Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Afghanistan: "Korruption und Willkür nehmen zu"

Interview mit Thomas Gebauer, medico international *

Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das am 10. März 2007 in der Frankfurter Rundschau erschien und auf der Website von medico internationa veröffentlicht wurde.




* Thomas Gebauer ist Geschäftsführer der Hilfsorganisation Medico International, die zurzeit zwei Minenräumprojekte in Afghanistan finanziell und technisch unterstützt.
Das internationale Vorgehen in Afghanistan kritisiert Gebauer scharf. Es sei bisher nicht gelungen, "eine faktische Staatlichkeit und Rechtssicherheit aufzubauen".
Statt den Aufbau zu fördern, werde verstärkt auf Militär gesetzt.



Frankfurter Rundschau: Wo ist Medico International im Moment in Afghanistan aktiv?

Thomas Gebauer: Wir unterstützen technisch und finanziell afghanische Partner, das sind zurzeit zwei große Minenräumorganisationen mit hunderten afghanischen Mitarbeitern - die "Organisation for Mineclearance and Afghan Rehabilitation", die Minen räumt und Aufklärung leistet, und das "Mine Dog Center" (MDC), das sich darauf spezialisiert hat, mit Hunden Minen aufzuspüren. Letztere ist im Moment in allen afghanischen Provinzen tätig, auch im Süden.

Sind auch deutsche Medico-Mitarbeiter in Afghanistan ?

Es ist unser Prinzip, lokale Partner zu unterstützen, ohne permanente deutsche Mitarbeiter vor Ort. Hin und wieder entsenden wir für ein paar Wochen oder Monate Experten. Zurzeit ist eine deutsche Kollegin in Kabul, die sich um die administrative Betreuung der Projekte kümmert.

Haben Sie nach dem Mord an dem deutschen Entwicklungshelfer am Donnerstag schon mit ihr gesprochen ?

Ja. Sie sieht für sich keine Probleme. Sie reist auch nicht durchs Land.

Wird der Mordfall die Arbeit von Medico in Afghanistan verändern?

Zunächst muss geklärt werden, wer für den Mord verantwortlich ist, ob es kriminelle oder terroristische Motive sind. Die Arbeit unserer Partner aber ist schon in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich unsicherer geworden . Vielleicht w erden sie sich irgendwann aus einigen Provinzen ganz zurückziehen müssen. Die Lage ist deshalb so kompliziert und unberechenbar, weil es so viele verschiedene Akteure gibt . Es sind ja nicht nur die Taliban, die Übergriffe verüben, sondern eine Vielzahl von kriminellen Banden, rivalisierender Gruppen und Warlords. Darunter auch Schmuggler, die sich durch die Präsenz von Wiederaufbauhelfern gestört fühlen und befürchten, dass geräumte Straßen dann auch vom Militär genutzt werden können.

Auch im Norden?

Gerade auch im Norden. Das Problem Afghanistans ist ja, dass es in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist, eine faktische Staatlichkeit und Rechtssicherheit aufzubauen. Die 120 000 Mann Privatmilizen im Land sind nicht entwaffnet worden, und Korruption und Willkür nehmen immer größere Ausmaße an.

Wird es schwerer, Deutsche zu finden, die zum Einsatz in Afghanistan bereit sind?

Unsere Mitarbeiter arbeiten im wesentlichen in den großen Städten, in Kabul oder Herat. Aber auch das ist keine angenehme Situation; man bleibt auf den Zimmern, geht nachts nicht raus.

Welche Rolle spielt das Militär? Lassen Sie Ihre Projekte schützen, etwa von der Nato-geführten Schutztruppe Isaf?

Das wird bewusst vermieden, weil wir nicht wollen, dass die Arbeit der Minenräumer im militärischen Kontext gesehen wird. Allerdings gibt es bestimmte Operationen, bei denen eine bewaffnete Begleitung vorgeschrieben ist.

Zum Beispiel?

Wenn es um bestimmte Straßen geht, die besonders gefährlich sind. Da steht dann ein afghanischer Soldat mit seinem Gewehr daneben. Die Isaf begleitet unsere Projekte aber nie.

Spielt die aktuelle Offensive in Afghanistan für Ihre Arbeit eine Rolle?

Sie ist nur Ausdruck einer sich ständig verschlechternden Lage. Statt gezielt den Wiederaufbau zu fördern, wird immer stärker auf Militär gesetzt. Der Vertrauensverlust in der Bevölkerung ist durch nichts wettzumachen. Sie hatten große Erwartungen, die sich aber nicht in spürbare Leistungen im Alltagsleben umgesetzt haben. Diese Enttäuschung schürt die Konflikte an.

Wann schicken Sie wieder ein deutsches Team nach Afghanistan?

Im Januar war erst eins da. Die nächste Reise ist für den Frühsommer geplant, dann sollen ein Projektkoordinator und Verwaltungskräfte für Abrechnungsformalitäten hier aus Frankfurt hinfahren.

Sind die dann besonders versichert?

Ja, wir versichern unsere Mitarbeiter, auch wenn es sehr teuer ist.

Interview: Sabine Hamacher

Quelle: Erstveröffentlichung in der Frankfurter Rundschau, 10. März 2007;
im Internet: www.medico-international.de



Zurück zur Afghanistan-Seite

Zurück zur Homepage