600. NATO-Soldat getötet
Afghanistan: 2010 bereits jetzt mit schlimmerer Bilanz als das Vorjahr
In Afghanistan ist jetzt der 600. ausländische Soldat seit Beginn dieses
Jahres ums Leben gekommen.
Ein Soldat der NATO-Truppe ISAF starb am
Sonntag (24. Okt.) durch einen Angriff Aufständischer im Osten des Landes, wie die NATO am Montag (25. Okt.) mitteilte. Die Anzahl der seit Jahresbeginn in Afghanistan ums Leben gekommenen ausländischen Soldaten stieg damit auf 600, wie eine Zählung der Nachrichtenagentur AFP ergab, die sich auf die Website icasualties.org stützt. Die NATO machte keine weiteren Angaben zu dem Tod des Soldaten. Ein weiterer NATO-Soldat wurde am Sonntag durch eine Bombenexplosion im Süden des Landes getötet. Im vergangenen Jahr starben 521 ausländische Soldaten am Hindukusch. Seit Beginn des Einmarsches zum Sturz der Taliban im Jahr 2001 wurden 2170 NATO-Soldaten in Afghanistan getötet, darunter 1350 aus den USA. Seit Beginn des ISAF-Einsatzes im Januar 2002 wurden starben in Afghanistan bei Gefechten und Anschlägen auch insgesamt 27 Bundeswehrsoldaten.
Ein Ende des Krieges in Afghanistan und eine nationale Aussöhnung
könnten nur erreicht werden, wenn alle Konfliktparteien und
gesellschaftlichen Kräfte zu Verhandlungen an einen Tisch kämen. Das
erklärte die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen am
Montag. In diesen Verhandlungsprozess müssten dabei auch die
Nachbarländer, insbesondere Pakistan, in denen sich immer noch
Hunderttausende afghanischer Flüchtlinge aufhalten, einbezogen werden.
Die Organisation forderte die Bundesregierung auf, solche Verhandlungen
zu unterstützen und einen Abzugsplan für die deutschen Truppen in
Afghanistan vorzulegen.
Unterdessen hat der afghanische Präsident Hamid Karsai
US-Sicherheitsfirmen, allen voran der früheren Firma Blackwater, eine
Schuld an Anschlägen in Afghanistan gegeben. Karsai erwähnte am Montag
vor Journalisten in Kabul in erster Linie die Firma Xe, die unter ihrem
früheren Namen Blackwater vor allem durch Fehlverhalten ihrer
Mitarbeiter in Irak bekannt wurde. »Sie sind für den Tod afghanischer
Kinder verantwortlich und sind schuld an einigen Attentaten und
terroristischen Handlungen. In Wahrheit wissen wir nicht, wie viele
Anschläge von Taliban verübt wurden und wie viele von ihnen«, sagte er
über die privaten US-Sicherheitsfirmen. Karsai hatte im August ein
Dekret erlassen, wonach die 52 derzeit im Land eingesetzten privaten
Sicherheitsfirmen - egal aus welchem Land sie kommen - ihre Arbeit in
Afghanistan bis zum Jahresende einstellen müssen.
Karsai räumte zudem ein, dass seine Regierung regelmäßig mit hohen
Barzahlungen aus dem Nachbarland Iran unterstützt wird. Die iranische
Regierung habe Kabul »ein- oder zweimal pro Jahr« Geldbeträge von
jeweils bis zu 700 000 Euro zur Verfügung gestellt, sagte Karsai am
Montag in Kabul. Mit seiner Äußerung reagierte der Präsident auf einen
Beitrag in der »New York Times«. Das US-Blatt hatte am Wochenende
berichtet, Karsais Stabschef Umar Daoudsai werde seit Jahren von Iran
mit Millionenbeträgen geschmiert, um in Kabul die Interessen Teherans zu
vertreten. So soll der Stabschef unter anderem Bargeld an afghanische
Politiker und Stammesführer gezahlt haben, um sich deren Loyalität zu
erkaufen. Karsai wies die Vorwürfe zurück. »Daoudsai empfängt die Hilfe
auf meine Anordnung«, erklärte er. Das Geld werde für »Sonderausgaben«
des Präsidentenpalastes verwendet.
* Aus: Neues Deutschland, 26. Oktober 2010
Die Gewalt eskaliert
Von Olaf Standke **
Der Krieg in Afghanistan sorgt fast täglich für neue traurige Rekorde.
Am Wochenende sei der 600. NATO-Soldat seit Jahresbeginn ums Leben
gekommen, teilte gestern das ISAF-Hauptquartier lapidar mit. Im ganzen
vergangenen Jahr starben am Hindukusch 521 ausländische Militärs. Die
Jahresbilanz 2010 wird also noch düsterer werden, stockt Washington
seine Truppen doch weiter auf. Aber auch mit Blick auf die Zahl der
zivilen Opfer, die von der NATO allerdings längst nicht so akribisch
erfasst werden. Denn es gehört zu den grausamen Gesetzmäßigkeiten dieses
Krieges, dass immer mehr Unbeteiligte und Unschuldige während der Kämpfe
und durch Anschläge sterben.
Nach Angaben der Internet-Plattform iCasualties waren es im Vorjahr
2412, und allein im ersten Halbjahr 2010 erfassten die Menschenrechtler
schon 1271 zivile Opfer. Zugleich wird Afghanistan gefährlicher für die
Helfer. Die Sicherheit ihrer Mitarbeiter bereitet den
Nichtregierungsorganisationen zunehmend Kopfschmerzen. Selbst ein hoch
gesichertes Gebäude der Vereinten Nationen in Herat haben aufständische
Taliban-Kämpfer dieser Tage gestürmt. Die Gewalt sei »enorm eskaliert«,
so das »Afghan NGO Safety Office«, eine Organisation, die sich um den
Schutz der Hilfswerke kümmert. Viele von ihnen denken inzwischen daran,
ihre Projekte vorzeitig zu beenden. Doch es sind nicht Enthüllungen der
Internet-Plattform Wikileaks, die ihre oder die Sicherheit aus- wie
inländischer Soldaten gefährden, wie gerade auch wieder mit Blick auf
Afghanistan aus Washington zu hören war. Es ist die verheerende
Kriegführung der NATO selbst.
** Aus: Neues Deutschland, 26. Oktober 2010 (Kommentar)
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