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Anschlagsgefahr durch "Innentäter" - Die Risiken bei der Ausbildung der afghanischen Streitkräfte

Ein Beitrag von Joachim Samse in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"


Andreas Flocken (Moderator):
In Afghanistan sind die Weichen inzwischen auf Abzug der internationalen Truppen gestellt. Kampfeinsätze soll es schon demnächst nicht mehr geben. Dafür will man sich auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte konzentrieren. Doch auch die kann gefährlich sein. Denn die Zahl der Anschläge auf NATO-Soldaten durch Polizisten oder afghanische Armeeangehörige ist stark angestiegen. Wie die die Bundeswehr damit umgeht – dazu Joachim Samse:



Manuskript Joachim Samse

Chahar Darrah, im Norden Afghanistans. Nicht weit vom Feldlager Kundus hat die Bundeswehr einen Außenposten errichtet. Von hier aus operieren täglich etwa 150 Soldaten. Die meisten kommen aus dem in Mecklenburg-Vorpommern stationierten Panzergrenadierbataillon 411. Hier am Hindukusch sind sie Teil des Ausbildungs- und Schutzbataillons oder der sogenannten Task Force Kundus. Fast jeden Tag arbeiten die Bundeswehr-Soldaten mit den afghanischen Sicherheitskräften zusammen. Überwiegend mit der Polizei. Ihre Aufgabe: Partnering. Es bedeutet aber nicht, mit den Afghanen zusammen zu kämpfen, zu essen und in einem gemeinsamen Lager zu übernachten. Partnering bedeutet eher – die Sicherheitsaufgaben werden geteilt. Oberstleutnant Heiko Bohnsack, der Kommandeur der Task Force Kundus:

O-Ton Bohnsack
„Das ist zu unterscheiden nach der Armee und nach der Polizei – mit der Armee haben wir den Distrikt Chahar Darrah aufgeteilt in einen südlichen und einen nördlichen Teil. Den südlichen Teil hält die afghanische Armee und den nördlichen Teil bearbeiten wir. Mit der Polizei arbeiten wir eng gemeinsam zusammen, jeden Tag auf Patrouille, die begleiten uns ständig und die haben die Orts- und Personenkenntnis, die wir brauchen, um dort sicher aufzutreten.“

Die deutschen Soldaten versuchen, vertrauensvoll und mit Respekt den Partnern gegenüber zu treten, sagt ein junger Oberleutnant aus Mecklenburg-Vorpommern. Er ist als Zugführer häufig draußen mit den Afghanen auf Patrouille:

O-Ton Oberleutnant
„Bisher war die Zusammenarbeit überwiegend positiv. Natürlich hat man den einen oder anderen dabei, der in Deutschland nicht bei der Polizei arbeiten würde. Und mit einer Dienstauffassung, die jetzt nicht unbedingt mit der europäischen Mentalität vereinbar ist. Aber – die Jungs machen genauso ihren Job. Gerade wenn man mehrmals mit den gleichen zusammengearbeitet hat, dann kommen schon Gruppenführer auf mich zu und sagen, ja ich nehme wieder die beiden da hinten, die kenne ich schon. Dann entwickeln sich auch gemeinsame Standards, dass auch eine Verständigung ohne Sprachmittler teilweise möglich ist; einfach durch Handzeichen. Weil man jetzt schon öfter miteinander gearbeitet hat, wissen die dann auch, was man von denen will.“

Die Zusammenarbeit habe sich teilweise so gut entwickelt, dass nach einem Einsatz auch schon mal zusammen ein Tee in den sogenannten COPS getrunken werde, erzählt der Zugführer. Die Abkürzung COPS steht für combat outpost, also Außenposten. Aber das Vertrauen sei nicht grenzenlos, ein gewisses Misstrauen gebe es immer. Nicht zuletzt, weil bereits Bundeswehr-Soldaten von afghanischen Sicherheitskräften getötet worden sind:

