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"Sie wollen Afghanistan in ihre Militär- und Aufklärungsbasis in Asien verwandeln" / 'They want to change Afghanistan into their military and intelligence base in Asia'

Rede von Malalai Joya auf dem Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel (englisch und deutsch) / Speech of Malalai Joya in Kassel (Germany)

Liebe Freunde!

Ich möchte euch * dafür danken, mir eine weitere Gelegenheit zu geben, eine Botschaft des leidenden und Gerechtigkeit liebenden afghanischen Volkes zu überbringen.

Zwar ist die deutsche Regierung ein enger Freund der Feinde unsers Volkes und hat sich der üblen Politik der USA/NATO in den vergangenen 10 Jahren angeschlossen, aber die Kriegsgegner und fortschrittlichen Menschen in Deutschland haben ihre Solidarität mit uns demonstriert und damit einmal mehr die Diskrepanz zwischen Euch und der kriegstreiberischen Politik ihrer Regierung aufgezeigt. Eure Solidarität ist uns Ermutigung und verstärkt unsere Entschlossenheit im Kampf um Gerechtigkeit und wahre Demokratie in unserem Land.

Zwar läge es nah, angesichts des derzeitigen Elends und der Katastrophen in meinem leidenden Land zunächst darüber zu sprechen. Ich möchte aber meine Rede beginnen mit der letzten sogenannten Loya Jirga und der Bonner Konferenz, die ich für weitere Werkzeuge in den Händen der Besatzer halte, um die Fesseln der Versklavung unseres Volkes noch enger zu schmieden.

Es ist zutreffend, dass die Loya Jirga eine traditionelle und historische Bedeutung für unser Volk besitzt, aber unglücklicherweise ist diese Institution in den letzten Jahren infiziert und missbraucht worden vom Virus des Fundamentalismus und der Besatzung. Dort versammeln sich von staatlicher Seite ausgesuchte Männer und Frauen, bei denen es sich um Sprachrohre des korrupten und mafiosen Marionettenregimes handelt; und was auch immer sie beschließen: Es dient den Interessen des Marionettenregimes und seiner ausländischen Herren aber nie dem Wohl meines Volkes. Ihre Entscheidungen sind nicht die Entscheidungen meines Volkes. Solche Treffen dienen lediglich als Showveranstaltung zur Legitimierung einer dauerhaften Präsenz der USA in Afghanistan.

Am ersten Tag der Loya Jirga sprach Karzai ungeniert über eine strategische militärische Übereinkunft mit den USA und anderen Mächten und forderte die Teilnehmer zur deren Annahme auf. Unabhängig von daran geknüpften Bedingungen handelt es sich hierbei für mich um eine das afghanische Volk den USA versklavende Vereinbarung. Und jegliche Verträge, die die Intervention fremder Staaten erlaubt, sind inakzeptabel für das afghanische Volk und die demokratischen Kräfte in unserem Land. Durch diese Jirgas soll diese verräterische Politik unter gut klingenden Bezeichnungen verkauft und deren Resultate den Schultern der unschuldigen Bevölkerung aufgebürdet werden. So lange wir eine militärische US-Präsenz in Afghanistan haben, so lange haben wir keine wahre Unabhängigkeit; und in einem Land ohne Unabhängigkeit ist das Gerede über Demokratie, Menschen- und Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit nur ein schlechter Scherz.

Bei der bevorstehenden Konferenz in Bonn handelt es sich nun um einen erneuten schmerzhaften Versuch mit dem Schicksal unseres Volkes zu spielen. Diese Konferenz unterscheidet sich nicht von ihrem Vorgänger; sie besteht aus Kriegsherren, Drogenbaronen und westlichen Technokraten mit dem einzigen Unterschied, dass diesmal auch Vertreter der Taliban anwesend sein sollen. Die Bevölkerung setzt keinerlei Hoffnung auf derartige Treffen, da sie lediglich die verschworenen Feinde des afghanischen Volkes vereinen, die Besatzung legitimieren und die US-Militärbasen erweitern. Ich bitte daher die Menschen im Westen sich nicht täuschen zu lassen und ihre Stimmen zu erheben gegen derartige Konferenzen. Ich bin deshalb sehr glücklich darüber, dass die Friedensbewegung * Aktionen gegen diese zweite Bonner Konferenz organisiert hat.

