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Herzlich willkommen in Ägypten!

Nach dem Umsturz im Land kehren die Touristen langsam zurück – doch bis zur Normalität ist es noch weit

Von Heidi Diehl *

Fast vier Wochen lang waren die ägyptischen Touristenorte am Roten Meer wie verwaist. Gespenstische Leere, wo sonst das pralle Leben tobt. Rund 1,5 Millionen Touristen aus aller Welt verließen mit Beginn der Unruhen das Land oder stornierten bereits gebuchte Reisen. Seit Anfang März kommen die Urlauber langsam zurück.

»Wir haben 7000 Jahre Geschichte, was sind da 100 Jahre«, lautet ein geflügeltes Wort der Ägypter. Und meint nichts anderes als: Immer schön mit der Ruhe, nur keine Hast, es läuft schon nichts weg. Davon will heute in den Badeorten am Roten Meer niemand mehr etwas hören. Im Gegenteil: Nach einem Monat fast ohne Touristen kann es ihnen jetzt gar nicht schnell genug gehen. Denn wenn die Urlauber nicht bald zurückkommen, bedeutet das für viele den Ruin. Vor allem für kleine private Händler, Gaststättenbetreiber und Touristikanbieter.

Mustafa Mohamed Ameed, der auf der Esplanada Mall in Hurghada ein Souvenirgeschäft hat, ist so einer. Wo bis vor vier Wochen die Urlauber für fröhliche Geschäftigkeit sorgten, herrscht jetzt gähnende Leere. Die Einheimischen vertreiben sich die Zeit mit Tee trinken, Brettspielen und einem wachen Blick für jeden daherkommenden Touristen. Als Mustafa uns erblickt, unterbricht er abrupt sein Gespräch und läuft auf uns zu. Woher wir kämen, wie lange wir bleiben wollen und vor allem, ob noch viele andere aus Germany gekommen seien, will er wissen und bittet uns in sein Geschäft. »Nur gucken, nichts kaufen«, sagt er wie immer, und muss gleich selbst darüber lachen.

Natürlich hofft er, dass wir nicht nur gucken, denn seit Wochen hat er nichts verkauft. Das ist hart für einen, der eine große Familie zu ernähren hat. Sein Geschäft habe er dennoch keinen einzigen Tag geschlossen, erzählt Mustafa und serviert den ersten Gästen seit einer gefühlten Ewigkeit Tee. Der Laden sei sein Leben. Jeden Tag habe er gehofft, dass die Touristen zurückkommen. »Wissen Sie, hier war es die ganze Zeit friedlich, wir konnten gar nicht verstehen, warum plötzlich alle fluchtartig das Land verließen. Jetzt aber wird alles gut«, strahlt der 51-Jährige. Zum Abschied kaufen wir ihm einen Skarabäus ab, der von den Ägyptern als heiliges Tier verehrt wird. »Möge er euch Glück bringen«, sagt der Händler. »Danke, Mustafa, dir auch!«

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Stunden zuvor war eine Maschine von Air Berlin mit den ersten 140 deutschen Touristen nach der Aufhebung der Reisewarnungen in Hurghada gelandet. An Bord sind auch Nelli und Maxim, Studenten aus Berlin. »Unsere Eltern waren zunächst entsetzt, als wir ihnen erzählten, dass wir nach Ägypten wollen. Aber nachdem alle Reisewarnungen aufgehoben waren, beruhigten sie sich. Wir wollten Sonne und Strand, das ist zur Zeit nirgendwo preiswerter zu bekommen. 299 Euro für eine Woche all inclusive machten die Entscheidung für Ägypten leicht«, erzählt die 22-Jährige. Für die 70-jährige Anita Raschke aus Düsseldorf spielte der günstige Preis eine untergeordnete Rolle. Sie liebt Ägypten, war schon fünf Mal dort. Ihre für Anfang Februar gebuchte Reise hatte sie schweren Herzens storniert, jetzt aber, da wieder Ruhe ins Land eingekehrt ist, habe sie keine Bedenken mehr zu reisen.

