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Mussa vor Abul Fotouh

In Ägypten wird in der kommenden Woche ein neuer Präsident gewählt

Von Karin Leukefeld *

Ägypten steht im Zeichen des Präsidentschaftswahlkampfs. In einem Fernsehinterview am Wochenende äußerte sich der ägyptische Präsidentschaftskandidat Abdel Moneim Abul Fotouh überaus kritisch gegenüber Israel und den USA. Israel sei ein »rassistischer Staat«, der Friedensvertrag von 1979 eine »Bedrohung für die Nationale Sicherheit« Ägyptens. Auch die 200 israelischen Atomsprengköpfe bedrohten Ägypten. Deutlich grenzte sich Fotouh von den USA ab, indem er die Ermordung von Osama Bin Laden vor einem Jahr als »Staatsterrorismus« verurteilte. Er halte zwar das Vorgehen Bin Ladens für falsch, so Fotouh. Allerdings habe der Mann »ein faires Gerichtsverfahren verdient«.

Wenige Tage zuvor hatte Abul Fotouh sich in einem Fernsehduell mit dem ebenfalls kandidierenden früheren Außenminister und langjährigen Chef der Arabischen Liga, Amr Mussa (75), sehr viel moderater geäußert. Beide waren sich einig, daß der Friedensvertrag mit Israel überarbeitet werden müsse. Während Abul Fotouh Israel als »Feind« bezeichnete, sprach Mussa davon, daß Ägypten mit Israel »Meinungsverschiedenheiten« vor allem in der Politik gegenüber den Palästinensern habe.

Die beiden gelten als die aussichtsreichsten Kandidaten im Präsidentschaftswahlkampf in Ägypten, bei dem am 23./24. Mai ein neues Staatsoberhaupt gewählt werden soll. Der Militärrat, der die Macht nach dem Abtritt von Hosni Mubarak im Februar 2011 übernommen hatte, hat angekündigt, dem neu gewählten Präsidenten Ende Juni die Macht zu übertragen.

Die Debatte nach dem Vorbild der Präsidentschaftswahlkämpfe in den USA und Frankreich war von den zwei privaten Fernsehsendern »ONTV« und »Dream« übertragen worden. Einer Umfrage des Al-Ahram-Zentrums für Politische und Strategische Studien zufolge liegt Mussa mit 39 Prozent in Führung vor Abul Fotouh mit 24 Prozent. Andere Umfragen sehen einen deutlich geringeren Abstand zwischen beiden Kandidaten. An dritter Stelle liegt bisher Ahmed Shafiq, der frühere Ministerpräsident unter Hosni Mubarak. Die Muslimbruderschaft, die die Mehrheit im ägyptischen Parlament hat, tritt mit Mohammed Mursi zu den Präsidentschaftswahlen an. Insgesamt gibt es 13 Kandidaten.

Der 60jährige Arzt und ehemalige Gefangene unter dem Regime von Mubarak Abul Fotouh hatte sich vor einem Jahr von der Muslimbruderschaft getrennt und kandidiert als »Unabhängiger«. Offenbar kann er mit der Unterstützung von sehr widersprüchlichen Kreisen der ägyptischen Protestbewegung rechnen. Er wird sowohl von der salafistischen Nour Partei als auch von Wael Ghonim unterstützt. Ghonim, ein ehemaliger Angestellter von Google in Ägypten, hatte als (anonymer) Autor der Webseite »Wir sind alle Khalid Said« wesentlich zu den Demosntrationen auf dem Tahrir-Platz beigetragen. Während der Proteste war Ghonim zwölf Tage lang inhaftiert. Mussa könnte hingegen ehemalige Mubarak-Anhänger ebenso hinter sich scharen wie Teile der verunsicherten koptischen Christen.

Fast vier Stunden lang hatten die beiden Männer am Donnerstag vergangener Woche vor den Kameras gestritten. Innenpolitische Themen wie Gesundheitspolitik, Arbeitslosigkeit und Bildung kamen zwar zur Sprache, wurden dann aber durch eine sehr persönliche Auseinandersetzung der beiden verdrängt. Während Mussa seinem Gegenüber die frühere Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft vorhielt und kritisierte, er wolle das islamische Gesetz, die Scharia, in Ägypten einführen, konterte Abul Fotouh mit dem Vorwurf, Mussa habe dem repressiven und korrupten Regime von Mubarak angehört. »Wenn man Teil eines Problems ist, kann man nicht die Lösung präsentieren«, sagte Fotouh. Ein »Symbol« des gestürzten Regimes habe kein Recht, Ägypten zu führen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 15. Mai 2012


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