Karsais Sonne geht unter
Hintergrund: Die Zeit des afghanischen Präsidenten Abdul Hamid Karsai läuft ab. Die USA benötigen für ein aggressiveres Vorgehen gegen die erstarkten Taliban und den wachsenden Protest im Land einen härteren Durchpeitscher westlicher Interessen
Von Matin Baraki *
Die USA griffen nach dem 11. September 2001 nicht die zu
»Schurkenstaaten« erklärten Länder Irak, Syrien oder Iran an, sondern
Afghanistan. Zum ersten Mal in der Geschichte des Nordatlantischen
Bündnisses, gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages, wurde der »Bündnisfall«
erklärt. Dies eröffnete anderen Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, sich
am Krieg gegen Afghanistan zu beteiligen. Afghanistan war bekanntlich
das schwächste Glied in der Kette derjenigen Länder, die im Rahmen der
als »Greater Middle East Initiative« (GMEI) bezeichneten Strategie der
US-Neokonservativen um Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz,
Richard Perle und George W. Bush »demokratisiert« werden sollten.
Dieser Krieg war schon lange vorher geplant, denn bereits im Juni 2001
hatte die Bush-Administration ihren regionalen Verbündeten Pakistan über
solche Pläne informiert, wie Pakistans ehemaliger Außenminister Niaz
Naik bestätigt hat. Ende September 2006 erklärte auch der ehemalige
US-Präsident William Clinton, schon in seiner Amtszeit (1993–2000) einen
Krieg gegen Afghanistan geplant zu haben. Dieser und auch der Krieg
gegen Irak sind Bestandteil der neokonservativen GMEI.
Nach dem Sturz der Taliban-Herrschaft im November 2001 bestand eine
reale Chance, die Staatlichkeit Afghanistans wiederherzustellen. Auf dem
Petersberg bei Bonn wurde am 5. Dezember 2001 unter formaler
Federführung der Vereinten Nationen eine Regierung für Afghanistan
gebildet. Vertreten waren Monarchisten und Führer der verschiedenen
Mudschaheddin-Gruppen. Es waren größtenteils die Kräfte versammelt, die
zwischen 1992 und 1996 tatkräftig an der Zerstörung Kabuls mitgewirkt
hatten, wobei über 50000 Zivilisten umgekommen sind. Nicht in
Afghanistan durch Afghanen, sondern weit weg auf dem Petersberg wurden
die Weichen gestellt und auf massiven Druck der über zwanzig anwesenden
US-Vertreter eine Regierung gebildet. Abdul Hamid Karsai, der seit
Beginn des afghanischen Bürgerkrieges enge Verbindungen zur CIA
unterhalten hatte, wurde zum Interimsministerpräsidenten ernannt. Da
diese Regierung weder Legitimation noch Rückhalt in Afghanistan hatte,
wurde sie formal im Auftrag der Vereinten Nationen von einer
International Security Assistance Force (ISAF), gebildet aus Soldaten
der NATO-Staaten unter US-Führung, nach Kabul begleitet.
Macht durch Drogenhandel
Gerade durch den Status als Protektorat ist die Wirtschaft Afghanistan
zerstört worden. »99 Prozent der Waren im Land würden importiert«,[1]
gab der Kabuler Wirtschaftsminister Mir Mohammad Amin Farhang schon vor
fünf Jahren zu Protokoll. Dadurch wird der einheimischen Wirtschaft
jegliche Chance zur Entwicklung genommen. Der einzige florierende
Wirtschaftszweig ist die Drogenökonomie. Afghanistan ist längst zu einem
»Drogenmafia-Staat« geworden, wie der US-Bürger und erste Finanzminister
des Protektorats Ashraf Ghani bereits 2003 feststellte. Kabir Mersban,
Senator aus der nordafghanischen Provinz Tachar und ehemaliger
Gouverneur der Provinz, beschuldigt heute öffentlich den ehemaligen
Kommandanten der Garnison für Tachar und Kundus und jetzigen
Staatssekretär für Rauschgiftbekämpfung im Kabuler Innenministerium,
General Mohammad Daud, der Beihilfe zum Drogenhandel. Mersban
berichtete, daß ein Bruder des Staatssekretärs unter seinem Schutz
Mohnanbau und Drogenhandel betreibt. »Einer der Großgrundbesitzer mit
allein 1000 Hektar Schlafmohn unter dem Pflug ist Abdul Rahman Jam. Vor
kurzem war er noch Polizeichef von Helmand«, also von der Provinz, in
der der islamische Widerstand am stärksten ist. Gouverneure,
Polizeichefs, Kommandeure usw. werden von Karsai ausgewechselt oder
versetzt, die Probleme bleiben aber weiter bestehen.
