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Ägyptens Regierung tritt zurück

Gesamtes Übergangskabinett legt überraschend Ämter nieder. Armeechef Al-Sisi vor Präsidentschaftskandidatur

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Ägyptens Übergangsregierung unter Premierminister Hasim Al-Beblawi ist am Montag völlig überraschend geschlossen zurückgetreten. Am Morgen habe sich das Kabinett zu einer 15minütigen Sitzung versammelt und den Rücktritt beschlossen, hieß es aus Regierungskreisen. Konkrete Gründe für den Rücktritt nannte Al-Beblawi nicht.

In einer TV-Ansprache sagte er, die scheidende Regierung habe »jedwede Anstrengung unternommen, Ägypten aus dem engen Tunnel« herauszuführen und spielte damit auf die desaströse Wirtschaftslage, die sicherheitspolitisch fragile Situation und die politische Unordnung im Land an. Dennoch betonte Al-Beblawi, die Sicherheitslage und das Ansehen des Staates seien unter der Regierung restauriert worden. Reformen könnten jedoch nicht vom Kabinett allein angestoßen werden. Die Regierung war nach dem Sturz von Expräsident Mohammed Mursi im Juli 2013 ernannt worden. Möglicher Nachfolger Al-Beblawis im Amt des Premiers ist nach bisher unbestätigten Meldungen Wohnungsbauminister Ibrahim Mahlab.

Über eine Kabinettsumbildung wurde am Nil schon seit Wochen diskutiert. Im April stehen Präsidentschaftswahlen an. Der haushohe Favorit für das Amt, Feldmarschall Abdel Fattah Al-Sisi – Armeechef, Vizepremier und Verteidigungsminister in Personalunion – muß für seine Kandidatur seine Regierungsposten und die Uniform abgeben. Mit einer offiziellen Ankündigung der Kandidatur Al-Sisis wird in Kürze gerechnet.

Ägypten erlebt derzeit zudem eine massive Streikwelle. Neben der Textilindustrie ist vor allem der öffentliche Dienst von den Arbeitsniederlegungen betroffen. In Oppositionskreisen heißt es, die an der Regierung beteiligten Parteien seien mit den wirtschaftlichen Problemen am Nil schlicht überfordert und wollten sich aus der Schußlinie bringen, um ihre Chancen bei den im Sommer anstehenden Parlamentswahlen nicht schon im Vorfeld zunichte zu machen.

* Aus: junge welt, Dienstag, 25. Februar 2014


Ägypten: Macht Sisi jetzt Ernst?

Kabinettsrücktritt Signal für Präsidentschaftskandidatur **

Ägyptens vom Militär eingesetzte Regierung hat am Montag den Rücktritt verkündet. Angesichts der »aktuellen Umstände im Land« habe die Regierung sich entschlossen, bei Übergangspräsident Adli Mansur den Rücktritt einzureichen, sagte Ministerpräsident Hasem al-Beblawi. Hintergrund ist offenbar, dass Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi seine politischen Ämter niederlegen muss, um bei der Präsidentenwahl antreten zu können.

»Die Regierung hat in den vergangenen sechs oder sieben Monaten ihre Verantwortung und ihre Pflicht erfüllt und nicht an Mühen gespart, um Ägypten aus der Krise zu führen, in der es sich befand«, erklärte Beblawi im Staatsfernsehen. Es sei nicht der Moment für »persönliche Interessen«, sondern die Nation stehe über allem. Regierungssprecher Hani Salah sagte, es bestehe das Gefühl, dass die Regierung »frisches Blut« brauche.

Der frühere Finanzminister Beblawi war Anfang Juli 2013 nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär von Übergangspräsident Mansur zum Regierungschef ernannt worden. Die wahre Macht lag jedoch seit dem Sturz Mursis bei den Streitkräften und deren Oberkommandeur Sisi. Dieser hat seine Kandidatur bisher nicht offiziell bekannt gegeben, doch gilt eine Bewerbung weithin als sicher. Kandidaten dürfen laut der Verfassung aber keine politischen Ämter ausüben und auch nicht den Streitkräften angehören. Sisi muss daher nicht nur sein Amt als Verteidigungsminister niederlegen, sondern auch die Armee verlassen. Eine begrenzte Umbildung der Regierung war seit Wochen erwartet worden. Mit dem Rücktritt des gesamten Kabinetts reagierte das Militär womöglich auf wachsende Kritik an seinem politischen Kurs.

