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Große Worte in Kabul

Internationales Treffen für Ausbau der regionalen Zusammenarbeit *

Afghanistan soll nach dem Abzug der ausländischen Kampftruppen laut offiziellen Aussagen auch auf die Hilfe seiner Nachbarn bauen können.

Bei einer Konferenz in Kabul einigten sich die wichtigsten Kräfte der Region - so Pakistan und Iran - am Donnerstag auf eine Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen. Dazu gehört unter anderem eine bessere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Drogenhandel und Terrorismus. Konkrete Beschlüsse gab es allerdings nicht.

An der Konferenz nahmen Vertreter aus 30 Ländern und von mehreren internationalen Organisationen teil, darunter der russische Außenminister Sergej Lawrow. Afghanistans Präsident Hamid Karsai trat auf, um für engere Kooperation zu werben. Dies könne der gesamten Region Stabilität, Frieden und wirtschaftlichen Fortschritt bringen.

42 Delegationen

An der Regionalkonferenz "Heart of Asia" nahmen 42 Delegationen teil. Darunter befanden sich Afghanistan und seine Nachbarn, einschließlich Irans (die 15 "Heart of Asia"-Staaten), zwölf internationale und regionale Organisationen wie die Vereinten Nationen, die EU, die NATO, die OSZE und die Organisation der Islamischen Konferenz, und als Beobachter 15 weitere Staaten, darunter Deutschland und andere europäische Staaten sowie die USA. Ziel des sogenannten "Istanbul-Prozesses" ist die Förderung einer konstruktiven politischen und wirtschaftlichen Beteiligung der Staaten der Region an zukünftigen Entwicklungen in Afghanistan.
(Mitteilung des Auswärtigen Amts)



Bundesaußenminister Guido Westerwelle sagte auf dem Treffen: »Man merkt, dass Afghanistan vorankommt - bei allen Rückschlägen, die es noch gibt.« Nur gemeinsam mit den Nachbarn könne das Land eine »friedliche Zukunft« haben. Zugleich bekräftigte er den Plan, zusammen mit den anderen ausländischen Kampftruppen bis Ende 2014 auch die Einsatzkräfte der Bundeswehr abzuziehen. Derzeit sind noch etwa 4700 deutsche Soldaten am Hindukusch. Die Konferenz markierte sieben Bereiche, in denen es vertrauensbildende Maßnahmen geben soll. Dazu gehören Katastrophenschutz, Aufbau von regionalen Handelskammern, bessere Infrastruktur, Bildungsfragen und Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen. Deutschland soll beim Aufbau von regionalen Wirtschaftsstrukturen mitwirken.

Das Treffen schloss an eine Konferenz in Istanbul im November an, bei der Afghanistan erstmals mit allen Nachbarn sowie Regionalmächten wie Russland, China und Indien über eine engere Zusammenarbeit diskutiert hatte.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 15. Juni 2012


Fehlende Perspektiven

Von Olaf Standke **

Die hiesige Afghanistan-Politik schien in diesen Tagen auf Dirk Niebels fliegenden Teppich zu passen. Dass die Beträge - und Versäumnisse - um einiges größer sind, zeigt auch die aktuelle internationale Konferenz in Kabul. Präsident Hamid Karsai hat gestern die enge Zusammenarbeit seines Landes mit den Nachbarstaaten beschworen, werde doch erst die Kooperation in Zentral- und Südasien und mit weiteren Verbündeten zu Stabilität, Frieden und wirtschaftlichem Fortschritt führen. Eine Art KSZE am Hindukusch also.

Als auf dem NATO-Gipfel in Chicago unlängst über die Zukunft Afghanistans debattiert wurde, ging es vor allem um einen möglichst gesichtswahrenden Ausstieg aus dem verheerenden Kriegseinsatz der Allianz, um die logistischen Schwierigkeiten beim Abzug eines Großteils der Kampftruppen und den Streit, wer wie viel der jährlich mehr als vier Milliarden Dollar aufbringen soll, um die Armee und Polizei der Regierung Karsai künftig zu sponsern. Die Frage der nachhaltigen sozialökonomischen wie zivilgesellschaftlichen Entwicklung eines Afghanistans ohne Taliban-Herrschaft war und ist für den Nordatlantik-Pakt noch immer kein Thema, obwohl das größte Militärbündnis der Welt als weltpolitische »Ordnungsmacht« doch so viel mehr sein will. Wenn der Sicherheitsbegriff aber bei Truppenstärken, Rüstungsgütern und Ausbildungszeiten endet, werden auch die Lebensperspektiven der leidgeprüften afghanischen Zivilbevölkerung schrumpfen.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 15. Juni 2012 (Kommentar)

