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Kriegsgeflüster

Von Frank Brendle *

Der Einsatz der AWACS-Überwachungsflugzeuge über Afghanistan und die deutsche Beteiligung daran werden immer wahrscheinlicher. Die Bundesregierung bestätigte am Dienstag (29. Juli) einen Bericht der Stuttgarter Zeitung, demzufolge die Obleute der Bundestagsfraktionen im Verteidigungs- und Außenausschuß am Montag über die Anforderung des NATO-Oberbefehlshabers unterrichtet worden sind.

Weiter hieß es, die mögliche Anforderung der Flugzeuge mit High-Tech-Radar sei zunächst auf ein Jahr begrenzt – die übliche Mandatsdauer für Hindukusch-Einsätze. Als Stationierungsort wurde gestern auch die Golfregion ins Spiel gebracht, die Flugzeuge können schließlich neun Stunden in der Luft bleiben. Der zu überwachende Luftraum würde ganz Afghanistan umfassen, so daß ihr Einsatz auf jeden Fall vom Bundestag beschlossen werden müßte. Die Besatzungen bestehen zu 40 Prozent aus Offizieren der Bundeswehr.

Die Notwendigkeit für den Ausbau der deutschen Kriegsbeteiligung ergebe sich aus dem zunehmenden Flugverkehr, so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Durch die verstärkte Truppenpräsenz der Besatzungsmächte sind immer mehr Bomber und Transportflugzeuge sowie unbemannte Drohnen unterwegs. Die Militärs wollen sämtliche Flugzeuge jederzeit identifizieren, kontaktieren und ihre Flugbewegungen koordinieren können. Mit der rudimentären afghanischen Flugsicherung sei die »Sicherheit des Luftraums« nicht mehr gewährleistet, so der Regierungssprecher.

Beschwichtigend hieß es, die Flugzeuge seien nicht in der Lage, Ziele am Boden aufzuklären. Dagegen weist die Bundeswehr-Homepage darauf hin, das AWACS-Radar »kann bei einer Flughöhe von 9500 Meter über 312000 Quadratkilometer der Erdoberfläche erfassen, wobei sich der Überwachungsbereich von der Erde bis zur Stratosphäre erstreckt«.

Die Regierung versucht eine Debatte über den Einsatz zu vermeiden. Am Dienstag (29. Juli) beriet erstmals der ­NATO-Militärausschuß über das Thema. Dieser müsse die »operativen Einzelaspekte« klären. »Erst danach wird man sich auf politischer Ebene damit befassen«, so ein Regierungssprecher. Die Opposition kritisierte diese Hinhaltetaktik. Die außen- und verteidigungspolitischen Sprecher der Linksfraktion, Wolfgang Gehrcke und Paul Schäfer, warfen der Bundesregierung eine »Politik der Desinformation« vor. Die Bundesregierung solle endlich eingestehen, »daß es im Oktober 2008 nicht nur um eine Verlängerung des Bundeswehrmandats für Afghanistan geht, sondern daß die Verstrickung Deutschlands in den schmutzigen Krieg am Hindukusch quantitativ und qualitativ ausgeweitet werden soll«.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel konstatierte, die Regierung habe mit dem Thema bewußt bis zur Sommerpause gewartet. »Das ist keine Informationspolitik, die einer Parlamentsarmee zusteht«. Grünen-Verteidigungsexperte Alexander Bonde bezeugte »große Skepsis«, weil die AWACS-Maschinen eine »Feuerleitfunktion« einnehmen könnten und von einem Kampfeinsatz »schwer trennbar« seien. SPD-Außenpolitiker Gert Weisskirchen gab sich bedeckt und beschränkte sich auf die Frage, ob der Einsatz »zwingend« sei.

Welche zusätzlichen Kosten der AWACS-Einsatz mit sich bringen wird, ist nicht bekannt. Bislang kostete der deutsche Militäreinsatz am Hindukusch 2,6 Milliarden Euro, teilte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Ulrike Merten, gestern mit. Allein in diesem Jahr sind 487 Millionen veranschlagt.

* Aus: junge Welt, 30. Juli 2008


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