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Eskalation auf der Sinai-Halbinsel

Ägyptisches Militär geht gegen islamistische Kämpfer vor / Drohnenangriff durch Israel?

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

Die Lage auf der Sinai-Halbinsel eskaliert: Am Wochenende kam es zu Gefechten zwischen ägyptischem Militär und Angehörigen militanter Gruppierungen. Am Freitag waren zuvor vier Kämpfer bei einem mutmaßlichen israelischen Drohnenangriff getötet worden. Es wäre das erste Mal seit 35 Jahren, dass Israels Armee in Ägypten aktiv geworden wäre.

Etwas ist anders, das ist schon auf den ersten Blick erkennbar. Auf der Fahrt aus Richtung Kairo kommend entlang der nördlichen Küste der Sinai-Halbinsel in Richtung Gaza sind Panzer zu sehen; am Himmel kreisen Militärhubschrauber. Und schon nach gut 20 Kilometern ist Schluss: Soldaten, schwer bewaffnet, teilen den Fahrzeuginsassen mit, dass hier nur durchkommt, wer eine Genehmigung mitbringt. Der Sicherheitslage wegen, heißt es. Diskussion unmöglich.

Die Lage: Am Freitag wurden auf dem Sinai in der Nähe der israelischen Küstenstadt Eilat am Roten Meer vier Kämpfer der weitgehend unbekannten militanten Gruppierung Ansar Beit al Makdis getötet. In einer Stellungnahme behauptete die Gruppe am Samstag, es habe sich dabei um einen israelischen Drohnenangriff gehandelt. Und sie beschuldigten Ägypten, den Angriff zusammen mit Israel koordiniert zu haben.

Beobachter halten dies für plausibel. Israelische Medien berichten, ein Raketenangriff habe zumindest kurz bevorgestanden. Kurz zuvor war der internationale Flughafen von Eilat für zwei Stunden geschlossen und evakuiert worden. Gleichzeitig hüllen sich sowohl das ägyptische als auch das israelische Verteidigungsministerium in tiefstes Schweigen. Man bestätige nichts, heißt es – aus gutem Grund: Es wäre das erste Mal seit dem Friedensschluss zwischen beiden Ländern und der Räumung der zuvor israelisch besetzten Sinai-Halbinsel, dass Israels Militär dort aktiv wird. Und dies ist für viele Ägypter nach wie vor ein neuralgischer Punkt. Der Friedensvertrag war stets ein Abkommen zwischen Regierungen. Die ägyptische Öffentlichkeit hat sich dem Nachbarland nie angenähert.

Dass sich etwas verändert hat, liegt allerdings auf der Hand: Das schwere Gerät, die schwere Bewaffnung der ägyptischen Soldaten sind ein deutliches Anzeichen dafür, dass Ägypten und Israel die militärischen Beschränkungen, die der Friedensvertrag von Camp David dem Nilstaat auferlegt, weitgehend aufgehoben haben.

Auch wenn beide Seiten nichts bestätigen. Israelische Medien berichten, der Tipp mit dem geplanten Raketenangriff sei aus Kairo gekommen, der Luftschlag mit Ägyptens Militär abgesprochen gewesen. Offiziell wird in diesen Tagen immer wieder die gute Zusammenarbeit gelobt, im Fall des Sinai hätten beide Länder die gleichen Interessen.

Im Schatten der Ereignisse in Kairo hat sich dieses zerklüftete, weitläufige Wüstengebiet zwischen dem ägyptischen Kernland, Israel und dem Gazastreifen über Monate hinweg zu einem rechtsfreien Raum entwickelt. Während sich in den Küstenorten am Roten Meer Touristen dem Traum von Tausend und einer Nacht hingaben, konnten sich im Hinterland Drogenschmuggler, Schleuser und militante Gruppierungen frei entfalten. Zahl, Herkunft und Strukturen sind kaum bekannt. »Diese Gruppen tauchen urplötzlich auf, vereinigen sich, trennen sich; es ist schwer, die Zusammenhänge zu verstehen«, sagt ein Mitarbeiter des israelischen Verteidigungsministeriums. »Das ist eine sehr problematische Situation für Israel.« Denn Israel und Ägypten teilen sich eine mehrere hundert Kilometer lange Grenze; vom nördlichen Sinai aus sind die israelischen Städte im Landesinneren bequem per Rakete erreichbar.

Und auch in Ägypten fürchtet das neue De-facto-Militärregime, dass der Sinai zum Sammelgebiet radikaler Gruppierungen für mögliche Angriffe auf das Kernland wird. Die Schuld daran trügen der abgesetzte Präsident Mohammed Mursi und die Muslimbruderschaft. Sie hätten dies zugelassen. Tatsächlich ist es allerdings so, dass bereits zu Mursis Zeiten Versuche unternommen wurden, die Sicherheitslage auf der Halbinsel zu verbessern. Nur: Damals beklagten Vertreter des ägyptischen Verteidigungsministeriums, dem Militär seien durch die Beschränkungen des Friedensvertrages die Hände gebunden. Und Israel wollte sich damals auf Veränderungen nicht einlassen. Denn man vertraute Mursi nicht. Das scheint mit der jetzigen Militärregierung anders zu sein.

* Aus: neues deutschland, Montag, 12. August 2013


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