Wie es schien, war alles, was Beine hat, zur Begrüßung am Flughafen angetreten: Transparente mit Dankes- und Willkommensgrüßen wurden hochgehalten, Blumen überreicht, es herrschte eine Stimmung wie auf einem Volksfest.

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Eine Beobachtung, die überall in den Badeorten am Roten Meer zu spüren ist und die Hisham Zoozou, stellvertretender Tourismusminister Ägyptens, so auf den Punkt brachte: »Das ganze Land ist in Aufbruchstimmung, wir sind voller Energie und Stolz, was die Urlauber spüren werden.« Den mitgereisten deutschen Journalisten diktierte er in den Block: »Bitte sagen Sie den Menschen in Deutschland, dass sie hier sicher sind. Wir brauchen die Touristen. Jeder Urlauber aus Europa hilft unserem Land bei seinem Weg in die Demokratie.«

Ohne die Einnahmen durch den Tourismus sähe es tatsächlich schlecht aus im Land. Er gehört zu den wichtigsten Wirtschaftsfaktoren, bringt rund 20 Prozent der Deviseneinnahmen. 2010 hatte er einen Anteil von 11,6 Prozent am Bruttosozialprodukt, das entspricht etwa 14 Milliarden US-Dollar. Jeder zehnte Ägypter lebt direkt oder indirekt vom Tourismus. Von den 15 Millionen ausländischen Gästen im vergangenen Jahr kamen allein 1,3 Millionen aus Deutschland. Das ist Platz drei hinter Russland mit über zwei Millionen und Großbritannien mit 1,36 Millionen.

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Die Engländer waren übrigens die Einzigen, die sich durch die Unruhen im Land nicht »vertreiben« ließen, erzählt Murtada Ahmed, der in Hurghada als Reiseleiter arbeitet. Während die Sicherheitswarnungen des Auswärtigen Amtes in Deutschland dafür sorgten, dass fast alle deutschen Reiseunternehmen – wie auch die anderer Länder – in Windeseile ihre Gäste zurückholten, warben die Touristiker in Großbritannien sogar für Reisen ans Rote Meer.

Zu den wenigen deutschen Veranstaltern, die mit der Situation gelassener umgingen, gehörte der Ägypten-Spezialanbieter Express Travel International (ETI) aus Frankfurt (Main). »Wir haben schon am 19. Februar wieder Urlauber mit eigens gecharterten Maschinen nach Ägypten geflogen«, sagt Unternehmenschefin Maja-Jeniffer Köhl. »Keines unserer elf eigenen Hotels mussten wir schließen, viele Stammgäste blieben, als alle anderen das Land verließen.«

Dennoch wurde auch in den ETI-Hotels die Belegschaft zurückgefahren, weil die Auslastung deutlich unter dem Normalzustand lag. Von den insgesamt etwa 250 Hotels in Hurghada schlossen mehr als die Hälfte ganz, andere reduzierten die Zahl der Mitarbeiter auf ein Minimum, denn die Belegung lag in den vergangenen Wochen bestenfalls zwischen 3 und 15 Prozent. Für einen Großteil der Beschäftigten bedeutete das wochenlange Einnahmeverluste, denn, so Murtada Ahmed, es gab eine Anweisung der Regierung, die nicht benötigten Mitarbeiter der Hotels in unbezahlten Urlaub zu schicken.

Ahmed Said, der als Kellner im »Albatros Palas«, einem 5-Sterne-Haus von Hurghada arbeitet, gehörte zu den glücklichen 100 von insgesamt 300 Mitarbeitern des Hotels, die bleiben konnten. »Unser Resort war zum Glück die ganze Zeit in Betrieb, allerdings schlossen vier der sechs Restaurants«, erzählt er. »Es war fast gespenstisch, nur etwa 40 Gäste verliefen sich in dem 1500-Betten-Hotel. Aber jetzt geht's aufwärts, 300 Urlauber sind schon wieder da«, strahlt er.

