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Guttenberg zum Antrittsbesuch im Krieg

Deutscher Verteidigungsminister in Afghanistan – Schwarzer Peter an Kabul weitergereicht

Von René Heilig *

Der neue Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) flog am Donnerstag(12. Nov.) – wie es hieß – »überraschend« nach Afghanistan. Logisch, wo kann er seine Truppe kennenlernen, wenn nicht im Einsatz?

Er habe nicht vor, »das Thema Afghanistan gegenüber der Bevölkerung und den deutschen Soldaten verdruckst und verschwurbelt darzustellen«. Den Satz sagte der neue Verteidigungsminister im gestern erschienenen »Stern«-Interview. Die Zeitschrift war gerade in den Kiosken eingetroffen, da traten in der afghanischen Hauptstadt die ersten Probleme mit diesem löblichen Vorhaben auf. Guttenbergs erste Station in Kabul war das Hauptquartier der sogenannten internationalen Schutztruppe ISAF. Dort traf er sich mit dem US-amerikanischen ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal, der zugleich die Enduring-Freedom-Truppen (OEF) führt.

Eine Stellungnahme nach dem Treffen gab es nicht. Obgleich es da mit Sicherheit auch um die Forderung nach Aufstockung der deutschen Truppen ging. Der Bundestag entscheidet im Dezember über die Verlängerung des Bundeswehr-ISAF-Mandats. Zur Zeit sind 4520 deutsche Soldaten am Hindukusch stationiert. Die Obergrenze des Mandats beläuft sich auf 4500 Mann. Sie darf bei Kontingentwechseln kurzfristig überschritten werden. Das ist derzeit der Fall. Deutschland ist hinter den USA und Großbritannien drittgrößter Truppensteller am Hindukusch.

Ein weiteres – nach Insideraussagen drängendes – Thema müsste das zunehmende und massive OEF-Engagement der Amerikaner im deutschen Verantwortungsbereich gewesen sein. Die USTruppen versuchen mit rabiaten Einsätzen auch der Luftwaffe, die in der Nordregion stärker gewordenen Widerstandsgruppen zu zerschlagen, um wichtige Nachschubverbindungen für alle Truppen in Afghanistan zu sichern. Ob und wie die Angriffe mit der Bundeswehr vorgetragen werden, die mit Logistik und vermutlich auch mit Spezialkräften zur Unterstützung bereit steht, ist noch unklar.

In Kabul zog er eine gemischte Bilanz des internationalen Afghanistan-Engagements, das vor acht Jahren begonnen hatte. In einigen Bereichen habe es Erfolge, in anderen Stagnation gegeben. Wenn das nicht »geschwurbelt« ist ...?

So wie zuvor bereits Sprecher der USA, Großbritanniens und der UNO verknüpfte auch zu Guttenberg das weitere Engagement in Afghanistan mit Fortschritten der neuen Regierung. »Wir stehen zu unserem Einsatz, aber wir wollen wissen, was die afghanische Regierung als nächste Ziele plant. Wir müssen Erfolge sehen.« Guttenbergs wichtigster Gesprächspartner auf der afghanischen Seite war dazu Präsident Hamid Karsai. Der war in der vergangenen Woche nach einer hoch umstrittenen Wahl im Amt bestätigt worden.

Ein weiterer Höhepunkt des Blitzbesuches waren Gespräche mit dem afghanischen Verteidigungsminister Abdel Rahim Wardak. Am späten Nachmittag besuchte zu Guttenberg deutsche Soldaten in Nordafghanistan. Auch, um sich Anregungen für die weitere Transformation der Bundeswehr zu holen.

Bei seiner Antrittrede im Parlament hatte der Minister abermals über die »kriegsähnlichen« Zustände in Afghanistan gesprochen und bekräftigt, er werde die deutschen Streitkräfte weiter zur Einsatzarmee umformen. »Wir wollen, dass das Denken vom Einsatz her die Organisations- und Führungsstrukturen der Bundeswehr künftig noch stärker durchdringt«, so der 38-jährige CSUPolitiker. 2010 soll eine Kommission zur Reform von Strukturen der Bundeswehr eingesetzt werden. Bereits jetzt hat Deutschland über 8300 Soldaten im globalen Einsatz.

* Aus: Neues Deutschland, 13. November 2009


Guttenberg durchkämmt afghanische Etappe

Durchhalten: Mehr Kampftruppen nach Kundus

Von René Heilig **

Guttenbergs zweitägige Afghanistan-Show war gut, doch die Lage bleibt ernst. Der Minister weiß das nur zu gut. Daher versprach der CSU-Mann, die Kampfeinheiten im nördlichen Kundus um eine Einsatzkompanie von 120 Soldaten zu verstärken.

