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Die Zerstörung Afghanistans, ein Werk der Imperialmächte

Von Matin Baraki *

"Mit dem Blut meines Geliebten will ich mich schminken
Darob werden die roten Rosen im Garten verblassen!
Wenn Du in Maiwand nicht zum Märtyrer wirst
So wird die Schande lebenslang Dein Begleiter sein."

Die afghanische Dichterin "Malalei" über die Schlacht im südafghanischen Maiwand 1880, in der die britischen Invasoren eine vernichtende Niederlage erlitten.

Die Zerstörung der staatlichen Strukturen Afghanistans nahm schon 1979 ihren Anfang. Der ehemalige CIA-Direktor Robert Gates schrieb in seinen Memoiren, daß die US-Geheimdienste mit der Unterstützung der afghanischen Islamisten bereits sechs Monate vor der sowjetischen Intervention Ende 1979 begonnen haben. Auch der Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, bestätigte, daß dieser am 3. Juli 1979 die erste Direktive über die geheime Unterstützung für die islamistische Opposition gegen die Regierung in Kabul unterzeichnet hatte. Wir haben die Sowjets nicht gedrängt zu intervenieren, aber die Möglichkeit, daß sie es tun, haben wir wissentlich erhöht, hob Brzezinski hervor. Dadurch wurde die Sowjetunion in die afghanische Falle gelockt. Durch die sowjetische Intervention wurde der innerafghanische Konflikt unweigerlich internationalisiert. Es ging nicht mehr primär um Afghanistan, sondern darum, das Land zu einem Vietnam der UdSSR zu machen. Afghanistan war nur Opfer dieser Strategie. Auch heute noch ist kein Ende der afghanischen Tragödie absehbar, und die verheerenden Folgen sind nicht einmal ansatzweise bewältigt.

