Kosmetik statt Erfolg
Pressemitteilung aus der Friedensbewegung zum Abschluss der Bonner Afghanistan-Konferenz
Im Folgenden dokumentieren wir eine Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag zum Abschluss der Regierungskonferenz über Afghanistan in Bonn am 5. Dezember 2011. Die Abschlusserklärung des Gipfels kann hier heruntergeladen werden: PDF (englisch)
Nach dem Bonner Afghanistan-Gipfel
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag-
Kosmetik statt Erfolg
-
Aufforderung zur Kriegsverlängerung
- Die Show in Bonn ist vorüber - die Friedensbewegung kämpft weiter
Kassel, Berlin, 6. Dezember 2011 - Zur Afghanistan-Konferenz in Bonn
erklärten die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in einer
Stellungnahme:
Zum wiederholten Mal traf sich die "Internationale Gemeinschaft", um
über die Zukunft Afghanistans zu beraten. Doch weder von Beratung noch
von "Zukunft" konnte in Bonn die Rede sein. Die
Schlusserklärung war im
Vorfeld bereits festgezurrt worden, die Ansprachen bestanden aus
Fensterreden, die zudem der Selbstdarstellung der beteiligten
Delegationen dienten, und die "Zukunft" Afghanistans wurde lediglich auf
das Datum des sog. Abzugs der internationalen Truppen Ende 2014
reduziert. Alle darüber hinaus gehenden Versicherungen, an der Seite
Afghanistans und seines Volks zu stehen und auch über 2014 hinaus
"Verantwortung" zu übernehmen, müssen solange als Lippenbekenntnisse
bewertet werden, als nicht wirklich Geld in die Hand genommen wird, um
wenigstens den in den zehn Kriegsjahren angerichteten materiellen
Schaden zu reparieren. Zu allem Überfluss kam noch die "Einladung" Karzais an die USA, Deutschland und andere Staaten der Kriegsallianz, noch länger im Land zu bleiben, auch mit Militär. Eine Einladung zur Fortsetzung des Krieges über 2014 hinaus!
Die meist verwendeten Begriffe waren "Transformation", "Demokratie",
"Rechtsstaatlichkeit", "Menschenrechte", "gute Regierungsführung",
"Wirtschaftswachstum" und "Wohlstand". Woran es den Menschen am
wenigsten mangelt, sind gut Wünsche.
Die Konferenz wäre eine Gelegenheit gewesen, eine Bilanz zu ziehen. Sie
kam weder von Afghanistan noch von den anderen Regierungsvertretern. Wir
müssen sie nun selbst versuchen.
Die "Fortschritte", welche angeblich erreicht worden sind, wurden in den
verschiedenen Reden folgendermaßen beschworen:
-
verbesserte Sicherheitslage;
-
mehr Stabilität;
-
mehr Bildung und Rechte für die Frauen;
- mehr Demokratie (wobei hier interessanterweise weniger auf das
gewählte afghanische Parlament, sondern mehr auf die kürzlich
zusammen getretene "Loya Jirga" verwiesen wurde).
Diesen behaupteten "Fortschritten" in Afghanistan stehen die Fakten
gegenüber, die hier noch einmal wiederholt werden sollen:
- Kaum eine Verbesserung des Bildungsniveaus (gemessen an der
Alphabetisierungsrate);
- keine wirkliche Änderung der Situation der Frauen (Afghanistan hat die höchste Müttersterblichkeit; 80 Prozent der Frauen werden zwangsverheiratet, davon ist die Hälfte jünger als 16 Jahre)
- stark steigende Jugendarbeitslosigkeit;
- zunehmende Anzahl der Menschen unter der absoluten Armutsgrenze;
- zunehmender Bedarf an internationaler Hungerhilfe;
- über 60 Prozent der Bevölkerung leiden aufgrund des Krieges an psychischen Krankheiten;
- Ausweitung des Krieges nach Pakistan.
Aufgrund des geringen Erfolgs eines zivilen Aufbaus im Krieg ist die Stimmung in der afghanischen Bevölkerung gekippt. Eine Mehrheit ist gegen den NATO-Krieg und empfindet nach einer repräsentativen Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung die ISAF-Truppen nunmehr als Besatzung. (56 Prozent)
Und was die angeblich verbesserte Sicherheitslage betrifft, treiben zum einen von den USA ausgerüstete afghanische Milizen zunehmend ihr Unwesen, und zum anderen handelt es sich beim Rückgang der ressourcenaufwändigen offenen Talibanangriffe um eine kräftesparende Taktikänderung hin zu Anschlägen auf Hochwertziele.
Und ist es nicht beschämend für die versammelten Diplomaten, wenn als
einziger Redner der iranische Außenminister darauf hinwies, dass es
keine militärische Lösung für Afghanistan geben könne?!
Ansonsten kamen zaghafte kritische Beiträge nur von Vertreter/innen der
Zivilgesellschaft, von denen 15 eingeladen waren (gegenüber 85
Regierungen). Investitionen in Infrastruktur, Wasser und Landwirtschaft
verlangte der Vertreter der "Afghanischen Zivilgesellschaft". Eine
andere NGO-Vertreterin fand den Mut, neben der afghanischen Regierung
auch die internationale Staatengemeinschaft für das Opium-Problem
verantwortlich zu machen.
Immerhin haben mehrere Redner mit Recht auf das Problem der weit verbreiteten Korruption in Afghanistan hingewiesen. Doch niemand hatte den Mut, das gegenwärtige Regime in Kabul als Teil dieses Problems zu identifizieren. Transparency International sah in der vergangenen Woche bei Veröffentlichung der jährlichen "Weltrangliste" korrupter Staaten, trotz unzähliger Beteuerungen Karzais, die Korruption im Land bekämpfen zu wollen, keine Veranlassung, das Land vom vorletzten Platz der Liste hochzuhieven.
Als Gegenleistung für die bis 2024 versprochene internationale Hilfe versprach Karzai, Korruption und Drogenanbau zu bekämpfen, sich für demokratischen Reformen und Frauenrechte einzusetzen und eine unabhängige Justiz aufzubauen. Das sind indessen nichts als Seifenblasen. Das "Gegengeschäft" zum beiderseitigen Vorteil heißt auf den Punkt gebracht: Hier die Aufrechterhaltung der Selbstbereicherung Weniger, dort die militärische Dauerpräsenz der NATO – wenn auch mit geringerem Personal.
Die Zivilgesellschaft in Deutschland hat bereits am Samstag in Bonn ihre
Visitenkarte abgegeben. Ein paar Tausend Demonstranten standen
stellvertretend für die Mehrheit der Bevölkerung und forderten den
sofortigen und bedingungslosen Abzug der Bundeswehr vom Hindukusch.
Anders, so ist die Friedensbewegung hier zu Lande und anderswo
überzeugt, wird es keinen Fortschritt in Afghanistan geben.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Berlin
Peter Strutynski, Kassel
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