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Die geostrategische Bedeutung Afghanistans

Von Lühr Henken *

Ich möchte beginnen mit einem Auszug aus einem Interview, dass der Musiker Xavier Naidoo in der Hamburger Morgenpost im August gegeben hat: „Ich habe ein Konzert für deutsche Soldaten gegeben und viele interessante Gespräche mit Generälen und Kommandanten geführt. Ich bin kein erklärter Pazifist, ich bin jemand, der sich verteidigt und an eine Verteidigungsarmee glaubt. Ich glaube nur nicht an diesen Afghanistan-Einsatz. Man sollte bitte aufhören, uns anzulügen, weshalb man in Afghanistan ist. Es geht nicht darum, Mädchen in die Schule zu schicken, sondern ganz klar um Wirtschaftsinteressen.“ (Mopo, 27.8.2010)

Dieses Interview wurde geführt, nachdem im Juni die New York Times einen Bericht des US Geological Survey sensationell aufmachte. Afghanistan sei reich an Rohstoffen. Vor allem an: Eisen, Kupfer, Kobalt, Gold, Uran, Steinkohle, Zinn, Blei, Quecksilber, Lithium usw. Und von jedem reichlich.

Schnell stellte sich heraus, dass das Wissen um die Ressourcen so neu nicht ist. Sie fußen tatsächlich auf deutschen Arbeiten aus den 1960er Jahren. Systematische geologische Forschungen betrieb die Sowjetunion 1971 bis 1974. Diese Erkenntnisse wurden bereits 1984 im US-Fachblatt „The Mining Journal“ veröffentlicht. Über 70 rentable Lagerstätten – weit verstreut - wurden ausgemacht. Darin rangierten bereits die Kupferreserven Afghanistans unter den größten Eurasiens. Also der Landmasse zwischen Lissabon und Wladiwostok.

Über den Wert der Mineralien gibt es sehr unterschiedliche Aussagen. Angesichts eines Bruttosozialprodukts Afghanistans von 12 Milliarden Dollar im Jahr, sind alle Schätzwerte außerordentlich hoch. Die konservativste Zahl ist eine Billion Dollar des US Geological Survey. US-General Petraeus qualifizierte sie mit der Aussage: „Das Potenzial ist atemberaubend“ [...] „Afghanistan kann zu einem der weltweit führenden Rohstoff-Exporteure werden.“ (welt.de 15.6.10) Tatsächlich werden die Vorkommen mit denen des rohstoffreichen Kongo verglichen.

Über diese mineralischen Rohstoffe hinaus gibt es Erdöl- und Erdgasvorkommen im Norden, in dem die Bundeswehr das Regionalkommando führt. Wert: 180 Mrd. Dollar. Und von bedeutenden Marmorvorkommen wird berichtet, die 150 bis 200 Mrd. Dollar wert sein sollen.

Die Schätzungen der afghanischen Regierung besagen drei Billionen Dollar, wobei sie darauf hinweist, dass erst 30 Prozent des Landesgebiets untersucht wurde. (Der Westen.de 25.6.10)

Bemerkenswert ist die Aussage Richard Holbrookes, dem US-Sondergesandten für Afghanistan und Pakistan (AFPAK): „Die Bodenschätze seien seit den 60er Jahren bekannt, er selbst wisse schon lange davon.“ (BILD.de, 20.6.10)

Was bedeutet das nun? Was die Weltöffentlichkeit nicht wusste, die Bush-Regierung wusste es vor 9/11: Wir überfallen ein rohstoffreiches Land!

Öffentlich bekannt wurde bereits, wer Zugang zu den Rohstoffen bekommen soll. Präsident Karsai sagte laut FAZ: „Afghanistan sollte zunächst den Ländern Zugriff gewähren, die uns in den vergangenen Jahren massiv unterstützt haben.“ (FAZ 19.6.10) Wer sind das? USA und Japan! Und wie wird das organisiert? Dazu der Staatssekretär im US-Kriegsministerium: „Das (afghanische d.Verf.) Bergbauministerium ist nicht in der Lage, das zu organisieren. Wir versuchen ihnen zur Hand zu gehen.“ (www.Hintergrund.de 8.11.10)

Eigentlich dürften dies schon genug Gründe für die US-Regierungen sein, bisher 300 Milliarden Dollar in diesen Krieg zu stecken und bis 2014 weitere 400 Milliarden investieren zu wollen. Aber es gibt noch mehr:

Afghanistan als Transitland für eine Erdgaspipeline von Turkmenistan nach Pakistan und Indien. Kurz: TAPI. Dieser Plan tauchte schon im Buch von Zbigniew Brzezinski „Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft“, geschrieben 1997, auf.

