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Ägyptens Präsident fordert bedingungslose Gefolgschaft

Skandalurteile sollen jegliche kritische Stimmen, vor allem in Medien, unterbinden / Dankbezeugung Sisis bei Besuch in Algerien

Von Oliver Eberhardt *

Nach der Präsidentschaftswahl ist Ägypten auf dem Weg zur Diktatur. Die internationale Gemeinschaft kritisiert das – und normalisiert gleichzeitig ihre Beziehungen zum neuen Regime.

Ala al-Aswany wirft hin. »Ich werde keine Kolumnen mehr schreiben«, sagt der 58-jährige. Vor einem Jahr gehörte Ägyptens wohl bekanntester zeitgenössischer Schriftsteller zu den prominenten Befürwortern des Sturzes von Präsident Mohammed Mursi. Doch wie bei vielen anderen Ägyptern auch wurden aus der Euphorie und Hoffnung des Übergangs im Laufe der Zeit Verbitterung und Sorge.

Aswany war einer derjenigen, der diese Gedanken in der Tageszeitung »Al-Masry Al-Youm« aussprach. Nun wird auch er schweigen: »Kritik und andere Meinungen sind nicht länger erlaubt«, sagt er und verweist auf die Ereignisse der vergangenen Tage.

Am Montag hatte ein Gericht in Kairo drei Journalisten des katarischen Senders Al Dschasira zu langen Haftstrafen verurteilt, bereits am Tag zuvor war in Minja südlich von Kairo ein einheimischer Journalist schuldig gesprochen worden, der über Ausschreitungen gegen Christen berichtet hatte, die die Polizei nicht unter Kontrolle bringen konnte – vier Urteile von mittlerweile 108 gegen Journalisten, von denen einige in Abwesenheit gefällt wurden. Die Vorwürfe stets: Die Angeklagten sollen Falschmeldungen verbreitet haben und der Muslimbruderschaft nahe stehen. In allen Fällen war und ist die Beweislage dürftig bis nicht existent: Im Prozess gegen die Al-Dschasira-Journalisten stützte sich die Anklage auf eine CD, deren Inhalt sich, nachdem die Verteidigung eine Gebühr von mehr als 100 000 Euro gezahlt hatte, als eine Mischung aus Berichten und Musikvideos herausstellte, mit denen die Angeklagten nichts zu tun hatten. Dem Gericht reichte dies für Schuldsprüche aus.

Der vor zwei Wochen vereidigte Präsident Abdelfattah al-Sisi beruft sich auf die Unabhängigkeit der Justiz. Eine Begnadigung komme nicht in Frage, lässt er mitteilen: »Jeder, der Ägypten und seiner Einheit schadet, muss auch die Konsequenzen dafür tragen.« Kritiker dieser Vorgehensweise sehen die Urteile als Mittel der Einschüchterung: Man wolle Journalisten dazu zwingen, nur das Selbstbild der Regierung zu berichten. Dabei könne man auch nicht mehr auf gute Anwälte oder zahlungskräftige Auftraggeber vertrauen: Selbst falls am Ende ein Freispruch oder eine Begnadigung stehen sollte, dauert es bis zu einem rechtskräftigen Urteil Jahre.

Auch aus dem Ausland ist wenig Unterstützung zu erwarten. Zwar kritisiert man dort offiziell die Entwicklungen in Ägypten. Doch gleichzeitig hat man damit begonnen, die Beziehungen, die nach dem Umsturz auf Eis gelegt worden waren, wieder zu normalisieren. So traf sich US-Außenminister John Kerry am Sonntag mit Sisi und gab bekannt, dass die Militärhilfen wieder freigegeben werden. In Kairo wurde der Besuch so kurz nach der Präsidentschaftswahl als Unterstützung gewertet; eine Sichtweise, die auch amerikanische Diplomaten stützen: Ein politisch und militärisch stabiles Ägypten sei vor dem Hintergrund der Ereignisse in Irak wichtig. US-Sicherheitsexperten befürchten einen Flächenbrand in der Region, der unmittelbar den engsten Partner Israel bedroht.

Sisi selbst spielt mit dieser Befürchtung: Am Mittwoch besuchte er Algerien, ein Land, dass nach der Wahl einer pro-islamischen Regierung einen jahrelangen Bürgerkrieg durchmachte – ein Umstand, an den in den Verlautbarungen der ägyptischen Regierung immer wieder erinnert wurde, nachdem man sich überschwänglich dafür bedankt hatte, dass Algerien sich gegen die Suspendierung der Mitgliedschaft Ägyptens in der Afrikanischen Union nach dem Umsturz vom Vorjahr gestellt hatte.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 26. Juni 2014


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