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Stichwahl in Ägypten fürs Präsidentenamt

Bei der Präsidentschaftswahl in Ägypten zeichnet sich eine zweite Runde ab. Vermutlich wird es zwischen dem Kandidaten der Muslimbrüder, Mohammed Morsi, und dem letzten Regierungschef des gestürzten Staatschefs Husni Mubarak, Ahmed Schafik, zur Stichwahl kommen. Nach Angaben der Muslimbrüder lag Morsi nach Auszählung von 90 Prozent der Stimmen klar in Führung, verfehlte aber die absolute Mehrheit. »Die Ägypter müssen nun zwischen der Revolution und der Konterrevolution wählen«, sagte der Chef der Partei der Muslimbrüder, Mohammed Beltagi, am Freitag.

Das offizielle Ergebnis wird erst in der nächsten Woche erwartet. Der Sieger der Präsidentschaftswahl soll am 21. Juni bekanntgegeben werden.


Die Demokratiefrage

Moslembruder bei Wahl in Ägypten vorn

Von Werner Pirker *


Bei den ägyptischen Präsidentschaftswahlen zeichnet sich ein Sieg des von den Moslembrüdern ins Rennen geschickten Kandidaten Mohamed Morsi ab. Bewahrheitet sich der gegenwärtige Auszählungsstand, würde er bei einer Stichwahl auf Mubaraks letzten Ministerpräsidenten Ahmed Shafiq treffen. Platz drei wird vorerst vom linken Aktivisten Hamdeen Sabbahi gehalten.

Unabhängig vom Wahlausgang wird Ägyptens Weg zur Demokratie noch ein sehr weiter sein. Zum einen zeigt sich, daß die Anhänger des gestürzten Diktators immer noch über eine gewisse Massenbasis verfügen, was im Zusammenwirken mit der dem alten Regime verbundenen Armeeführung ein beträchtliches Putschpotential ergibt. Zum anderen bildet die Dominanz der Moslembruderschaft, wie sie schon bei den Parlamentswahlen zum Ausdruck kam, keine allzu gute Voraussetzung für die Weiterentwicklung der ägyptischen Demokratie.

Die ägyptische Revolution hat ihre demokratischen Aufgaben noch keineswegs erfüllt, von ihren sozialen ganz zu schweigen. Auch die demokratische Umwälzung wird scheitern, wenn ihre soziale Radikalisierung ausbleibt, wenn die Eigentumsfrage nicht gestellt wird und wenn sich die demokratische und soziale Bewegung nicht miteinander verbinden. Der Tahrir-Platz hat über Mubarak vor allem auch deshalb obsiegt, weil die Masse der Unterprivilegierten in Bewegung geraten war. Im Zusammenwirken mit jungen »Facebook-Revolutionären« haben die Textilarbeiter des Niltales schon zwei Jahre vor dem gesamtnationalen Aufstand das Regime herausgefordert. Und es war das städtische »Lumpenproletariat«, das mit seinem Kampfgeist wesentlich zur Verteidigung des Tahrir-Platzes beigetragen hat.

Der politische Islam hat zwei Gesichter – eines der Demokratie und eines der Oligarchie zugewandt, ein wirtschaftsliberales und ein soziales. Er möchte die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse unter allen Umständen bewahrt wissen und geriert sich gleichzeitig als das soziale Gewissen der Nation. Entsprechend ambivalent ist das Verhältnis der Bruderschaft zum herrschenden Militärrat. Man ist einerseits um die Herstellung eines gemeinsamen Ordnungsblocks mit den Generälen bemüht. Doch als Vertreter zweier unterschiedlicher Bourgeoisiefraktionen trachten beide Seiten danach, nicht von der jeweils anderen über den Tisch gezogen zu werden. Die Brüder repräsentieren das aufstrebende islamische Besitzbürgertum, der Militärrat die bürokratische Bourgeoisie, die sich aus dem Staatsapparat heraus entwickelt hat.

Der politische Islam übt aber auch einen großen Einfluß auf die lumpenproletarisierten Schichten aus, was im schlimmsten Fall eine Tendenz zur Faschisierung der Massenbewegung bewirken könnte und sich in salafistischen Pogromen bereits abzeichnet. Als Gegenkraft zu einer reaktionären Entwicklung ist vor allem die Linke gefordert, die dem nur mit einer sozialrevolutionären und antiimperialistischen Agenda gerecht werden kann.

* Aus: junge Welt, Samstag, 26. Mai 2012

Kopf an Kopf

Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in Ägypten gehen Exministerpräsident Ahmed Schafik und der Kandidat der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, ins Rennen. In der ersten Runde der Wahl in der vergangenen Woche erhielt Mursi 5,76 Millionen Stimmen und lag damit auf Platz eins, wie die Wahlkommission am Montag bekannt gab.
Schafik, der letzte Ministerpräsident des gestürzten Machthabers Husni Mubarak, folgte dem offiziellen Ergebnis zufolge mit 5,5 Millionen Stimmen. (dapd, 28.05.2012)




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