Das Treffen aus Sicht des Auswärtigen Amts:

Afghanistan: "Im Herzen Asiens"

Die Stabilisierung Afghanistans ist untrennbar mit der Stabilität der Region verbunden. Im November 2011 wurde daher in Istanbul ein Prozess in Gang gesetzt, der alle Nachbarn des Landes umfasst. Dieser "Istanbul-Prozess" wurde nun mit der ersten Folgekonferenz auf Ebene der Außenminister am 14. Juni in Kabul fortgesetzt. Sie trug den Titel: "Heart of Asia". Der Begriff umschreibt die Lage des Landes "im Herzen Asiens" zwischen Südasien, Zentralasien und dem Mittleren Osten.

Außenminister Westerwelle nahm für Deutschland an dem Treffen in der afghanischen Hauptstadt teil. Er zeigte sich überzeugt: Die Konferenz kann wichtige Beiträge leisten, um in der Region vorhandenes Misstrauen ab- und neues Vertrauen aufzubauen. So haben sich Afghanistan und seine Nachbarn auf die Umsetzung konkreter vertrauensbildender Maßnahmen verständigt.

Dazu gehören laut Konferenzerklärung etwa die bessere Zusammenarbeit bei der Katastrophenbewältigung und bei der Bekämpfung von Terrorismus und Drogen. Auch in Wirtschaft und Bildungsfragen will man enger kooperieren. Deutschland hat zugesagt, die Zusammenarbeit von Handelskammern in der Region und den Aufbau vernetzter Infrastruktur zu unterstützen.

Alle Nachbarn einbeziehen

Zum Auftakt der Konferenz in Kabul betonte Minister Westerwelle: "Wir wollen, dass Afghanistan eine vernünftige, friedliche und erfolgreiche Zukunft hat." Die Stabilität des Landes hänge entscheidend davon ab, "dass die Nachbarländer diese Stabilität unterstützen". Sie sei aber auch im Interesse dieser Nachbarstaaten selbst. Afghanistan sei über die Jahrzehnte ein "Hort der Destabilität" für die gesamte Region gewesen. "Wenn das überwunden werden könnte, durch eine stabilisierende Politik, dann profitieren alle davon", so der Minister.

Die Teilnahme Irans wie auch Pakistans an der Konferenz begrüßte Westerwelle ausdrücklich. Ein Land könne sich seine Nachbarn nicht aussuchen. Und wenn man eine gute Lösung für Afghanistan erreichen wolle, sei es entscheidend, "dass alle Nachbarn an Bord kommen". So nahm sich der Minister während der Konferenz Zeit für bilaterale Begegnungen unter anderem mit der pakistanischen Außenministerin Khar und dem iranischen Amtskollegen Salehi.

Langfristige Unterstützung

Am Rande der Konferenz traf sich Westerwelle auch mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. Wichtige Themen waren die Fortschritte bei der Übergabe der Sicherheits­verantwortung, der Abzug der internationalen Kampftruppen bis Ende 2014 sowie die weitere Unterstützung für Afghanistan. Erst am 16. Mai hatten Karsai und Bundeskanzlerin Merkel in Berlin ein Partnerschaftsabkommen über die langfristige Zusammenarbeit der beiden Länder geschlossen. Westerwelle wies darauf hin, dass im von Deutschland geführten Regionalkommando etwa vier Fünftel der Distrikte auf dem Weg in afghanische Sicherheits­verantwortung seien.

Künftig wolle sich Deutschland vor allem auch darauf konzentrieren, dass Afghanistan wirtschaftlich vorankommt, unterstrich der Minister in Kabul. Je gesünder sich das Land entwickele, umso geringer sei die Verführbarkeit junger Menschen durch Terroristen. Afghanistan brauche "wirtschaftliche Perspektive, wenn es auf Dauer stabil sein soll".

Quelle: Website des AA; http://www.auswaertiges-amt.de

Hier geht es zur Konferenz-Erklärung (englisch):
‘HEART OF ASIA’ MINISTERIAL CONFERENCE -­ KABUL: Conference Declaration




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