Durchhalten bis zur – für das kommende Frühjahr – geplanten internationalen Afghanistan-Konferenz! So lautet offenbar die Strategie der Bundesregierung, die wie andere NATO-Verbündete über einen Ausstieg aus dem Krieg am Hindukusch nachdenkt. Einige, so die Niederlande und Kanada, haben bereits Konsequenzen aus acht Jahren Misserfolg verkündet. Sie ziehen ab.

Durchhalten, die Forderung betrifft vor allem die in Afghanistan stationierten rund 4500 Bundeswehrsoldaten. Denen im umkämpften Kundus versprach der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bei seinem Besuch eine komplette Einsatzkompanie als Verstärkung.

Im Jubel der Soldaten gingen die Modalitäten der Einsatzverstärkung unter. Der Bundestag hat die Obergrenze für den Einsatz festgelegt. Sie ist ausgeschöpft und durch erlaubte Kontingent-Wechsel-Tricksereien schon oft um bis zu 400 Soldaten überschritten worden. Selbst wenn die Bundesregierung das Parlament um eine Aufstockung der Truppenstärke – gemunkelt wird über eine Obergrenze zwischen 5000 und 7000 Soldaten – bittet: Die Truppe will die Verstärkung sofort. Daher »durchkämmt« die Bundeswehrführung bereits seit einigen Wochen die sicherstellenden Einheiten, um das Verhältnis zugunsten der kämpfenden Truppe zu verbessern. Auch wurden mit der deutschen wehrtechnischen Industrie Verträge geschlossen, um die Wartung von Bundeswehrtechnik zivilen Kräfte anzuvertrauen.

Etwas »Luft« bietet auch das AWACS-Mandat. Angeblich musste man im Frühsommer des Jahres unbedingt NATO-Leitflugzeuge nach Afghanistan verlegen, um dort die Flugsicherheit zu garantieren. Der Einsatz wurde mangels Überflugrechten ein Flop. Die dafür bestätigte Anzahl von Soldaten könnte nun zur Verstärkung der Bodenkräfte genutzt werden.

Trotz ernsthafter interessanter Strategieüberlegungen in seinem Ministerium war Guttenbergs Afghanistan-Trip vor allem eine Medienshow. Die »Bild«-Zeitung erfüllte die in sie gesetzten Erwartungen und meldete über die Unterredungen mit dem US-NATO-Kommandeur Stanley McChrystal: »Es gibt Cola und kleine Snacks.«

** Aus: Neues Deutschland, 14. November 2009


Hoppla, ein Zauberer

Von René Heilig ***

Beifall für Zauberer Karl-Theodor! Allez hopp – wie fix zieht er doch die Wahrheit über Afghanistan aus seinem Zylinder. Beifall, die Nation fühlt sich endlich wieder ernst genommen. Auch die Nummer mit den 120 Gewehrträgern, die er mal schnell für bedrängte Kameraden nach Kundus verlegt, ist toll. Einzigartig! Super-Show! Zugabe!

Zugabe? Wollen wir wirklich noch mehr Illusionen aufsaugen? Der Krieg am Hindukusch ist verloren – für die, die ihn begonnen haben. Und fast gewonnen für die anderen. Doch wer sind die? Wenn der Westen es mit seinem unausweichlichen Ausstieg geschickt anstellt, kann er gemäßigten Taliban und traditionellen Warlords ein über Jahre brachliegendes Feld hinterlassen. Wenn es schief geht, dann entsteht mit Afghanistan, dem nuklear bewaffneten Pakistan, mit Iran und Irak ein möglicherweise islamistisch dominierter Krisengürtel, an dessen Grenzen die Atommächte Indien, China und Russland womöglich zur spontanen Selbsthilfe greifen. Was »zaubert« von Guttenberg dann?

So clever er auch auftritt – der Zirkusdirektor kommt aus den USA. Ohne Kenntnis der neuen Afghanistan-Strategie, die es – ob Obamas innenpolitischer Schwäche – noch nicht gibt, bleibt es beim Tanz auf dem Drahtseil. Übrigens: Nicht einmal Zauberer Karl-Theodor kann fliegen.

*** Aus: Neues Deutschland, 14. November 2009 (Kommentar)




* Aus: Neues Deutschland, 13. November 2009


Und sie bewegt sich doch! Von René Heilig ****

Die Erkenntnis, dass das »Afghanistan-Problem« nicht mit Militär gelöst werden kann, ist so gesichert wie Galileo Galileis Theorie über die Erdbewegung. Doch wie einst die herrschende Kirche haben sich bisher alle befassten Bundesregierungen gegen diese Logik gestemmt. Nun jedoch -- und hier ist das Gleichnis zu modifizieren -- kann man Galileis Ausruf auf die Bundesregierung anwenden: Und sie bewegt sich doch!

