Afghanistan: China hat eine Schlüsselrolle
Wege aus dem Krieg am Hindukusch: Nachhaltiger Aufbau und Wechsel der Akteure
Von Jürgen Heiducoff *
Wie geht es weiter in und mit Afghanistan? Niemand vermag es, vorauszusagen, welche der inneren und äußeren Kräfte in diesem vielschichtigen Konflikt ihre Interessen durchsetzen werden.
Da gibt es die Vorstellung, die Afghanen könnten ihre Probleme ohne äußere Hilfe lösen.
Doch dies ist eine Illusion. Das Land wird ohne äußere Unterstützung nicht auf die Beine
kommen.
Die NATO ist bereit, die Afghanen auch nach 2014 zu unterstützen. Sie plant eine ISAF -
Folgemission in Afghanistan, die International Training Assistance and Advisory Mission
(ITAAM). Hauptaufgabe soll der weitere Aufbau und die Ausbildung afghanischer
Sicherheitskräfte sein, damit sie in die Lage versetzt werden, der Sicherheitsverantwortung für
Afghanistan nachzukommen. Aber wie sollen afghanische Soldaten und Polizisten einen
Auftrag erfüllen, den über elf Jahre hochgerüstete, gut ausgebildete und motivierte NATO –
Verbände nicht zu bewältigen vermochten?
Nein, es geht der NATO nicht wirklich um die Sicherheit, Stabilität oder gar Demokratie in
Afghanistan, sondern darum, den Fuß nicht von der Türschwelle Zentral- und Ostasiens zu
nehmen.
Die Menschen in Afghanistan brauchen keinen neuen Geldtransfer vom Westen an ihre
korrupte Regierung. Sie brauchen keine waffenstarrende „Stabilität“ und „Sicherheit“, um
diese Regierung an der Macht zu halten. Sie brauchen vor allem endlich einen friedlichen
Aufbau. Ein Marshallplan könnte die Dynamik der Aufstands- in die einer Aufbaubewegung
überführen. Sollte es um die Lösung der gewaltigen wirtschaftlichen und sozialen Defizite des
Landes gehen, bedarf es einer weit tiefgreifenderen Investitionsbereitschaft und –fähigkeit als
die unverbindliche Zusage finanzieller Hilfe westlicher Staaten.
Dabei ist ein Wechsel der Akteure unausweichlich. Der Westen hat durch seine Politik und
durch den Krieg das Vertrauen bei den Afghanen für Jahrzehnte verspielt. Wie sollten die
Menschen positive Erwartungen Unternehmern, Investoren, Banken und Aufbauberatern aus
den Staaten, die den Krieg in ihr Land brachten, entgegen bringen? Sie wissen zu gut, dass
von deren „Regionalen Wiederaufbauteams“ viel Gewalt ausging. Der Wiederaufbau ist
hauptsächlich Nichtregierungsorganisationen überlassen worden, die allerdings damit völlig
überlastet waren.
Heute geht es um den Aufbau ganzer Industriezweige, der dazugehörigen Infrastruktur und
des sozialen Umfeldes. Kein einzelnes Großunternehmen, keiner der hochverschuldeten
Staaten des Westens kann einen solchen Investitionsbedarf decken. Dies vermögen nur
staatliche Großinvestoren zu realisieren, die eigene langfristige, über Jahrzehnte andauernde
strategische Interessen in Afghanistan haben. Nachhaltiger wirtschaftlicher Aufbau statt
einzelner Projekte der Entwicklungshilfe garantiert die dringend notwendige Schaffung einer
selbsttragenden materiellen Basis einer modernen Wirtschaft. Dies setzt eine langfristige
Investitionsbereitschaft mit allen Risiken voraus. Dazu ist kein privater Investor bereit und
fähig. Chinesische Staatsunternehmen werden den Afghanen zeigen, wie durch industrielle
Großprojekte langfristig Arbeitsplätze, Infrastruktur und soziale Perspektiven geschaffen
werden. Davon zeugen chinesische Kupferbergbau- sowie Öl- und Gasvorhaben.
Aus dem Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundesregierung (Dezember 2011): „Die wichtigsten
laufenden Bergbauprojekte sind: Aynak Kupfervorkommen: 35 km südöstlich von Kabul,
gesicherte 625 Mio. Tonnen Erz ... Derzeit laufen die Erschließungsarbeiten durch die China
Metallurgical Group Corporation (MCC). MCC hat vertraglich zugesagt, zur
infrastrukturellen Anbindung der Mine eine Eisenbahnstrecke von der usbekischen bis an die
pakistanische Grenze zu bauen…“
Auch für die Erschließung der Öl- und Gasfelder im Raum Sar-e-Pul im Norden Afghanistans
erhielt die China National Petroleum Corporation (CNPC) den Zuschlag und begann bereits
mit den Arbeiten. In beiden Großvorhaben werden Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen
und so die Existenzgrundlagen für afghanische Familien in der Region.
Selbst wenn dieses Engagement nicht uneigennützig ist, sondern den Rohstoff- und
Energiebedarf einer der größten Volkswirtschaften der Welt abdecken helfen soll – es bietet
eine Perspektive für Afghanistan endlich zu Stabilität und Frieden zu kommen und die
sozialen Probleme zu lösen. Und all dies ohne die Stationierung ausländischer Truppen.
Wie zu erwarten war, beginnt die westliche Propaganda, das chinesische Engagement klein zu
reden und zu behaupten, es ginge nur um die Ausbeutung der Reichtümer Afghanistans und
um die Befriedigung regionaler Hegemonieinteressen Chinas. Diesen Behauptungen stehen
die positiven Erfahrungen afrikanischer Länder mit der chinesischen Art der „Expansion“
mittels wirtschaftlicher und politischer Kooperation und ohne Einmischung in die inneren
Angelegenheiten entgegen.
Neben China gibt es andere Regionalmächte, die fähig und bereit sind, konstruktiv in
Afghanistan zu agieren. Dazu zählen vor allem Indien und der Iran.
Eines ist klar: Afghanistan, eines der ärmsten Länder der Welt, kann nicht mit eigener Kraft
voran kommen. Die Menschen am Hindukusch brauchen äußere Hilfe ebenso wie den
Wechsel der Akteure und vor allem der Methoden dieser Hilfe.
Nachhaltiger Aufbau, wirtschaftliche und politische Unterstützung statt militärischer Gewalt,
Militärhilfe und Aufrüstung - das sind die Wege aus dem verlorenen Krieg der NATO in
Afghanistan.
* Jürgen Heiducoff war zu Anfang des ISAF - Einsatzes über ein halbes Jahr als Soldat und in den Jahren 2006 bis 2008 als Diplomat in Afghanistan.
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