abgelehnt wird. Und weil es aus Gründen des eigenen Überlebens sein Schicksal nicht völlig mit dem der Besatzer verknüpfen will, das heißt ein gewisses Maß an Unabhängigkeit bewahren will.

Die sich am Hindukusch verteidigende westliche Wertegemeinschaft steht am Rande einer äußerst blamablen Niederlage. Das ursprünglich genannte Kriegsziel, das Land als zentrale Terrorbasis auszuschalten, ließ sich nicht wirklich materialisieren – der in den Höhlen Afghanistans lauernden Apokalyptischen Reiter konnte man nie habhaft werden. Der Terror kam erst mit den Terrorbekämpfern ins Land. Im Grunde war der »War on Terror« stets als imperialistischer Ordnungskrieg gedacht gewesen. Widerstandsherde gegen die westliche Hegemonie sollten präventiv ausgemerzt werden. Der »failed State«, der gescheiterte Staat, in Mittelasien bot sich als ordnungspolitisches Experimentierfeld geradezu an. Doch den Anschauungsunterricht für einen wirklich gescheiterten Staat bot erst die Karsai-Regierung. An dieser Situation kann auch eine weitere Verstärkung des westlichen Militäraufkommens nichts mehr ändern. Der Afghanistan-Krieg ist für den Westen verloren, da er von Beginn an auf falschen Vorstellungen beruhte.

*** Aus: junge Welt, 20. November 2009 (Kommentar)


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