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Guantánamo zwei

Im ostafghanischen US-Haftlager Bagram werden seit Jahren etwa 650 Gefangene isoliert

Von William Fisher (IPS), New York *

Nach einem vertraulichen Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) werden im berüchtigten US-amerikanischen Haftlager auf der Militärbasis Bagram in Osten Afghanistan noch immer Häftlinge mißhandelt. Ihr Schicksal ist hinter den Guantánamo-Schlagzeilen weitgehend in Vergessenheit geraten. Laut IKRK sitzen in Bagram etwa 650 Gefangene ein und somit fast dreimal so viele wie in Guantánamo. Das Lager ist hoffnungslos überfüllt. Seine Insassen sind unzumutbaren Haftbedingungen ausgesetzt. Zudem sind totale Isolation, Verstöße gegen die Genfer Konventionen und Mißhandlungen wie in Guantánamo an der Tagesordnung. Einige der Bagram-Gefangene sitzen seit fünf Jahren ein, ohne daß ihnen der Haftgrund mitgeteilt worden wäre.

»Bagram ist nicht weniger schlimm als Guantánamo, vielleicht sogar noch schlimmer«, sagt Hina Shamsi von der Bürgerrechtsorganisation »American Civil Liberties Union« (ACLU). Die vom IKRK aufgezählten Verstöße belegten, daß der US-Regierung von George W. Bush ein illegaler Haftkomplex auf Guantánamo nicht reiche. Das Haftlager Bagram nahe Charikar in Parvan gilt seit 2005 als zweites Guantánamo. Damals kam die New York Times in den Besitz eines 2000 Seiten starken Berichts der US-amerikanischen Armee zum Tod zweier afghanischer Bagram-Insassen im Jahre 2002.

Zunächst hatte das US-Militär alle Vorwürfe abgewiesen und behauptet, die beiden Gefangenen seien eines natürlichen Todes gestorben. Nachdem sich aber die Zeitung eingeschaltet hatte, stellte sich heraus, daß die Gefangenen an den Folgen ihrer Folter gestorben waren. Man hatte sie in Ketten von der Decke hängen lassen und geschlagen. Die Autopsien ergaben Verletzungen, wie sie Menschen erleiden, wenn sie von einem Autobus überrollt werden. Im Endeffekt kamen Untersuchungen der Armee zu dem Schluß, daß 28 US-Soldaten und Reservisten zumindest wegen fahrlässiger Tötung zu belangen seien.

Noch 2005 versuchten die USA, das Haftlager Bagram der afghanischen Regierung zu übergeben. Der Plan scheiterte an einer ganzen Reihe von Problemen, darunter an Auseinandersetzungen zwischen den afghanischen Ministerien und der Regierung in Kabul. Unterdessen haben die USA über 30 Millionen US-Dollar in ein neues Gefängnis in der Nähe der afghanischen Hauptstadt Kabul investiert, das angeblich internationalem Standard entspricht. Noch könnten dort aber nicht mehr als die Hälfte der ursprünglich geplanten Häftlinge untergebracht werden.

Jüngst konnten einige Dutzend Familien mit ihren inhaftierten Angehörigen erstmals seit Jahren sprechen: per Videokonferenz vom Kabuler IKRK-Büro aus nach Bagram. Und die US-Bürgerrechtlerin Hina Shamsi geht zwar davon aus, daß sich die Haftbedingungen verbessert haben, warnt aber davor, daß sich Greueltaten jederzeit wiederholen könnten. Auch hält sie es für durchaus möglich, daß die USA in Afghanistan einige geheime Haftlager unterhalten, die nicht der Kontrolle des Pentagon, sondern dem Geheimdienst CIA unterstehen. So wisse man von CIA-Gefangenen, die dem IKRK vorenthalten würden und an einem Ort mit dem Codenamen »Salt Pit« in der Nähe von Kabul untergebracht seien. Zudem habe die US-Regierung das im September 2006 bekannt gewordene geheime Haftprogramm der CIA bis heute nicht gekippt.

Die Situation der Häftlinge in Bagram ist wegen der fortwährenden Skandalmeldungen um Guantánamo kaum publik geworden. Erst kürzlich hat ein US-amerikanisches Gericht vier ehemaligen Guantánamo-Insassen mit britischer Staatsbürgerschaft das Recht abgesprochen, Klage gegen führende Mitarbeiter des Pentagon und des US-Militärs zu erheben. Die vier Kläger, die bis 2004 für über zwei Jahre auf dem US-Stützpunkt auf Kuba in Haft saßen, wollen gerichtlich gegen den früheren US-amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und zehn hohe Militärs vorgehen. Zudem fordern sie eine Entschädigung in Höhe von zehn Millionen Dollar.

Die ehemaligen Häftlinge wurden in unterschiedlicher Weise gefoltert. Darüber hinaus mußten sie Übergriffe bei der Ausübung ihrer Religion hinnehmen. Ihre Anwälte wollen den Fall jetzt vor den Obersten Gerichtshof der USA bringen.

* Aus: junge Welt, 22. Januar 2008


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