Wenn die wirklichen Vertreter des Volkes auf dieser Konferenz wären, dann würden sie die bittere Realität thematisieren, dass Afghanistan mittlerweile das Drogenzentrum der Welt geworden ist, in dem seit 2001 die Opium-Produktion um 4400% gesteigert worden ist, eine Folge der US-Politik, die eine Spezialisierung Afghanistans auf Drogenherstellung bewirkte mit jährlichen Milliardengewinnen , während gleichzeitig die Leben der Menschen zerstört werden. Ich persönlich halte Opium für gefährlicher, weil zerstörerischer für die Leben der Menschen, als Al-Kaida , Terrorismus und Krieg.

Sie würden ferner die Massaker, das Bombardieren von Hochzeitsfeiern, die Verwendung von Streubomben und weißem Phosphor durch US/NATO-Kräfte thematisieren, die unter dem Namen des sogenannten Kriegs gegen den Terror zehntausende unschuldiger Zivilisten töteten.

Sie würden weiterhin die katastrophale Situation der Frauen thematisieren, die sich täglich verschlimmert mit rapide anteigenden Fällen von Vergewaltigungen, Entführungen, Tötungen, Selbstverstümmelungen, Säureattacken und häuslicher Gewalt. Afghanistan ist mittlerweile laut einem Bericht von UNIFEM für eine Frau der gefährlichste Platz der Welt.

Sie würden die ständige schreckliche und gefährliche Korruption in Afghanistan thematisieren. Nach offiziellen Statistiken sind 55 Milliarden ausgegeben worden zum Wiederaufbau Afghanistans, aber der größte Teil des Betrags wurde geplündert von den Kriegsherren, Drogenbaronen und nationalen und internationalen NGO. Afghanistan ist zur Zeit das zweit-korrupteste Land der Welt und das korrupteste in unserer eigenen Geschichte.

Anstatt über die Überwindung dieser Katastrophen zu reden, will diese verräterische Regierung in Verhandlungen – unter der Bezeichnung „friedliche Aussöhnung“ – treten mit den Taliban und Gulbuddin Hekmatyar, in denen terroristische Gruppen wie die Nordallianz den Taliban und Hekmatyar eine Machtteilung anbieten - mit zu erwartenden blutigeren und tragischen Folgen. Egal ob zwischen denen Frieden oder Krieg herrscht, die Menschen, insbesondere die Frauen werden Opfer sein. Und für die USA spielt es dabei keine Rolle, ob eine noch korruptere, mafios gesteuerte und schmutzigere Regierung als die jetzige an die Macht kommt und Afghanistan ein rückständiges Land bleibt. Der Westen hat sich bei der Lösung von Krisen in Afghanistan immer auf die brutalsten, kriminellsten und primitivsten Banden gestützt. Was dabei vollständig ignoriert und in keinem Dokument behandelt wird, ist das Leiden des Volkes in meinem Land.

Es kann doch niemand ernsthaft glauben, dass eine Supermacht mit einem massiven Militärapparat und hochentwickelter Waffentechnologie nicht in der Lage ist, eine kleine mittelalterliche und ungebildete Gruppe wie die Taliban zu besiegen. Aber in der Tat werden die Taliban sogar indirekt von der US-Regierung unterstützt, nämlich durch Pakistan und den Iran.

Die USA/NATO sagen uns, dass sie sich aus Afghanistan bis Mitte 2014 zurückziehen werden, wobei es sich aber um eine Lüge handelt und womit die eigene Bevölkerung zum Narren gehalten wird. Wir wissen, dass die USA und ihre Verbündeten aus eigenem Interesse hier sind. Und selbst wenn sie eine afghanische Armee und Polizeitruppe aufbauen, so lediglich um sie als Kanonenfutter und zur Verringerung ihrer eigenen Verluste zu verwenden. Sie wollen Afghanistan in ihre Militär- und Aufklärungsbasis in Asien verwandeln, womit die Heuchelei der US-Regierungspolitik klar erkennbar wird.