Nach der Vertreibung der Taliban 2001 bestand eine reale Chance, die Staatlichkeit Afghanistans wiederherzustellen. Noch während des US-geführten Krieges gegen Afghanistan - unterstützt durch die britische Regierung - fand unter formaler UN-Ägide Ende 2001 eine internationale Konferenz statt, auf der die Grundlage für den künftigen Status des Landes gelegt wurde. Nicht in Afghanistan durch Afghanen, sondern auf dem fernen Petersberg bei Bonn wurden die Weichen gestellt und eine provisorische Regierung auf massiven Druck der über zwanzig anwesenden US-Vertreter unter Beteiligung dreier islamistischer und einer monarchistischen Gruppe gebildet. Abdul Hamid Karsai, der seit Beginn des afghanischen Bürgerkrieges enge Verbindungen zur CIA unterhalten hatte, auf ihrer Gehaltliste stand und sich im Indischen Ozean auf einem US-Kriegsschiff befand, wurde zum Interimsministerpräsidenten gekürt. Da diese Regierung weder Legitimation noch Rückhalt in Afghanistan hatte, wurde sie nach kolonialem Muster von einer internationalen „Schutztruppe“, gebildet von Soldaten aus NATO-Staaten, nach Kabul begleitet und vor Ort weiter gesichert. Petersberg war eine Neocon-Konzeption, dabei wurde weder europäischen, geschweige den afghanischen Vorstellungen Rechnung getragen. Die Deutschen haben deswegen mitgemacht, um Afghanistan als Türöffner für weltweite Einsätze der Bundeswehr zu instrumentalisieren. Wie schon in der Vergangenheit wurde abermals eine militärische „Lösung“ des Konfliktes favorisiert. Afghanistan ist seitdem zu einem regelrechten Übungsplatz von USA und NATO geworden, wo die neuesten Waffen und die Einsatzfähigkeit der Soldaten getestet werden. Das afghanische Volk war somit vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Auf der Grundlage des Petersberger Fahrplans wurden zwischen 2002 und 2005 mehrere Wahlprozeduren durchgeführt. Im Dezember 2001 war Karsai in das Amt des Ministerpräsidenten eingeführt und dann im Juni 2002 auf einer improvisierten Loya Djirga (Ratsversammlung) zum Präsidenten gewählt worden, wobei 24 Stimmen mehr abgegeben wurden als Abgeordnete anwesend waren. An der Tür zum Wahlzelt waren Abgeordnete durch Minister und Gouverneure per Unterschrift verpflichtet worden, für Karsai zu stimmen. Im Vorfeld dieser Wahlen hatten die USA 10 Mio. $ ausgegeben, um für ihn Stimmen zu kaufen. Anfang Januar 2004 wurde auf einer weiteren Loya Djirga eine Verfassung verabschiedet und Afghanistan zur Islamischen Republik proklamiert. 2004 wurden dann Präsidentschaftswahlen und 2005 Parlamentswahlen abgehalten, wobei Drohung, Gewalt, Mord und Stimmenkauf die Regel waren. Die New York Times nannte die Art und Weise, wie die Wahlen zustande kamen „eine plumpe amerikanische Aktion.“ Bei all diesen Aktionen war die internationale Gemeinschaft präsent: die Vereinten Nationen mit ihrem Beauftragten für Afghanistan, Lakhdar Brahimi, die Europäische Union mit ihrem Repräsentanten, dem spanischen Diplomaten Francesc Vendrell, und die Vereinigten Staaten als Hauptakteur mit ihrem Botschafter Zalmay Khalilzad. Alle entscheidenden Beschlüsse wurden entweder im Büro Karsais oder in der US-Botschaft gefaßt. Sowohl UN- wie EU-Vertreter ließen sich von den USA instrumentalisieren und nickten die getroffenen Entscheidungen nur noch ab. Damit haben sie ihre Neutralität und Glaubwürdigkeit eingebüßt. Es war dann nur logisch, daß die NATO auf ihrem Gipfeltreffen in Istanbul am 28.6.2004 die Entmachtung bzw. Unterordnung der formal UN-mandatierten Schutztruppe ”International Security Assistance Force” (ISAF) unter NATO-Kommando beschloss. Das Land wurde nach einem Operationsplan des NATO-Hauptquartiers unter den Besatzern in vier etwa gleich große Sektoren aufgeteilt. Dadurch sind faktisch die Aufsichtsfunktion der UNO, die Souveränität und Eigenstaatlichkeit Afghanistans aufgehoben worden. Diese Demütigung der Afghanen ist der Nährboden, auf dem der Widerstand wächst. So lange militärische Besetzung und Fremdbestimmung andauern, wird in Afghanistan keine Ruhe, kein Wiederaufbau und keine zivile Lösung des Konfliktes möglich sein. Da USA und NATO beabsichtigen, für sehr lange Zeit im Lande zu bleiben, haben sie dafür entsprechende politische und militärische Voraussetzungen geschaffen. Noch vor den Parlamentswahlen hatte Karsai eine sog. „Nationale Konferenz“ einberufen, auf der 100 Personen aus seiner Entourage zusammenkamen. Sie „bevollmächtigten“ ihn, mit den USA einen Vertrag zu schließen, auf dessen Grundlage die Militäreinheiten der Vereinigten Staaten auf unabsehbare Zeit in Afghanistan bleiben dürfen.

Afghanistan hat weder eine souveräne noch eine unabhängige Regierung. Das jetzige Kabuler Kabinett besteht zu über 50% aus American Afghans, den Rest stellen Euro-Afghanen und einige willfährige Warlords. Hinzu kommen noch die US-Berater, die ausnahmslos in allen Ämtern präsent sind und die Entscheidungskompetenz innehaben.

Der 11. September 2001 wurde zum Anlaß des Krieges gegen Afghanistan, obwohl dieser schon lange vorher geplant war. Bereits im Juli 2001 hatte die Bush-Administration ihren regionalen Verbündeten Pakistan über einen diesbezüglichen Plan informiert, offenbarte der ehemalige pakistanische Außenminister Naiz Naik, der an den geheimen Treffen u.a. zwischen den Regierungsvertretern der USA und Abgesandten der Taliban in den Jahren 2000 und Anfang 2001 in einem Berliner Hotel teilgenommen hatte. Ende September 2006 brüstete sich auch der ehemalige US-Präsident Bill Clinton damit, einen solchen Krieg gegen Afghanistan geplant zu haben.