Vorerst in Gestalt des neuen Verteidigungsministers, der Lernfähigkeit beweist, der weiß, dass man an Grenzen stößt, wenn man sich für Afghanistan eine Demokratie nach westlichem Stil zusammenträumt. Guttenberg will aussteigen aus dem mörderischen Abenteuer, sucht nach Programmbausteinen, damit aus Abzug keine gesichtsverlierende Flucht wird. Natürlich weiß er, dass man die Exit-Tür nicht ohne und schon gar nicht gegen die US-Verbündeten aufschließen kann. Aus diesen und anderen Gründen setzt er auf die notwendige Afghanistan-Konferenz.

Man kann Guttenbergs Suche nach einem Ausweg aus Afghanistan als Wegschleichen und als zu halbherzig kritisieren. Zumal damit keine grundsätzliche Wende in der militärlastigen Außenpolitik Deutschlands und der NATO angestrebt wird. Doch gerade weil das so ist und weil er bislang weder vom Außen- noch vom Entwicklungshilfeminister Rückendeckung erfährt, sollte man Guttenberg helfen -- was bedeutet, ihn voranzutreiben. Am besten mit durchdachten Konzepten.

**** Aus: Neues Deutschland, 13. November 2009 (Kommentar)


Stammtisch-Held

Guttenberg redet Klartext

Von Werner Pirker *****


Der neue deutsche Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg hat seinen ersten Auslandseinsatz dort absolviert, wo nach Ansicht seines Vor-Vorgängers Deutschlands Verteidigung zu beginnen habe: am Hindukusch. So klar scheint das allerdings nicht mehr zu sein. Guttenberg stellte an ein weiteres Engagement der Bundeswehr in Afghanistan Bedingungen. Die Regierung Karsai müsse ein klares Zeichen zur Korruptions- und Kriminalitätsbekämpfung sowie zur guten Regierungsführung setzen, forderte er. Worte, die den afghanischen Präsidenten wohl kaum beeindruckt, ihre Wirkung auf das deutsche Publikum aber nicht verfehlt haben dürften.

Denn der Herr zu Guttenberg ist der Prototyp eines elitären Stammtischhelden. Was auch immer er an gedrechselt formulierten Banalitäten von sich gibt, ist auf unreflektierte Zustimmung ausgerichtet. Er ließ mitteilen, der korrupten afghanischen Staatsführung die Rute ins Fenster gestellt zu haben. »Wir haben die Erwartung, daß geliefert wird«, mahnte er auf Gutsherrenart höhere politische Abgabeleistungen an. Das kommt gut an an der Heimatfront. Und auch in der Truppe, die sich von »der Politik« zunehmend verschaukelt fühlt. Deren Selbstwertgefühl versuchte der Verteidigungsminister zu stärken, indem er ihr zugestand, sich »in einigen Gebieten in Afghanistan im Krieg« zu befinden. Es ist offenbar der schönere Soldatentod, gefallen und nicht verunglückt zu sein.

Natürlich handelt es sich um Krieg und und nicht um bewaffnete Aufbauhilfe. Es befinden sich an die 100000 ausländische Soldaten, davon 4500 Deutsche, am Hindukusch. In Afghanistan sollte der internationale Terrorismus an seiner Wurzel ausgerottet werden. Doch erst mit dem gewaltsam erzwungenen Regimewechsel in Kabul ist die Region tatsächlich zu einer Quelle von kaum noch beherrschbarer Gewalt geworden. Zugleich erwies sich, daß die zur Kollaboration bereiten Kräfte in Afghanistan auch sonst zu jeder Schweinerei bereit waren. Es sind die von den Okkupanten geschaffenen, den Tribalismus und die Warlords-Herrschaft begünstigende Verhältnisse, die Korruption und Kriminalität zum Erblühen brachten und die gewünschte »gute Regierungsführung« ad absurdem führten. Guttenbergs arrogante Worte sind in den Wind gesprochen.

Sie machen aber auch deutlich, daß der Afghanistan-Krieg in Deutschland immer unpopulärer wird. Deshalb wurde ja auch der derzeit populärste Politiker an die Spitze der Kriegsfront beordert. Seinen hohen Beliebtheitswert wird Guttenberg jedoch nur halten können, wenn er ein Ausstiegsszenario aus diesem Krieg vorweisen kann. Aus einem Krieg, den die Mehrheit der Bevölkerung -- die grüne Stammwählerschaft ausgenommen -- als völlig sinnlos betrachtet. Da Mahmud Karsai weder willig noch fähig ist, den Forderungen des deutschen Freiherren nachzukommen, wären an sich alle Voraussetzungen für den deutschen Truppenabzug gegeben.

***** Aus: junge Welt, 13. November 2009 (Kommenar)


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