Schon vor drei Jahren wurde über die diplomatische Vertretung
Großbritanniens in Kabul bekannt, daß Ahmad Wali Karsai, ein Bruder des
Präsidenten, in Drogengeschäfte verwickelt sei. Inzwischen ist er
Vorsitzender des Rates der Provinz Kandahar und kassiert jährlich 20
Millionen US-Dollar Schutzgelder von den Heroinhändlern. Ein weiterer
Bruder Karsais, nämlich Abdul Qaium Karsai, gehört auch zu den
mächtigsten Politikern im Süden Afghanistans. Es ist ein offenes
Geheimnis, daß dort ohne die Brüder Karsai keine Entscheidung fällt.
Dementsprechend sieht auch ihr Einkommen aus: Es setzt sich aus Drogen-,
Schutz- und Erpressungsgeldern zusammen. Die US-Administration macht den
Präsidenten persönlich für die ins Stocken geratene Zerstörung
afghanischer Mohnplantagen verantwortlich. Kein Wunder, denn die
Drogenbauern werden vorab von den Einsätzen informiert – auch von ganz
weit oben. Und ganz weit oben sitzt bekanntlich Präsident Karsai. »Jeder
Bewohner von Kabul kann Ihnen zeigen, wo Drogenbarone leben – sie haben
die größten und schönsten Häuser der Stadt«, schreibt Richard
Holbrooke.[2] Erst seit der Besetzung des Landes im Jahre 2001 wird in
allen 32 Provinzen Afghanistans Mohn angebaut, zuvor nur in den an
Pakistan angrenzenden Regionen. Nach Angaben der Vereinten Nationen ist
die Mohnanbaufläche »zwischen 2006 und 2007 von 165000 auf 193000 Hektar
gestiegen. Der Ertrag ist ebenfalls gewachsen – von 6100 auf 8200
Tonnen«, ein wahrlich trauriger Rekord. Somit stammen 93 Prozent des auf
dem Weltmarkt gehandelten Heroins aus Afghanistan, und die Erlöse tragen
zu mehr als der Hälfte zum Bruttoinlandprodukt des Landes bei.
Mittlerweile ist bekannt, daß die internationale Gemeinschaft duldet,
daß sich Ölunternehmen mit dem Ziel in Afghanistan niederließen, die
Heroinproduktion durch moderne Labors zu steigern. Drogen und Korruption
haben wie ein Krebsgeschwür den Körper des Staatsapparats soweit erfaßt,
daß sie zu dem wichtigsten Hindernis beim »Nation building« geworden sind.
Aber auch Taliban und Al-Qaida finanzieren sich durch den Drogenhandel,
da sie etwa 35 Prozent des Landes im Süden und Osten kontrollieren, wo
im großen Stil Mohnanbau betrieben wird.
Armut macht Taliban stark
Die Drogenbarone nutzen den »Wirtschaftsboom« zur Geldwäsche. Sie
investieren nur im Luxussegment, wie Hotels, Häuser und Lebensmittel für
den Bedarf zahlungskräftiger Ausländer. Ein Wiederaufbau für breite
Schichten der Bevölkerung findet kaum statt. Die Arbeitslosigkeit
beträgt zirka 70 Prozent, mancherorts, vor allem in Osten und Süden
sogar 90. Dort sympathisieren bis zu 80 Prozent der Bevölkerung mit den
Taliban. Den Afghanen wurden vor fünf Jahren blühende Landschaften
versprochen. Dorfbewohner im Süden des Landes kommentierten verbittert:
»Wir haben gesehen, daß ihr eine Menge Lügen erzählt und falsche
Versprechungen macht.« Viele Afghanen sind sogar zur Überzeugung
gekommen und sprechen offen aus, »die Russen seien besser gewesen als
der Westen«.[3] Schon im September 2006 konstatierte der Think-tank
International Council on Security and Development (ICOS –
Internationales Gremium für Sicherheit und Entwicklung, früher bekannt
als The Senlis Council – d.Red.): »Die Taliban haben die Kontrolle über
die südliche Hälfte Afghanistans wiedererlangt.«[4]
Das von der UNO in Millionenhöhe unterstützte Rückkehrprogramm für
afghanische Flüchtlinge muß deswegen scheitern, weil sie weder Arbeit
noch Unterkunft finden. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Immigranten in
Afghanistan zu reintegrieren. Zum einen sollten die Aufnahmeländer ihnen
ihre Sozialhilfe für zirka ein Jahr weiterzahlen, bis sie sich in
Afghanistan eine Existenzgrundlage geschaffen haben. Zum anderen sollte
die internationale Gemeinschaft, diesen Personenkreis bevorzugt in ihren
Projekten beschäftigen. Ein weiteres Problem stellt die fehlende
Sicherheit dar. Viele Rückkehrer werden überfallen, sogar von
Polizisten, weil man bei ihnen Geld vermutet.
