Angriff auf "christliche Helfer"
Zehn Tote im Nordosten Afghanistans. Taliban bekennen sich *
Die Kämpfe um Afghanistan forderten am Wochenende erneut zivile Opfer. Bei den Betroffenen handelte es sich um ein zehnköpfiges Team von Medizinern, die der »christlichen Hilfsorganisation« International Assistance Mission (IAM) angehörten. Deren Direktor Dirk Frans teilte am Samstag (7. Aug.) in Kabul mit, getötet worden seien sechs US-Amerikaner, zwei afghanische Dolmetscher, eine Britin und eine Deutsche. Die Leichen wurden in der im äußersten Nordosten gelegenen Provinz Badachschan gefunden, das zum Besatzungsgebiet der deutschen Bundeswehr gehört.
Das IAM-Team sei auf dem Rückweg von einer dreiwöchigen Behandlungsreise gewesen, berichtete Frans. Der Polizeichef der Region teilte mit, die Opfer seien am Freitag in einem Wald des Bezirks Kuran Wa Mundschan in ihren von Kugeln durchsiebten Allradautos gefunden worden. Dorfbewohner hätten die Gruppe davor gewarnt, daß die Gegend unsicher sei. Sie seien Ärzte und hätten keine Angst, hätten die IAM-Vertreter geantwortet.
Frans sagte, Teamleiter Tom Little sei bereits im August 2001 zusammen mit sechs Deutschen und einem weiteren US-amerikanischen Mitarbeiter von der damaligen Taliban-Regierung verhaftet und ausgewiesen worden. Ihnen wurde vorgeworfen, versucht zu haben, Afghanen zum Christentum zu bekehren. Little sei dann nach der US-Invasion im November 2001 nach Afghanistan zurückgekehrt. Die IAM sei zwar als christliche Organisation registriert, missioniere aber nicht, behauptete Frans. Sie arbeitet mit der deutschen Christoffel-Blindenmission zusammen, wie deren Pressestelle in Bensheim mitteilte.
Die Taliban bekannten sich zu den Morden. Ihr Sprecher Sabjullah Mudschahid erklärte, die Ausländer hätten für die USA spioniert und »für das Christentum missioniert«. Frans äußerte indes Zweifel an der Täterschaft der Taliban. Die Polizei erklärte, zehn Bewaffnete hätten das Ärzteteam ausgeraubt und danach ein Opfer nach dem anderen erschossen.
Unterdessen informierte am Sonntag (8. Aug.) ein Sprecher der Besatzungstruppen in Kabul, daß bei Kämpfen im Süden Afghanistans fünf NATO-Soldaten getötet worden seien. Sie starben demnach bei drei Explosionen an unterschiedlichen Orten. Vom dänischen Militär wurde erklärt, daß zwei seiner Soldaten in der Provinz Helmand starben, als ihr gepanzertes Fahrzeug auf eine Bombe am Straßenrand fuhr.
(AFP/apn/jW)
* Aus: junge Welt, 9. August 2010
Mord an zehn Zivilisten in Afghanistan
Brutaler Überfall auf Team ausländischer Ärzte und inländischer Helfer / Anschlag auf ISAF **
Der Mordanschlag auf christliche Helfer in Afghanistan hat in Deutschland Bestürzung ausgelöst. Die Leichen der im Norden des Landes Getöteten wurden am Sonntag zur Identifizierung nach Kabul gebracht.
Die afghanische Polizei hatte insgesamt zehn von Kugeln durchsiebte
Leichname in der Provinz Badachschan gefunden, die zum Einsatzgebiet der Bundeswehr in
Afghanistan gehört. Die Leichen seien zur Identifizierung am Sonntag per Hubschrauber aus der
nördlichen Provinz Badachschan in die Hauptstadt transportiert worden, erklärte eine Sprecherin der
US-Botschaft in Kabul. Unter den Opfern sind sechs USA-Bürger, eine Britin, eine Deutsche und
zwei Afghanen. Bei dem deutschen Todesopfer handele es sich um eine 35-jährige Frau aus
Sachsen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin.