Auch der 24-jährige Surflehrer Ahmed Attea ist optimistisch. »Ja, es waren harte Wochen. Doch was da in Kairo passierte, wird für alle ein besseres Leben bringen. Dafür nehme ich gern den Verdienstausfall in Kauf. Das ist doch ein guter Preis für die friedliche Revolution.«

Ähnlich sehen das Thomas und Barbara Bordiehn, zwei deutsche Gastronomen, die seit 18 Jahren in Hurghada leben und drei Restaurants mit 100 Mitarbeitern betreiben. »Tagelang konnten wir kaum schlafen, hatten Angst, um uns und unsere Mitarbeiter. Vor allem, als Gerüchte von Plünderungen und Einbrüchen aufkamen. Glücklicherweise hat sich nichts davon bestätigt«, sagt Barbara. Und Thomas ergänzt: »Wir hatten zwar kaum noch Gäste, dafür aber müssen wir nun nicht mehr morgens erst unsere Kollegen aus dem Knast freikaufen, wie es vor zwei Monaten noch an der Tagesordnung war. Grundlos wurden sie eingesperrt, das ist nun zum Glück Geschichte. Plötzlich sind die Polizisten und andere Beamten freundlich, wir fassen es manchmal selbst noch nicht.«

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Stefan Suska, Sprecher des Duisburger Reiseveranstalters alltours, der gemeinsam mit vielen Kunden des Unternehmens mit der ersten Maschine nach Hurghada flog, fiel ein Stein vom Herzen, als die Reisewarnungen endlich aufgehoben wurden. »Rund 80 000 Buchungen haben wir jährlich nach Ägypten, viele Gäste waren auch während der Unruhen im Land. Die meisten haben wir heimgeholt, andere stornierten bereits gebuchte Reisen. 95 Prozent von denen entschieden sich statt dessen für die Kanaren, die Türkei oder Mallorca. Wir hoffen, dass wir im nächsten Winter wieder normale Buchungszahlen für Ägypten verzeichnen.« Unentschiedene ermuntert Suska, nach Ägypten zu reisen, nicht nur, weil Urlaub dort derzeit zum Schnäppchenpreis zu haben ist.

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Zwei Tage später fahren wir auf dem Weg zum Heimflug am »Aladin Beach Resort« vorbei, vor dem eine riesige Wunderlampe steht. Zwei Männer polieren sie so eifrig, als ob sie den Geist aus der Lampe hervorlocken wollen. Keine Frage, was sie sich von ihm wünschen würden

* Aus: Neues Deutschland, 10. März 2011

Zehn Tote bei Kämpfen zwischen Christen und Muslimen in Kairo **

Bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Muslimen und Christen in Kairo sind am Dienstag abend Behördenangaben zufolge mindestens zehn Menschen getötet worden. Weitere 110 Menschen seien verletzt worden, zitierte die ägyptische Nachrichtenagentur Mena am Mittwoch einen Abteilungsleiter des Gesundheitsministeriums.

Unter den Toten waren nach Auskunft eines Priesters auch mindestens sechs koptische Christen. Mindestens 45 weitere Kopten seien verletzt worden, sagte der Geistliche Samaan Ibrahim aus dem Stadtteil Mokattam, dem Schauplatz der Auseinandersetzungen. Die Leichen der Kopten befänden sich im Krankenhaus der Kirchengemeinde, sagte der Geistliche. Alle Opfer seien durch Kugeln getötet worden, auch die Verletzten hätten Schußwunden erlitten.

Mindestens tausend Christen hatten sich am Dienstag in Kairo versammelt, um gegen einen Brandanschlag auf eine Kirche im Süden der Metropole am Samstag zu protestieren (Foto). Die Demonstranten seien dann von Bewaffneten attackiert worden.
(AFP/jW)

** Aus: junge Welt, 10. März 2011




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