Die im Rahmen der Demobilisierung freigesetzten 50000 Kämpfer der
Warlords mehren nicht nur zusätzlich das Heer der Arbeitslosen, sondern
sind zu einem Faktor von Destabilität, Kriminalität und Unruhe geworden.
Da sie keine bezahlte Beschäftigung finden können, gehen sie entweder zu
ihrem Warlord zurück oder schließen sich den Taliban bzw. der Al-Qaida,
den Drogenhändlern oder den kriminellen Banden an. Die Sicherheitslage
ist so schlecht wie seit dem Sturz des Taliban-Regimes im November 2001
nicht mehr. Schon Ende Mai 2006 konnten die Taliban sogar gut
ausgerüstete Polizeieinheiten in die Flucht schlagen. Sie sind im Süden
fest verschanzt, sie betreiben Parallelregierungen in mehreren
Distrikten und kontrollieren die Mehrzahl der kleineren Straßen. Durch
die spektakuläre Befreiung von fast 1000 Gefangenen aus einem Gefängnis
in der US-Garnisonsstadt Kandahar am 15. Juni 2008 waren sowohl die
afghanische als auch die US-Führung blamiert. So eine Aktion ist ohne
eine enge Zusammenarbeit der Widerstandsbewegung mit dem
Sicherheitspersonal der Haftanstalt kaum möglich. Sowohl im Süden als
auch im Osten hat sich der Widerstand so formiert, daß für seine
Bekämpfung mittlerweile die NATO das ganze Spektrum militärischer
Einsätze durchführt.
Afghanistan wird irakisiert
Afghanistan ist auf dem Wege, sich zu irakisieren. Selbstmordattentate
und Angriffe nehmen zu. Im Jahre 2006 sprengten sich 160 Attentäter in
die Luft. Aus einem Bericht des US-Außenministeriums geht hervor, daß
2005 etwa 15000 und 2006 knapp 20500 Menschen getötet wurden. Im Jahre
2006 wurden 749 Anschläge registriert, das ist eine Steigerung um 50
Prozent im Vergleich zu 2005. Für 2007 registrierten die NATO-Truppen
6000 kriegerische Zwischenfälle, das bedeutet Gewalt fast im
Stundentakt. Entlang der Straßen Afghanistans explodierten im selben
Jahr insgesamt 1469 Bomben, das ist fünfmal mehr als 2004. Nach Angaben
der Nachrichtenagentur AP wurden in den ersten neun Monaten des Jahres
2007 insgesamt 5086 Menschen getötet. Allein »in den vergangenen drei
Monaten soll die ISAF versehentlich mehr Zivilisten als gezielt Taliban
getötet haben«, stellte der Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung am 14. Juli 2007 fest.
Nach der Petersberger Konferenz 2001 wurde der Bundesrepublik
Deutschland die Zuständigkeit für die Aus- und Weiterbildung der
afghanischen Polizei übertragen. Die Konzeption der deutschen Seite ist
darauf gerichtet, afghanische Polizeikader auszubilden, die dann als
Multiplikatoren für die Aus- und Fortbildung der afghanischen
Polizeikräfte einzusetzen sind. Diese Konzeption paßt den Vereinigten
Staaten nicht. Denn die US-Armee will die »Irakisierung« der
afghanischen Polizei beschleunigen. Diese wird seit einiger Zeit auch im
Süden und Osten des Landes zur Entlastung der US-Einheiten im Kampf
gegen Aufständische eingesetzt. Nach Angaben des Innenministeriums in
Kabul wurden allein von Januar bis Juli 2007 mehr als 450 Polizisten
getötet. Von einer frisch ausgebildeten Einheit traten kürzlich nur 135
von 160 Männern überhaupt ihren Dienst in der Provinz Kandahar an. Nach
wenigen Wochen waren es nur noch 70. Für die Realisierung ihrer
Konzeption sind die USA selbst in das Polizeiausbildungsprogramm
eingestiegen. Im amerikanisch geführten Zentralen Trainingszentrum in
Kabul ist der Einfluß des Verteidigungsministeriums der Vereinigten
Staaten offensichtlich. Im Gegensatz zu offiziellen US-Angaben erhalten
dort die Afghanen keine Polizei-, sondern eine paramilitärische
Ausbildung. Damit hat das Pentagon die amerikanische private
Sicherheitsfirma »Dyncorp« beauftragt. Ein Firmenmitarbeiter, ein
ehemaliger Polizist, kritisiert, daß hier keine Polizisten, sondern
Sicherheitskräfte ausgebildet werden.
