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Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea beendet

Aber noch kein endgültiger Frieden in Sicht

Am Sonntag, den 18. Juni 2000, haben die beiden Nachbarländer Eritrea und Äthiopien in Algier ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, das die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) ausgearbeitet hatte. Beide Staaten htte der Vereinbarung im Prinzip bereits vorher zugestimmt: Eritrea schon vor einer Woche, Äthiopien am Mittwoch (15.06.). Nun haben die Außenminister Eritreas und Äthiopiens, Seyoum Mesfin und Haile Woldensae, am Sonntag in der algerischen Hauptstadt Algier das Waffenstillstandsabkommen mit ihrer Unterschrift besiegelt. Damit trat ein formeller Waffenstillstand in Kraft, nachdem beide Kriegsparteien schon am Donnerstag die Kämpfe eingestellt hatten.

An der Zeremonie in Algier nahmen neben dem gegenwärtigen OAU-Vorsitzenden, dem algerischen Präsidenten Bouteflika, auch Vertreter der EU und der USA teil. Seyoum und Haile versprachen, ihre Regierungen würden sich an alle Vorgaben des Abkommens halten. Haile unterstrich, dies sei erst der Anfang, nicht das Ende eines Prozesses. Er machte aber auch darauf aufmerksam, dass der Weg zu einem dauerhaften Frieden zwischen den beiden Nachbarn am Horn von Afrika mit Gefahren und Komplikationen gepflastert sei. Der amerikanische Sondergesandte, Lake, wies zu Recht darauf hin, dass der nächste entscheidende Schritt die Entsendung einer UNO-Truppe ist, welche unter dem Schirm der OAU eine 25 Kilometer breite Pufferzone zwischen den Armeen Äthiopiens und Eritreas errichten und schützen soll. Erst zwei Wochen nach der Stationierung dieser Truppe muss sich die äthiopische Armee aus dem unbestritten eritreischen Gebiet, das sie hauptsächlich in den letzten zwei Monaten eroberte, auf eine neue Linie zurückziehen, die ungefähr ihrer Ausgangsposition vor Ausbruch des Kriegs entspricht. Ist dieser Rückzug abgeschlossen, darf Eritrea in jenen Gebieten, die es bereits früher verwaltete, wieder eine zivile Administration aufbauen, um die Rückkehr der Bevölkerung zu erleichtern.

All dies kann mehrere Monate dauern. Bis dahin bleibt nicht nur die Lage der Bevölkerung prekär, sondern auch das Risiko von bewaffneten Zusammenstößen zwischen den beiden Armeen bestehen.



Für unabhängige Beobachter besteht kein Zweifel daran, dass Eritrea den Krieg verloren hat, für dessen Ausbruch es genau so verantwortlich ist wie Äthiopien. Asmara hat keine einzige jener Vorbedingungen, die einer früheren Einigung im Weg gestanden hatten, in dem nun gültigen Waffenstillstandsabkommen verankern können. Um Addis Abeba zur Akzeptierung eines Waffenstillstands zu bewegen, hätten sich die eritreischen Truppen bereits vor zwei Jahren nur um wenige Kilometer aus umstrittenem kargem Bergland zurückzuziehen brauchen. Nun aber müssen sie einen 25 Kilometer breiten Streifen ihres Territoriums entlang der gesamten, gut 1.000 Kilometer langen Grenze preisgeben - jedenfalls so lange, bis der genaue Verlauf dieser Grenze von Spezialisten endgültig festgelegt und demarkiert sein wird. Dieses Unternehmen kann wegen der komplizierten Rechtslage - Eritrea wurde erst 1993 unabhängig, was den Rückgriff auf Grenzverträge aus der Zeit seiner italienischen Kolonisierung erschwert - sehr lange dauern.

Doch selbst wenn dieser Gebietsverlust wegen seines vorübergehenden Charakters noch verkraftbar wäre, so zahlte Asmara einen sehr hohen Preis für diesen Krieg. Nicht nur ist fast ein Viertel seiner Bevölkerung von rund 3,5 Millionen Einwohnern wegen des Kriegs in eine humanitäre Notsituation geraten. Asmara rief etwa zehn Prozent seiner Bevölkerung zu den Waffen, Zehntausende von Frauen und Männern verloren ihr Leben im Krieg. Weder Eritrea noch Äthiopien haben je über ihre eigenen Verluste berichtet, sondern sich jeweils auf die Veröffentlichung grotesk hoher Verlustzahlen des Gegners beschränkt. Schätzungen reichen von 50.000 bis weit über 100.000 Todesopfer auf beiden Seiten. Und dies, wie es der Außenminister aus Addis Abeba in Algier treffender nicht hätte formulieren können, «für einen Krieg für nichts».

