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Was da ist

Kriegsgerät in der Wüste, Nescafe in der Steppe: Daniel Schwartz stellt in Berlin "Ansichten aus dem Hinterland der Kriege" aus

Von Anja Röhl *

Schnee sucht man vergebens auf den Bildern, die der Schweizer Fotograf Daniel Schwartz im Berliner Martin-Gropius-Bau unter dem Titel »Schnee in Samarkand« ausstellt. Statt dessen gibt es Sand, Nebel und manchmal Menschen zu sehen. Der Untertitel lautet »Ansichten aus dem Hinterland der Kriege«.

Als erstes bleibt der Blick an dem Bild »Flüchtlinge aus dem Hungergebiet« hängen: Afghanistan 2001: Menschen hocken im Sandsturm, sie sitzen da wie kleine dunkle Pyramiden in einer unendlichen Helle. Man bleibt daran kleben, als würde man hineingezogen in die Weite, die sich im goldenen Schnitt im grau-weißen Sand verliert, in das Rund der Menschengruppen, die dem Wind wie eine Mauer trotzen. Der Sand könnte auch Schnee sein, der alles zudeckt. Diese Flüchtlingspyramiden lassen einen nicht los, sie sitzen nur da und warten. Sie bilden ein gutes Ziel für Waffen aller Art, doch beinahe lösen sie sich schon in den Horizont hinein auf. Sie spielen keine Rolle mehr, die Landschaft saugt sie in sich hinein, hilft ihnen, umnebelt sie, bedeckt sie mit Sand, macht sie wieder zu Erde. Lange steht man davor, vor diesem Foto, das kein Gemälde ist, aber eines sein könnte, zum Beispiel von Edward Turner, im Nebel verschwommenes Licht. Hier mußte nichts ausgeleuchtet werden mit aufwendiger Technik, hier war nur einzufangen, was da war.

Daniel Schwartz hat von 1995 bis 2007 Zentralasien und die angrenzenden Staaten bereist. Er war unter anderem in Afghanistan, Turkmenistan, Pakistan, Kaschmir, Westchina, Iran, Kirgisistan und in der Mongolei. Er ist entlang der Chinesischen Mauer gefahren, im Gepäck historische Werke. Sein 2008 bei Eichborn unter dem Titel »Schnee in Samarkand« erschienenes Buch hat er »eine Reise durch 3000 Jahre« genannt.

Was aber meint Schwartz mit dem »Hinterland der Kriege«? Darauf wurde er kürzlich von der Zeit angesprochen. Er antwortete, daß das Time Magazin auf dem Cover eine Frau mit abgeschnittener Nase abbildete und dazu schrieb: »That happens when we leave«. Nach seiner Meinung hätte es korrekt heißen müssen: »That happens as we are there«. Denn der Westen begreife nicht, daß seine Anwesenheit in Afghanistan zur Radikalisierung geführt habe. Seine Fotos sollen nicht dokumentieren, er sei kein Kriegsfotograf. Er wolle einen Versuch wagen, sich der Gegenwart aus der Vergangenheit heraus zu nähern. »Für die Taliban war entscheidend, daß ich mich für die Hungersnot der Afghanen und nicht für die Buddhas interessierte, die gerade zerstört worden waren. Letztlich war es aber eine zwischenmenschliche Angelegenheit.«

Mit seinen Fotos nimmt er Stellung auf ungewöhnliche Art. Keine verstümmelten Körper, nur wenig Blut, vielmehr der Blick auf kleine Details: Ein alter Mann, der schwer gebeugt eine menschenleere Schotterstraße fegt, die sicher bald wieder zuweht. Kriegsgerät in der Wüste, das von weitem wie ein Felsen aussieht. Ölarbeiter, Goldminen und militärische Installationen im Wüstensand. Zugewachsene Glasfaserleitungen, einfache Indizien für den wahren Charakter der Kriege, die hier geführt werden. Ein Blick aus dem Busfenster: »Nescafe« als große Reklame, mitten in der Steppe aus schwarzen Gesträuch herausgeschnitten. Auf 17 Karten hat Daniel Schwartz die Kriege aufgelistet, die seit Beginn der Zeitrechnung in Zentralasien um Vorherrschaften und Beute geführt wurden, »wie ein Naturgesetz« scheint es, obgleich es doch aufhaltbar wäre.

In seinem Buch kommt Daniel Schwartz zu der Schlußfolgerung, daß das Christentum von den drei Buchreligionen diejenige ist, in deren Namen die größten Verbrechen begangen wurden: Die Auslöschung ganzer Völker und ihrer Schriften. Die alliierten Truppen im Afghanistan von heute, sagte er der Zeit, seien eine Armee von 250000 oftmals drogenabhängigen Soldaten, unterwandert vom Widerstand, geführt von korrupten, mittelmäßig ausgebildeten, ineffizienten Offizieren. Im Laufe der vergangenen zehn Jahre sei die westliche Allianz nichts anderes als eine Fraktion im Bürgerkrieg, ihre Präsenz Teil des Problems und nicht der Lösung. Und dann ein »wir«: »Wir werden Afghanistan einmal mehr verraten. Die Afghanen wissen, daß sie es schließlich selbst richten müssen.«

bis zum 12. September 2011 im Martin-Gropius-Bau, Berlin

* Aus: junge Welt, 22. Juli 2011


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