1998 schon hatte ein vom US-Ölkonzern Unocal geführtes Konsortium mit der damaligen Taliban-Regierung einen Pipeline-Deal vereinbart. Einer der Lobbyisten von Unocal in Afghanistan war damals Hamid Karsai. Allerdings gelang es Osama bin Laden, die Taliban davon zu überzeugen, stattdessen einen lukrativeren Vertrag mit der argentinischen Ölfirma Bridas abzuschließen. Die Verärgerung Washingtons darüber war so groß, dass „George W. Bush sechs Monate vor den Anschlägen vom 11. September 2001 die Entscheidung getroffen (hat), in Afghanistan zu intervenieren und das Taliban-Regime zu stürzen.“ (junge welt 3.7.2008)

Mit TAPI wird das Ziel verfolgt, so das US-Wirtschaftsblatt Forbes, nicht nur China vom Zugang zu den zentralasiatischen Energieressourcen auszuschließen, sondern es geht „den Amerikanern […] darum, mit Hilfe der TAPI-Pipeline‚ Russlands Einfluss in der Region zu schwächen und Iran zu marginalisieren’“ (jw 3.7.2008). TAPI soll in Afghanistan über Herat und Kandahar verlegt werden, in Pakistan über Quetta verlaufen und dann nach Neu Delhi führen. Im April 2008 haben die vier TAPI-Staaten einen Rahmenvertrag über den Kauf von Erdgas unterzeichnet. Westliche Energiekonzerne wollten eigentlich mit den Bauarbeiten 2010 beginnen und 2014 fertig sein. Wegen des Krieges wurde daraus nichts.

TAPI soll das Konkurrenzprojekt IPI, das seit 20 Jahren existiert, zunichte machen. Bei IPI handelt es sich ebenfalls um eine Erdgas-Pipeline nach Pakistan und Indien. Jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, das Gas soll aus dem Iran kommen. Ausgehend vom noch unerschlossenen größten Gasfeld der Welt, dem iranischen South Pars im Persischen Golf, soll die Pipeline über Bandar Abbas durch Belutschistan in Pakistan verlegt werden, und auch in Neu Delhi enden. Sie soll die chronische Energieknappheit in Pakistan beheben. IPI läuft den Bestrebungen der USA, Iran zu isolieren, diametral entgegen. Sanktionen gegen den Iran würden dann nämlich ins Leere laufen. Jedoch der Ablehnung Washingtons zum Trotz schloss im Juni 2010 Pakistan mit Iran endgültig den Vertrag über den Bau dieser so genannten „Friedenspipeline“ ab. (Handelsblatt 15.6.10) Indien steht zunächst abseits, eine Klausel erlaubt Indien jedoch, sich jederzeit zu beteiligen. China möchte gern angeschlossen werden, denn China soll Verträge über Investitionen in den Gassektor Irans in Höhe von 100 Mrd. Dollar abgeschlossen haben. (FAZ 8.3.2006) Das IPI-Projekt wird von den USA bekämpft, denn es würde am Ende eine Achse Iran – Pakistan – China bilden.

Meine These ist: Solange Krieg in Pakistan herrscht, ist an den Bau der IPI von Iran über Pakistan nach China nicht zu denken. Der von den USA beförderte Krieg in Pakistan treibt einen Keil zwischen Iran und China.

Um die globalstrategische Bedeutung dieser Region ging es Brzezinski in seinem schon erwähnten Buch. Geschrieben wurde es nach der Auflösung der Sowjetunion und seit der Unabhängigkeit der zentralasiatischen Sowjetrepubliken. Unter der Kapitelüberschrift „Das eurasische Schachbrett“ lesen wir: „Amerikas geopolitischer Hauptgewinn ist Eurasien. […] der Fortbestand der globalen Vormachtstellung Amerikas hängt unmittelbar davon ab, wie lange und wie effektiv es sich in Eurasien behaupten kann. (S.53)“. Eurasien beherbergt drei Viertel der Menschheit und drei Viertel der Energieressourcen. Afghanistan liegt in einem zentralen Punkt auf diesem „Schachbrett“. Es grenzt an die Atommächte Pakistan/Indien, China und Russland und der Persische Golf mit zwei Dritteln der Öl- und Gasvorkommen liegt quasi nebenan.

Klar wird, dass die Herrschenden in den USA und der NATO-Verbündeten Interesse an einer Dauerpräsenz am Hindukusch haben. Aus freien Stücken werden sie dort nicht abziehen.

Hier sind die Bevölkerungen in den NATO-Staaten aufgerufen, ihrer Ablehnung des Afghanistan-Krieges Nachdruck zu verleihen. Dem dient die Unterschriftensammlung der Friedensbewegung („Den Krieg in Afghanistan beenden – zivil helfen“ www.ag-friedensforschung.de) an Regierung und Bundestag, die Kampfhandlungen sofort einzustellen und unverzüglich mit dem Abzug zu beginnen.

* Lühr Henken ist einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Vorstandsmitglied im Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e.V., Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um ein Statement auf dem Antikriegskongress am 27./28. November 2010 an der TU Berlin



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