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Krieg ohne Ende und ohne Grenzen

2008 im Rückblick: Afghanistan. Besatzungstruppen verstärkt. US-Angriffe auf Pakistan. Erfolge des Widerstands

Von Knut Mellenthin *

Irgendwann im Herbst 2009, das genaue Datum steht noch nicht fest, findet in Afghanistan ein internationales PR-Ereignis namens Präsidentenwahl statt. Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Regulär wäre die Abstimmung schon im Frühjahr 2009 fällig gewesen. Statt dessen wird nunmehr in Kabul spekuliert, ob man nicht lieber den Ausnahmezustand ausrufen und den Termin noch etwas weiter verschieben soll.

Seit Oktober läuft die Registrierung der Wählerinnen und Wähler. Im Februar 2009 dann soll sie abgeschlossen sein. Bei dem Urnengang selbst wird es in der Hauptsache nicht darum gehen, ob Hamid Karsai im Amt bleibt –bisher hat er sich noch nicht einmal hundertprozentig auf eine Kandidatur festgelegt – oder ob es einen Nachfolger gibt. Denn es werden ohnehin nur Handlanger der US-Regierung zur Auswahl stehen. Die legt vor allem Wert auf eine vorzeigbare Beteiligung am Votum. Diese könnte dann als Zustimmung der afghanischen Bevölkerung zur zeitlich unbegrenzten Fortdauer der internationalen Militärintervention propagandistisch verwertet werden.

Massive Manipulation

Allerdings wird die Wahlbeteiligung höchstwahrscheinlich nicht günstig für die Besatzer ausfallen. In einem großen Teil des Landes wird der Urnengang nicht einmal stattfinden können, in anderen Gebieten wird er boykottiert werden. Deshalb wird schon jetzt bei der Registrierung und der damit verbundenen Ausgabe von Wahlausweisen massiv manipuliert. In Gebieten, die noch unter Regierungskontrolle stehen und wo der Einfluß der Taliban-Rebellen und anderer oppositioneller Gruppen schwach ist, werden die Ausweise massiv gestreut. So liegen aus mehreren Provinzen im Norden – wo die deutsche Bundeswehr im Einsatz ist – Meldungen vor, wonach zahlreiche Schüler Wahlkarten erhielten.

In vielen Registrierungszentren wurden Personen mehrfach aufgenommen und erhielten entsprechend viele Ausweise, zum Teil auch für ihre tatsächlichen oder angeblichen Familienmitglieder. In einem Fall waren 500 Karten an eine einzige Person ausgegeben wurden. Zudem wurden aus einigen Gegenden, die als Hochburgen der Aufständischen gelten und in die sich keine Regierungsbeamten trauen, erstaunlicherweise trotzdem phantastisch hohe Zahlen von Wählerregistrierungen gemeldet.

Lage verschlechtert

Aus Sicht der westlichen Regierungen, die an der Militärintervention beteiligt sind, hat sich die Lage 2008 erneut drastisch verschlechtert – nun schon im vierten Jahr hintereinander. In dieser Zeit wurden die Besatzungstruppen mehr als verdoppelt, auf nunmehr fast 65000 Militärs, von denen rund die Hälfte aus den USA kommt. 2009 werden die Zahlen weiter steigen: Allein Washingtons Streitkräfte in Afghanistan sollen bis zum kommenden Sommer um 20000 bis 30000 Soldaten verstärkt werden. Hinzu kommen jetzt schon mindestens 40000 Afghanen, die als Angestellte privater Sicherheitsfirmen im Dienst der Interventionstruppen stehen. Die wirklichen Zahlen dürften weit höher liegen, da die ausländischen Streitkräfte in vielen Fällen keine Privatfirmen zwischenschalten, sondern sich ihre einheimischen Hilfstruppen direkt anheuern.

