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Delhi und Kabul jetzt "strategische Partner"

Indiens Ministerpräsident Singh: Die Afghanen haben genug gelitten

Hilmar König *

Vor dem Hintergrund anhaltender Spannungen mit ihrem gemeinsamen Nachbarn Pakistan haben Indien und Afghanistan eine »strategische Partnerschaft« vereinbart. Afghanistans Präsident Hamid Karsai und der indische Premier Manmohan Singh unterzeichneten am Dienstag in Delhi ein entsprechendes Abkommen.

Für Kabul ist es ein erster Pakt solcher Art mit irgendeinem Land. Das Vertragswerk schafft nach Einschätzung Manmohan Singhs einen »institutionellen Rahmen für künftige Kooperation auf politischem und sicherheitspolitischem Gebiet, im Handel und in der Wirtschaft«. Es soll nach dem Wunsch seiner Väter die Zusammenarbeit im Kampf gegen internationalen Terrorismus, organisiertes Verbrechen, illegalen Drogenhandel und Geldwäsche fördern. Indien wird bei Ausbildung, Ausrüstung und Qualifizierung afghanischer Sicherheitskräfte helfen.

Premier Singh betonte auf einer Pressekonferenz, dass Indien fest an der Seite Afghanistans stehen werde, wenn 2014 die ausländischen Truppen abziehen. »Die Afghanen haben genug gelitten. Sie verdienen, in Frieden zu leben und ihre Zukunft selbst zu entscheiden, ohne Einmischung, Zwang und Einschüchterung von außen«, sagte er mehrdeutig.

Afghanistan, ergänzte Präsident Karsai, betrachte Indien als vertrauenswürdigen Freund, mit dem Kabul auf allen Gebieten noch enger zusammenarbeiten möchte. Delhi finanziert in Afghanistan bereits jetzt Entwicklungsprojekte im Wert von über zwei Milliarden Dollar. Das strategische Abkommen verleiht nach Einschätzung des afghanischen Präsidenten der ohnehin starken Partnerschaft eine neue Dimension. »Afghanistan erkennt die Gefahren, die der Region durch Terrorismus und Radikalismus drohen, die als politisches Instrument gegen unschuldige Zivilisten in unseren Ländern eingesetzt werden«, erklärte Karsai vor den Medienvertretern. Ministerpräsident Singh assistierte ihm mit der Bemerkung, man habe frei, offen und intensiv über das Problem Terrorismus diskutiert, das die gesamte Region heimsucht.

In dem Pakt wird ausdrücklich versichert, er richte sich »nicht gegen einen anderen Staat oder eine Staatengruppe«. Damit spielen beide Seiten vor allem auf den gemeinsamen Nachbarn Pakistan an, der Afghanistan als sein strategisches Hinterland in der Dauerfehde mit dem »Erzfeind« Indien ansieht. Dass Karsai gerade zu diesem Zeitpunkt Indien seinen zweiten Besuch in diesem Jahr abstattet, kommt nicht von ungefähr. Denn das afghanische Verhältnis zu Pakistan befindet sich nach der Ermordung des ehemaligen Präsidenten Burhanuddin Rabbani am 20. September in Kabul nahe am Tiefpunkt. Rabbani nahm eine Schlüsselstellung im Bemühen um einen Dialog mit den Taliban ein. Kabul beschuldigt Islamabad, hinter dem Mord zu stecken, denn pakistanische Kreise wollten eine Verhandlungslösung mit den Taliban torpedieren.

Pakistan wies diesen Vorwurf zwar vehement zurück. Doch Karsai äußerte am Vorabend seiner Abreise nach Delhi im Fernsehen ziemlich unverblümt: Obwohl Afghanistan und Pakistan »unzertrennbare Brüder« seien, »wird nach all der Zerstörung und dem Leid das Doppelspiel gegen Afghanistan und die Anwendung von Terrorismus als Vorwand fortgesetzt.« Die NATO führe einen »falschen Krieg im falschen Land ? Terrorismus gibt es hier nicht.« Deshalb werde man vorerst keine weiteren Kontakte zu den Taliban anstreben, sondern den Dialog mit Pakistan, denn das sei die entscheidende Autorität.

Ein weiterer Aspekt ist: Karsais Indien-Besuch fällt in eine Phase zerrütteter Beziehungen zwischen den USA und Pakistan. Washington macht seit einiger Zeit keinen Hehl mehr daraus, dass es den pakistanischen Geheimdienst ISI als Kollaborateur des Haqqani-Netzwerks betrachtet. Das wiederum arbeitet mit den Taliban zusammen und soll für etliche blutige Anschläge in Afghanistan, auch für die Ermordung Rabbanis, verantwortlich sein. In jüngster Zeit forderten Außenministerin Hillary Clinton, CIA-Chef David Petraeus und Generalstabschef Admiral Mike Mullen von Pakistan, endlich gegen die Haqqanis vorzugehen. Auch in Indien glaubt man, dass die Regierung in Islamabad die Haqqani-Gruppe, die etwa 15 000 Mann unter Waffen hat und von pakistanischem Gebiet aus operiert, als strategisches Gegengewicht zum wachsenden indischen Einfluss in Afghanistan einsetzt.

Die jetzt besiegelte strategische Partnerschaft zwischen Indien und Afghanistan stellt vor diesem Hintergrund ein gewichtiges geopolitisches Element im südasiatischen Raum dar.

* Aus: neues deutschland, 6. Oktober 2011


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