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Doppelspiel der USA mit Pakistan

Fünf Jahre nach Beginn des Krieges gegen die Taliban steht Afghanistan am Scheideweg / Wiederaufbau am Hindukusch am Rand des Scheiterns

Von Thomas Ruttig, Kabul/Berlin *

Vor fünf Jahren fielen die ersten Bomben auf Afghanistan, das radikal-islamische Taliban-Regime wurde zum ersten Ziel in Bushs Krieg gegen den Terrorismus. Heute wächst im Westen die Angst vor dem Scheitern am Hindukusch.

»Wir stehen auf dem Dach und haben vorhin gesehen, wie eine Bombe genau das Gästehaus der Araber am Bagh-e Bala (einer Kabuler Parkanlage) traf. Die Nachbarn haben applaudiert.« Die Antwort eines Freundes in Kabul auf einen besorgten Anruf sprach Bände. Als dort vor genau fünf Jahren, knapp vier Wochen nach den Terroranschlägen in New York und Washington, die ersten US-Bomben fielen, begrüßten dies die meisten Afghanen. Hoffnungsvoll warteten sie auf ausländische Truppen. Sie befürchteten, dass die Mudschahedin der mit den Amerikanern verbündeten Nordallianz Kabul wie schon nach dem sowjetischen Abzug 1989 erneut plündern würden. Doch das ließ die Bush-Regierung kalt. Entgegen der Vereinbarung, die afghanische Hauptstadt für eine künftige Übergangsregierung neutral zu halten, gab Washington der Nordallianz grünes Licht zum Einmarsch.

Solch krasse Fehlentscheidungen ziehen sich seither wie ein roter Faden durch die Afghanistan-Politik der USA und haben dessen Wiederaufbau an den Rand des Scheiterns geführt. Vor allem an der Armut der meisten Afghanen hat sich seit dem Sturz der Taliban wenig geändert. Während War-lords und deren Subkommandeure mit Opiumprofiten ganze Stadtviertel aufkaufen und den Außenhandel monopolisieren, ist selbst nach offiziellen Angaben ein Drittel der Erwerbsfähigen ohne Arbeit. (Frauen werden wohl kaum gezählt.) An den Straßenecken drängen sich morgens Dutzende in der Hoffnung auf wenigstens einen Tagesjob um jedes haltende Auto. Ein Sechstel aller Afghanen arbeitet Teherans Regierung zufolge bereits in Iran. Nur sechs Prozent der Bevölkerung erhalten öffentlichen Strom. Energieminister Ismail Khan, ein mächtiger Warlord, rief die Kabulis auf, für den Winter schon mal Kerzen zu kaufen.

Gleichzeitig werden die Aufbauhilfe-Milliarden verschwendet. US-Companies zogen, ähnlich wie in Irak, die lukrativsten Aufträge an Land, die sie dann an schlechte Qualität liefernde Subunternehmen weitergaben. Die Fernstraße Kandahar-Kabul, ein Vorzeigeprojekt, wurde von der Louis Berger Group für 750 000 Dollar pro Kilometer gebaut – ein Drittel so teure Angebote blieben unberücksichtigt. In Paktia war der Beton für eine Schule so schlecht, dass man mit der Faust Löcher in die Wand schlagen konnte. Private Konsultanten und Ministerberater erhalten zum Teil Tagesgagen, die dem Jahresdurchschnittseinkommen eines Afghanen nahe kommen.

