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Friedensratschlag zu Afghanistan / Malalai Joya in Kassel

NEIN zu 45 Jahren Krieg in Afghanistan. Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag


Aus der militärischen Sackgasse gibt es nur ein politisches Entrinnen:
Sofortiger und bedingungsloser Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan
Bürgerrechtlerin Malalai Joya spricht bei Friedenskongress in Kassel


Berlin/Kassel, 22. November 2011 - Anlässlich der Absichtserklärung der afghanischen und der US-Regierung, in Afghanistan dauerhaft US-Truppen stationieren zu wollen, erklären Dr. Peter Strutynski und Lühr Henken vom Bundesausschuss Friedensratschlag in einer Stellungnahme:

Die seit Februar mit Zähigkeit geführten Verhandlungen zwischen den Regierungen der USA und Afghanistans über die fortgesetzte Präsenz US-amerikanischer Truppen in Afghanistan über den Tag der Sicherheitsübergabe von der NATO an die afghanischen Sicherheitskräfte Ende 2014 hinaus, machen deutlich, wie wichtig der US-Regierung die Präsenz am Hindukusch ist. Ihr Bestreben, zumindest bis 2024 – also zehn weitere Jahre – dort mit bis zu 25.000 Soldaten bleiben zu wollen, entlarvt das Gerede über eine „Abzugsperspektive“ als dreistes Täuschungsmanöver, das die kriegsmüde Bevölkerung in die Irre führen soll. Die Planungen zielen darauf ab, nach 2014 mit einer veränderten Taktik den Krieg fortzusetzen. Die US-Strategen möchten weg kommen von der umfassenden Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency), die auch den zivilen Wiederaufbau als Instrument der Kriegsführung einbezieht. Dieses gescheiterte Konzept soll abgelöst werden durch einen „Anti-Terrorkrieg“ (Counterterrorism), der vor allem mit Spezialkommandos aus gesicherten Bastionen heraus gegen Hochwertziele der Aufständischen geführt werden soll. Dies soll, unterstützt von substanziell ausgebildeten afghanischen Sicherheitskräften, den Machterhalt einer US-hörigen afghanischen Regierung sichern.

Als Gegenleistung zur gewährten Aufenthaltsverlängerung der US-Streitkräfte hatte die „Große Ratsversammlung“ (Loya Jirga) zwei Forderungen an die USA gestellt und diese auch verbal zugesichert bekommen: US-Soldaten sollen in Afghanistan keine Immunität mehr genießen und sie sollen künftig auf nächtliche Razzien verzichten. Bei solchen nächtlichen Überfällen kommt es häufig zu unkontrollierten Gewaltakten gegen die afghanische Zivilbevölkerung. Doch beide Forderungen werden angesichts der realen Machtverhältnisse dem Druck der USA nicht standhalten: Karzai weiß am allerbesten, dass seine Präsidentschaft und das Überleben seiner Regierung von der Präsenz der USA und der NATO abhängen.

Die absehbaren Folgen einer fortgesetzten US- (und NATO-)Präsenz in Afghanistan sind dramatisch:
  • Der Krieg in Afghanistan würde mindestens noch 13 Jahre weitergeführt werden. Die afghanischen Menschen wären seit 1979 dann insgesamt 45 Jahren Dauerkrieg ausgesetzt. Das entspricht der durchschnittlichen Lebenserwartung eines Afghanen.
  • Der Krieg in Afghanistan wird zu einer Fortsetzung und Ausweitung des Krieges in Pakistan führen, weil zum einen der westliche Nachschub über pakistanisches Gebiet verläuft, und zum anderen die USA den Druck auf die pakistanische Regierung erhöhen werden, ihrerseits die afghanischen Aufstandszentralen, Ausbildungslager und Koranschulen in Pakistan anzugreifen. Die Atommacht Pakistan droht durch den Afghanistankrieg weiter destabilisiert zu werden. Schon heute fordert der „unerklärte“ Krieg in Pakistan, den die USA zunehmend mit unbemannten Kampfdrohnen führen, einen größeren Blutzoll als der in Afghanistan.
Mit der Absicht, die Obergrenze des Bundeswehrkontingents bis Anfang 2013 von 5.350 auf 4.400 abzusenken, segelt die Bundesregierung ganz im Fahrwasser der US-Taktik. Auch sie bedeutet keinesfalls ein Ende, sondern die Fortsetzung des Krieges, zumal beabsichtigt ist, im zweiten Halbjahr 2012 die Kampfkraft der Truppe mittels vier fabrikneuer TIGER-Kampfhubschrauber „qualitativ“ zu verstärken. Und auch nach 2014 denkt niemand in der politische Klasse an den Rückzug. Außenminister Westerwelle versprach am Samstag in Kabul: "Wir werden unsere Freunde in Afghanistan in den Jahren nach 2014 nicht vergessen." Deutschland bleibe „engagiert“.

Die USA und das westliche Militärbündnis haben sich in Afghanistan in eine militärische Sackgasse hineinmanövriert, aus der es nur ein politisches Entrinnen gibt, und das heißt: Sofortiger und bedingungsloser Komplettabzug der Interventionstruppen aus Afghanistan. Nur so besteht die Chance auf Frieden in Afghanistan. Wir fragen, wann wird endlich auf den Bürgerwillen gehört? Die jüngste repräsentative Umfrage von infratest-dimap für die ARD Anfang September ergab, dass 66 Prozent der Bürgerinnen und Bürger die Frage: „Sollten die deutschen Soldaten sofort aus Afghanistan abgezogen werden?“ mit Ja beantworteten.

Auch in Afghanistan wird der Krieg der NATO immer kritischer gesehen. Die Kreise, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Kriegszustandes haben, sind die Kriegsgewinnler: Warlords, Drogenbarone, Stammesfürsten, Schmuggler und korrupte Politiker. Afghanische Bürger- und Menschenrechtler/innen fordern daher schon lange ein Ende des Krieges. Malalai Joya, eine der bekanntesten Vertreterinnen des zivilen afghanischen Widerstands, kommt am Wochenende nach Deutschland. Sie ist Gastrednerin beim „Friedenspolitischen Ratschlag“, der am Samstag und Sonntag (26./27. November) an der Universität in Kassel stattfindet.
Hier geht es zur Einladung:
www.ag-friedensforschung.de
Der Titel ihres Vortrags am Sonntagmorgen (9 Uhr) ist Programm: „Den „immerwährenden“ Krieg in Afghanistan beenden – Den Menschen eine Stimme geben“. [Interviewanfragen bitte an die AG Friedensforschung: strutype@uni-kassel.de]

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Kassel)
Lühr Henken (Berlin)



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