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Tote in Afghanistan lösen Polemik um französisches Engagement aus

Kommunisten fordern Rückzug, Sozialisten Umorientierung / Sarkozy in Kabul: Wir bleiben

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Nachdem französische Soldaten Anfang der Woche 50 Kilometer von Kabul entfernt in einen Hinterhalt der Taliban geraten waren und dabei 10 Todesopfer und 21 Verwundete zu beklagen hatten, ist in Frankreich eine heftige Polemik um das Engagement in Afghanistan ausgebrochen.

Präsident Nicolas Sarkozy hat am Mittwoch (20. August) bei einem Blitzbesuch in Kabul den französischen Militärs vor Ort und dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai gegenüber versichert, dass Frankreich »weiter entschlossen sein Engagement im Kampf gegen den Terrorismus, für Demokratie und Freiheit fortsetzen« wird. Frankreich hat in Afghanistan gegenwärtig rund 3000 Soldaten im Einsatz, nachdem Präsident Sarkozy auf der NATO-Tagung von Bukarest im vergangenen April die Aufstockung um 700 Mann angekündigt hatte.

Diese Truppen sind vor allem in Kabul und in der nordöstlich der Hauptstadt gelegenen Provinz Kapisa eingesetzt. Von 2001 bis jetzt hatten diese Einheiten 13 Mann verloren, die meisten bei Unfällen. Von den insgesamt 70 000 ausländischen Soldaten, die in Afghanistan eingesetzt sind, ließen seit Anfang des Jahres 176 ihr Leben.

Die Polemik in Frankreich zielt vor allem auf die politischen Ziele des französischen Engagements in Afghanistan. »Was soll mit diesem Krieg erreicht werden? Wie viele Kräfte sollen noch eingesetzt werden, um diese Ziele zu erreichen? Welche Bilanz gibt es nach den militärischen Aktionen und den Anstrengungen für den Wiederaufbau seit 2001?«, fragt der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, François Hollande, und fordert eine umgehende Sondersitzung der Außenpolitischen Kommissionen der Nationalversammlung und des Senats. Die Kommunistische Partei verlangt, dass »Frankreich seine Truppen aus Afghanistan zurückzieht und auf die Integration in die militärische Organisation der NATO verzichtet«.

In Kommentaren wird daran erinnert, dass Sarkozy im Präsidentschaftswahlkampf 2007 gegen ein »langfristiges militärisches Engagement Frankreichs« in Afghanistan war, während er jetzt erklärt, dass die französischen Truppen »bleiben, solange dies nötig ist«. Umfragen zufolge sind aber 68 Prozent der Franzosen gegen das militärische Engagement in Afghanistan. »Alles steht jetzt unter dem Motto der Bekämpfung des Terrorismus, aber den gibt es in der Region erst, seit die USA die islamistischen Fundamentalisten für den Kampf gegen die afghanischen Kommunisten und die sowjetischen Truppen im Land aufgerüstet und ausgebildet haben«, betont Paul Quilès, ehemaliger sozialistischer Verteidigungsminister. »Alle militärischen Anstrengungen können sich nur festfahren. Ein solcher Guerrillakrieg ist nicht zu gewinnen, zumal die Taliban sich auf die Verbitterung großer Kreise der Bevölkerung stützen können, bei denen aufgrund der Korruption auf allen Ebenen der Regierung und der Behörden fast nichts von den ausländischen Hilfsgeldern ankommt.« Es handele sich um einen Bürgerkrieg, dem man die Grundlagen entziehen muss durch den zivilen Wiederaufbau und die Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung.

»Weil ein Drittel der Afghanen unterernährt ist, fordert die UNO - bisher vergebens - eine Soforthilfe von 400 Millionen Dollar, während die USA für ihre Militärs im Lande Tag für Tag 170 Millionen Dollar ausgeben«, unterstreicht Paul Quilès. »Frankreich wendet für den eigenen Militäreinsatz 300 Millionen Euro auf, zehn Mal soviel wie für zivile Hilfe.«

* Aus: Neues Deutschland, 21. August 2008

Afghanistan: un enlisement meurtrier

La paix demande une réelle solution politique internationale

Le 19 août 2008, dans la zone de combat contre les Talibans, dix jeunes soldats français sont tombés, victimes de faits de guerre.

Avec leurs familles et leurs proches, nous pleurons le gâchis de ces dix jeunes vies réduites à néant pour des intérêts qui ne sont pas les leurs.
Depuis avril, en même temps que la réintégration de la France dans les plus hautes instances de décision de l'Otan, le gouvernement français a décidé l'envoi de nouvelles troupes en Afghanistan pour des missions de guerre et non plus pour des raisons de formation de policiers et de militaires. Les propos tenus ce matin même à Kaboul par le Président de la République restent dans la même tonalité guerrière et jusqu'au-boutiste.

Or le bilan de la présence militaire en Afghanistan décidée par le Conseil de sécurité en 2001 et assumée par l'Otan est dramatique. Le prétexte de la «lutte contre le terrorisme» ne résiste pas à une analyse attentive de sa réalité, et il représente un amalgame erroné de situations très différentes d'un pays à un autre.