Unter dem formalen Dach der UNO wurde das Land seit Petersberg zu einem Protektorat der „internationalen Gemeinschaft“ degradiert. Seit Beginn der neunziger Jahre wird das „liberale Protektorat“ und die „Treuhandschaft“ als eine Chance zu „nation building“ und zur Demokratisierung von außen propagiert. Die „failing states“ sollen für geraume Zeit unter internationale Verwaltung gestellt werden, und es wird einem „neuen Interventionismus“ der westlichen Mächte mit „robustem“ militärischem Mandat das Wort geredet. Die Vertreter dieser „Theorie“ sind die Emeriti, Ulrich Menzel und Franz Nuscheler. In Afghanistan wurde sie umgesetzt mit dem bekannten Ergebnis. Da die internationale Gemeinschaft zum größten Teil aus NATO-Ländern unter US-Führung besteht, ist sie selber voreingenommen und Partei. Sie kann die Probleme des Landes nicht lösen - im Gegenteil, sie ist Teil des Problems geworden. Da die UNO zur Schaffung der Protektorate wesentlich mitbeigetragen und sich damit diskreditiert hat, kann sie keine angemessene und glaubwürdige Führungsfunktion mehr übernehmen. Weil Protektorate faktisch Kolonien sind, können im günstigsten Fall Probleme nur verschoben, im ungünstigsten Fall verschlimmert werden. Zu einer Lösung kommt es in der Tat nicht, wie das Beispiel Afghanistan deutlich macht.

Gerade durch den Status als Protektorat ist die Wirtschaft Afghanistan zerstört worden. Wie der Kabuler Wirtschaftsminister Mohammad Amin Farhang hervorhob, bestehen 99% aller Waren auf dem afghanischen Markt aus Importen. Afghanistan ist längs zum Dorado für die Exporteure der Industrieländer geworden. Der einheimischen Wirtschaft wird jegliche Chance genommen, sich zu entwickeln. Da die Heroinbarone im Staatsapparat integriert sind, nutzen sie den „Wirtschaftsboom“ zur Geldwäsche. Sie investieren nur im Luxussegment, in Hotels, Häuser und Lebensmittelproduktion für den Bedarf zahlungskräftiger Ausländer. Afghanistan ist längst zu einem „Drogenmafia-Staat“ geworden, stellte Ashraf Ghani, der erste Kabuler Finanzminister im Kabinett von Abdul Hamid Karsai fest. Von dem einfachen Bauern angefangen bis zur Familie des Präsidenten Karsai sind alle am Drogengeschäft beteiligt. Schon vor einem Jahr hat die britische Botschaft in Kabul über die Drogengeschäfte der Familie Karsai berichtet. Als die Informationen von der Presse aufgegriffen wurden, kam es zu einem Disput zwischen Karsai und dem britischen Botschafter, in dessen Folge der Diplomat abberufen wurde. Dann war für einige Zeit Ruhe. Man wollte seine eigene Marionetten nicht weiter diskreditieren. Nun berichten die westlichen Medien, unter anderen der US-Sender ABC, über die lukrativen Drogengeschäfte des Karsai-Bruders Ahmad Wali, der Vorsitzender des südlichen Provinzrates in Qandahar ist und nebenbei Chef einer Bande, die Drogen über Iran und die Türkei nach Westeuropa schmuggelt. Dafür kassiert Ahmad Wali Karsai jährlich über 20 Millionen US-Dollar an Schutzgeldern. Auch der einstige Warlord der Nordallianz und derzeitige Stellvertreter des Innenministers in Kabul, General Mohammad Daud, ist von Amts wegen verantwortlich für die Drogenbekämpfung und gleichzeitig selbst ein Drogenbaron. Also verwundert es nicht, daß der „Kampf gegen den Drogenanbau“ unter Federführung der Briten auf ganzer Linie gescheitert ist. Die Anbaufläche stieg um 59% und 2006 gab es die größte jemals in Afghanistan eingebrachte Opiumernte, sie lag um 2000 Tonnen höher als im Vorjahr und erreichte sagenhafte 6100 Tonnen! Schon den Exportwert der Opiumernte 2005 bezifferte das UN-Büro für Drogen und Kriminalität mit 2,7 Milliarden Dollar.

