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Taliban schossen offenbar US-Hubschrauber ab

Alle 38 Insassen starben / Schwerster Verlust seit dem Einmarsch 2001 / Präsident Obama: "Außergewöhnliche Opfer" *

Beim Absturz eines US-Militärhubschraubers im Osten des Landes sind alle 38 Insassen ums Leben gekommen. Die Maschine wurde offenbar von Taliban abgeschossen.

Den Berichten zufolge handelt es sich um den bislang schwersten Verlust für die US-Truppen seit Beginn des Militäreinsatzes am Hindukusch vor fast zehn Jahren. Bei dem Vorfall in der Nacht zu Sonnabend (6. Aug.) starben 30 US-Militärs, sieben afghanische Soldaten und ein afghanischer Übersetzer. Das teilte die Internationale Schutztruppe ISAF mit. Die Taliban erklärten, sie hätten den Hubschrauber in der Provinz Wardak südwestlich von Kabul abgeschossen. Die »New York Times« zitierte in ihrer Onlineausgabe einen nicht näher benannten ISAF-Vertreter, wonach eine Granate den Helikopter traf. Die ISAF bestätigte das nicht und teilte mit, sie untersuche die Umstände des Absturzes. Ein Sprecher räumte allerdings ein, dass es im Absturzgebiet »feindliche Aktivitäten« gegeben habe.

Der Sprecher der Provinzregierung von Wardak, Schahidullah Schahid, machte die Taliban für den Abschuss des Transporthubschraubers vom Typ CH-47 Chinook verantwortlich. »Er wurde von einer Rakete, die von Aufständischen abgefeuert wurde, getroffen und vollständig zerstört«, sagte Schahid. Auch der regionale Kommandeur der afghanischen Armee, Abdul Rasek, sagte, der Hubschrauber sei nach seinen Informationen am frühen Sonnabendmorgen im Osten des Landes von einer feindlichen Rakete abgeschossen worden. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid erklärte, die Aufständischen hätten den Hubschrauber zerstört.

Der Gouverneur von Wardak, Mohammed Haleem Fedai, sagte, es habe in seiner Provinz einen Militäreinsatz afghanischer und ausländischer Truppen gegen die Taliban gegeben, bei dem acht Aufständische getötet worden seien. Wie CNN berichtete, war der Hubschrauber mit der Eliteeinheit auf dem Weg ins Kampfgebiet.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai übermittelte US-Präsident Barack Obama und den Familien der Toten sein »tiefstes Beileid«. Obama sprach von »außergewöhnlichen Opfern« der Soldaten in Afghanistan. Sie dienten an der Front, »damit wir in Freiheit und Frieden leben können«.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle äußerten sich bestürzt. »Ich bin tief betroffen von dem schrecklichen Verlust einer so großen Zahl amerikanischer Soldaten«, übermittelte die Kanzlerin Obama. Ein solcher Vorfall werde die NATO jedoch nicht davon abhalten, den Wiederaufbau Afghanistans fortzusetzen.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bedauerte den Verlust der Menschenleben und versicherte, die NATO stehe Seite an Seite mit dem US-amerikanischen und dem afghanischen Volk.

Derzeit sind rund 140 000 NATO-Soldaten in Afghanistan im Einsatz, darunter 100 000 aus den USA. Die Mehrheit soll bis Ende 2014 abgezogen werden. Obama hatte angekündigt, bereits bis zum Sommer nächsten Jahres 33 000 US-Soldaten heimzuholen. Nach Angaben des Pentagons wurden bislang etwa 1600 US-Soldaten in Afghanistan getötet.

Nach einem NATO-Beschluss sollen der Kampfeinsatz am Hindukusch bis 2014 beendet und die Sicherheitsverantwortung für das Land bis dahin schrittweise an die Afghanen übergeben werden. In den ersten sieben Gebieten übernahmen afghanische Armee und Polizei vor wenigen Wochen das Kommando von der ISAF.

Unterdessen sind am Sonntag mindesten vier weitere NATO-Soldaten ums Leben gekommen. Wie die Schutztruppe mitteilte, starben die Einsatzkräfte bei Angriffen von Aufständischen im Osten und Süden des Landes. Zu weiteren Einzelheiten machte die NATO-geführte ISAF keine Angaben.

