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Kein konkreter Abzugsplan

Außenminister Westerwelle will sich in Afghanistan nicht festlegen

Außenminister Guido Westerwelle hat am Donnerstag (21. Juli) bei einem Besuch in Afghanistan einen konkreten Zeitplan für den Abzug der Bundeswehr vom Hindukusch abgelehnt.

»Es wäre nicht wirklich klug zu sagen, wo und in welchem Monat welche Truppenteile reduziert werden«, erklärte Westerwelle. Ein solches Vorgehen wäre »geradezu eine Einladung« an die Aufständischen zur Gewalt. Gleichzeitig versicherte der Außenminister, dass die internationale Gemeinschaft Afghanistan auch nach dem Abzug der Kampftruppen 2014 nicht im Stich lassen werde. Der Besuch des Ministers war aus Sicherheitsgründen bis zuletzt geheim gehalten worden.

Der FDP-Politiker traf in Kabul den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai und Außenminister Salmai Rassul. Zudem stand ein Gespräch mit dem neuen Kommandeur der internationalen Schutztruppe ISAF, US-General John Allen, auf seinem Programm.

Anlass für Westerwelles Reise ist die Übergabe der ersten sieben Städte und Distrikte in afghanische Sicherheitsverantwortung. Mit der Provinzhauptstadt Masar-i-Scharif befindet sich darunter auch ein Gebiet im Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr.

»In dieser Woche beginnt ein neuer Abschnitt in unserer Afghanistan-Politik«, sagte Westerwelle. »Die Abzugsperspektive, sie wird jetzt konkret.« Die internationalen Truppen seien jetzt zehn Jahre in Afghanistan. »Es können nicht noch weitere zehn Jahre werden.« Westerwelle rechnet allerdings auch mit weiteren Rückschlägen. »Darauf müssen wir uns realistischerweise einstellen.«

Die US-Streitkräfte leiten dieser Tage ihren Abzug aus Afghanistan ein. Die rund 100 000 Soldaten starke Truppe soll bis Sommer 2012 um ein Drittel verkleinert werden. Die Bundesregierung will erst Ende des Jahres mit dem Abzug der mehr als 5000 deutschen Soldaten aus Afghanistan beginnen. Bis Ende 2014 sollen alle Kampftruppen zu Hause sein.

Westerwelle betonte, dass er eine langfristige Partnerschaft mit Afghanistan anstrebe. »Sie können sich auf Deutschland verlassen«, versicherte er seinem afghanischen Amtskollegen. »Die internationale Gemeinschaft ist nach 2014 nicht weg aus Afghanistan.«

Um die Zeit nach 2014 wird es auch bei der Afghanistan-Konferenz in Bonn gehen, zu der am 5. Dezember rund 90 Außenminister erwartet werden. Den Vorsitz wird der afghanische Außenminister haben, obwohl Deutschland Gastgeber ist. Die Vorbereitung der Konferenz ist ein Schwerpunkt der Reise Westerwelles.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2011

Die Meldung des Außenministeriums:

Übergabe der Verantwortung beginnt

Außenminister Westerwelle ist zum vierten Mal in seiner Amtszeit als Außenminister nach Afghanistan gereist. Sein Besuch markiert einen neuen Abschitt im deutschen und internationalen Afghanistan-Engagement.

"In dieser Woche beginnt ein neuer Abschnitt in unserer Afghanistan-Politik. Wir übergeben regional die Sicherheitsverantwortung an afghanische Stellen, Schritt für Schritt", so Außenminister Westerwelle nach seinem Eintreffen in der Hauptstadt Kabul. Hier ist er am 21. Juli mit Präsident Hamid Karzai und mit Außenminister Zalmai Rassoul zusammengekommen. Weitere Gespräche führte er mit dem Sondergesandten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Afghanistan, Staffan de Mistura, und mit dem neuen Kommandeur der ISAF-Schutztruppe, General John Allen.

Am 22. Juli ist Westerwelle weiter nach Masar-e-Sharif gereist, das sich im von Deutschland geführten Regionalkommando Nord der Schutztruppe ISAF befindet. Dort wird bereits am 23. Juli die Übergabe der Sicherheitsverantwortung vollzogen. Der Minister trifft sich in Masar-e-Sharif mit deutschen Soldaten und Polizisten sowie mit dem Gouverneur der Provinz Balkh, Mohammed Atta, und afghanischen Stipendiaten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Neue Strategie wirkt

Die neue Strategie der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan gehe jetzt auf. "Die Abzugsperspektive - sie wird jetzt konkret", bekräftigt der Bundesaußenminister.