Ein Wiederaufbau für breite Schichten der Bevölkerung findet hingegen kaum statt. Die Arbeitslosigkeit beträgt ca. 75%. mancherorts, vor allem in Osten und Süden sogar 90%. So erklärt sich, daß dort bereits 80% der Bevölkerung mit den Taliban sympathisieren. Das von der UN in Millionenhöhe unterstützte Rückkehrprogramm für afghanische Flüchtlinge muß deswegen scheitern, weil diese weder Arbeit noch Unterkunft finden. Die im Rahmen der Demobilisierung 50 000 freigesetzten Kämpfer der Warlords mehren nicht nur zusätzlich das Heer der Arbeitslosen, sondern sind zu einem Faktor von Destabilität, Kriminalität und Unruhe geworden. Da sie keine bezahlte Beschäftigung finden können, gehen sie entweder zurück zu ihrem Warlord oder schließen sich den Taliban bzw. Al Qaeda an. Die von Deutschland ausgebildeten Polizisten, die zum größten Teil aus ehemaligen Kämpfern der Islamisten und Warlords bestehen und neben den Soldaten in der Nacht Patrouillen fahren, agieren oft nicht als „Freund und Helfer“ der Bevölkerung, sondern eher als Kriminelle. Sie überfallen vorzugsweise die zurückgekehrten Flüchtlinge, weil sie bei ihnen Geld oder andere Wertgegenstände vermuten. Außerdem durchsuchen sie grundlos auf der Straße Passanten, nehmen ihnen Uhren oder Handys weg. Wer sich wehrt, muß mit dem Schlimmsten rechnen. Die logische Folge ist, daß die Sicherheitslage so schlecht ist, wie seit Ende des Taliban-Regimes nicht mehr. Attentate und Angriffe nehmen zu. Bis Juni 2006 wurden schon so viele Anschläge verübt, wie im letzten Jahr insgesamt.

Der Bevölkerung geht es dabei immer schlechter. Selbst in Kabul funktionieren weder Wasser- noch Stromversorgung. Wegen der katastrophalen sanitären Verhältnisse kommt es in den heißen Sommermonaten zu Cholera-Epidemien. Nur eine kleine Minderheit kann sich eine adäquate medizinische Versorgung leisten. Offiziell ist zwar die Behandlung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos, aber ohne Bakschisch läuft auch da nichts. Die Mietpreise in der Stadt sind unerschwinglich geworden selbst für diejenigen, die Arbeit haben. Eine weltweit einmalige Korruption macht alle Anstrengungen Einzelner zunichte.

Zu diesen schon auf dem Petersberg falsch gestellten Weichen gab es eine Alternative, die jedoch nie diskutiert wurde. Der beste und einzig gangbare Weg zur Befriedung Afghanistans wäre die Bildung einer repräsentativen Regierung in Afghanistan gewesen und eben nicht irgendwo weit weg im Ausland. Unter strengster Kontrolle nicht der „internationalen Gemeinschaft“, sondern der 118 Blockfreien Staaten, der 55 Mitglieder der Konferenz der Islamischen Staaten, der internationalen Gewerkschaften, von Friedens- und Frauenorganisationen hätten Wahlen für eine Loya Djirga durchgeführt und auf dieser repräsentativen Versammlung eine provisorische Regierung und Kommissionen zur Ausarbeitung einer Verfassung sowie von Parteien- und Wahlgesetzen gewählt werden müssen. Ich bin davon überzeugt, daß ein solches Verfahren ganz andere Ergebnisse gehabt hätte als die vom Petersberg, die wir heute erleben. Eine Regierung, vom Volk gewählt, hätte auch in Kabul kaum etwas zu befürchten. Im schlimmsten Fall hätte man den Militärschutz, wenn er denn für kurze Zeit benötigt worden wäre, von den Staaten in Anspruch nehmen können, denen das Land nahe steht, wie den Blockfreien und den islamischen Staaten. Afghanistan gehört bekanntlich zu deren Gründungsmitgliedern. Damit wäre auch den Islamisten der Wind aus den Segeln genommen, denn Afghanistan wäre dann nicht von „ungläubigen Christen“ und dem „großen Satan“ besetzt. Diese Alternative war jedoch von Anfang an unerwünscht. Selbst heute ist es noch nicht zu spät, diesen Weg einzuschlagen und die Petersberger Fehler zu korrigieren. Aber wer könnte schon diese Forderungen durchsetzen, selbst wenn es in Afghanistan am nationalen Interesse orientierte patriotische Kräfte gäbe?