Um den Vorwurf der »Irakisierung« zu entkräften, haben die USA
inzwischen auch die EU in die Polizeiausbildung mit einbezogen. Nach
außen wird bei der Europol auf die Beibehaltung der deutschen Konzeption
hingewiesen, intern jedoch wird offen gesagt: »Wir brauchen auch eine
paramilitärische Ausbildung.«[5] In der EU sieht man jedoch die durch
die USA betriebene Vermischung von Polizei- und Militäraufgaben
kritischer. Statt mehr afghanische Soldaten in den Süden und Osten zu
entsenden, haben die Nordamerikaner eine Erhöhung der Polizeikräfte um
20000 Mann durchgesetzt. Es müssen möglichst schnell möglichst viele
Polizisten ausgebildet werden. Das hat damit zu tun, daß die USA bislang
erst 30000 statt der geplanten 70000 Soldaten ausgebildet haben.
Einsatzbereit sind jedoch tatsächlich lediglich 16000 Mann. Polizisten
werden in Schnellkursen am laufenden Band und billig ausgebildet und als
»Kanonenfutter« eingesetzt. Bereits bei fünf US-geführten
Militäroperationen (»Riverdance«, »Mountain Lion«, »Mountain Fury«,
»Medusa« und »Mountain Eagle«) wurden Polizisten eingesetzt. Nach
Angaben von Polizeiausbildern starben dabei über 20mal mehr Polizisten
als Soldaten.
Harald Ziaja, ein Berater für die Polizeiakademie, bemerkt: »Wir
versuchen, den Polizisten zu vermitteln, daß sie ihre Brüder schützen
müssen. Die amerikanischen Sicherheitsfirmen kommen dagegen, um
Schießübungen zu machen. Für sie sind die Afghanen keine Brüder, sondern
Feinde.«[6] Die USA wollen das Ausbildungsprogramm nach ihren
strategischen Erfordernissen formen, was für die innere Sicherheit
Afghanistans unabsehbare negative Folgen haben wird.
Beobachter vor Ort gehen davon aus, daß seit dem Beginn des US-geführten
Krieges im Oktober 2001 etwa 50000 Menschen in Afghanistan ihr Leben
verloren haben. Dies hat u.a. mit der Art und Weise der US-Kriegführung
zu tun. Die Leiterin des Kabuler Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung,
Ursula Koch-Laugwitz, stellt fest, daß die »Flächenbombardements in der
Regel von der OEF (Operation Enduring Freedom – d.Red.) durchgeführt«
werden, »doch hat es auch bei ISAF-Einsätzen zivile Opfer gegeben«.[7]
Fast regelmäßige Angriffe der US-Einheiten auf Hochzeits- und
Trauerfeierlichkeiten haben meistens auf einen Schlag Hunderte
Todesopfer zur Folge. Während meines Aufenthaltes in Afghanistan
(Februar–März 2009) mußte ich feststellen, daß es keinen Tag ohne zivile
Opfer gegeben hat. Die Tendenz ist steigend. Damit ist klar, daß die
Afghanistan-Mission des Westens komplett gescheitert ist. Der Think-tank
ICOS sieht in einer Anfang 2008 veröffentlichten Studie »das Land und
die Regierung Karzai am Abgrund«.[8]
Konkurrenten formieren sich
Je mehr die Zahl der zivilen Opfer steigt, desto stärker gerät Präsident
Karsai unter Druck. Er sah sich veranlaßt, offen die NATO-Kriegführung
zu kritisieren und weinte bei einer Pressekonferenz in Kabul vor
laufenden Kameras: »Unser unschuldiges Volk wird zum Opfer der sorglosen
Operationen der NATO und der internationalen Militärs.« Karsais
Unfähigkeit ist inzwischen so offensichtlich, daß hinter verschlossenen
Türen über seine Ablösung nachgedacht wird. Durch die Einsetzung eines
neuen »Super-Beauftragten der UN«, des norwegischen Diplomaten Kai Eide,
der Karsai »auf Augenhöhe« an die Seite gestellt ist, wurde dessen
Unfähigkeit und die Machtlosigkeit Karsais abermals unterstrichen. Diese
Art Demontage des Präsidenten begünstigt die Bedingungen für seine
Opponenten, die sich schon verbünden. In Kabul hat sich eine »Nationale
Front« aus Islamisten, wie dem ehemaligen Präsidenten Burhanuddin
Rabbani, dem amtierenden ersten Stellvertreter des Präsidenten Ahmad Zia
Masud, den ehemaligen Generälen Sayed Ahmad Gulabzoi und Nurul Haq Ulumi
aus der Demokratischen Volkspartei sowie dem Monarchisten Prinz Mustafa
Zahir als Gegenpol zu Karsai gebildet.