Die westlichen Regierungen haben aber nicht nur das afghanische Volk sondern auch ihr eigenes betrogen. Sie verschwenden Steuergelder und das Blut ihrer Soldaten in einem Krieg, der nur die Interessen großer Konzerne und einer Handvoll afghanischer Herrscher schützt. Ich glaube, dass die einzige Lösung für Afghanistan in einem Rückzug der ausländischen Truppen liegt, weil deren Anwesenheit – die die reaktionärsten, brutalsten und finstersten Kräfte in unserem Land stärkt, die gleichzeitig die größten Hindernisse für demokratische Kräfte darstellen – unseren Kampf für Gerechtigkeit so viel schwerer macht.

Nun sagen einige, dass die Taliban wieder an die Macht kommen könnten und ein Bürgerkrieg entstehen würde, aber ich glaube, dass mein Volk, trotz seiner Verwundungen, erschöpft und ohne viel Hoffnungen nach all den Kriegen, dennoch beharrlich bis zum Sieg gegen Kriegsherren und Taliban kämpfen wird, und zwar aufgrund des Hasses. den sie auf diese empfinden.

Die Geschichte lehrt uns, dass die Völker sich nur selbst befreien können. Und ich hoffe, dass eines Tages auch Afghanistan glorreiche Aufstände wie in den Ländern des Nahen Ostens gegen fundamentalistische Diktatoren erleben wird, wie wir sie bereits jetzt als kleinere Aufstände in den Provinzen Kunar, Takhar, Nangarhar, Paktia, Logar und Ghazni erleben, deren Anwachsen eine starke Quelle der Hoffnung für uns bildet.

Abschließend möchte ich nun alle friedliebenden, für Gerechtigkeit kämpfenden und demokratischen Organisationen, Gruppen, Parteien und Individuen bitten, den fortschrittlichen und demokratischen Kräften, die Eure Unterstützung und Solidarität brauchen, die Hände zu reichen. Ich möchte meine Rede beenden mit einem Zitat des großen Martin Luther King, der einmal sagte:
“Unser Leben kommt dann an sein Ende, wenn wir still werden; Freiheit wird niemals freiwillig vom Unterdrücker gewährt, sie muss von den Unterdrückten gefordert werden.“

* Malalai Joya dankte an dieser Stelle ausdrücklich auch der Partei "Die Linke", welche die Vortragstour durch Deutschland organisierte und finanzierte.

Rede vor dem "Friedenspolitischen Ratschlag", Kassel, 27. November 2011. Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken.


Dear Friends,

I would like to thank friends of The Left Party for giving me another opportunity to share and bring the message of the suffered and justice-loving people of Afghanistan to democratic minded people of Germany.

If German government is a close friend of the enemies of our people and followed the sinister policy of US/NATO in this 10 years of occupation but antiwar and progressive people of Germany stand in solidarity with us therefore once again you proved your huge difference with your war monger Government.

Your solidarity gives us more encouragement and determination to fight for justice and true democracy in our country.

So many disasters and miseries are going on in my crying country which is important to share but I would like to start my talk about the recent so-called Loya Jirga and Bonn conference which I believe are another tools in hands of the occupation forces to tighten the chains of slavery on our people.

There is no doubt that Loya Jirga has a traditional and historical meaning for our people but unfortunately in the recent years it has been misused and infected by the virus of fundamentalism and occupation. State-selected men and women who are mouthpieces of the puppet corrupt Mafia regime get together and what ever decision they made is in the favor of the puppet regime and their foreign masters and never benefits my people. Any decision made by them is not our people decision. Such gatherings are shows to give legitimation to any US permanent presence in Afghanistan.

In the first day of Loya Jirga Karzai shamelessly talked about the military strategic agreement with US and other powers. He encouraged the participants to accept the agreement. With or without conditions I believe it is the slavery agreement of Afghanistan to US and any kind of agreement which has the interference of foreign countries will have no value for the Afghan people and democratic minded forces of my country. Through these Jirgas they want to legitimize and sell Afghanistan publically under some nice names and put the responsibility of their treacherous policies on the shoulders of the innocent people.

As long as we have US military presence in Afghanistan we have no independence. In a country which has no independence talking about democracy, human rights, woman rights and social justice is a joke.