Ein nachhaltiger Wiederaufbau, der der gesamten Bevölkerung zugute kommt, muß erste Priorität haben. Die Hunderte Milliarden Dollars, auf diversen internationalen Geberkonferenzen dem Land versprochen und auf einem Sonderkonto bei der Weltbank geparkt, fließen über die 2500 in Kabul stationierten und mit allen Vollmachten ausgestatteten „Non Governmental Organizations“ (NGO) in die Geberländer zurück. Sie fungieren faktisch als Ersatzregierung und zerstören die afghanische Wirtschaft noch weiter. Einheimische Unternehmen erhalten von ihnen kaum Aufträge. Als der aus Frankreich delegierte Planungsminister, Ramasan Baschardost, der die NGOs als „neue Al Qaeda“ bezeichnet hatte, sich deren Auftragsbücher anschauen wollte, wurde er von Karsai entlassen. Da die NGOs in Afghanistan in Geld schwimmen, machen sie den täglichen Lebensbedarf der Afghanen unbezahlbar. Sie rauben dem Land sogar die Fachkräfte, indem sie Lehrer, Ingenieure, Ärzte usw., die von ihrem Gehalt nicht leben können, als Fahrer, Wächter, Türsteher gar als Zuhälter engagieren.

Afghanistans ökonomische Perspektive liegt in der Abkoppelung von kolonialähnlichen wirtschaftlichen Strukturen und der Hinwendung zu einer regionalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den industriell entwickelteren Nachbarn Indien, China, Iran und Pakistan sowie in einer Süd-Süd-Kooperation. Die asiatischen Staaten arbeiten schon an einer Alternative zum von den Imperialmächten dominierten Währungsfonds.

Als NATO-Protektorat hat Afghanistan weder politische noch ökonomische Perspektiven, geschweige denn eine friedliche Zukunft. Auch die Erweiterung des Bundeswehr-Engagements nach Süd-Afghanistan und der von Scharping bis Jung immer vor der Öffentlichkeit geheimgehaltene Einsatz des Kommandos Spezialkräfte (KSK), das seit Ende 2001 in Afghanistan im Einsatz ist und von dem jeweils nur scheibchenweise die Wahrheit ans Licht kommt, werden an der Sicherheitslage nicht viel ändern. Sollte die Bundeswehr künftig offen in Kämpfe mit dem Widerstand verwickelt werden, wird mit dem Mythos der angeblichen Beliebtheit der Deutschen bei den Afghanen aufgeräumt werden. Schon die bisherigen Anschläge auf Bundeswehrsoldaten legen davon ein beredtes Zeugnis ab.

Die waffentechnologische Überlegenheit der NATO in Afghanistan führt nur zu einer zunehmenden Barbarisierung des Krieges. Auch die widerlichen Fotos von Leichenschändungen bei Kabul durch Soldaten der Bundeswehr bestätigen dies.

Die afghanische Elite unterschiedlichster Schattierung hat sich schon an die Besatzungsmächte verkauft. Die internationalen Stiftungen sind regelrecht auf Jagd nach der politisch käuflichen Intelligenzia. So hat sich das „National Democratic Institute for International Affairs“ der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright der Kabuler Parlamentarier mit linker Vergangenheit angenommen. Mit Ausnahme der Rosa-Luxemburg-Stiftung sind alle anderen deutschen Parteistiftungen in Kabul aktiv. Ein afghanisches Sprichwort besagt: „Der Baum sagt zur Axt, wäre Dein Griff nicht ein Stück von mir, hättest Du mich nicht schlagen können“. Die USA versuchen jetzt die Völker mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Wir leben jetzt „in einer Welt, in der Unterwürfigkeit als Tugend gilt oder zumindest als Beweis für Talent. In einer Welt, in der gemietet wird, wer sich nicht verkauft“, hat Eduardo Galeano festgestellt.

Die NEOCONs und ihre Strategie sind nicht nur im Irak, sondern auch in Afghanistan gescheitert. Sie stehen vor dem Scherbenhaufen ihrer verfehlten Militärdoktrin. Gerüchte über Geheimverhandlungen mit dem Widerstand über ein Ende der Gewalt in Afghanistan sind schon in Umlauf. In Kabul wird seit geraumer Zeit hinter vorgehaltener Hand über die Ablösung von Karsai gesprochen. In Afghanistan haben die alten Imperialmächte in der Vergangenheit keine Siege erringen können. Auch die neuen werden sich nicht auf Dauer am Hindukusch etablieren können.

* Dieser Beitrag erschien unter dem Titel "Zerfallendes Protektorat" am 11. November 2006 in der Tageszeitung "junge Welt" Autor und Herausgeber haben uns den Text freundlicherweise zur Verfügung gestellt.


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