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Überfall auf dem Sinai

Angriff auf ägyptischen Posten an der Grenze zu Israel. 16 Tote

Von Knut Mellenthin *

Unbekannte haben am Sonntag abend im Norden der SinaiHalbinsel an der Grenze zu Israel 16 ägyptische Polizisten getötet und sieben weitere verletzt. Offenbar handelte es sich um die gesamte Besatzung des Grenzpostens Karem Abu Salem in der Nähe der Stadt Rafa. Der Überfall ereignete sich bei Sonnenuntergang gegen 20 Uhr (Ortszeit), als die Grenzer sich gerade zu dem während des Ramadan üblichen allabendlichen Fastenbrechen anschickten.

Anschließend überquerten die Angreifer mit zwei Fahrzeugen die Grenze zu Israel. Nach israelischen Angaben sei eines der beiden Fahrzeuge explodiert – die Ursache, möglicherweise eine Mine zur Grenzsicherung, wurde bisher nicht genannt – , während das zweite etwas später durch einen Luftangriff zerstört worden sei. Insgesamt seien bis Montag mittag auf der israelischen Seite der Grenze acht Leichen von mutmaßlich an dem Überfall Beteiligten gefunden worden. In den Berichten über den Zwischenfall wird unterschiedlich dargestellt, ob die Angreifer die zwei gepanzerten Fahrzeuge schon für den Überfall verwendeten oder ob sie diese erst an der Grenzstation in ihre Gewalt brachten.

Wie immer in solchen Fällen gab sich die israelische Regierung schon nach wenigen Minuten sehr sicher über den Hintergrund des Geschehens: Angeblich gehörten die Angreifer dem »Global Dschihad« an, bei dem es sich allerdings weniger um eine wirkliche Organisation als vielmehr um ein zu Propagandazwecken erfundenes Phantom, selbstverständlich mit engsten Verbindungen zu Al-Qaida, handelt. Sicher ist jedoch nur, daß die israelischen Dienststellen schon im voraus informiert und alarmiert waren. »Wir wurden nicht überrascht«, sagte Streitkräfte-Sprecher Brigadegeneral Yoav Mordechai. Man habe mit einem unmittelbar bevorstehenden Angriff gerechnet und deshalb die Patrouillen im Grenzdreieck Israel-Gaza-Ägypten verstärkt. Das Anti-Terrorismus-Büro der Regierung hatte israelische Touristen schon am Donnerstag zum Verlassen der Sinai-Halbinsel aufgerufen.

Verteidigungsminister Ehud Barak forderte, die ägyptische Regierung müsse den Zwischenfall als »Weckruf« wahrnehmen. Der Überfall mache erneut »die Notwendigkeit entschlossenen ägyptischen Handelns deutlich, um auf dem Sinai die Sicherheit durchzusetzen und Terrorismus zu verhindern«. Allerdings war Ägypten durch den 1979 geschlossenen Friedensvertrag jahrzehntelang dazu verurteilt, auf der Halbinsel nur ein zahlenmäßig geringes, schwach bewaffnetes Polizeikontingent zu unterhalten. Erst im vorigen Jahr erlaubte Israel eine bescheidene quantitative und qualitative Verstärkung.

Der seit kurzem amtierende ägyptische Präsident Mohammed Mursi kündigte nach einer Beratung mit der Militärspitze an, daß die Sicherheitskräfte »die vollständige Kontrolle über sämtliche Gebiete des Sinai herstellen« würden. »Diejenigen, die hinter diesen Angriffen stehen ebenso wie die, die mit den Angreifern zusammengearbeitet haben, sowohl innerhalb als auch außerhalb Ägyptens, werden einen hohen Preis zahlen müssen.« Die erste konkrete Maßnahme richtete sich indessen gegen die Bevölkerung des Gazastreifens: Der einzige nicht von Israel überwachte Grenzübergang bei Rafa wurde zeitlich unbegrenzt gesperrt.

Die in Gaza herrschende Hamas gab kurz nach dem Überfall eine Stellungnahme ab, in der sie »dieses abscheuliche Verbrechen« verurteilte und den Familien der Opfer sowie dem Volk und der Führung Ägyptens ihr »tief empfundenes Beileid« aussprach.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 7. August 2012


Massaker auf der Sinai-Halbinsel

Terroristen töteten 16 ägyptische Soldaten **

Die Sinai-Halbinsel wird immer gefährlicher und unübersichtlicher. Für Ägypten selbst, aber auch für Israel. Extremisten richten ein Massaker in Ägypten an, um anschließend im Nachbarland zuzuschlagen.

Bei einem der schwersten Terroranschläge der vergangenen Jahre in Ägypten haben Unbekannte an einem Sinai-Kontrollposten an der Grenze zu Israel 16 Soldaten getötet. Danach versuchten sie am Sonntagabend, mit erbeuteten gepanzerten Fahrzeugen nach Israel vorzudringen, wo sechs von ihnen erschossen wurden. Über die Identität der Täter wurde zunächst nichts bekannt.

Das israelische Militär vermutete am Montag Beduinen und islamische »Gotteskrieger« hinter den Anschlägen, in Ägypten war von einer bislang unbekannten Gruppe aus dem Gaza-Streifen die Rede. Das aber wurde von der dort regierenden radikal-islamische Hamas-Bewegung dementiert. Zunächst bekannte sich niemand zu den Taten.

Das ägyptische Militär leitete eine groß angelegte Suchaktion nach möglichen überlebenden Terroristen ein. Der Grenzübergang zum Gaza-Streifen wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen. Helikopter sowie Spezialeinheiten der Armee durchkämmten die Grenzregion. Die Hamas ordnete die vorübergehende Schließung aller Schmugglertunnel nach Ägypten an.

Ägyptens Präsident Mohammed Mursi versprach, den Sinai wieder unter die Kontrolle des Staates zu bringen. Die Kriminellen würden hart bestraft. Israels Verteidigungsminister Ehud Barak äußerte die Hoffnung, dass die Anschläge als Weckruf wirkten, damit Ägypten das Chaos auf dem Sinai beende. Nach ersten Erkenntnissen sollen schwer bewaffnete Extremisten die Grenzsoldaten nach Einbruch der Dunkelheit beim Fastenbrechen im Ramadan überfallen haben. Die Angreifer seien anschließend mit den entwendeten gepanzerten Truppentransportern zum Grenzübergang Kerem Schalom gefahren und hätten israelische Grenzsoldaten beschossen. Nach israelischen Angaben explodierte dann eines der Fahrzeuge. Ein zweites habe den Grenzzaun durchbrochen und sei dann von der israelischen Luftwaffe zerstört worden. Die Israelis hatten offensichtlich Informationen, dass ein Terroranschlag bevorstand.

Die ägyptische Sinai-Halbinsel liegt an der Nahtstelle von Afrika und Asien. Im Sechstagekrieg 1967 eroberte Israel den Sinai. Nach dem Friedensvertrag von 1979 wurde er bis 1982 an Ägypten zurückgegeben. Die ägyptische Regierung baute die von Korallenriffen gesäumte Küste am Golf von Akaba zur »Riviera des Nahen Ostens « aus. Auch viele Israelis verbringen hier ihre Ferien.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 7. August 2012


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