Italien schweigt zu Afghanistan-Einsatz
Jüngste militärische Befreiungsaktion löste in Parlament und Öffentlichkeit kaum Kritik aus
Von Anna Maldini, Rom *
Obwohl in Öffentlichkeit und linken Parteien Italiens der Afghanistan-Einsatz kritisch bewertet wird,
gab es zur gewaltsamen Befreiung italienischer Soldaten stillschweigende Zustimmung.
In Afghanistan waren am vergangenen Wochenende (22./23. Sept.) zwei Angehörige des italienischen militärischen
Geheimdienstes entführt worden. Nach wenigen Stunden wurden sie in einer koordinierten Aktion
von Italienern und Briten »freigeschossen«. Mindestens neun Afghanen, wohl auch die Entführer,
wurden getötet. Einer der beiden Italiener schwebt in Lebensgefahr, der andere wurde nur leicht
verwundet. Wahrscheinlich wurden sie von »friendly fire«, also von ihren Befreiern, getroffen.
Schon wenige Stunden nach der »Befreiungsaktion« war das Thema praktisch aus den italienischen
Medien wieder verschwunden. Über den Einsatz in Afghanistan wird nicht diskutiert. Das Thema ist
zu heikel und könnte die ohnehin nicht sehr stabile Mitte-Links-Regierung in unüberwindliche
Schwierigkeiten bringen.
Insgesamt sind etwa 2500 italienische Soldaten im Afghanistan-Einsatz – ein Teil in der Hauptstadt
Kabul, das größere Kontingent in der westlichen Provinz Herat, wo die Italiener im Namen der NATOMission
auch Koordinations- und Führungsaufgaben wahrnehmen. Über ihren Einsatz und ihre
Aktionen wird in der Öffentlichkeit aber kaum debattiert, es sei denn, die Mission muss neu finanziert
werden – wie im nächsten Februar wieder – oder es kommt zu »unvorhergesehenen
Zwischenfällen«.
Das letzte Mal geschah das vor einigen Monaten, als der Journalist Daniele Mastrogiacomo entführt
wurde. Damals gab es langwierige Verhandlungen um seine Freilassung. Wie das Geschäft letztlich
abgelaufen ist, weiß man nicht. Tatsache ist, dass sich die Regierung in Kabul schließlich bereit
erklärte, einige Personen aus ihren Gefängnissen zu entlassen, um die Freilassung Mastrogiacomos
zu erwirken, was den deutlichen Unmut besonders der USA nach sich zog.
Im Fall der beiden Soldaten, die zum militärischen Geheimdienst Sismi gehören, lief es anders.
Nahezu sofort gab Ministerpräsident Romano Prodi grünes Licht für die militärische
»Befreiungsaktion«, die er als »einzig gangbaren Weg« bezeichnete. Praktisch gab es weder im
Parlament noch in der Öffentlichkeit Widerspruch. Vor nur 35 Abgeordneten – die anderen hielten
das Thema wohl für nicht interessant genug – erstattete Verteidigungsminister Arturo Parisi dem
Parlament Bericht.
Die einzige kritische Stimme kam vom Vorsitzenden der Italienischen Kommunisten, Oliviero
Diliberto, der noch einmal den sofortigen Rückzug der italienischen Soldaten aus Afghanistan
verlangte. Selbst die Grünen, die Kommunisten von »Rifondazione« und der linke Flügel der
Sozialisten waren in diesem Fall still.
Trotzdem hat Italien hinsichtlich Afghanistan sicher eine sehr differenzierte Position, die vor allem
den Hardlinern unter den Bündnispartnern ein Dorn im Auge ist. »Wir wollen eine politische
Lösung«, erklärte der Fraktionsvorsitzende von »Rifondazione«, Gennaro Migliore, »und setzen uns
für eine Friedenskonferenz ein.« An einer solchen Konferenz, die alle Parteien, einschließlich der
Taliban, einbezieht, arbeitet Italiens Außenminister Massimo D'Alema auch jetzt am Rande der UNOVollversammlung.
Nur auf diesem Wege sei es möglich, die ausländischen Truppen im Land
schnellstmöglich zu reduzieren und den zivilen Aufbau voranzutreiben.
* Aus: Neues Deutschland 27. September 2007
Zurück zur Afghanistan-Seite
Zur Italien-Seite
Zurück zur Homepage