L'aide au développement promise n'est toujours pas arrivée malgré plusieurs conférences internationales, la dernière en juin dernier, pour relancer le processus.

L'aveuglement de l'Otan sur l'usage de la force est catastrophique : non seulement, rien n'est réglé mais la situation continue de se détériorer avec l'expansion du terrorisme dans la contrée. Selon des sources officieuses françaises, l'Otan est dans «une impasse militaire totale et durable».
Seule la mise en oeuvre d'une solution politique internationale qui donne la priorité à l'aide d'urgence, à la reconstruction et aux droits du peuple afghan peut permettre de sortir de ce bourbier.
La France et l'Union Européenne doivent, de façon libre et indépendante, aider au développement de l'Afghanistan et de sa population et consacrer l'argent dépensé pour la guerre à la reconstruction de cet Etat, à la restructuration et à la remise en marche d'une économie réelle qui ne soit pas aux mains des trafiquants.

Nous demandons au Président de la République française de renoncer à l'envoi de nouvelles troupes en Afghanistan et de rapatrier celles qui sont là-bas pour mener une guerre injustifiée et non pas pour aider à la reconstruction du pays.
Nous lui demandons aussi de prendre toute la distance possible avec l'OTAN qui, ici comme dans le Caucase, est un facteur de guerre et non pas de paix.
Nous ne voulons plus de morts sur les champs de bataille mais des hommes vivants développant avec tous les pays des coopérations en faveur de la paix, du développement durable et des droits de l'homme.

Le Mouvement de la Paix va proposer à ses partenaires du collectif «OTAN-Afghanistan» de se réunir dès que possible pour décider des actions à mener contre la dérive aveugle à laquelle nous assistons.

Saint Ouen le 20 août 2008
LE MOUVEMENT DE LA PAIX, www.mvtpaix.org




Angetreten zum Durchhalteappell!

Nach den schwersten Besatzerverlusten in Afghanistan seit Jahren: Sarkozy bei seiner Truppe in Kabul. Debatten in Frankreich um Kriegseinsatz **

Nach dem Tod von zehn französischen Besatzungssoldaten in Afghanistan wurde in Paris am Mittwoch (20. August) die innenpolitische Debatte um den militärischen Einsatz am Hindikusch erneut eröffnet. Im parlamentarischen Bereich traten besonders die Sozialisten (PS) und Kommunisten (PCF) hervor. Beide Parteien forderten eine Debatte über die Truppenpräsenz. Doch während PS-Chef François Hollande lediglich verlangte, die »Mission am Hindukusch« müsse »neu definiert« werden, forderte die PCF den Abzug französischer Soldaten.

Bereits im Frühjahr war die linke Opposition mit einem Antrag gegen die von Präsident Nicolas Sarkozy für Ende September verordnete Aufstockung der Truppe um 700 auf 2600 Mann gescheitert. Und auch diesmal deutet angesichts des parlamentarischen Kräfteverhältnisses wenig darauf hin, daß sich eine Position gegen die Besatzungspolitik durchsetzen könnte. Damals sprachen sich zwar auch 68 Prozent der Franzosen in Umfragen gegen den Einsatz aus, doch entschied letztlich Sarkozy gegen deren Votum, zudem sich außerparlamentarisch auf den Straßen des Landes wenig tat. Das hat sich bisher auch nach den seit drei Jahren schwersten Verlusten der Besatzer am Montag und Dienstag nicht geändert.

Zudem rührte Sarkozy selbst am Mittwoch (20. August) die Propagandatrommel für eine »engagierte Fortsetzung« des franzöischen Einsatzes. Er war am Abend zuvor nach Kabul aufgebrochen und hielt dort eine Durchhalterede vor seinem 8. Regiment im NATO-Stützpunkt Camp Warehouse. »Die beste Weise, euren Kameraden die Treue zu halten, ist es, weiterzumachen, den Kopf zu heben, professionell zu handeln», sagte Sarkozy im Hauptquartier des Kabuler Regionalkommandos der »Schutztruppe« ISAF. »Warum sind wir hier? Weil es hier um einen Teil der Freiheit in der Welt geht«, fügte er hinzu.

Der Präsident, der mit seinem Verteidigungsminister Hervé Morin und Außenminister Bernard Kouchner angereist war, sprach mit verletzten Soldaten und »erwies den Getöteten die letzte Ehre« (AFP). Anschließend traf er den vom Westen gestützten und im eigenen Land weitgehend isolierten afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, der einen »verstärkten Antiterrorkampf« forderte.

Unterdessen sorgte eine Veröffentlichung der Tageszeitung Le Monde (Donnerstagausgabe) für Unruhe sowohl bei den Besatzern als auch in Frankreich selbst. Demnach widersprachen verletzte französische Soldaten der offiziellen Version zum Hergang der Kämpfe etwa 50 Kilometer östlich von Kabul. Insbesondere beklagten sie »die Langsamkeit der Reaktion des Kommandos und schwerwiegende Koordinationsprobleme«.

** Aus: junge Welt, 21. August 2008


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