Als Nachfolger sind unter anderem der ehemalige afghanische
Innenminister und US-Bürger Ali Ahmad Jalali, der ehemalige
Finanzminister mit US-Paß Ashraf Ghani und Zalmay Khalilzad, der letzte
UN-Botschafter der Bush-Administration, im Gespräch. Für Khalilzad hat
sich inzwischen eine sogenannte Unterstützergruppe in Kabul gebildet. In
der ostafghanischen Provinz Laghman, wo er geboren wurde, plädieren die
Menschen für Khalilzads Kandidatur. Er hat seine Ambitionen, in Kabul
als künftiger »Vizekönig« zu fungieren, selbst ins Gespräch gebracht. Er
war am 11./12. März 2009 in Kabul, um die Lage vor Ort zu eruieren.
Angesichts des Abgangs der Neocons in den USA werden Khalilzad zwar
wenig Chancen eingeräumt, aber Obama kennt ja nur US-Interessen, so daß
für den ehemaligen Bush-Mann der Zug noch nicht abgefahren ist.
Nach Artikel 61 der afghanischen Verfassung endet die Amtszeit von
Karsai am 22. Mai 2009; die Präsidentschaftswahlen müßten 30 bis 60 Tage
davor abgehalten werden. Die sogenannte unabhängige Wahlkommission hat
im Widerspruch zur Verfassung auf Anweisung der US-Administration den
Termin auf den 20. August 2009 hinausgeschoben – nichts Ungewöhnliches
für ein Protektorat! Damit wollten die USA verhindern, daß Karsai als
amtierender Präsident in den Wahlkampf startet und sich daraus Vorteile
verschafft.
Die Sonne Karsais geht langsam unter. Anfang März 2009 gab er seine
Kandidatur bekannt, aber fast niemand glaubt an seinen Sieg, weil er in
Afghanistan so unbeliebt ist wie nie. Er hat völlig abgewirtschaftet.
Die Drogengeschäfte seines Bruders Ahmad Wali Karsai haben ihm schwer
geschadet. Außerdem war Karsai eine Figur der Neocons auf dem
afghanischen Schachbrett. Nicht nur bei der Obama-Administration ist er
in Ungnade gefallen. Als Bundeskanzlerin Angelika Merkel am 6. April
2009 Afghanistan besuchte, hieß es lapidar: »Ein Treffen mit dem
afghanischen Päsidenten Karsai ist nicht vorgesehen.«[9] Das ist eine
diplomatische Ohrfeige und eine öffentliche Demütigung, die Karsai zum
ersten Mal deutscherseits erfahren mußte.
Nach seiner Amtszeit wird er kaum in Afghanistan bleiben können, man
würde Hackfleisch aus ihm machen. Er wird entweder nach Dubai, wohin er
seine Gelder transferiert hat, oder in die USA gehen, wo ihm eine
afghanische Restaurantkette, ein »afghanisches McDonald« gehört. Damit
sind die Afghanen ihren Schah Schuja, wie er verächtlich nach dem
britischen Statthalter Kabuls im 19. Jahrhundert genannt wird, endlich los.
Fußnoten-
Handelsblatt vom 31.3.2004
- Süddeutsche Zeitung vom 16./17.2.2008; dort auch die beiden folgenden
Zitate
- Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.6.2008
- Frankfurter Rundschau vom 14.9.2006
- Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.8.2007
- Ebd.
- Tageszeitung vom 29.6.2007
- Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8.2.2008
- WDR 5, Morgenecho vom 6.4.2009
* Dr. Matin Baraki lehrt internationale Politik an den
Universitäten Marburg, Kassel und Gießen. Seine letzte, mehrwöchige
Reise in sein Heimatland liegt nur wenige Tage zurück
Aus: junge Welt, 5. Mai 2009
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