"Wir wollen nicht wieder vergessen werden"
Konferenz der Grünen über die Zukunft Afghanistans nach dem Abzug der ISAF-Kampftruppen
Von Aert van Riel *
Die Grünen befürworten den bis Ende
2014 geplanten Abzug der ISAFKampftruppen
aus Afghanistan. Bei
einer gestrigen Konferenz über die
Zukunft des Landes sagte Fraktionschef
Jürgen Trittin, die Polizeimission
müsse dagegen fortgesetzt werden.
Als vor zehn Jahren auf dem Petersberg
über die Zukunft Afghanistans
diskutiert wurde, kam den
Grünen mit ihrem damaligen Außenminister
Joseph Fischer eine
wichtige Rolle zu. Um nun als Oppositionspartei
außenpolitisch nicht in Vergessenheit zu geraten,
wurde gestern von der Grünen-
Fraktion eine Berliner Afghanistan-
Diskussion im Vorfeld der
zweiten Petersberger Konferenz,
die mit Vertretern aus mehr als 90
Staaten am 5. Dezember in Bonn
stattfinden wird, veranstaltet.
Dabei gaben sich die Grünen-
Abgeordneten Frithjof Schmidt
und Jürgen Trittin zumindest teilweise
selbstkritisch, weil sie in der
rot-grünen Bundesregierung die
Strategie der NATO zur Bekämpfung
der vor zehn Jahren gestürzten
radikalislamischen Taliban
mitgetragen hatten. »Es gab die
westliche Fehleinschätzung, dass
der Kampf nur zwei bis drei Jahre
dauern werde«, sagte Schmidt. Der
Konflikt dauert bis heute an und ist
nach Worten des Grünen-Politikers
»militärisch nicht zu lösen«. Aber
auch Fortschritte meinte Schmidt
am Hindukusch ausmachen zu
können. Dies gelte für die wirtschaftliche
Entwicklung, Bildung,
Elektrifizierung und den Zugang
zum Wasser. »Afghanistan ist jedoch
noch immer eines der ärmsten
Länder der Welt«, musste er
einräumen.
Derzeit sind rund 130 000
ISAF-Soldaten aus 48 Ländern in
Afghanistan stationiert. Bis Ende
2014 sollen schrittweise alle
Kampftruppen abgezogen werden.
Dies bekräftigte Mark Sedwill,
Sonderbeauftragter der britischen
Regierung für Afghanistan und
Pakistan. Die militärische Entwicklung
in den letzten Monaten
sei insgesamt erfolgreich gewesen.
Dem widersprach der Grüne Hans-
Christian Ströbele. Er habe bei
seinem Afghanistan-Besuch im
September keine Verbesserung der
Sicherheitslage erkennen können.
Ebenfalls nach Berlin gekommen
war die afghanische Abgeordnete
Nur Safi. Sie sprach eine
Befürchtung aus, die wohl viele ihrer
Landsleute teilen: »Wir wollen
nicht, dass uns die internationale
Gemeinschaft nach Petersberg II
wieder vergisst.«
Wie sich Afghanistan nach dem
Abzug der ausländischen Truppen
entwickeln wird, ist tatsächlich
unsicher. »Ohne einen Kompromiss
mit allen Parteien wird es
keinen Frieden geben«, sagte Trittin.
Fraglich ist aber, ob an der
Bonner Konferenz auch die Taliban
teilnehmen werden. Ebenso
müssten die Staaten in der Nachbarschaft
wie Indien, Pakistan,
Russland und Iran in den Friedensprozess
einbezogen werden,
so Trittin. Zudem bekräftigte er,
dass die Bundesrepublik nach
2014 weiter in der afghanischen
Polizeiausbildung aktiv bleiben
müsse. Offenbar hegt er die Hoffnung,
dass es in Afghanistan irgendwann
ein staatliches Gewaltmonopol
geben wird. Unterstützung
erhalten die afghanischen
Sicherheitskräfte seit Juni 2007
durch die EU-Mission EUPOL.
Dass es bei Auslandseinsätzen
der Bundeswehr auch um Wirtschaftsinteressen
geht, ist seit den
Aussagen von Politikern wie Karl-
Theodor zu Guttenberg und Horst
Köhler kein Geheimnis mehr. So
scheute sich auch der Sonderbeauftragte
der Bundesregierung für
Afghanistan und Pakistan, Michael
Steiner, nicht zu erklären, es
müssten »zur Stärkung der afghanischen
Wirtschaft« mehr Privatinvestitionen
geschaffen werden.
Der Diplomat erinnerte an die vielen
Bodenschätze am Hindukusch,
zum Beispiel Lithium, das unter
anderem für die Produktion von
Handy-Akkus verwendet wird.
* Aus: neues Deutschland, 5. November 2011
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