Bei einem Angriff von NATO-Kampfflugzeugen auf ein Haus im Süden Afghanistans sind derweil acht Zivilisten getötet worden. Die Toten gehörten alle zu einer Familie, teilte die afghanische Polizei am Wochenende mit. Unter ihnen seien Frauen und Kinder. Im ersten Halbjahr 2011 wurden nach Angaben der Vereinten Nationen in Afghanistan 79 Zivilisten bei Einsätzen von NATO- und US-Truppen getötet.

Die ISAF reagierte nach eigener Darstellung mit dem Bombenangriff am Freitag auf eine Attacke der Taliban auf eine Patrouille im Bezirk Nad Ali in der Südprovinz Helmand. »Einer der Bündnissoldaten wurde bei dem Angriff verwundet. Er starb später und die Streitkräfte forderten am Ende einen Luftangriff an«, sagte ein Polizeisprecher. Die ISAF räumte die Möglichkeit ziviler Opfer ein. Der Vorfall werde untersucht.

* Aus: Neues Deutschland, 8. August 2011


Gewöhnliche Opfer

Von Ingolf Bossenz **

Der Absturz, der offenbar ein Abschuss war, ist ein Menetekel. Alle 38 Insassen des im Osten Afghanistans zerschellten Hubschraubers kamen ums Leben: 30 US-Militärs, sieben afghanische Soldaten, ein ziviler Dolmetscher. Für die USA ist es der schwerste Verlust seit dem Einmarsch vor zehn Jahren. Die Gesamtzahl der allein in diesem Jahr dort getöteten US-Soldaten steigt damit auf über 300. Für die Taliban ist es ein Erfolg, der bis zum möglichen Ende des westlichen Kriegseinsatzes weitere blutige Monate verheißt. Die von US-Präsident Barack Obama gewürdigten »außergewöhnlichen Opfer, welche die Männer und Frauen unseres Militärs und deren Familien erbringen«, dürften also noch lange nicht ihr Limit erreicht haben. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich »tief betroffen von dem schrecklichen Verlust«.

Allerdings klingt solche Bestürzung bestenfalls unredlich angesichts der Toten, die in Afghanistan (und Pakistan) bislang auf das Konto der NATO und vor allem der USA gehen. Das alltägliche, für die Absender gefahrlose Überfliegen und Beschießen von Gebieten mittels unbemannter Drohnen vermittelt den Eindruck eines grausam-realen Computerspiels, das beispielsweise allein am 11. Juli im pakistanischen Grenzgebiet etwa 50 Menschen das Leben kostete. Auch die acht Zivilisten, die kurz vor dem Helikopterabschuss in Südafghanistan durch NATO-Bomben starben, sind keine »außergewöhnlichen Opfer«. Nur ganz gewöhnliche.

** Aus: Neues Deutschland, 8. August 2011 (Kommentar)

Afghanistan: Wieder Helikopterunglück

Zweiter Vorfall innerhalb weniger Tage

Nach dem Absturz eines Militärhubschraubers in Afghanistan mit 38 Toten ist im Südosten des Landes ein weiterer Helikopter der Internationalen Schutztruppe verunglückt.

Wie die NATO-geführte ISAF am Montag (8. Aug.) mitteilte, ereignete sich die Bruchlandung in der Provinz Paktia. Die Ursache werde untersucht. In der Region habe es jedoch keine Aktivitäten von Aufständischen gegeben, erklärte die ISAF. Angaben über Tote oder Verletzte lagen zunächst nicht vor. (...)

Unterdessen gibt es neue Vorwürfe gegen das Militär der westlichen Allianz in Afghanistan: Ein britischer Soldat soll die Finger von toten Taliban in Afghanistan abgeschnitten und als Trophäen gesammelt haben. Entsprechende Vorwürfe würden geprüft, erklärte das britische Verteidigungsministerium am Montag in London und bestätigte damit Medienberichte. »Die Anschuldigungen sind sehr ernst und es wäre falsch von uns, sie zu kommentieren«, sagte ein Sprecher. Der Soldat, der angeblich aus Schottland stammt, war Berichten zufolge zwischen September 2010 und April 2011 als Ausbilder für Polizisten in Afghanistan stationiert.

(ND, 9. Aug. 2011)




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