Einer Untersuchung des International Council on Security and Development zufolge sind Aufständische jetzt in 72 Prozent des afghanischen Staatsgebiets aktiv. Das bedeutet einen sprunghaften Anstieg gegenüber dem Vorjahr, als dieser Anteil auf 54 Prozent geschätzt wurde. Die Untersuchung, die sich im wesentlichen auf Angaben über militärische Angriffe stützt, ist insgesamt allerdings recht oberflächlich. Über die rasch fortschreitende »Talibanisierung« des Landes, also über die tatsächliche Verankerung des bewaffneten Widerstands in der Bevölkerung und die Entwicklung paralleler Machtstrukturen, sagt sie wenig aus. Tatsächlich deuten alle Berichte aus dem Land darauf hin, daß die Taliban und andere Organisationen in dieser Hinsicht 2008 ihre bisher größten Erfolge zu verzeichnen hatten. Weite Gebiete werden, mit Ausnahme der Bezirksstädte, praktisch vom Widerstand regiert. Dazu gehören eigene Verwaltungsorgane, eigene Gerichtsbarkeit, Steuererhebung und sogar eine Wehrpflicht.

Rebellen vor Kabul

Erstmals haben die Aufständischen 2008 ihre Macht – und nicht etwa nur ihre militärischen Aktivitäten – auch auf Provinzen und Bezirke in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt Kabul ausgedehnt. Die US-Regierung will deshalb die geplante Truppenverstärkung schon im Januar 2009 beginnen: Dann soll eine Kampfbrigade – das sind 3500 bis 4000 Mann – in die bei Kabul gelegenen Provinzen Logar und Wardak verlegt werden.

Weitgehend soll die Verstärkung der US-Truppen in Afghanistan über den Abzug von Einheiten aus dem Irak gewährleistet werden. Ob dieser Plan realistisch ist, sei dahingestellt. Falls sich Barack Obama, der am 20. Januar das Amt des US-Präsidenten übernimmt, gar zu militärischen Angriffen gegen Iran entschließt, dürfte der Abzug aus dem benachbarten Irak in weite Ferne rücken. Daneben würde ein solcher Krieg auch die Situation der Interventionstruppen im an Iran grenzenden Westafghanistan, die derzeit hauptsächlich aus italienischen Soldaten bestehen, erheblich verschlechtern. Bisher gilt diese Region als vergleichsweise ruhig.

Obama hat »Südasien« als größte Bedrohung für die USA bezeichnet. Gemeinhin werden darunter Indien und Pakistan verstanden. Konkret gemeint ist offenbar Pakistan, dessen überwiegend von Paschtunen bewohnter Nordwesten als Hinterland für den gleichfalls von Paschtunen getragenen afghanischen Widerstand dient. Die CIA und die US-Streitkräfte haben 2008 über vierzig Mal Ziele auf pakistanischem Gebiet mit unbemannten Flugkörpern angegriffen. Völkerrechtswidrig, da die Regierung in Islamabad die Attacken zumindest offiziell ablehnt, wenn sie sie auch in der Realität toleriert.

Islamabads Feldzug

Obama wird, seinen eigenen Ankündigungen zufolge, die Ausweitung des Afghanistan-Kriegs auf Pakistan noch zielstrebiger vorantreiben als sein Vorgänger George W. Bush. Unter dem Druck der US-Regierung hat Pakistan im Jahr 2008 in Teilen des Nordwestens mit monatelangen Feldzügen gegen die einheimischen Rebellen, als »Taliban« bezeichnet, begonnen. Aus dem Bezirk Bajaur, der als Modell dieser Kriegführung angesehen werden muß, wurde über die Hälfte der Bevölkerung, mehrere hunderttausend Menschen, systematisch vertrieben, um das militärische Vorgehen gegen die »Taliban« zu erleichtern. Eine häufig angewandte Methode der pakistanischen Regierung ist die Zwangsrekrutierung von Hilfstruppen: Den Stammesführern wird angedroht, daß anderenfalls ihre Dörfer bombardiert werden.

Die Ergebnisse dieses Krieges gegen die eigene Bevölkerung sind, wie nicht anders zu erwarten, kontraproduktiv. Im Tal von Swat beispielsweise – einst das bedeutendste Skigebiet des Landes – sind die Aufständischen weiterhin aktiv, obwohl sie laut der Propaganda von Regierung und Militär seit Herbst 2007 schon mindestens dreimal »vollständig besiegt« wurden. Für die US-Regierung ist das nicht etwa ein Argument, diese Art der Kriegführung zu kritisieren – die vermutlich sogar von amerikanischen Beratern und Vorbildern inspiriert wird. Im Gegenteil, Washington fordert, daß Pakistan noch »wesentlich mehr tun« müsse. Die voraussehbare Folge wird die Ausdehnung des Bürgerkriegs auf das ganze Land sein.

* Aus: junge Welt, 30. Dezember 2008


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