Die radikalislamischen Taliban haben sich zu der Tat bekannt. Die Polizei prüft aber auch, ob es sich
um einen Raubmord gehandelt haben könnte. Die Opfer seien in einer Reihe aufgestellt und
erschossen worden, sagte der Polizeichef von Badachschan, Aka Noor Kintos, unter Berufung auf
den einzigen Überlebenden des Überfalls. Der afghanische Fahrer war nach eigener Angabe
verschont worden, weil er Koranverse zitierte.
»Ich bin empört und erschüttert über den Mord an den Ärzten der christlichen Hilfsorganisation
International Assistance Mission«, erklärte der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang
Kauder, am Sonntag (8. Aug.). Die afghanische Polizei müsse alles daran setzen, um die Täter zu ergreifen
und zu bestrafen. Zugleich müsse erreicht werden, dass die Afghanen die Sicherheit in ihrem Land
garantieren könnten.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte im ARD-Sommerinterview, der militärische Einsatz in
Afghanistan könne das Land nicht befrieden. Damit könne man nur Zeit gewinnen, um eine
politische Lösung zu suchen. Dabei müsse man auch mit Aufständischen sprechen.
Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Jürgen Trittin, nannte den Anschlag erschreckend. »Das
zeigt, wie wenig stabilisiert die Lage in Afghanistan heute ist«, sagte er in den »Tagesthemen« am
Sonnabend (7. Aug.).
Auch die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, äußerte sich bestürzt über die Ermordung
von acht christlichen Helfern. Das Verbrechen führe einem vor Augen, wie falsch die derzeitige
Politik sei, sagte Lötzsch. Im Interesse der Entwicklungshelfer, der deutschen Soldaten und der
afghanischen Bevölkerung müsse die Bundeswehr sofort abgezogen werden
Der Mord an den zehn Helfern war am Wochenende nicht die einzige Bluttat im nordafghanischen
Einsatzgebiet der Bundeswehr. Mutmaßliche Aufständische haben erneut einen
regierungsfreundlichen Milizenchef getötet. Vier Leibwächter des Kommandeurs seien bei dem
Angriff im Distrikt Imam Sahib in der Provinz Kundus ebenfalls erschossen worden, sagte
Distriktgouverneur Mohammad Ajub Hakiar am Sonntag (8. Aug.).
Bei einem Selbstmordattentat in Herat auf der Straße zum Flughafen kamen gestern vier Polizisten
ums Leben, einer wurde verletzt. Im umkämpften Süden Afghanistans sind fünf Soldaten der NATOTruppe
ISAF getötet worden. Wie die NATO am Sonntag mitteilte, starben die Soldaten bei drei
unterschiedlichen Explosionen von Sprengkörpern, die von den radikalislamischen Taliban-Rebellen
regelmäßig gegen die ausländischen Truppen eingesetzt werden.
2010 sind bereits mehr als 400 ausländische Soldaten in Afghanistan ums Leben gekommen. Mit
mehr als 100 Toten war der Juni der verlustreichste Monat seit Beginn des internationalen
Engagements vor mehr als acht Jahren.
** Aus: Neues Deutschland, 9. August 2010
Hilfsorganisation bleibt am Hindukusch
Kein Rückzug der IAM aus Afghanistan nach der Ermordung von zehn Mitarbeitern ***
Die christliche Hilfsorganisation International Assistance Mission (IAM) hat bestätigt, dass es sich bei den in Afghanistan getöteten Ärzten und Helfern um ihre Mitarbeiter handelte.
IAM-Direktor Dirk Frans sagte am Montag (9. Aug.) in Kabul, betroffen seien die zehn Ausländer und Afghanen, die für die Hilfsorganisation im Nordosten des Landes unterwegs waren. Bei der getöteten Deutschen habe es sich um eine Frau namens Daniela B. gehandelt. Das Team sei von dem US-Amerikaner Tom Little geführt worden.
Bei den Toten handelt es sich um eine Deutsche, sechs US-Amerikaner, eine Britin und zwei Afghanen. IAM war bereits am Wochenende davon ausgegangen, dass die eigenen Mitarbeiter betroffen waren. Frans wollte vor einer endgültigen Bestätigung aber die Identifizierung der Leichen in Kabul abwarten. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes stammte die 35-jährige Deutsche aus Sachsen.
