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Legal, illegal, scheißegal

Die USA wollen den Krieg in Afghanistan auch gegen den Willen Kabuls fortsetzen

Von Knut Mellenthin *

Nach dem Scheinabzug der NATO aus Afghanistan Ende 2014 soll es dort mit dem »Krieg gegen den Terror« erst richtig losgehen. Der Kampf gegen »Al-Qaida« könne noch viele Jahre dauern, verkündete US-Verteidigungsminister Leon Panetta Ende November. Schließlich gebe es geheimdienstliche Erkenntnisse, daß die legendäre Terrororganisation »nach irgendeiner Möglichkeit sucht, sich wieder in Afghanistan niederlassen zu können«. Derzeit beziffern alle Experten der Welt die Zahl der »Al-Qaida-Kämpfer« am Hindukusch auf nicht mehr als 100 bis 150.

Elitekommandos

Da die 350000 Mann starken afghanischen Sicherheitskräfte bis Ende 2014 offiziell die volle »Sicherheitsverantwortung« für das gesamte Land übernehmen sollen, ist nicht nachzuvollziehen, warum man ihnen nicht auch zutraut, mit diesem winzig kleinen Häufchen von Leuten, die keinen Rückhalt in der Bevölkerung haben, fertig zu werden. Außerdem liegen allen Darstellungen der US-Regierung zufolge die bedrohlichen Schwerpunkte von »Al-Qaida« längst in anderen Ländern und Regionen: im benachbarten Pakistan, im Jemen, in Somalia und in Nordwestafrika. In keinem dieser Länder sind die USA derzeit mit Bodentruppen präsent. In Syrien unternehmen USA und EU im Verein mit den reaktionärsten Staaten der arabischen Welt gegenwärtig den Versuch, genau diejenigen ultra-islamistischen Kräfte an die Macht zu bringen, die sie vorgeblich in Afghanistan bekämpfen wollen.

Thom Shanker und Eric Schmitt hatten schon am 4. Februar 2012 in der Washington Post analysiert, daß sich hinter dem angeblichen Abzug aus Afghanistan in Wirklichkeit eine »Verschiebung hin zu Eliteeinheiten« verbirgt. »Tausende von Angehörigen der amerikanischen Spezialeinheiten« sollen im Lande bleiben und einen immer größeren Anteil an den dort stationierten Truppen stellen. Möglicherweise, so die Autoren, werde ihre Zahl sogar noch wachsen. »Der Plan wird den Schwerpunkt auf die Special Forces legen, die auch als ›Green Berets‹ bekannt sind. Ihre Aufgabe wird es sein, eine Vielfalt afghanischer Sicherheitskräfte auszubilden. Gleichzeitig werden Elitekommandoteams innerhalb der Spezialtruppen damit fortfahren, Befehlshaber der Aufständischen und Terrorführer zu jagen, sie gefangen zu nehmen oder zu töten.«

Das entspricht den Ankündigungen Barack Obamas in seiner Wahlkampfrede, die er am 1. Mai auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram in Afghanistan hielt. Während der US-Präsident die Taliban nur zweimal ganz am Rande als bereits besiegte Gegner erwähnte, sprach er über ein Dutzend Mal von »Al-Qaida«, die er als einerseits zwar schwer angeschlagen, andererseits aber immer noch riesig große Gefahr für die Sicherheit des Territoriums der USA und amerikanische Interessen in aller Welt darstellte. US-Soldaten hätten, so Obama, über Ende 2014 hinaus zwei »eng begrenzte Missionen« in Afghanistan: »Terrorbekämpfung und fortwährende Ausbildung«.

Die Sache hat freilich eindeutig einen Schönheitsfehler, über den aber in den Mainstreammedien fast nie gesprochen wird: »Counterterrorism« gehört nicht zu dem neuen Mandat, das die westliche Allianz für die Zeit nach 2014 anstrebt. In der Abschlußerklärung des jüngsten NATO-Gipfels, der im Mai in Chicago stattfand, heißt es dazu: »Die NATO wird einen Wechsel von einem Kampfeinsatz zu einer neuen Trainings-, Beratungs- und Unterstützungsmission vollziehen, die von anderer Natur sein wird als die derzeitige ISAF-Mission.« Das Wort »counterterrorism« kommt in der Erklärung überhaupt nicht vor.

Spezialmission

Die Schlußfolgerung taugt offenbar nicht für das breite Publikum. Intern jedoch spricht man selbstverständlich darüber. So zum Beispiel auf der NATO Defense College Conference, die vom 13. bis 15. Juni in Rom stattfand. Die Teilnehmer dort gingen ohne Zweifel und Widerspruch davon aus, daß es sich bei der »Terrorbekämpfung« in Afghanistan künftig um »Operationen außerhalb der Strukturen des Bündnisses«, also auch außerhalb des für das sogenannte »Übergangsjahrzehnt« nach 2014 angestrebten neuen UN-Mandats handeln werde. Ob sich weitere Staaten, etwa Deutschland, dieser Spezialmission anschließen werden, ist noch ungewiß. Die Bundesregierung liebt, um es mild auszudrücken, öffentliche Debatten über dieses Thema ganz und gar nicht.

Ein weiterer Schönheitsfehler ist, daß Afghanistans Präsident Hamid Karsai es mehrfach abgelehnt hat, den »Krieg gegen den Terror« weiterhin in Afghanistans Dörfern und Städten führen zu lassen. Gegenüber dem US-Sender NBC sagte Karsai Anfang Dezember, er glaube nicht, daß »Al-Qaida« derzeit noch in Afghanistan präsent sei. Er wisse nicht einmal, ob »Al-Qaida« als Organisation in dem Sinne, wie von der US-Regierung über sie gesprochen werde, überhaupt existiert. Jedenfalls sollten die USA, wenn sie denn wollten, diesen Krieg nicht in Afghanistan führen, sondern dort, wo es ihren eigenen Aussagen nach gegenwärtig »sichere Rückzugsgebiete für Al-Qaida« gebe.

Indessen haben US-Politiker schon deutlich gemacht, daß sie das Recht auf Kriegführung in Afghanistan auch ohne Zustimmung der Regierung in Kabul unter dem Titel »Selbstverteidigung« beanspruchen werden. Außerdem sind die Möglichkeiten Karsais oder seines Nachfolgers, sich den Plänen der USA zu widersetzen, äußerst gering. Beispielsweise, weil Kabul für den Unterhalt seiner überdimensional aufgeblähten Sicherheitskräfte mindestens 4,1 Milliarden Dollar jährlich benötigt, für die in der Dekade nach 2014 der Westen aufkommen soll. Davon werden die USA mehr als die Hälfte tragen. Und entsprechendes »Entgegenkommen« einfordern.

* Aus: junge Welt, Samstag, 29. Dezember 2012


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