Now Bonn conference is another painful game played with the destiny of my people. This conference is like the previous one, full of warlords, drug-lords and western technocrats, the only difference is the addition of Taliban. People have no hope for such gatherings because it will only unite the sworn enemies of Afghan people, legalize occupation and expand US military bases. Therefore I ask great Western people to raise their voices against such conferences and not be deceived. I am very happy and salute the the Left Party for organizing actions against the 2nd Bonn conference.

If there were real representatives of the people in the conference they would question about this bitter reality that who has changed Afghanistan to the center of drug in the world, since 2001, the production of opium increased 4400% in my country. It was the US policy to specialize Afghanistan in drug-production because they get hundreds of billions of $ every year from Afghan opium industry while our poor people’s lives are destroyed. I believe opium is more dangerous than Al-Qaida and terrorism and more than war kills and destroys the life of the people. They would question about the massacres, bombing of wedding parties, using of cluster bombs and white phosphorus of US/NATO which killed tens of thousands of innocent civilians under the name of so-called war on terror.

They would question about catastrophic situation of women which is getting worse day by day like rapes, kidnappings, killings, self- immolation, acid attacks and domestic violence are increasing rapidly. It is also the most dangerous place to be a woman, according to UNIFEM.

They would question about the on-going awful and dangerous corruption in Afghanistan. According to official statistics, over $55bn have been spent on rebuilding Afghanistan, but most of this fund has been looted by warlords, drug-lords and national and international NGOs. Afghanistan is the 2nd most corrupt country in the world and the most corrupt in our history.

Instead of talking about how to get rid of such disasters this treacherous government wants to negotiate with Taliban and Gulbuddin Hekmatyar under the name of peace reconciliation where one terrorist group like Northern Alliance invites Taliban and Hekmatyar to share power and the outcome of this will be more bloody and tragic. Even if they are at peace or in a fight, people will be victims, especially women. But it's not of any importance for the US if a more corrupt, mafia-ridden and dirtier government than the current one comes to power and Afghanistan remains backward.

The West always resort to the most brutal, criminal and savage bands to find a solution to Afghanistan’s crisis, what they ignore completely are the suffering people of my country who are not considered in any formula.

No one can believe that a superpower with a massive military machine and most advanced weaponry is really unable to defeat a small, medieval and ignorant band such as the Taliban. But in fact Taliban are even being indirectly supported by the US government through Pakistan and Iran.

US/NATO tells us that they will leave Afghanistan by mid-2014 but it is a lie and make fool of their own people. We know that the US and its allies are there for their own interests. Even if they are mobilizing the Afghan army and police, it is just to use them as cannon fodders to decrease their own soldiers' casualties. They want to change Afghanistan into their military and intelligence base in Asia. It is enough to show the hypocrisy of the US government.

The Western governments not only betrayed Afghan people but their own people too. They are wasting tax payer money and their soldiers' blood for a war which only safeguards the interests of the big corporations and a handful of Afghan criminal rulers. I believe that the only solution to Afghanistan is that the troops should withdraw because their presence is making our fight for justice much harder by empowering reactionary, brutal and dark- minded forces that are great obstacles for the true democratic elements.

Some say that Taliban may get back to power and a civil war will break but my people, despite being wounded, tired and hopeless of all the wars will fight steadfastly till the end against warlords and Taliban because of the hatred they have for them. The history bears witness that only the nations can liberate themselves.

I hope that one day Afghanistan also sees glorious uprisings like Middle East countries against fundamentalist dictators, as right now we are witnessing small uprisings in Kunar, Takhar, Nangarhar, Paktia, Logar and Ghazni provinces, which is increasing, a big source of hope for all us.

So now I would like to ask all peace-loving, justice-seeking and democratic organizations, groups, parties and individuals to join hands with progressive and democratic-minded forces that need your support and solidarity.

Let me conclude my speech with quote of dear Martin Luther King who said.
“Our lives begin to end the day we become silent, freedom is never voluntarily given by the oppressor it must be demanded by the oppressed.”

27 november 2011

University of Kassel (Germany): "Friedenspolitischer Ratschlag"


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