Frans sagte am Montag (9. Aug.), das afghanische Innenministerium werde den Vorfall gemeinsam mit dem US-Bundeskriminalamt FBI untersuchen. Er betonte erneut, seine Organisation habe trotz der Morde derzeit nicht die Absicht, sich aus Afghanistan zurückzuziehen. IAM arbeite seit 1966 in dem Land. »Es gab Zeiten, da war die Sicherheitslage viel schlimmer als jetzt.«
Der bislang schwerste Angriff auf ausländische Helfer in Afghanistan wurde von US-Außenministerin Hillary Clinton als »sinnloser Akt« aufs Schärfste verurteilt. Die Opfer seien nur »in diesen abgelegenen Teil der Welt gereist, um bedürftigen Menschen zu helfen«. Sie sei untröstlich angesichts des Verlusts »dieser heldenhaften und großzügigen« Leute. »Wir verurteilen auch den durchsichtigen Versuch der Taliban, das Unentschuldbare mit falschen Behauptungen über ihre Aktivitäten in Afghanistan zu rechtfertigen«, erklärte Clinton in Washington. Die Bundesregierung sprach ebenfalls von einem »feigen Mord« und forderte die Bestrafung der Täter.
Der französische Außenminister Bernard Kouchner nannte die Ermordung der Helfer in Afghanistan einen »ganz besonders feigen und grausamen Akt«. Die Tat zeuge von tiefer Missachtung des menschlichen Lebens.
Die Taliban hatten sich zu der Tat bekannt und die Helfer als »christliche Missionare« bezeichnet, die spioniert und Bibeln verteilt hätten. Die Hilfsorganisation wies die Beschuldigungen zurück.
Die Leichen der in einem entlegenen Berggebiet im Nordosten Afghanistans getöteten Helfer wurden per Hubschrauber nach Kabul gebracht und dort von Fachleuten identifiziert. Sie waren nach Angaben der Polizei am Donnerstag im Grenzgebiet zwischen der Provinz Nuristan und der Provinz Badachschan getötet worden. Ein afghanischer IAM-Mitarbeiter überlebte die Bluttat. Seinen Angaben zufolge rezitierte er aus dem Koran, um den Tätern zu zeigen, dass er Muslim ist.
Auch die Christoffel-Blindenmission (CBM) will nach den Morden in Afghanistan ihre Projekte dort weiterführen. Die CBM werde weiterhin Augenkliniken des Hilfswerks IAM und ein Mikrokreditinstitut anderer Partner in Afghanistan unterstützen, sagte Direktor Rainer Brockhaus am Montag im südhessischen Bensheim. Allerdings werde die Organisation die Gefährdung von mobilen Einsätzen in entlegenen Gebieten neu bewerten und deren Förderung möglicherweise verringern.
Die CBM hat nach den Angaben von Brockhaus keine eigenen Mitarbeiter in Afghanistan. Die CBM arbeite mit dem medizinischen Hilfswerk mit Sitz in Genf seit den 70er Jahren zusammen und unterstütze dessen Arbeit mit jährlich 250 000 Euro, hieß es. Die CBM fördert Augenkliniken, Gesundheitsprogramme, Rehabilitationseinrichtungen und Berufsausbildungen für Behinderte an mehreren Standorten in Kabul, Masar-i-Scharif und Dschalalabad.
Unterdessen ist eine Drohne der Bundeswehr in der Provinz Kundus im Norden von Afghanistan abgestürzt. Das unbemannte Aufklärungsflugzeug habe wegen technischer Probleme an Höhe verloren und sei beim Aufprall vollständig zerstört worden, teilte die Internationale Schutztruppe ISAF am Montag mit. An Bord seien weder Waffen noch Informationen gewesen, die die Aufständischen nutzen könnten.
Der Absturz sei »kein weltbewegendes Ereignis«, teilte das Verteidigungsministerium in Berlin mit. »Es ist ja keine Großdrohne«, sagte ein Sprecher. »Es gehört durchaus zum normalen Alltagsgeschäft, dass diese Drohnen, die ja unbemannt sind, auch aus technischen oder anderen Gründen durchaus mal verlustig gehen.«
*** Aus: Neues Deutschland, 10. August 2010
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