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Äthiopien hofft auf die Kraft des Blauen Nils

Mit Wasserkraft und Tourismus eröffnen sich für das arme afrikanische Land neue Perspektiven

Von Gabriela Greess, Addis Abeba *

In der einst von Hunger geprägten Region am Horn von Afrika geht es voran: Wasserkraftwerke sind die neue Hoffnung Äthiopiens und der wachsende Tourismus signalisiert, dass sioch das Land langsam der Welt öffnet.

Maschinen für den Straßenbau sind hier noch in weiter Ferne: In Lalibela, der alten Königsstadt, sieht man Männer wie Frauen beim Steineklopfen; nur ein paar Minuten entfernt von den mystischen Felsenkirchen, die als Weltkulturerbe Touristen aus aller Welt anziehen: »Die Äthiopier sind ihrem Land noch selbst die Denkfabriken, sie initiieren diese Projekte aus eigener Kraft«, betont Sven Nicolas. Der Berliner Ethnologe lebt und arbeitet seit mehreren Jahren im Land: »Das sind sinnvolle Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung für wenig qualifizierte Äthiopier; schlammige Verkehrswege, einst Brutstätten für Malaria, werden so im ganzen Land trockengelegt.«

Ein Zeichen für Fortschritt genauso wie die Eisenarmaturen in vielen Dörfern, die auf den Bau neuer Brunnen hinweisen.

Noch sieht man entlang der Straßen viele Menschen, die 20-Liter-Kanister von weit entfernten Wasserstellen nach Hause schleppen; genauso wie Karawanen Stroh beladener Esel, an denen Lastwagen vorbeibrausen: Biblische und moderne Zeiten kreuzen sich in dem urchristlichen Land, wo ein tiefer orthodoxer Glaube noch das Leben bestimmt. Als beste Medizin gilt vielerorts das Brauwasser von Hostien; und von der Messe nimmt man geheiligtes Gras mit nach Hause: ein Symbol der Hoffnung und Erneuerung.

Als neue Ressource profitiert Äthiopien von seiner Wasserkraft und liegt mit dieser Energiequelle in Afrika mittlerweile mit ganz vorn: Die verdankt es den reichen Zuflüssen des Blauen Nils der letzten Jahre. Am 60 Kilometer langen Stausee Tegesse erspart jetzt ein riesiges Kraftwerk dem Land Stromsperren und ermöglicht sogar den Export großer Mengen an Energie. Dennoch gibt es in Äthiopien weiterhin Regionen wie im Nordosten, wo Wassernot den Alltag bestimmt.

Doch im zweitbevölkerungsreichsten Land Afrikas hat man aus den Hungerkatastrophen der 70er und 80er Jahren gelernt. In den betroffenen Gegenden und in großen Städten wurden Getreidelager angelegt. Seit über sechs Jahren hat sich eine derart präventive Politik durchgesetzt. Der Staat kauft für diese Reserven Getreide zuerst lokal auf. Falls diese nicht ausreichen, werden Vorräte übers Ausland besorgt; zusätzliche Arsenale unterhalten Hilfsorganisationen in Kooperation mit der Regierung.

Weite Gebiete des bergigen Landes, in dem mehr als 82 Millionen Menschen ernährt werden müssen, sind für die Landwirtschaft nicht nutzbar. »Seit zwei Jahren haben wir eine inflationäre Entwicklung beim Getreidepreis«, betont Sven Nicolas. Ursache dafür sind regional isolierte Märkte, die von skrupellosen Zwischenhändlern dominiert werden, die Grundnahrungsmittel mit saftigem Aufpreis verkaufen: Und das in einem immer noch bitterarmen Land, wo der Snack zum rituellen Kaffee aus gerösteten Weizenkörnern besteht; und Teff, eine uralte Getreideart mit den kleinsten Körnern der Welt, als Grundlage fürs Nationalgericht Injera dient.

Die Weltbank will nun mit Hilfe ihres Agrarbörsen-Projektes (www.ecx.com.et) die Basis für einen fairen Markt schaffen. In einer der Kornkammern des Landes, 50 Kilometer südlich der Hauptstadt Addis Abeba, sieht man auf einem zentralen Platz die Vorboten: Eine elektronische Info-Tafel, die Bauern über die landesweiten Preise informiert.

Doch Äthiopien ist auch ein Land mit einer unschätzbaren Hochkultur. In den alten Königsstädten Lalibela und Gondar fließt über den Tourismus viel Geld in die lokalen Kassen. Die Regierung ist sehr interessiert, dass die Bevölkerung direkt vom Fremdenverkehr profitiert. Internationale Konzerne sind hier bisher wenig aktiv. Vom touristischen Aufschwung zeugen in Lalibela bereits viele neu gebaute Hütten: Allein die Kirchen bringen mit ihren Eintrittsgeldern hier stattliche Verdienste – und finanzieren 660 Priester nebst deren Großfamilien.

* Aus: Neues Deutschland, 29. März 2011


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