Doch auch Äthiopien wird noch lange unter den Wunden dieses Kriegs zu leiden haben. Es musste, wie Präsident Meles selber zugab, beträchtliche Mittel in die Kriegsanstrengung stecken, die es dringend für eine Verbesserung der Lebensbedingungen seiner Bevölkerung gebraucht hätte. Mehrere Millionen Äthiopier sind mittelfristig von einer Lebensmittelknappheit wegen Trockenheit bedroht. Es entstand das missliebige Bild eines afrikanischen Staats, der sich zwar als regionale Ordnungsmacht zu etablieren verstand, aber seine Einwohner nicht ernähren kann. Addis Abeba kann noch so lange darauf hinweisen, dass die Lebensmittelknappheit direkt mit dem Krieg nichts zu tun hat. Es wird den Beweis niemals erbringen können, dass es ohne Krieg mehr für die Verhinderung des Mangels hätte tun können.

In den internationalen Reaktionen auf den Waffenstillstand überwiegt neben der Erleichterung darüber, dass dieser für viele unsinnige Krieg nun vorüber ist, Skepsis, ob der Friede längere Zeit anhalten wird. Das Waffenstillstandsabkommen enthält zu viele Klauseln und Übergangsregelungen, die zahlreiche Risiken enthalten. Die äthoiopische Regierung hatte sich vor der Unterzeichnung des Abkommens ausdrücklich vorbehalten, auf "Provokationen" von Seiten Eritreas militärisch zu reagieren. Und was bei dem unsicheren Grenzverlauf und den Schwierigkeiten, eine UNO-Blauhelmtruppe in nennenswerter Stärke zustande zu bringen, als "Provokation" interpretierbar ist, liegt im Zweifelsfall ganz im Kalkül der äthiopischen Regierung.

In die Kritik ist auch wieder die UNO geraten. Sie habe sich als zahnlos und unfähig erwiesen, den Konflikt frühzeitig zu beenden. Der Kommentator der Frankfurter Rundschau, Detlef Franke, etwa schreibt:
"Der ursprünglich wegen eines Grenzkonflikts um eine an Bodenschätzen reiche Region bei Badmé ausgebrochene Krieg hat wieder einmal gezeigt, wie wenig die Vereinten Nationen in solchen Konflikten ausrichten können. Versuche, die Kriegsgegner an den Verhandlungstisch zu bringen, ja sogar ein "Waffenembargo" erwiesen sich als wirkungslos. Deshalb ist es löblich, dass sich die Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) um die Beilegung der Auseinandersetzung gekümmert hat. Doch ein Waffenstillstandsabkommen ist noch kein Friedensvertrag und die Vereinbarung von Algier birgt für beide Seiten genügend Schlupflöcher, um den Konflikt von neuem anzuheizen. Außerdem sind nun wieder die Vereinten Nationen im Spiel. Deren klägliches Versagen in ähnlichen Situationen (Ruanda und Sierra Leone) ist nicht nur in Afrika noch in schlechter Erinnerung." (FR, 19.06.00)

Demgegenüber betont die Neue Zürcher Zeitung den Unterschied in den Ausgangsbedingungen für eine Friedensmission zwischen Äthiopien und Eritrea und den Bürgerkriegen in Sierra Leone oder in Kongo. Am 19.06.00 heißt es in der NZZ:
"In den nächsten Tagen sollen Erkundungsmissionen nach Eritrea und Äthiopien reisen, um die Grundlagen für eine Blauhelmstationierung auszuarbeiten. Die Chancen für ein Ja des Sicherheitsrats sind gross; die Situation am Horn von Afrika ist in keiner Weise mit jener in Sierra Leone, Kongo-Kinshasa oder Somalia vergleichbar. Die Kriegsparteien sind reguläre Armeen mit funktionierenden Befehlsketten, und sowohl Asmara als auch Addis Abeba sind nach dem zweijährigen Krieg militärisch und finanziell am Ende ihrer Kräfte und müssen sich dringend den natürlichen Notsituationen im Zusammenhang mit der anhaltenden Trockenheit in der Region zuwenden."

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