Sieben Monate nach dem gewaltsamen Sturz Mursis bleibt Ägypten von Unruhen und Anschlägen geplagt. Das brutale Agieren der Regierung gegen die Muslimbruderschaft, bei dem Hunderte von deren Anhängern getötet wurden, verschreckte Touristen und Investoren. Trotz Unterstützung der Golfstaaten gelang es Beblawi nicht, das Land aus der Wirtschaftskrise zu führen oder die Sicherheitslage in den Griff zu bekommen.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. Februar 2014


Nachrichten hinter Gittern

Prozeßbeginn für 20 Journalisten in Ägypten. Vorwurf Terrorismus-Propaganda

Von Gerrit Hoekman ***


Am vergangenen Donnerstag hat in Kairo der Prozeß gegen 20 Journalisten begonnen, denen die Staatsanwaltschaft die Verbreitung von »Propaganda für eine terroristische Organisation« vorwirft. Die Sitzung wurde zunächst auf den 9. März vertagt. Die acht bisher festgenommenen Angeklagten bleiben in Untersuchungshaft, die anderen zwölf sind flüchtig. Schlimmstenfalls drohen ihnen mehrjährige Gefängnisstrafen. Neun der beschuldigten Journalisten arbeiten für den katarischen Nachrichtensender Al-Dschasira. »Die anderen haben keine Verbindung zu uns«, teilte der Kanal auf seiner Homepage mit. Kurz nach Weihnachten hatten Sicherheitskräfte ein provisorisches Büro des Senders im Mariott-Hotel in Kairo durchsucht und vier Anwesende verhaftetet, von denen ein Kameramann inzwischen wieder auf freiem Fuß ist.

Hintergrund der Verhaftung dürfte die Finanzierung des Senders durch die konservative Herrscherfamilie in Katar sein. Diese gilt islamistischen Fundamentalisten gegenüber als freundlich gesinnt. Wie auch Saudi-Arabien pumpt das reiche Emirat beispielsweise viel Geld in den Krieg gegen den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad. Al-Dschasira steht deshalb seit langem im Verdacht, die islamischen Kräfte in der arabischen Welt in ein besonders gutes Licht zu stellen und Kritiker nicht zu Wort kommen zu lassen. Der langjährige Deutschland-Korrespondent des Senders, Akhtam Suliman, ein Syrer, kündigte deshalb 2012 bei den Kataris. »Der Nachrichtensender war der Wahrheit verpflichtet. Jetzt wird sie verbogen. Es geht um Politik, nicht um Journalismus«, erklärte er damals in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

2011 übernahm mit Scheich Ahmad Al-Thani ein Mitglied der Herrscherfamilie den Posten des Generaldirektors von Al-Dschasira. Der Sender ist seitdem nach Ansicht vieler Kritiker nicht neutraler Begleiter, sondern treibende Kraft der Proteste, die seit drei Jahren die arabische Welt in Aufruhr versetzen. Auch in Libyen und Tunesien unterstütze Al-Dschasira die fundamentalistischen Kräfte medial. Das soll nach Ansicht von Medienbeobachtern aber nur für die arabischsprachige Redaktion des Senders gelten, der englische Kanal arbeite nach den Standards des britischen Senders BBC. Viele der Al-Dschasira-Mitarbeiter waren vorher dort angestellt.

»Wie soll man akkurat und fair über den politischen Kampf berichten, der gerade in Ägypten stattfindet, ohne mit jedem zu reden, der daran beteiligt ist«, schreibt der jetzt in Ägypten inhaftierte Australier Peter Greste in einem Brief, den sein Arbeitgeber im Internet veröffentlichte. Der Prozeß richte sich nicht nur gegen Al-Dschasira, sondern gegen alle Medien im Land. Die neuen Machthaber in Kairo wollen offenbar bestrafen, daß die Reporter mit Mitgliedern und Anhängern der Muslimbrüder sprachen. Die Militärs werfen den Journalisten vor, Fakten zu fälschen, um die Bevölkerung gegen die Übergangsregierung von Armeechef Abdel Fattah Al-Sisi aufzubringen und Ägyptens Ansehen im Ausland zu beschädigen. Mit ähnlichen Argumenten drangsalierte auch Expräsident Mohammed Mursi vor seinem Sturz unliebsame Journalisten, deren Berichte nicht ins Weltbild der Islamisten paßten.

Zwölf Angeklagte waren beim Prozeßauftakt in Kairo nicht anwesend – sie sind untergetaucht oder haben sich wie die freie Journalistin Rena Netjes aus den Niederlanden ins Ausland abgesetzt. »Ich habe eindeutig Schutzengel gehabt«, gab Netjes sich nach der Rückkehr in ihr Heimatland via Facebook erleichtert. Die erfahrene Nahost-Reporterin durfte nach einem zwischen den Außenministern beider Länder ausgehandelten Deal nach Amsterdam fliegen. Das berichtete sie vor zwei Wochen in einem Interview mit der ägyptischen Tageszeitung Daily News. Netjes, die im Moment für die Tageszeitung Het Parool schreibt, war offenbar nach einem Besuch im Kairoer Al-Dschasira-Büro kurz vor Weihnachten in den Fokus der ägyptischen Behörden geraten. Es war, so sagt sie, ihr erster Kontakt mit dem Sender überhaupt.

*** Aus: junge welt, Dienstag, 25. Februar 2014


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