Dass dies möglich wurde, ist das greifbare Ergebnis der internationalen Afghanistan-Konferenzen von London und Kabul im Jahr 2010. Seither hat die internationale Gemeinschaft in Afghanistan einen Strategiewechsel eingeleitet. So verlagert sich der Schwerpunkt von einem militärischen Einsatz immer weiter zu einem politischen Prozess. Auch Deutschland plant eine erste Reduzierung der deutschen militärischen Präsenz Ende 2011.

Der politische Prozess der Aussöhnung und Reintegration in Afghanistan wirke, bekräftigt Westerwelle. Gleichwohl müsse man sich realistischerweise auf die Gefahr von Rückschlägen einstellen. Beispielsweise gebe es noch Probleme bei der Regierungsführung. "Auch die Sicherheitslage ist und bleibt eine große Herausforderung", so der Minister. Die Abzugsperspektive werde man so verantwortungsvoll umsetzen, dass für die Frauen und Männer der Bundeswehr und die Verbündeten keine zusätzlichen Gefahren entstehen. "Wir wollen, dass Afghanistan eine friedliche Zukunft hat."

Afghanistan-Konferenz in Bonn

Dazu will Deutschland auch als Gastgeber der internationalen Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember in Bonn beitragen. Dabei geht es auch darum, eine Perspektive dafür zu erarbeiten, wie Deutschland und seine Partner Afghanistan nach dem für 2014 geplanten Abschluss der Verantwortungsübergabe weiter beistehen können. Mit der Afghanistan-Konferenz müsse "ein starkes Signal" für eine langristige Partnerschaft Afghanistans und der internationalen Gemeinschaft" verbunden sein, hebt der deutsche Außenminister hervor.

Afghanistan - Skateistan

In Kabul nahm sich Westerwelle auch Zeit für das Projekt 'Skateistan'. Schon seit 2009 können junge Afghaninnen und Afghanen dort nicht nur das Skateboardfahren lernen, sondern erhalten auch Unterricht zu Themen wie Umweltbewusstsein, Hygiene und Kunst. Ziel der unkonventionellen Einrichtung ist es, bei Kindern und Jugendlichen gegenseitige Vorurteile abzubauen und Lebensfreude zu vermitteln. Deutschland ist der zweitgrößte Geber des Projekts. Bei seinem Besuch hat der Minister Unterrichtsmaterialien für die Schüler mitgebracht und lässt sich von ihnen Kostproben ihres Könnens zeigen.

Quelle: Website des Auswärtigen Amts; www.auswaertiges-amt.de


Auszüge aus einem Interview Westerwelles in der WELT-online (21.07.2011)

(...)
Welt Online: US-General David Petraeus, den Sie am Dienstag (19. Juli) in Berlin getroffen haben, sagt: Es gibt keine Garantie für ein Ende des Einsatzes 2014.

Westerwelle: Ich schätze General Petraeus und seine Arbeit. Aber dass wir diese Abzugsperspektive brauchen, das ist nicht nur die Haltung der Bundesregierung, sondern auch die von Präsident Obama. Und übrigens auch von Afghanistans Präsident Karsai.

Welt Online: Sie übergeben die Verantwortung für die Stadt Masar-i-Scharif im deutschen Regionalkommando. Dort sind im April bei einem Angriff auf das UN-Hauptquartier sieben ausländische Helfer ums Leben gekommen, in dieser Woche gab es wieder ein Selbstmordattentat mit vier Toten. Offenbar tun sich die einheimischen Sicherheitskräfte noch schwer mit der Eigenständigkeit. Ist das die von Ihnen versprochene „Übergabe in Verantwortung“?

Westerwelle: Ich fürchte, wir werden uns auch künftig noch auf manche Tragödie in Afghanistan einstellen müssen. Aber insgesamt gibt es unbestreitbar Fortschritte. Und wir werden uns von Gewalttätern, die den politischen Aussöhnungsprozess verhindern wollen, nicht von unserer Haltung abbringen lassen. Wir sind seit zehn Jahren in Afghanistan.

Es können nicht noch weitere zehn Jahre werden. Der Weg zu einer guten Zukunft Afghanistans führt über Dialog, Aussöhnung und Reintegration – also eine politische Lösung.

Welt Online: Seit die internationalen Truppen vor einigen Monaten auf rund 140.000 Mann aufgestockt wurden, sind Fortschritte erkennbar ...

Westerwelle: ... Moment! Es sind nicht nur die Truppen aufgestockt worden. Sondern wir haben die Anstrengungen insgesamt aufgestockt, ob bei Diplomatie oder zivilem Aufbau. Das war doch gerade die Strategie: Überall mehr zu machen, um sich die Abzugsperspektive zu erarbeiten. Die haben wir jetzt. Mit der Übergabe der Sicherheitsverantwortung wird jetzt die Abzugsperspektive konkret.

Quelle: Website des Auswärtigen Amts; www.auswaertiges-amt.de




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