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Wohin geht Ägypten?

Kräftemessen nach dem Sturz Mubaraks

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Die Sorge darum, welchen Weg das neue Ägypten gehen wird, hat die Verbündeten des alten Mubarak-Regimes in den letzten Wochen weitgehend verstummen lassen. In israelischen Medien wurde zunächst breit berichtet, meist mit dem warnenden Unterton, welche Folgen ein Umsturz für Israel haben könne. Inzwischen wird offen vor der demokratischen Entwicklung in Ägypten gewarnt, manche bedauern sogar das Ende des Kolonialismus. Die USA werden kritisiert, daß sie Mubarak nicht unterstützt und die Proteste »zugelassen« hätten. Der politische Kommentator Ben Kaspit erinnerte sich wehmütig an die Zeit von Präsident George W. Bush und die Invasion im Irak, bei der sogar »Libyen seinen Kurs wechselte und sich dem Westen« anschloß. »Der Iran stellte sein Atomwaffenprogramm ein, Arafat war an die Leine gelegt, Syrien zitterte vor Angst«, so Kaspit in einem Kommentar. »Wer im Mittleren Osten nicht mit einem großen Knüppel in der Hand herumläuft, bekommt ihn auf den Kopf.« Der Aufbau demokratischer Institutionen brauche Jahre, auch seien die Ägypter nicht über Nacht zu Demokraten geworden.

60 Jahre seien vergangen, seit arabische und afrikanische Staaten sich vom »kolonialen Witz« befreit hätten, so der Kommentator Amir Hazroni, doch »keine arabische Universität, kein afrikanischer Wissenschaftler, kein Produkt des Mittleren Ostens hat in unserer Welt Spuren hinterlassen«. Gewarnt wird vor allem vor der Gefahr des politischen Islam in der Form der Muslimbruderschaft; der Islam vertrage sich nun einmal nicht mit der Demokratie.

Die junge Generation der Ägypter, die per Internet, Twitter und Facebook den Aufstand begonnen hatten, sei zwar zu bewundern, allerdings auch äußerst naiv. Vermutlich würden sie enden wie die Intellektuellen, die den Aufstand gegen den Schah angeführt hätten und schließlich von der islamischen Revolution ermordet worden seien. Es sei reine Taktik gewesen, daß die Muslimbruderschaft sich bei den Protesten zurückgehalten hätte, »daß man sie nicht gesehen hat, heißt nicht, daß sie nicht da sind«, hieß es im Fernsehsender Kanal 2. Der ehemalige Minister Benjamin Ben Eliezer sagte im Sender Kanal 10: »Wir wollten eine Demokratie im Iran und in Gaza«, doch wer meint, jetzt gebe es Demokratie in Ägypten, »ignoriert die Tatsache, daß es seit mehr als einem Jahrzehnt einen Machtkampf zwischen Sunniten und Schiiten gibt, bei dem Tonnen von Blut vergossen wurden. Wer über Demokratie (in Ägypten) spricht, versteht die Realität, in der wir leben, nicht.«

Damit es mit der Demokratie im neuen Ägypten auch in die richtige Richtung geht, waren bereits der britische Ministerpräsident David Cameron, die EU-außenpolitische Beauftragte Catherine Ashton und der US-Staatsminister im Außenamt, William Burns, am Nil. Auf den Fersen Camerons haben sich am Mittwoch auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle und Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel auf den Weg nach Kairo gemacht.

Die Ägypter wissen derweil sehr wohl, wie es mit ihrer neuen Freiheit vorangehen soll. Der Oberstaatsanwalt hat ein Eilverfahren wegen Korruption und Unterschlagung gegen die früheren Minister für Wohnungsbau, Ahmed Al-Maghraby, und für Industrie und Handel, Rachid Mohamed Rachid, eingeleitet. Weitere Minister, ehemalige Regierungsberater und Geschäftsleute dürfen das Land nicht verlassen, auch der ehemalige Informationsminister, Anas Al-Fikki, und der Chef des Staatlichen Fernsehens, Osama Al-Scheich, wurden festgenommen.

Gerade die Gesprächspartner, mit denen Westerwelle und Niebel sich treffen wollten, sollen nach dem Willen der Demokratiebewegung zugunsten eines Präsidialrates abtreten. Dann sollte eine Übergangsregierung von Technokraten vorübergehend die Geschäfte führen mit dem Ziel, in sechs oder zwölf Monaten Parlamentswahlen durchzuführen. Dafür müßte die Verfassung erneuert werden, ebenso das Wahlgesetz. Neue Parteien und Zeitungen müßten zugelassen und der Ausnahmezustand aufgehoben werden. »Solidarität von Europa gern«, so die einhellige Meinung der Leute vom Tahrir-Platz, »aber keine Einmischung, keine Bevormundung«.

* Aus: junge Welt, 25. Februar 2011


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