Politisch haben sich die USA zur Geisel der Politik des pakistanischen Militärdiktators Parviz Musharraf machen lassen. Dessen seit den 70er Jahren islamisierter Geheimdienst ISI brachte bei den Wahlen 2001 die einheimischen Islamisten, die seit den 90ern die Taliban unterstützen, in den Grenzprovinzen zu Afghanistan an die Macht. Genau dort befinden sich deren Rückzugsbasen, über sie fließen Nachschub und Spenden. Selbst der NATO-Militärchef für Europa, General Jim Jones, dem auch die US-Truppen in Afghanistan unterstehen, gab im September vor dem US-Kongress zu, dass sich das Taliban-Kommandozentrum in der Nähe von Quetta befindet. Obwohl Musharraf dies bei seinem Washington-Besuch letzte Woche bestritt, behandeln ihn die USA weiterhin als Verbündeten. Wohl an ihrem Veto scheiterte ein gemeinsames NATO-Ultimatum an Musharraf, die Unterstützung der Taliban zu beenden. Deren gegenwärtiges Erstarken ist ein Resultat dieser Politik und die Ursache dafür, dass immer mehr Afghanen das Vertrauen in den Westen und die von ihm unterstützte Karzai-Regierung mit ihren korrupten Strukturen verlieren.

Ihre Hoffnung auf eine unabhängige Politik der EU schwindet ebenfalls. Dass ab Februar ein US-General das ISAF-Kommando in Afghanistan übernimmt, dürfte dies noch verstärken. Währendessen fallen die wenigen Mutigen und Unbestechlichen dem Taliban-Terror zum Opfer – wie der auch in Deutschland ausgebildete Gouverneur Hakim Taniwal, dem sich am 10. September in Gardez ein Selbstmordattentäter auf das Auto warf, oder die Frauenrechtlerin Safia Ahmadjan, die 15 Tage darauf in Kandahar auf dem Arbeitsweg niedergeschossen wurde.

Zahlen und Fakten

Um satte 59 Prozent soll der Opiumanbau in Afghanistan dieses Jahr zugelegt haben, berichtet das UNO-Büro für Drogen und Verbrechen (UNODC). 6100 Tonnen Rohopium seien geerntet worden, 90 Prozent der illegalen Weltproduktion. Ähnlich viel wird jährlich für medizinische Zwecke – Morphium und Codein – vor allem von Australien und Frankreich angebaut. Tatsächlich dürften die Zahlen aus Afghanistan zu niedrig sein. Denn sie beruhen auf der Auswertung von Satellitenbildern eines geringen Teils der Anbaugebiete – kleine Opiumfelder oder Mischanbau mit anderen Nutzpflanzen sind darauf schwer zu identifizieren. Zudem verfälscht die zusätzliche Datenerhebung in über 3000 Dörfern die Hochrechnung auf das gesamte Land, weil auf die Auskunftsfreude von Bürgermeistern und Bauern gesetzt wird, die aus Furcht vor Repression und Pflanzenvernichtung einen Teil der Felder verheimlichen.
Ausgerechnet die Taliban setzten kurz, bevor sie gestürzt wurden, einen erfolgreichen Opiumbann durch – in Absprache mit der Vorgängerbehörde des UNODC, die dafür eine große Summe an Entwicklungsgeldern zusagte. Allerdings stoppten die Taliban den Anbau wohl auch bereitwillig, da sie so große eingelagerte Opiumvorräte auf den illegalen Markt werfen konnten.
Mittlerweile erbringt der einzige Gewinn versprechende Exportartikel über die Hälfte des afghanischen Bruttosozialprodukts. Kriegsherren, Regierungsmitglieder, sogar ein Bruder von Präsident Karzai sollen in den Opiumhandel verstrickt sein. Doch wagt die NATO nicht durchzugreifen – aus Angst vor weiteren Aufständen. Tatsächlich ist dem Opiumanbau und der anschließenden Heroinproduktion in Pakistan und China schwer beizukommen. Der Drogenweltmarkt ist ein Musterschüler der Globalisierung: Gerade wegen der Repressionen verspricht er bei steter Nachfrage satte Gewinne. Global ist dem nur mit einer Legalisierung und Regulierung beizukommen. Ein erster Schritt wäre es, Opium für medizinische Zwecke in Afghanistan anbauen zu lassen.

Lorenz Matzat



* Aus: Neues Deutschland, 7. Oktober 2006


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