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Eritrea hat zu hoch gepokert

Gegen Äthiopien gerichtete Politik reizte den großen Nachbarn, der nun im Vormarsch ist

Von Anton Holberg

Als die eritreische Regierung unter Präsident Issaias Afewerki vor zwei Jahren unter Berufung auf die Grenzziehungen der italienischen Kolonialmacht ihre Armee in Bewegung setzte, um ein paar öde Gebiete aus der Hand der Äthiopier zu »befreien«, hat sie offensichtlich ein Eigentor geschossen. Zwar ist die eritreische Armee fast so groß wie die äthiopische, obwohl Eritrea eine Bevölkerung von nur 3,5 Millionen Menschen gegenüber 58 Millionen in Äthiopien hat.

Zwei Jahre Krieg mit Schlachten im Stil des Ersten Weltkriegs, bei denen etwa im vergangen Sommer in nur drei Tagen auf beiden Seiten 20 000 Soldaten fielen, und insbesondere die neue äthiopische Offensive vom 12. Mai haben jedoch deutlich gemacht, daß Eritrea auf Dauer verlieren muß.

Nach 30 Jahren Befreiungskrieg - dem längsten auf dem Kontinent - erlangte die ehemalige italienische Kolonie Eritrea, die später vom kaiserlichen Äthiopien annektiert wurde, unter Führung der einst als marxistisch auftretenden »Eritreischen Volksbefreiungsfront« (EPLF) 1993 die Unabhängigkeit, nachdem die prosowjetische äthiopische Regierung Mengistu Haile Mariams von der ebenfalls als marxistisch firmierenden »Volksbefreiungsfront Tigrays« (TPLF) gestürzt worden war. Die TPLF war im Kampf gegen Mengistu ein Bündnis mit der EPLF eingegangen. Zunächst sah es so aus, als könnten die beiden zu den ärmsten im ohnehin armen Afrika zählenden Nachbarländer unter Führung kulturell und politisch verwandter Regime zu einem gutnachbarschaftlichen Verhältnis gelangen. Die Führer beider Länder, Afewerki und Meles Zenawi, wurden auch bald der Weltöffentlichkeit von der US-Regierung als leuchtende Beispiele der »neuen afrikanischen Führer« im Gegensatz zu den korrupten Mobutus und Konsorten, auf die der Westen in den vergangenen 30 Jahren gesetzt hatte, angepriesen. Gerade der blutige Grenzkrieg zwischen Eritrea und Äthiopien hat diese ideologische Konstruktion jedoch längst zusammenbrechen lassen. Insbesondere hat dazu in den letzten Monaten die sich anbahnende Hungerkatastrophe in Äthiopien beigetragen.

In Eritrea selbst sind inzwischen eine halbe Million Menschen auf der Flucht vor heranrückenden äthiopischen Truppen. Die Öffentlichkeit fragt sich, wieso Länder, die ihre eigene Bevölkerung nicht ernähren können, gleichzeitig täglich rund eine Million Dollar für einen Krieg um ein paar Ansammlungen von Steinen verschleudern können. Der UN- Sicherheitsrat verhängte zwar in der Nacht zum Donnerstag ein Waffenembargo gegen beide Länder. Es ist aber wenig wahrscheinlich, daß das viel ändern wird.

Im Hintergrund des Konflikts stehen handfeste ökonomische Interessen. Der Nationalismus ist natürlich ein wichtiger Faktor zur Mobilisierung eines Teils der Bevölkerung und damit zur Sicherung der Herrschaft der jeweiligen Regime in Asmara und Addis Abeba. In der äthiopischen Hauptstadt demonstrierten kürzlich 250 000 Menschen gegen die USA, die UNO und all ihre Embargo-Drohungen. Man muß leider davon ausgehen, daß hier überwiegend Angehörige des staatstragenden Volkes der Amharen am Werk waren, denen die »Separation« Eritreas schon immer ein Dorn im Auge war und denen es ziemlich gleichgültig ist, ob im Südosten des Landes Angehörige früher von ihnen unterworfener nicht- amharischer und nicht einmal christlicher Völker verhungern. Drei der fünf umstrittenen Regionen liegen im übrigen in der Provinz Tigray. In Eritrea wird hingegen inzwischen für eine internationale Intervention demonstriert.

Diese nationalistischen Empfindungen alleine, auf äthiopischer Seite Rache für die Separation Eritreas, auf eritreischer der Wunsch, sich möglichst weit von den früheren Unterdrückern zu entfernen, erklären aber den Konflikt beileibe nicht.

Es war kaum verwunderlich, wenngleich, wie sich heute zeigt, nicht klug, daß die neue eritreische Regierung ihre Zukunft mehr an der Seite potenter internationaler, d. h. imperialistischer, Mächte sah als an der des noch ärmeren äthiopischen Nachbarn. Die Regierung in Asmara versuchte, ihr kleines Land, das die strategisch so wichtige Westküste am Bab el Mandeb, dem südlichen Ausgang des Roten Meeres, kontrollierte, wo im übrigen größere Erdölvorkommen vermutet werden, verstärkt gegenüber dem internationalen Kapital zu öffnen und begann daher, die Wirtschaftsbeziehungen zu Äthiopien, dessen Zugang zum Meer sie im übrigen kontrolliert, einzuschränken. 1997 schuf sie ihre eigene Währung und forderte von Äthiopien deutlich höhere Gebühren für die Benutzung ihrer Häfen. Der Versuch, nun alte Grenzfragen einseitig zu lösen, dürfte sich jedoch als eine katastrophale Fehlentscheidung erwiesen.

Äthiopien hat bei der jüngsten Offensive vor allem auch dank seiner eindeutigen Überlegenheit der Luftwaffe strategisch so wichtige Orte wie Barentu weit im Landesinneren Eritreas erobert. Obwohl die Regierung in Addis Abeba beteuert, Eritreas Staatlichkeit nicht in Frage stellen zu wollen, deutet ihr militärisches Vorgehen darauf hin, daß ihr Ziel der Sturz des Regimes der einst verbündeten EPLF ist und damit ein freier Zugang zum Hafen von Massawa auf der Höhe von Asmara.

Bereits im vergangenen Jahr scheint Äthiopien aus den verschiedensten Fraktionen der Eritreischen Befreiungsfront, die während des Unabhängigkeitskrieges gegenüber ihrem EPLF-Konkurrenten den Kürzeren gezogen hatte, eine neue Front mit dem Ziel des Sturzes der EPLF geschmiedet zu haben. Eritrea hat seinerseits sowohl die schwer gestörten Beziehungen zum Sudan verbessert als auch zum Jemen, mit dem es zuvor einen Konflikt um eine Inselgruppe vom Zaun gebrochen hatte. Außerdem soll Eritrea bereits im vergangenen Jahr libysche Waffen an die OLF, die Befreiungsfront der zahlenmäßig größten Ethnie Äthiopiens, der Oromo, geliefert haben.
Anton Holberg
Aus: junge welt, 20. Mai 2000

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