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Särge aus Afghanistan rütteln Frankreichs Öffentlichkeit auf

Der Tod weiterer französischer Soldaten heizt die Kritik am Kriegseinsatz an

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Bei einem Blitzbesuch in Afghanistan erklärte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy kürzlich, man müsse »einen Krieg auch beenden können«. Bis 2014 will er die 4000 am Hindukusch stationierten Soldaten nach und nach abziehen.

Sieben Tote in einer Woche – so große Verluste hat es seit drei Jahren nicht mehr in Afghanistan gegeben, wo sich die Zahl der gefallenen französischen Soldaten damit auf 70 erhöht hat. Gerade hatte Nicolas Sarkozy seinen Truppen angekündigt, dass Frankreich bis Ende nächsten Jahres 1000 seiner 4000 Soldaten abziehen werde. Die übrigen würden etappenweise bis 2014 folgen. Kurz zuvor hatte USA-Präsident Barack Obama seine Abzugspläne offenbart.

2001 schloss sich Frankreich dem Feldzug der USA an, die damit auf den Anschlag vom 11. September reagierten. Einen Krieg gegen Terrorismus und Obskurantismus der Taliban wollte man führen und dem bitterarmen, zerrütteten Afghanistan Zivilisation und Demokratie bringen. Zehn Jahre danach ist nichts davon erreicht. Die USA, Frankreich und die anderen westlichen Staaten sind stattdessen zu Verbündeten und Geiseln eines korrupten und zur Befriedung des Landes weder fähigen noch willigen Regimes geworden.

In der französischen Bevölkerung, die das Engagement in Afghanistan anfangs mehrheitlich befürwortete und den Krieg anschließend jahrelang verdrängte, nehmen angesichts der Opfer und der pessimistischen Meldungen Enttäuschung und Ernüchterung zu – und damit auch die Kritik. Wenn Rundfunk- und Fernsehreporter Franzosen auf der Straße befragen, hört man heute oft die Meinung: »Unsere Jungs haben dort nichts zu suchen.« Im August 2008 rüttelte der Tod von zehn französischen Soldaten, die in einen Hinterhalt der Taliban geraten waren, die bis dahin weitgehend unberührte französische Öffentlichkeit auf. Nun dürfte eine neue Etappe der Kritik am Militärengagement einsetzen.

Die Sozialistische Partei fordert bereits, die Rückzugspläne zu beschleunigen. Präsident Sarkozy weist dagegen immer wieder darauf hin, dass die Entscheidung über die Truppenentsendung nach Afghanistan 2001 gemeinsam vom rechten Präsidenten Jacques Chirac und dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin gefällt wurde. Doch es war Sarkozy, der sich als einer der großen Akteure auf internationalem Parkett profilieren wollte, als er 2008 auf dem Bukarester NATO-Gipfel überraschend die Aufstockung des ursprünglich nur 700 Soldaten umfassenden französischen Kontingents ankündigte.

Derselbe Sarkozy erklärte dieser Tage vor den Soldaten in Afghanistan, man müsse »einen Krieg auch beenden können«. Ein Jahr vor der Wahl, bei der sich Sarkozy um eine weitere fünfjährige Amtszeit bemüht, versucht er eine offensichtliche Niederlage in einen Sieg umzudeuten. Gerechtfertigt wird der geplante Rückzug damit, dass die Terrorgefahr durch die »Eliminierung« Osama Bin Ladens erheblich verringert sei. Dabei sind sich Terrorexperten inzwischen einig, dass Al Qaida längst nicht mehr die zentrale Rolle spielt wie 2001. Etliche Terrornetze agieren autonom und schmücken sich oft nur zu Propagandazwecken mit dem Markenzeichen Al Qaida.

Das Militärengagement in Afghanistan hatte seinerzeit aber auch das Ziel, das Land derart zu stabilisieren, dass eine Rückkehr des Taliban-Regimes ausgeschlossen bliebe. Davon ist man weiter entfernt denn je, auch wenn Sarkozy jetzt behauptet, dieser Prozess sei »auf bestem Wege«. Tatsächlich ist das Land geteilt in etliche Stammesgebiete, die von örtlichen Kriegsfürsten und deren Milizen beherrscht werden. Die Regierung Hamid Karsais herrscht über kaum mehr als die Hauptstadt Kabul, und selbst dort gibt es immer wieder opferreiche Bombenanschläge.

Angesichts der verfahrenen Situation klingt es wie eine Beschwörung, wenn Sarkozy am Dienstag dieser Woche vor den sieben Särgen, die für eine ehrende Zeremonie im Hof des Pariser Invalidendoms aufgebahrt waren, erklärte: »Euer Tod war nicht umsonst.« Immer mehr Franzosen sehen das anders und die Erkenntnis setzt sich durch, dass es in Afghanistan – wie auch in Libyen – keine militärische Lösung geben kann.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2011


50 Rebellen in Paktika bei Kampf getötet

Schwere Gefechte im Südosten Afghanistans **

Bei einer Militäroperation im Südosten Afghanistans sind mehr als 50 Aufständische getötet worden. Die Offensive richtete sich gegen ein Lager des radikal-islamischen Hakkani-Netzwerks, wie die Internationale Schutztruppe ISAF am Freitag mitteilte. Afghanische und ausländische Truppen hätten den Stützpunkt in der Provinz Paktika in der Nacht angegriffen und sich stundenlange Gefechte mit den Extremisten geliefert. Bei dem Großeinsatz im Grenzgebiet zu Pakistan seien auch Kampfflugzeuge zum Einsatz gekommen. Über Opfer aufseiten der Sicherheitskräfte wurde nichts bekannt. Das Hakkani-Netzwerk kämpft wie die Taliban gegen NATO-Truppen und afghanische Regierung und wird für zahlreiche Anschläge im Land verantwortlich gemacht.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle strebt eine langfristige strategische Partnerschaft mit Afghanistan für die Zeit nach dem Abzug der internationalen Kampftruppen 2014 an. »Wir werden Afghanistan nicht vergessen«, sagte er am Freitag in Masar-i-Scharif, wo er auch das Feldlager der Bundeswehr besuchte. Die nordafghanische Stadt wird an diesem Sonnabend als erstes Gebiet im deutschen Verantwortungsbereich an afghanische Sicherheitskräfte übergeben. Damit werden die Weichen für die Reduzierung der mehr als 5000 Soldaten starken Bundeswehrtruppe gestellt.

Die Fortsetzung der Zusammenarbeit auch nach 2014 sei im Interesse der afghanischen Bürger, »aber auch im Interesse der Sicherheit der Welt«, erklärte Westerwelle.

** Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2011


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