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"Das Massaker von Kundus hat alles verändert"

Afghanistan-Konferenz ignoriert Interessen des Volkes. Pakt mit Taliban und Kriegsherren für NATO-Basen geplant. Deutsche wurden zum Feind. Ein Gespräch mit Said Mahmoud Pahiz *


Said Mahmoud Pahiz ist Sprecher der afghanischen Solidaritätspartei.


Am Montag beginnt in Bonn die internationale Afghanistan-Konferenz. Ist das Treffen zweckmäßig?

Das afghanische Volk ist daran nicht beteiligt. Nur eine Ansammlung von Kriegsherren und Verbrechern wird dort erscheinen. Es sind die gleichen Warlords, die der Westen im Zuge der ersten Afghanistan-Konferenz in Petersberg 2001 an die Macht brachte. Die heutige Regierung ist die zweitkorrupteste der Welt und zugleich der größte Opiumlieferant der Erde. Das Leben der einfachen Menschen hat sich unter der fremden Besatzung nicht verbessert. Deshalb haben wir mit 3000 Menschen in Kabul gegen die Bonner Konferenz protestiert. Wir knüpfen ein Netz für diejenigen, die vom Krieg genug haben und sich für den Frieden einsetzen.

Die »gemäßigten« Taliban werden an der Konferenz teilnehmen. Halten Sie das für sinnvoll?

Die Delegation der Taliban und die Vertreter des Kriegsherrn Gulbuddin Hekmatyar wurden eingeladen, um den bewaffneten Konflikt beizulegen. Das ist aber der falsche Weg.

Wieso? Mit wem soll man denn über einen Friedensschluß verhandeln, wenn nicht mit dem militärischen Gegner?

Die Gespräche an sich sind unsinnig. Denn es geht den NATO-Staaten darum, dauerhafte Stützpunkte einzurichten, Pipelines zu verlegen und sich geostrategisch in Zentral­asien festzusetzen. Dafür brauchen sie die Zustimmung ihrer jetzigen Kriegsgegner. Mit ihnen will die NATO zu einem Arrangement kommen. Um einen dauerhaften Frieden und ein Ende der zehnjährigen Besatzung hingegen geht es nicht, weder in Bonn noch anderswo.

Die Delegation Islamabads hat ihre Teilnahme abgesagt, weil die Amerikaner einen Grenzposten bombardiert und mehr als 20 pakistanische Soldaten getötet haben. Wird das die Ergebnisse der Afghanistan-Konferenz beeinflussen?

Der Kabuler Präsident Hamid Karsai setzt alles daran, die Pakistaner doch noch ins Boot zu holen. Deren mächtiger Militärgeheimdienst ISI und die Armee sind trotzdem sehr erbost über die Verluste.

Daß US-Streitkräfte regelmäßig Blutbäder anrichten, läßt sich nicht verschweigen. Wie aber steht das afghanische Volk zu den deutschen Truppen am Hindukusch?

Es gibt eine entscheidende Veränderung. Fremde Soldaten sind nicht gern gesehen in Afghanistan, aber mit den Deutschen gab es über lange Zeit keine gravierenden Probleme. Sie verhielten sich nicht so aggressiv wie die verhaßten Amerikaner. Das Massaker von Kundus aber hat alles verändert. Auf Befehl der Deutschen wurden bei einem Bombardement mehr als 180 Menschen umgebracht. Das kehrte das Bild völlig um. Seither werden die Deutschen nicht mehr als Helfer gesehen, sondern als Truppen, die hier sind, um zu töten. Die Rolle als Besatzer ist nun offensichtlich.

Der Widerstand in Afghanistan wird hierzulande als islamistisch bewertet. Gilt das für alle Kräfte im Land?

Ich kann für unsere Partei sagen, daß wir die Besatzung nicht ablehnen, weil Christen in einem muslimischen Land stationiert sind. Wir sprechen uns vielmehr dagegen aus, daß sich die ausländischen Mächte strategische und ökonomische Vorteile sichern wollen.

Mit welchen Mitteln wollen Sie die Präsenz fremder Armeen beenden?

Wir setzen auf Demonstrationen und ähnliche Protestformen, so wie es die Menschen in den arabischen Ländern taten und immer noch tun. Uns geht es darum, eine Marionettenregierung des Westens abzusetzen. Ein neues Afghanistan können wir aber nur erschaffen, wenn auch die Kriegsherren und Verbrecher ihre Macht verlieren. Das müssen wir der Welt verdeutlichen, indem wir sichtbar als demokratische Bewegung in Erscheinung treten.

Auf welche Partner außerhalb Afghanistans können Sie sich stützen?

Wir haben Beziehungen zu Linksparteien in Ländern wie Deutschland, Italien, den USA oder Chile und pflegen Verbindungen zu den Demokratiebewegungen Irans und in der arabischen Welt. Jeder, der sich gegen Krieg und Besatzung wehrt, ist ein potentieller Bündnispartner für uns.

Interview: Mirko Knoche

* Aus: junge Welt, 3. Dezember 2011


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