O-Ton Oberleutnant
„Wir blenden es in dem Sinne nicht völlig aus, dass wir halt so ein bisschen dafür sorgen, dass die Jungs immer unter Kontrolle sind, dass sie nicht unbedingt in unserer Formation laufen, sondern davor, dahinter, daneben. Wenn wir auch in die COPS reingehen, dass wir immer einen Nahsicherer dabei haben, der die ganze Situation im Blick hat.“

Eine Tatsache mache das Partnering noch etwas komplizierter, sagt der Zugführer der Panzergrenadiere: denn im Rahmen des Partnering gibt es neben Polizisten und Soldaten noch eine dritte Gruppe, mit denen die ISAF-Truppen zusammenarbeiten. Es sind die sogenannten CIP–Kräfte:

O-Ton Oberleutnant
„CIP – das ist das Critical Infrastructural Program. CIP-Kräfte sind vielleicht auch ehemalige Taliban, die dann in staatliche Organisationen, teilstaatliche Organisationen – das ist ein amerikanisch finanziertes Programm – übernommen werden, um dann für bestimmte Bereiche Sicherheitsverantwortung zu übernehmen“

CIP-Kräfte unterscheiden sich schon rein äußerlich von den afghanischen Polizisten: während diese immer gleich durch ihre hellblaue Uniform zu erkennen sind, tragen die CIP-Kräfte Zivilkleidung – nur eine gelbe quadratische Stoffmarkierung zeigt, dass sie eigentlich zu den Sicherheitskräften gehören. Doch durch Gespräche wissen die Deutschen, dass diese Afghanen keinen Hehl daraus machen, dass sie nur wegen der Bezahlung momentan auf der Seite der ISAF-Schutztruppe kämpfen – bleibt das Geld aus, könnten sie auf die andere Seite wechseln. Das Misstrauen ihnen gegenüber sei daher besonders groß, sagen die deutschen Soldaten. Doch letztendlich gebe es keine Alternative zur Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitskräften, sagt der Kommandeur der Task Force Kundus, Oberstleutnant Bohnsack:

O-Ton Bohnsack
„Wir sind davon überzeugt, es gibt zum Partnering keine Alternative. Da muss man gewisse Maßnahmen ergreifen. Beim Partnering darf man nicht blauäugig sein, man muss wachsam bleiben. Unser Rezept, um beim Partnering vernünftig da zustehen, ist, dass wir unsere Partner eben mit Freundlichkeit, großem Respekt und Rücksicht behandeln und denen zeigen, dass wir nicht hier sind, um ihnen unsere Vorstellungen aufzubürden, sondern dass wir da sind, um ihnen zu helfen, nach ihren Vorstellungen hier ihr Land vernünftig zu führen.“

Ein respektvoller Umgang miteinander allein schützt nicht vor sogenannten Innentätern. Die Bundeswehrsoldaten versuchen daher auch immer, gewisse Absicherungsmaßnahmen bei der Zusammenarbeit mit den Afghanen zu treffen. Es gibt z.B. für die militärischen Führer einen Nahsicherer, eine Art Bodyguard, der auf seinen Vorgesetzten aufpasst. Inzwischen sind innerhalb der Feldlager vor wichtigen Gebäuden auch die sogenannten Guardian Angels zu sehen:

O-Ton Bohnsack
„Das ist unsere Vorsorge, auch hier drinnen, damit wir zum Beispiel nicht von Innentätern überrascht werden können. Dass Afghanen möglicherweise umgedreht werden, dass kann man auch hier drinnen bei allerbester Vorsorge nicht ausschließen. Und diese Soldaten sind dafür da, dass tatsächlich immer einer hauptberuflich drauf guckt, dass hier alles sicher zugeht.“

So stehen dann im Feldlager Kundus unter anderem vor der Kantine und dem Fitnessraum zwei Soldaten mit fertiggeladener Waffe, um, wenn es nötig ist, einzugreifen und notfalls einen Attentäter auch zu erschießen. Der Hintergrund: In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Attentate aus den Reihen der afghanischen Sicherheitskräfte deutlich angestiegen. Zwischen Mai 2007 und Mai 2011 sind insgesamt 58 westliche Soldaten durch afghanische Polizisten oder Soldaten getötet worden, berichtete kürzlich die NEW YORK TIMES. Das Blatt berief sich auf eine Pentagon-Studie. Die Masse der Vorfälle habe sich demnach in den vergangenen zwei Jahren ereignet. Noch dramatischer sind die Zahlen für das laufende Jahr. 2012 starben bislang mehr als 20 ISAF-Soldaten durch Anschläge afghanischer Sicherheitskräfte. Auch die Bundeswehr hatte schon Verluste durch Innentäter zu beklagen – im Außenposten Poli Khomri eröffnet im Februar 2011 ein Attentäter in der Uniform der afghanischen Streitkräfte das Feuer auf eine Gruppe Bundeswehrsoldaten – drei von ihnen wurden getötet, sechs zum Teil schwer verwundet. Als eine der ersten Konsequenzen wurde das Partnering ausgesetzt. Inzwischen funktioniert die Kooperation wieder. Das Verhältnis ist allerdings immer noch angespannt - beide Seiten bemühen sich aber, wieder Vertrauen aufzubauen, sagt Oberstleutnant Bohnsack:

O-Ton Bohnsack
„Das bereitet uns selbstverständlich tiefes Kopfzerbrechen. Die Afghanen schämen sich dafür. Und wir haben, weil Dinge ja vorgefallen sind, zeitlich begleitend auch in der Vorausbildung, uns darüber schon lange Gedanken gemacht, und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es zum Partnering keine Alternative gibt. Wir sind selbstverständlich etwas wachsamer. Das ist der zweite Teil unserer Strategie. Draußen, aber auch drinnen, sind wir an jeder Stelle so stark, dass wir kein Gelegenheitsziel bieten und möglichst nach allen Seiten wachsam sind, um so jeglichem Angriff von vorne herein das Wasser abzugraben.“

Das Bundesverteidigungsministerium hat angekündigt, Kontrollen und Überprüfungen zu verbessern. Es sollen biometrische Daten von Afghanen erfasst werden, die für die ISAF-Truppe arbeiten. Doch das ist bislang nur Theorie, wie kürzlich Verteidigungsminister de Maizière einräumen musste:

O-Ton de Maizière
„Wir haben immer noch nicht das Verfahren eingerichtet, dass Ortskräfte, die in von Deutschen geführten Lagern agieren, biometrisch überprüft werden. Wir müssen mit den Afghanen besprechen, dass sie ihre Soldaten aber auch ihre Polizisten – oft ist es bei den Polizisten der schwache Punkt, als bei der Armee – dass es dort zu scharfen Sicherheitsüberprüfungen kommt.“

Die Soldaten, die täglich mit Afghanen zusammenarbeiten sind daher dauernd auf der Hut. In rund einem Jahr soll sich die ISAF-Truppe nicht mehr an Kampfeinsätzen beteiligen. Daher wird sich schon demnächst auch das Partnering verändern. Der Kommandeur der Task Force Kundus, Oberstleutnant Bohnsack:

O-Ton Bohnsack
„Das nennt sich dann PATF, Partnering Advisery Task Force, und dort wird eine tiefere Integration, eine tiefere gemeinsame Zusammenarbeit vorgenommen werden. Da werden immer Kräfte sein, die mit bestimmten afghanischen Truppenteilen zusammenarbeiten und zwar so, dass die Fähigkeiten, die die Afghanen selbst nicht haben oder noch nicht haben, dass wir denen diese zur Verfügung stellen. Das sind vor allem technische Fähigkeiten, medizinische Fähigkeiten, die Fähigkeit, Luftfahrzeuge anzufordern, darum geht es mit Masse.“

Die Angst vor möglichen Innentätern aber bleibt. Auch wenn sich die ISAF-Truppe demnächst nur noch eine Unterstützungs- und Ausbildungsrolle übernehmen wird.

* Aus: NDR Info "Streitkräfte und Strategien", 2. Juni 2012


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